OGH 2Ob587/84

OGH2Ob587/8425.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Albert G*****, vertreten durch DDr. Hubert Fuchshuber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Myro H*****, vertreten durch Dr. Richard Larcher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Jänner 1984, GZ 1 R 223, 298/83, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 4. März 1983, GZ 9 Cg 94/82-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts sowie das Urteil des Erstgerichts werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung

Im Wohnungseigentum des Klägers stehen ein Geschäftsraum im Erdgeschoß und ein darüberliegender Geschäftsraum im Obergeschoß des Hauses I*****. Der Raum im Obergeschoß dient als Friseursalon, jener im Erdgeschoß als Verkaufsraum für Parfümerie- und Kosmetikartikel.

Der Kläger begehrt die Räumung des im Erdgeschoß gelegenen Geschäftsraumes mit der Begründung, der Beklagte benütze diesen Raum ohne Titel. Der Kläger brachte vor, er habe mit dem Beklagten Gespräche wegen einer Verpachtung des im Erdgeschoß befindlichen Raumes geführt, das Ergebnis der Gespräche sei gewesen, dass der Beklagte monatlich 45.000 S bezahle, wobei noch nicht festgelegt worden sei, unter welchem Titel unter Berücksichtigung steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten diese Zahlung erfolgen solle. Es sei daran gedacht gewesen, 9.000 S an Pachtzins, 21.000 S als Geschäftsführergehalt des Klägers (der Beklagte habe den Betrieb im Rahmen einer GmbH führen wollen) und 15.000 S für die Überlassung des Depots zu bezahlen sei. Der Beklagte habe dem Kläger den Entwurf eines Pachtvertrags zu einem Pachtzins von 9.000 S vorgelegt. Der Kläger habe zu erkennen gegeben, dass vor Übergabe des Geschäfts das gesamte Vertragswerk errichtet werden müsse, dem Beklagten sei es jedoch gelungen, den Kläger zu überreden, vorerst nur den Pachtvertrag zu unterzeichnen. In der Folge habe der Beklagte von der Unterfertigung weiterer Verträge nichts mehr wissen wollen, habe eine Rückgabe des Betriebs aber abgelehnt. Der Kläger begehre daher die Räumung des Geschäftslokals wegen titelloser Benützung. Sollte man aber den Standpunkt vertreten, es sei eine verbindliche Abmachung zwischen den Streitteilen zustande gekommen, dann habe der Beklagte monatlich 45.000 S zu bezahlen. Der Kläger stellte daher das Eventualbegehren, der Beklagte sei schuldig, 405.000 S zu bezahlen. Das Hauptbegehren wurde hilfsweise auf Dissens, Irrtum, Irreführung und Verstoß gegen die guten Sitten sowie auf jeden anderen Rechtsgrund gestützt, der zur Aufhebung, Unwirksamkeit wegen Nichtigkeit des schriftlichen Pachtvertrags und in der Folge zur titellosen Benützung des Geschäftsraumes durch den Beklagten führe.

