OGH 6Ob652/84

OGH6Ob652/844.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hubert S*****, vertreten durch Dr. Klaus Grubhofer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei mj Wolfgang C*****, vertreten durch seinen ehelichen Vater Hans‑Walter C*****, wohnhaft ebendort, als seinen gesetzlichen Vertreter, dieser vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 1.099.742 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. Mai 1984, GZ 1 R 104/84‑16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 12. Jänner 1984, GZ 7 a Cg 4647/83‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0060OB00652.840.1004.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger betreibt in L***** einen Handel mit Altmaterial. Auf seinem Betriebsgelände standen zwei Hallen, von welchen die eine etwa 30 bis 40 Jahre und in Holzriegelbauweise errichtet war. In dieser Halle wurden ausschließlich gepresste Stoffballen gelagert; sie bestanden aus Textilresten und repräsentierten nur wegen ihrer Wiederverwertungseignung einen gewissen Wert. Das Schiebetor der Halle blieb unversperrt, weil die Stoffballen nach Meinung des Klägers wegen ihres geringen Wertes und ihres Gewichts ohnehin nicht als Diebsbeute in Betracht kamen. Die Schirmwände der Halle waren aus verhältnismäßig dünnen Brettern mit Zwischenlatten gefertigt. Im Laufe der Zeit waren die Glasscheiben der Fenster beim Stapeln der Stoffballen eingedrückt worden. Daher hatte der Kläger vor den Fensteröffnungen Drahtgeflechte angebracht, um Unbefugten das Einsteigen zu erschweren. Neben dieser Halle errichtete er um das Jahr 1978 eine neue Halle, in der wertvolleres Material gelagert wurde; diese Halle wurde regelmäßig versperrt. Das Betriebsareal ist mit Maschendraht eingezäunt.

Am 2. 3. 1982 hatten sich der mj Beklagte und seine beiden Freunde Andreas A***** (geboren am *****) und Herbert V***** (geboren am *****) ebenso wie schon an den beiden vorangegangenen Tagen unbemerkt den Zugang zur alten Halle verschafft und zwischen rund 500 kg schweren Stoffballen eine „Hütte“ eingerichtet, ohne dass sie dabei die Lage der Ballen hätten verändern müssen. Es konnte nicht mehr festgestellt werden, wie die Buben in die Halle gelangt waren. Sie waren entweder durch eine 1,7 bis 1,8 m über dem Erdboden eingelassene Fenstereröffnung, bei der das Drahtgeflecht fehlte, oder durch eine Luke in der Bretterwand in die Halle eingedrungen. Da die Buben wussten, dass der Aufenthalt auf dem Gelände verboten war, warteten sie jeweils einen günstigen Zeitpunkt ab, um unbemerkt in die Halle gelangen zu können; die Stelle, wo die Kinder einstiegen, lag abgekehrt, sodass sie kaum befürchten mussten, entdeckt zu werden.

Herbert V***** hatte zwei Kerzen und eine Fackel mitgebracht, der Beklagte hatte Zigaretten und ein Feuerzeug bei sich. Mit dem Kerzenlicht wollten die Buben die „Hütte“ erhellen. Herbert V***** befestigte eine Kerze auf einem Pappkarton und stellte sie sodann auf einen Stoffballen. Er fuhr mit der brennenden Fackel einen Holzbalken entlang, der dabei geschwärzt wurde. Schließlich verfiel einer der Buben auf die Idee, Stofffetzen anzuzünden und sie sodann auszulöschen. Dies gelang ihnen zunächst auch, bis der Beklagte das Feuer an einem Lappen, den er dabei in der Hand hielt, nicht mehr rechtzeitig löschen konnte. Er war genötigt, den brennenden Lappen durch die 1,5 m entfernte Fensteröffnung ins Freie zu werfen. Dabei fiel ein Teil des brennenden Gewebes auf einen Stoffballen, der sofort Feuer fing. Während Andreas A***** daraufhin sofort flüchtete, versuchten der Beklagte und Herbert V*****, den entfachten Brand zu löschen. Als sie erkennen mussten, dass sie dazu nicht mehr imstande waren, ergriffen sie gleichfalls die Flucht.

