OGH 12Os110/84

OGH12Os110/8413.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.September 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral (Berichterstatter), Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes am Sitze des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 26.April 1984, GZ 20 b Vr 11.072/83-49, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Mühl jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen Josef A schuldig erkannt, am 24.September 1983 in Wien den Josef B durch Versetzen von Messerstichen vorsätzlich getötet und hiedurch das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB begangen zu haben.

Dieses Urteil wird vom Angeklagten mit einer (ziffernmäßig) auf § 345 Abs 1 Z. 4 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Einen Verfahrensmangel im Sinne des ersterwähnten Nichtigkeitsgrundes (in Verbindung mit § 151 Z. 2 StPO) erblickt der Beschwerdeführer in der Einvernahme des Richters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien Dr. Gerhard C als Zeugen (Bd. II S. 172 f.) über ein vor diesem als Untersuchungsrichter vom Angeklagten abgelegtes Mordgeständnis, welche vom erkennenden Gericht ungeachtet des Umstandes durchgeführt worden ist, daß zufolge Bescheids des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. April 1984, Jv 5821-27/84 (ON 45) die Entbindung des genannten Richters von der Amtsverschwiegenheitspflicht auf das Beweisthema 'Wahrnehmungen über den damaligen Geisteszustand des Josef A bei der Vernehmung durch Sie als Untersuchungsrichter am 11.Oktober 1983' beschränkt worden war.

Unabhängig von der Frage, ob eine teilweise Entbindung vom Amtsgeheimnis, beschränkt auf einzelne Phasen ein und desselben Vorganges zulässig ist (vgl. Mayerhofer-Rieder, E. 27, 28 zu § 151 StPO), vermag die Aussage des Zeugen Dr. C, soweit sie über das im Bescheid des Oberlandesgerichtspräsidenten erwähnten Beweisthema hinausgehend auf den konkreten Inhalt des Mordgeständnisses Bezug nimmt, keinesfalls Urteilsnichtigkeit im Sinne der § 151 Z. 2, 345 Abs 1 Z. 4 StPO zu bewirken: Wohl entscheidet die Dienstbehörde allein, ob der Gegenstand der Vernehmung ein solcher ist, daß ein hierüber abgelegtes Zeugnis die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit verletzen würde; dem Gericht steht jedoch das Recht zur Prüfung zu, ob tatsächlich die Voraussetzungen des § 151 Z. 2 StPO in Frage kommen können (SSt. 41/75). An diesen Voraussetzungen fehlt es aber insbesondere in jenen Fällen, in denen Beamte (vor allem Gendarmerie- oder Polizeibeamte, aber auch Zoll- oder Finanzbeamte, die im Sinne des § 197 FinStrG tätig geworden sind) über ihre Wahrnehmungen im Dienste der Strafrechtspflege als Zeugen vom Strafgericht einvernommen werden sollen (vgl. Mayerhofer-Rieder, E. 16 zu § 151 StPO).

Bedarf es in solchen Fällen einer Entbindung der Beamten von der Verschwiegenheitspflicht nicht, dann ist diese umso weniger für die Einvernahme eines Untersuchungsrichters durch das erkennende Gericht über solche Wahrnehmungen erforderlich, die er als Organ der Strafrechtspflege gemacht hat und die von ihm in den gemäß § 210 StPO dem erkennenden Gerichtshof vorzulegenden Akten festgehalten worden sind oder festzuhalten gewesen wären. Durch seine Aussage über derartige Wahrnehmungen erfüllt der Untersuchungsrichter nur auf andere Weise die ihm durch die Strafprozeßordnung (siehe insbes. § 11 Abs 2, 88 Abs 2, 91 Abs 2 StPO) auferlegte Verpflichtung, die Ergebnisse des Vorverfahrens, insbesonders Inhalt und Form eines im Vorverfahren abgelegten Geständnisses, dem erkennenden Gericht zur Kenntnis zu bringen. Ein Antrag des Gerichtes auf Entbindung des Untersuchungsrichters vom Amtsgeheimnis wäre im vorliegenden Fall somit überhaupt nicht erforderlich gewesen.

Die in den Beschwerdeausführungen zum Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z. 8 StPO behauptete Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung zur Eventualfrage 2 (betreffend das Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB) ist nicht gegeben: Der vom Beschwerdeführer vermißte Hinweis darauf, daß dieses Verbrechen nur mit Vorsatz derselben Art wie Mord begangen werden könne, ergibt sich aus dem Zusammenhang der Rechtsbelehrung zur erwähnten Eventualfrage, wonach Totschlag ein besonderer (privilegierter) Fall vorsätzlicher Tötung ist, mit der Belehrung zur Hauptfrage 1, derzufolge für die Erfüllung des Verbrechenstatbestandes des Mordes gemäß § 75 StGB

Vorsatz des Täters, der einen anderen Menschen tötet, erforderlich ist.

Weil die schriftliche Rechtsbelehrung gemäß § 321 StPO nicht auf den konkreten Sachverhalt einzugehen hat - solche Erörterungen sind der Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschwornen (§ 323 Abs 2 StPO) vorbehalten - erübrigte sich eine schriftliche Belehrung darüber, daß auch beim Tatbestand des Totschlags zwischen dem Entschluß zur Tat und deren Ausführung eine gewisse Zeitspanne liegen kann.

