OGH 13Os145/84

OGH13Os145/8427.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.September 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gurschler als Schriftführers in der Strafsache gegen Leopold A wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Korneuburg als Jugendschöffengerichts vom 19. Juni 1984, GZ 11 c Vr 819/83-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Tschulik, des Angeklagten Leopold A und des Verteidigers Dr. Kellner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegegeben und die Strafe gemäß § 43 Abs 1 StPO

unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 29.Mai 1967 geborene Gärtnerlehrling Leopold A wurde des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs 1 StGB schuldig erkannt.Nach den hiezu getroffenen Urteilsfeststellungen hatte sich Erich B am Abend des 18.Juli 1983 den Personenkraftwagen des jugoslawischen Staatsangehörigen Radovan C kurzzeitig ausgeliehen, um damit um Zigaretten zu fahren. Der Angeklagte, der auf dem Beifahrersitz mitfuhr, bemerkte bei dieser Gelegenheit die vor ihm auf dem Armaturenbrett abgelegte Brieftasche des C. Ohne Wissen des B öffnete A die Brieftasche, in der sich insgesamt 1.127 S befanden, entnahm daraus 1.100 S und versteckte das Geld in seinem Schuh. Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z. 5, 9 lit b und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Subsumtionsrüge (Z. 10) wendet sich gegen die Diebstahlsannahme:

Der Geldbetrag wäre weder im Gewahrsam des Eigentümers, welcher seinen Kraftwagen dem B anvertraut hatte, noch im Gewahrsam des letzteren gestanden, sofern er keine Kenntnis von der Existenz der Brieftasche gehabt habe. Eine alternative Beurteilung zieht die Beschwerde nicht an.

Rechtliche Beurteilung

Für den Diebstahl ist der Bruch fremden Gewahrsams wesentlich. Unter Gewahrsam im strafrechtlichen Sinn ist die Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person zu verstehen, die auch ein Außenstehender nicht nur als eine räumliche Beziehung, sondern als eine auf sozialen Gepflogenheiten beruhende Verbundenheit von Sache und Person zu erkennen vermag (Roeder in ÖJZ. 1966

S. 373 ff., hier S. 375; ihm folgend SSt. XLII/58). Hiefür ist nicht entscheidend, ob der Gewahrsamsinhaber jederzeit auf seine Sache unmittelbar einwirken kann (LSK. 1979/91). Geht man von diesem sogenannten sozialen, soziologischen, subjektivierten oder täterbezogenen Gewahrsamsbegriff aus, so kann keineswegs gesagt werden, daß C, nur weil er sein Automobil dem B kurzfristig leihweise überlassen hatte, den Gewahrsam an den darin verwahrten Gegenständen aufgegeben habe. Die Brieftasche samt Barschaft war weder verloren noch vergessen oder sonst abhanden gekommen. Sie war vielmehr im unmittelbaren Herrschaftsbereich und in der aktuellen Verfügungsmöglichkeit, also im Gewahrsam des Eigentümers verblieben.

Die Beurteilung der Tat als Diebstahl ist sonach irrtumsfrei:

Unter § 281 Abs 1 Z. 5 und 9 lit b StPO wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Auffassung des Erstgerichts, ihm komme tätige Reue nicht zugute, weil die Wiedererstattung erst geleistet worden sei, nachdem die Behörde vom Verschulden des Angeklagten erfahren hatte, und weil er sich zudem um die von dritter Seite vorgenommene Schadensgutmachung nicht ernstlich bemüht habe. Dem hält der Rechtsmittelwerber entgegen, daß er erst am 6.August 1983, mithin nach der Schadensgutmachung, als Verdächtiger vernommen worden sei.

Auch dieser eine Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z. 9 lit b StPO relevierende Einwand hält einer überprüfung nicht stand. Rechtzeitig ist die Schadensgutmachung nur dann, wenn der Täter sie leistet, 'bevor die Behörde von seinem Verschulden erfahren' (§ 167 Abs 2 StGB), also gegen den Täter Verdacht geschöpft hat. Nicht erforderlich ist, daß sich der Verdacht schon so verdichtet hat, daß jemand der Täterschaft überführt werden kann. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Behörde bereits Erhebungen durchgeführt hat und ob der Bezichtigte bereits als Verdächtiger vernommen worden ist (LSK. 1978/91 und 92, EvBl. 1983/141).