Der Beklagte wendete ein, der Pachtvertrag zu einem Pachtzins von monatlich 9.000 S sei zustande gekommen, es wäre geradezu unsinnig, für ein Lokal mit kaum 30 m2 Nutzfläche einen Pachtschilling von 45.000 S zu bezahlen.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 300.000 S übersteige.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers. Er macht die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Ansicht des Beklagten, die Revision sei unzulässig, weil der Streitwert 108.000 S betrage, ist verfehlt. Die Vorschrift des § 10 Z 2 lit a RAT, wonach bei Geschäftsräumlichkeiten der Gegenstand mit dem Jahresmietzins zu bewerten ist, hat nämlich nur für die Rechtsanwaltsentlohnung Bedeutung. Die Revision ist daher zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Mit einem am 28. 9. 1981 von den Streitteilen unterzeichneten Pachtvertrag verpachtete der Kläger dem Beklagten den Parfümerie- und Kosmetikbetrieb. Das Pachtverhältnis begann am 1. 10. 1981, wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, der Verpächter verzichtete auf eine Aufkündigung vor Ablauf von 15 Jahren, sofern der Pächter seine Verpflichtungen nicht gröblich verletze. Als Pachtzins wurde ein Betrag von 9.000 S wertgesichert vereinbart. Diese Vertragsunterzeichnung beendete eine Reihe von Gesprächen, die zwischen den Streitteilen geführt worden waren. Der Kläger war offenbar mit einem Entwurf des Pachtvertrags entweder einige Tage vor der Vertragsunterfertigung oder am Tag der Gebührenanzeige beim Finanzamt beim Notariatskanditaten Dr. M***** und ersuchte um eine Stellungnahme. Dr. M***** verwies in seiner Stellungnahme auf weitere Vereinbarungen („sämtliche Vereinbarungen, aufgrund deren Sie den monatlichen Betrag von 45.000 S erhalten“), insbesondere auf einen Dienstvertrag und einen Vertrag über die Regelung des Depots, wobei Dr. M***** anregte, dass nach Möglichkeit sämtliche Vereinbarungen zugleich unterschrieben werden sollten. Am 29. 9. 1981, also einen Tag nach dem im Pachtvertrag aufscheinenden Datum, stellte Gabriela S*****, für welche die Pacht vorgenommen wurde, um ihr als Freundin des Beklagten eine Existenzgrundlage zu schaffen, eine Bestätigung aus, die folgenden Wortlaut hat: „Fräulein Gabi S***** bestätigt hiemit, dass Herr Albert G***** den Betrag von 45.000 S wertbeständig jeden Ersten des Monats laut Vereinbarung bekommt.“ Bei den Vorgesprächen und Erkundigungen war zwischen den Streitteilen auch besprochen worden, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet werden sollte, wozu der Kläger einen Mantelvertrag aus einer anderen früher beabsichtigten Gesellschaftsgründung mit dem Beklagten besaß, welcher frühere Gesellschaftsvertrag aber nicht zustande kam, weil keine finanzielle Einigung erzielt werden konnte. Im Rahmen dieser Gesellschaftsgründung welche aus steuerlichen Gründen als zweckmäßige Rechtsform für das Verhältnis der Streitteile vom Steuerberater angesehen wurde, sollte der Kläger als Geschäftsführer fungieren und auch Gabriela S***** als Gesellschafterin aufgenommen werden. Als Entgelt für diese Tätigkeit waren monatlich Ziffern von 21.000 S als Geschäftsführergehalt, 15.000 S für eine Gewinngarantie und 9.000 S als Mietzins erörtert worden. Am Beginn der Gespräche wurde eine Ziffer von 50.000 S vom Kläger in den Raum gestellt. Es wurde davon gesprochen, dass auch Christine R***** für den Beklagten bzw für Gabriela S***** tätig werden und dafür einen Betrag von monatlich 5.000 S erhalten sollte. Zu einer Festlegung der monatlichen 50.000 S bzw 45.000 S ist es, mit Ausnahme des Bestandzinses von 9.000 S, in einer vertragsähnlichen oder vertraglichen Aufzeichnung nie gekommen. Ein Hinweis über die stattgefundenen Gespräche und die Aufgliederung des Betrags von 45.000 S in 9.000 S Zins, 21.000 S Geschäftsführergehalt und 15.000 S Gewinngarantie findet sich in einer handschriftlichen Notiz des Beklagten und in der Bestätigung der Gabriela S*****. Vor Unterfertigung des Pachtvertrags setzten sich die Streitteile zusammen und gingen den Inhalt des Vertrags Punkt für Punkt durch. Am Abend des 30. 9. 1981 belauschten die Zeugin Marianne Z*****, die offenbar mit dem Kläger befreundet ist, ein Gespräch zwischen den Streitteilen, wonach der Kläger dem Beklagten sagte, er lasse unter diesen Umständen das Ganze sein und er möchte gleich wieder die Schlüssel für das Geschäft zurück haben. Der Beklagte sagte nach der Wahrnehmung dieser Zeugin, der Kläger solle sich beruhigen, er bekomme den Vertrag, wie besprochen, mit den 45.000 S die er monatlich zu bekommen hätte. Der Beklagte hinterlegt monatlich einen Betrag von 9.720 S (9.000 S plus Umsatzsteuer) beim Bezirksgericht Innsbruck, da der Kläger den Pachtzins nicht annimmt.