Der Beklagte war zur Tatzeit Schüler des ersten Klassenzugs der dritten Klasse der Hauptschule L*****. Seine Leistungen in der Schule waren durchschnittlich. Dem Beklagten war ebenso wie seinen beiden Freunden bewusst, dass sie sich verbotenerweise in der Halle aufhielten und das Hantieren mit dem Feuer schon deshalb besonders gefährlich war, weil Stoffballen leicht zu entflammen sind. Die Eltern des Beklagten haben bei der G***** Versicherung eine Bündelversicherung abgeschlossen, die auch eine Haftpflichtversicherung für Sachschäden mit einer Deckungssumme von 2 Mio S umfasst; der Beklagte ist mitversichert.

Der Kläger und seine Leute bemerkten wiederholt, dass Kinder, die Altmaterial abgeliefert hatten, länger auf dem Gelände verweilten, um nach alten Heften und dergleichen zu suchen. Die Kinder wurden dann stets weggeschickt. Dass sich die drei Buben in der alten Holzhalle aufhielten, blieb dem Kläger und seinen Leuten hingegen verborgen. Für die Öffnung und Schließung des Betriebsgeländes und der neuen Halle war der Vorarbeiter Richard K***** zuständig. Er öffnete stets am Morgen das Tor zum Betriebsareal und schloss es am Abend nach Betriebsende. Es war nicht feststellbar, ob vor dem Ausbruch des Brandes auf dem Betriebsgelände ein Hinweisschild, das Unbefugten den Zutritt zum Gelände untersagte, aufgestellt war.

Durch den Brand wurde die Halle samt dem darin gelagerten Altmaterial zerstört. Außerdem verbrannte ein LKW des Klägers und an Nachbargebäuden und Fernmeldeanlagen der P***** entstand beträchtlicher Sachschaden.

Der Kläger begehrte vom Beklagten den Ersatz der durch Versicherungsleistungen nicht abgedeckten Schäden im Betrag von 1.099.742 S. Er brachte vor, der mj Beklagte habe einsehen können, dass sein Verhalten unerlaubt und überaus gefährlich sei. Das Kind sei gegen Haftpflicht versichert, die Versicherungsanstalt habe auch bereits Akontozahlungen erbracht. Der Beklagte habe dem Kläger für den Schaden gemäß § 1310 ABGB einzustehen.