Geht man von diesem, in der Rechtsprechung verankerten Gesetzesverständnis aus, so hat der Angeklagte den Schaden nicht rechtzeitig gutgemacht: Den insoweit unbekämpft gebliebenen Urteilsannahmen zufolge hatte nämlich C nach der Rückgabe seines Wagens das Fehlen des Geldbetrags sofort bemerkt, worauf es zu einer lautstarken Auseinandersetzung kam, die zur Intervention zweier Gendarmeriebeamten führte; diesen gegenüber bezichtigte C sowohl den Angeklagten als auch B der Täterschaft. Bei einer darauffolgenden zweiten Intervention machten die Gendarmeriebeamten den beteiligten Personen den Vorschlag, 'sie sollten sich einigen, weil sonst alle angezeigt werden würden' (S. 131 f.). Das macht deutlich, daß behördliche Organe schon vor der Schadensgutmachung an Ort und Stelle Tatsachen erfahren hatten, welche den Verdacht begründeten, A sei - in welcher Form immer - an einem bestimmten, zum Nachteil des C begangenen Vermögensdelikt in strafbarer Weise beteiligt gewesen. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß die beiden, als Täter in Betracht kommenden Personen von den Gendarmeriebeamten nur formlos befragt wurden, eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers als Verdächtigen in der Erwartung einer gütlichen Einigung sowie auf Grund einer (der Wiedererstattung offenbar unmittelbar nachfolgenden) Erklärung des Bestohlenen, das Geld 'gefunden' zu haben, zunächst unterblieb und erst nach einer Anzeigeerstattung seines Vaters veranlaßt worden ist. Darnach braucht auf die weiteren Beschwerdeeinwände zur tätigen Reue nicht mehr eingegangen werden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde aber war zu verwerfen.

Das Jugendschöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 127 Abs 1 StGB und § 11 Z. 1 JGG. eine Freiheitsstrafe von sechs Wochen. Dabei waren erschwerend die beiden einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten und sein rascher Rückfall, mildernd hingegen sein reumütiges Geständnis, seine geringe geistige Kapazität und die objektive Schadensgutmachung.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die Gewährung der

bedingten Strafnachsicht an.

Ihr kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Vorangestellt sei, daß das Jugendschöffengericht beachtliche Argumente dafür angeführt hat, daß bei dem zweimal einschlägig vorbestraften und rasch rückfällig gewordenen Angeklagten eine bedingte Strafnachsicht nicht mehr vertretbar sei (S. 136). Dem Berufungswerber ist aber zuzugeben, daß ihm als weiterer Milderungsgrund eine verlockende Gelegenheit (§ 34 Z. 9 StGB) zugute kommt. Die Tatbegehung unter Umständen, die einem Strafaufhebungsgrund nahekommen, fällt hingegen nicht unter § 34 Z. 11 StGB, wo nur von einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund die Rede ist.

Die besonderen Umstände dieses Falls, die auch in der vom Erstgericht hervorgekehrten positiven Beurteilung des Angeklagten durch das Landesjugendheim Korneuburg (S. 105 und 136) liegen, lassen die Hoffnung auf eine psychische Nachreifung des stark retardierten Angeklagten nicht ganz unrealistisch erscheinen, zumal ihm nunmehr durch den vom Jugendlichen selbst angestrebten (S. 129) Aufenthalt im Jugendheim eine Nacherziehung und berufliche Förderung im persönlich adäquaten Rahmen zuteil wird (S. 95). Nach der Auffassung des Obersten Gerichtshofs kann angesichts des seit der Tat nun schon über ein Jahr lang gezeigten einwandfreien Lebenswandels des bisher durch ein ungünstiges familiäres Milieu geschädigten Angeklagten doch noch erwartet werden, daß trotz eines zweimaligen Rückfalls die bloße Androhung der Strafvollziehung genügen werde, um das künftige Wohlverhalten des durch Bewährungshilfe und Heimunterbringung nachdrücklich kontrollierten, geistig nachreifenden jugendlichen Rechtsbrechers zu gewährleisten.

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