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht aus, der Kläger habe sich beraten lassen und habe genau gewusst, was er unterschreibe. Ein Geschäftsirrtum, ein Erklärungsirrtum oder ein Motivirrtum sei daher nicht erwiesen. Mangels eines Irrtums fehle es aber auch an der List, weil der Kläger nicht durch bewusste Täuschung zu der im Vertragsinhalt enthaltenen Willensäußerung bewogen worden sei. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte den Kläger bewusst dadurch hineingelegt habe, dass er den Kläger durch die Zusicherung der Regelung des Geschäftsführergehalts und der Gewinnbeteiligungsgarantie mit der Absicht getäuscht habe, diese Komplexe nach der Unterfertigung des Vertrags gar nicht mehr regeln zu wollen. Eine Irreführung des Klägers sei daher auf der Beweisseite nicht gegeben. Ein Dissens sei ebenfalls nicht gegeben.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, aufgrund des abgeschlossenen Pachtvertrags könne der Kläger monatlich nur 9.000 S fordern. Beträge von 21.000 S an Geschäftsführergehalt und von 15.000 S für Gewinnbeteiligungsgarantie hätte er nur aus einem Gesellschaftsvertrag fordern können. Der Beklagte benütze aufgrund des Pachtvertrags den Raum nicht titellos. Sollten mehrere Verträge zu erwarten gewesen sein, aufgrund welcher monatliche Zahlungen von 21.000 S und 15.000 S an den Kläger zu leisten gewesen wären, und seien die darauf abzielenden Gespräche schon als Abschluss eines Vertrags anzusehen und hätten sich die Parteien Schriftform vorbehalten und sei diese Form nach dem Gesetz vorgeschrieben (§§ 3 und 4 GmbHG), dann hätte der Kläger einen Rechtsanspruch gegen den Beklagten oder gegen Gabriela S***** oder gegen beide auf Abschluss dieser Verträge. Ein Grund, den Pachtvertrag als nichtig oder aufhebbar zu bezeichnen, bestehe nicht. Das Vorliegen von Gründen für Irrtum, Irreführung oder Dissens sei schon auf der Beweisseite verneint worden. Der gültige Pachtvertrag bewirke daher, dass der Kläger nicht wegen titelloser Benützung Räumung begehren könne.

Das Berufungsgericht führte zur Beweisrüge des Klägers aus, das vom Erstgericht festgestellte Unterfertigungsdatum des Pachtvertrags sei zwar zumindest in Zweifel zu ziehen, diesem Datum komme jedoch keine Berechtigung zu. Die Feststellung, hinsichtlich der 45.000 S sei es zu keiner Einigung zwischen den Streitteilen gekommen, sei unbedenklich. Richtig sei wohl, dass der Pachtvertrag nur Teil eines Vertragswerkes gewesen sei, das aus mehreren Verträgen hätte bestehen sollen. Die zusätzlichen Verträge hätten jedoch zwischen dem Kläger und Gabriela S***** abgeschlossen werden sollen, weshalb sie den Beklagten nicht berühren.

Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht aus, der Pachtvertrag sei eine selbständige Vereinbarung gewesen, von einer titellosen Benützung könne daher keine Rede sein. Es möge richtig sein, dass der Kläger den Pachtvertrag in der Erwartung eines weiteren Vertrags hinsichtlich restlicher 36.000 S unterfertigt habe. Ein solches zusätzliches Vertragswerk sollte jedoch nicht den Beklagten, sondern Gabriela S***** berechtigen und verpflichten.