Der Beklagte stellte zwar „die Schadenersatzansprüche des Klägers“ der Höhe nach mit 1 S außer Streit (AS 31), wendete aber ein, der Kläger habe es zu vertreten, dass die Nordwand der Lagerhalle ein großes Loch aufgewiesen habe. Nur dadurch sei es den Kindern ermöglicht worden, in die Halle einzusteigen. Den Kläger treffe daher ein Mitverschulden im Ausmaß von zwei Dritteln. Außerdem sei die Überwälzung des Schadens grob unbillig. Der Beklagte habe die Gefährlichkeit seines Tuns nicht erkennen können.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass die Ansprüche des Klägers auf Ersatz des Verkaufswertes des verbrannten Altmaterials, der Aufräumungskosten, das an den Nachbargebäuden und den Fernmeldeanlagen der P***** entstandenen Schadens und des Zeitwertes des verbrannten LKWs dem Grunde nach zu Recht bestehen. Es verneinte ein Eigenverschulden des Klägers und eine Verletzung der Obsorgepflicht der Eltern des Beklagten und führte aus: Daher sei iSd § 1310 ABGB zu prüfen, ob dem an sich nicht deliktsfähigen Beklagten nicht doch ein Verschulden zur Last falle. Das sei deshalb zu bejahen, weil der Beklagte selbst zugegeben habe, dass ihm die Gefährlichkeit seines Tuns bekannt gewesen sei. Er habe den Brand grob fahrlässig herbeigeführt. Im Übrigen treffe auch der dritte Fall des § 1310 ABGB zu, weil in der aufrechten Haftpflichtversicherung ein Vermögen des Beklagten zu erblicken sei. Der Höhe nach habe der Beklagte die geltend gemachten Beträge mit 1 S außer Streit gestellt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Zwischenurteil. Es führte aus, dem Kläger falle kein Mitverschulden zur Last. Das Gelände sei umzäunt gewesen und das Tor sei nach Betriebsschluss stets versperrt worden. In der Halle seien nahezu wertlose Gegenstände gestapelt gewesen, sodass die bestehende Absicherung ausgereicht habe. Der Kläger habe nicht damit rechnen müssen, dass Kinder in der Halle mit Feuer hantieren, weil deren Aufenthalt bis zum Ausbruch des Brandes unbemerkt geblieben sei. Die Verantwortlichkeit Deliktsunfähiger werde durch das Maß der vorhandenen Einsicht und die Art des konkreten Verhaltens bestimmt. Dass das Hantieren mit offenem Feuer in einer solchem Umgebung zu einem Brand führen könne, müsse ein zwölfeinhalbjähriger Schüler mit durchschnittlichem Schulfortgang ohne weiteres einsehen können. Da der Beklagte „die“ Schadenersatzansprüche des Klägers der Höhe nach mit 1 S außer Streit gestellt habe, stehe bei jedem einzelnen Anspruch ein Teilerfolg fest, sofern die Haftung des Beklagten dem Grunde nach bejaht werde. Daher habe das Erstgericht auch ein Zwischenurteil fällen dürfen.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Bei der Beurteilung der Verschuldensfähigkeit des Beklagen ist davon auszugehen, dass der Beklagte zur Tatzeit im 13. Lebensjahr stand und Schüler des ersten Klassenzugs der dritten Klasse einer Hauptschule war. Die beschränkte Deliktsfähigkeit Unmündiger nach § 1310 ABGB greift nur ein, wenn weder ein Fall des § 1308 ABGB (also der Geschädigte selbst das Verhalten des Unmündigen schuldhaft veranlasst hat) vorliegt noch der Geschädigte von den Aufsichtspersonen Ersatz fordern kann (ZVR 1976/14 ua; Koziol , Haftpflichtrecht 2 II 311; Ehrenzweig , System 2 II/1 679). Das trifft hier zu, weil der Kläger – wie noch zu zeigen sein wird – das Verhalten des Schädigers nicht veranlasst hat. Auch für die Haftung einer Aufsichtsperson, die im Übrigen von keiner Seite behauptet wurde, finden sich keinerlei Anhaltspunkte.

Deshalb ist der Schadenersatz gemäß § 1310 ABGB dem Beklagten nach billigem Ermessen aufzuerlegen. Der erste Fall dieser Bestimmung fordert auch bei Unmündigen die Prüfung ihrer Verantwortlichkeit unter Bedachtnahme auf das Ausmaß ihrer Einsichtsfähigkeit – die wiederum weitgehend vom Alter und der geistigen Entwicklung abhängt – sowie die Art ihres für das Schadensereignis ursächlichen Verhaltens im Einzelfall (EFSlg 33.757; ZVR 1978/167 ua; Gamerith in ÖAV 1981, 20 ff, 22). Entgegen der vom Beklagten auch in der Revision vertretenen Ansicht ist von einem durchschnittlich begabten zwölfjährigen Hauptschüler, dem bewusst war, dass er sich nicht in der Halle aufhalten durfte (AS 57), und der selbst zugab, dass ihm die Gefährlichkeit seines Tuns – des Entzündens von Stoffresten zwischen leicht entflammbaren Textilballen – bekannt war (AS 44), ein solches Ausmaß an Einsicht zu fordern, dass ihm bewusst sein musste, er könne durch seine Handlungsweise derartige Folgen herbeiführen. Damit fällt dem Beklagten, der es – aufgrund seiner (zumindest) durchschnittlichen Intelligenz – nicht bloß wissen musste, sondern es – nach seiner eigenen Aussage – sogar wusste, welche eminente Brandgefahr er durch sein Handeln heraufbeschworen hat, ein zurechenbares Verschulden zur Last, sodass es einer Erörterung der Vermögensverhältnisse des Schädigers zur Zeit der Urteilsfällung nicht mehr bedarf (EFSlg 13.683; SZ 45/69 ua; zuletzt wieder 6 Ob 618/83).