Mit den Anfechtungsgründen der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt der Kläger die Ausführungen des Berufungsgerichts, eine Einigung der Streitteile hinsichtlich der 45.000 S sei nicht zustande gekommen, die weiteren Vereinbarungen hätten nicht vom Beklagten, sondern von Gabriela S***** geschlossen werden sollen. Diesen Revisionsausführungen kann Berechtigung nicht abgesprochen werden, da das Erstgericht lediglich feststellte, es sei zu einer Festlegung der monatlichen 45.000 S in einer vertragsähnlichen oder vertraglichen Aufzeichnung nie gekommen. Das Erstgericht führte sodann Hinweise über tatsächlich geführte Gespräche über diesen Betrag an, präzise Feststellungen aufgrund dieser „Hinweise“ wurden jedoch nicht getroffen. Dass die weiteren Vereinbarungen nicht vom Beklagten, sondern von Gabriela S***** abgeschlossen werden sollten und letztere daher die Zahlungen hätte leisten sollen, kann den Feststellungen des Erstgerichts ebenfalls nicht entnommen werden. Ein weiteres Eingehen auf diese Fragen erübrigt sich jedoch, weil der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt zur rechtlichen Beurteilung nicht ausreicht.

Richtig ist wohl, dass dem Kläger bei Abschluss des Pachtvertrags kein Geschäftsirrtum unterlief und eine listige Irreführung des Klägers durch den Beklagten über in der Folge noch abzuschließende Vereinbarungen nicht als erwiesen angenommen wurde. Der Kläger schloss dem Vertrag jedoch offenbar (eine präzise Feststellung fehlt allerdings auch darüber) zu dem Zweck, insgesamt 45.000 S monatlich zu bekommen. Seine diesbezügliche, in der Folge nicht eingetretene, Erwartung allein könnte zwar grundsätzlich nur einen Motivirrtum darstellen. Zu berücksichtigen ist jedoch die Vorschrift des § 901 ABGB, nach welcher die Parteien den Beweggrund oder den Endzweck ihrer Einwilligung ausdrücklich zur Bedingung machen können. Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre kann dies auch konkludent erfolgen (Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 335; Rummel in Rummel ABGB Rdz 2 zu § 901; SZ 35/7; EvBl 1974/79; MietSlg 20.034 uva). Es stellt sich daher die Frage, ob es im Sinne dieser Vorschrift Endzweck der Vereinbarung war, dass der Kläger monatlich 45.000 S bekommt. Falls der Kläger diesen Zweck verfolgte und der Beklagte ihm im Rahmen der Verhandlungen derartiges in Aussicht stellte, dann handelte es sich bei der Erwartung, monatlich 45.000 S zu bekommen, um kein unbeachtliches Motiv, sondern vielmehr um die Voraussetzungen (Grundlage) für den Abschluss des Pachtvertrags (vgl 7 Ob 235, 236/72). Mit dem Wegfall der Möglichkeit, weitere Verträge zu schließen, wäre der Endzweck vereitelt worden. Wird aber der angestrebte Zweck nicht erreicht oder liegt der Beweggrund nicht vor, so fällt das Geschäft (je nach Art der Bedingung) dahin oder wird nie gültig (Rummel aaO).

Zur rechtlichen Beurteilung bedarf es daher eindeutiger Feststellungen, ob der Kläger bei Abschluss des Pachtvertrags davon ausging, er werde (aufgrund noch abzuschließender weiterer Verträge) insgesamt 45.000 S monatlich bekommen und ob der Beklagte dem Kläger derartiges in Aussicht stellte. Feststellungen über „Hinweise“ in dieser Richtung genügen nicht.

Aus diesen Gründen mussten die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen werden. Ob die bisher aufgenommenen Beweise ausreichen, die erforderlichen ergänzenden Feststellungen zu treffen oder ob eine Fortsetzung der mündlichen Streitverhandlung und die Aufnahme weiterer Beweise notwendig sein wird, bleibt dem Erstgericht überlassen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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