Dagegen trifft den Kläger, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, weder ein (die Anwendung des § 1310 ABGB ausschließendes) Verschulden nach § 1308 ABGB noch überhaupt ein Mitverschulden, das am § 1304 ABGB zu messen wäre. Die Verwahrungsobsorge eines Unternehmers, der die voluminöse, aber nahezu wertlose Handelsware in einem umfriedeten Areal lagert, darf umso weniger dann überspannt werden, wenn es sich – wie hier – unzweifelhaft um Altmaterial handelt, bei dem er zu Recht annehmen durfte, dass es infolge der Geringwertigkeit und des hohen Gewichts als Diebsgut nicht in Betracht kam. Dass der Mündigkeit nahe Hauptschüler, die sich in die Halle einschlichen und dort mit offenem Feuer hantierten, obwohl ihnen die damit verbundenen Gefahren keineswegs verborgen geblieben waren, musste der Kläger, der sich herumtreibende Kinder stets aus dem Areal gewiesen hatte, wenn er sie dort bemerkte, nicht gewärtigen, zumal sich für ihn bis zum klagsgegenständlichen Vorfall konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Kinder auch in die Halle eingedrungen wären, nicht ergeben hatten. Wollte man der vom Beklagten erhobenen Forderung, der Kläger sei verpflichtet, die Halle trotz der Umfriedung (zusätzlich) zu versperren, beitreten, müsste bei der Lagerung verhältnismäßig leicht entflammbaren Gutes – vor allem auch von Holz – stets die Aufbewahrung in versperrten Hallen oder dgl verlangt werden. Bei der Lagerung von geringwertigen Waren muss die Verwahrungspflicht des Unternehmers daher, auch wenn es sich um leicht entflammbares Gut handelt, mit der Umfriedung des Lagerplatzes jedenfalls dann ihr Bewenden haben, wenn der Unternehmer bis zum Schadensereignis keine konkreten Anhaltspunkte vorfand, dass sich Unmündige unbefugterweise und ohne Überwachung auf dem Lagerplatz aufhielten. Die vom Beklagten ins Treffen geführte Schadensteilung nach § 1304 ABGB ist daher nicht gerechtfertigt. Die Behauptung, das Ereignis hätte sich nach Betriebsschluss ereignet, das Tor zum Betriebsgelände sei aber noch nicht geschlossen gewesen, ist eine im Rechtsmittelverfahren unbeachtliche Neuerung. Da – sollte auch den beiden anderen Kindern ein Verschulden zur Last fallen – alle drei solidarisch haften, weil sich deren Anteile an den Schäden nicht bestimmen lassen (§ 1302 zweiter Satz ABGB), war der Kläger jedenfalls berechtigt, den gesamten Schaden gegen den Beklagten geltend zu machen.

Die Vorinstanzen haben sich allerdings nicht mit der – bereits im Verfahren über den Anspruchsgrund zu entscheidenden (vgl Fasching , Zivilprozessrecht, Rdz 1430) – Frage auseinandergesetzt, ob dem mj Beklagten trotz Bejahung seines Verschuldens mit Rücksicht auf die besonderen Umstände nach Billigkeit nicht doch nur ein Teil des Schadens zum Ersatz auferlegt werden darf (JBl 1982, 375 ua; Koziol aaO 312 f). Da dem Beklagten, der sich der Gefährlichkeit seines Handelns bewusst war, ohne Zweifel grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt und der Schaden nach den Feststellungen der Vorinstanzen zur Gänze durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt ist, wäre es jedoch unbillig, die Ersatzansprüche des Klägers aus dem Grunde der Billigkeit zu kürzen.

Da der Beklagte alle Schadenersatzansprüche des Klägers (arg „die“ in AS 31) der Höhe nach wenigstens mit einem (geringfügigen) Teilbetrag anerkannt hat, durfte das Erstgericht ein Zwischenurteil über den Grund der geltend gemachten Ansprüche fällen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 4 ZPO.

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