Der vom Beschwerdeführer als erforderlich erachtete Hinweis auf die Notwendigkeit, bei Beurteilung der Allgemeinbegreiflichkeit der Gemütsbewegung sein 'krankheitsbedingtes' Persönlichkeitsbild zu berücksichtigen, ist in der Rechtsbelehrung zur Eventualfrage 2 zutreffend unterlassen worden, weil diese Beurteilung vom objektiven Maßstab eines Durchschnittsmenschen auszugehen hat, weshalb eine ohne adäquate äußere Ursache (EvBl. 1976/119) lediglich aus der psychischen Abnormität des Täters resultierende heftige Gemütsbewegung nicht als allgemein begreiflich zu werten ist (ÖJZ-LSK. 1978/199).

Auch die Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 5 (betreffend die Rechtsfertigung der Tat durch Notwehr) ist entgegen dem Beschwerdevorbringen keineswegs unrichtig. Jene Ausführungen der Rechtsbelehrung, wonach eine 'gerechtfertigte Notwehrhandlung' nicht nur in einer Verletzung, sondern auch in der vorsätzlichen Tötung des Angreifers bestehen könne, wenn dies das einzige Mittel sei, um das Leben des Angegriffenen zu retten, stellen sich nur als die beispielsweise Erwähnung eines Falles dar, in welchem sogar die Tötung eines Menschen gerechtfertigt wäre, nicht aber dahin, daß in allen anderen Fällen der Tötung eines Angreifers - also bei (gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen) Angriffen auf andere Rechtsgüter als auf das Leben - Notwehr als Rechtfertigungsgrund auszuschließen sei. Durch die unmittelbar nachfolgende Belehrung, wonach Verhältnismäßigkeit zwischen dem angegriffenen und dem durch die Notwehr verletzten Rechtsgut grundsätzlich nicht erforderlich ist, wurde vielmehr im Zusammenhang mit der einleitenden Aufzählung notwehrfähiger Rechtsgüter selbst für einen juristischen Laien hinreichend klargestellt, daß die Tötung eines Menschen auch in Verteidigung eines anderen Rechtsgutes als des Lebens - insbesondere in Abwehr eines Angriffes auf die körperliche Integrität - durch Notwehr gerechtfertigt sein kann. Schon deshalb geht der Einwand des Beschwerdeführers, der Angegriffene vermöge im allgemeinen nicht abzuschätzen, ob sein Leben bedroht sei, ins Leere. Im übrigen wurde der vom Beschwerdeführer betonten Schwierigkeit, das Ausmaß der Bedrohung (und der zu ihrer Abwehr notwendigen Rechtsgutverletzung) abzuschätzen, durch den (weitgehend an RN. 85 zu § 3 StGB in Leukauf-Steininger 2 angelehnten) Hinweis der Rechtsbelehrung auf das mit einer ungenügenden Abwehrhandlung verbundene Risiko, auf welches sich der Angegriffene nicht einzulassen brauche, sowie auf die Kürze der zur Auswahl der am wenigsten gefährlichen Abwehrmaßnahme zur Verfügung stehenden Zeit Rechnung getragen. Solcherart wurde (der Sache nach) auch klargestellt, daß bei Prüfung des Maßes der notwendigen Verteidigung von der Perspektive des Täters auszugehen, also eine ex ante-Betrachtung anzustellen ist (ÖJZ-LSK. 1984/87; ÖJZ-LSK. 1983/18).

Zutreffend wurde in der Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 5 (Notwehr) nicht auf den psychischen Zustand des Täters zur Tatzeit eingegangen, weil die Notwendigkeit der Verteidigung ausschließlich nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist (ÖJZ-LSK. 1979/20). Auch die Rechtsbelehrung zur Putativnotwehr (Zusatzfrage 7) ist richtig und ausreichend, auf besondere Umstände des Einzelfalles war nicht einzugehen.

Schließlich rügt der Beschwerdeführer, daß in der Rechtsbelehrung zu den Eventualfragen 8 und 9 (betreffend die Verwirklichung des Tatbestandes der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB durch fahrlässigen Notwehr- oder Putativnotwehrexzeß aus asthenischen Affekten) sowie zur Zusatzfrage 7

(Putativnotwehr) auf Umstände des konkreten Falles eingegangen worden sei.

Die Rechtsbelehrung zu den erwähnten Eventualfragen enthält zwar die Wendung, der Tatbestand nach § 80 StGB liege 'im konkreten Fall' nur dann vor, wenn der Täter eine Notwehrüberschreitung aus asthenischen Affekten begangen habe. Damit sind die Geschwornen aber ohne Hinweis auf konkrete Tatumstände nur nochmals (vgl. die Belehrung zur Zusatzfrage 6) darauf aufmerksam gemacht worden, daß (Putativ-) Notwehrüberschreitung grundsätzlich nur dann als Fahrlässigkeitstat und nicht als Vorsatztat zu beurteilen ist, wenn der Exzeß auf asthenischem Affekt beruht.

Ebensowenig ist durch die Erwähnung des Namens des Angeklagten am Beginn der Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 7 auf Details der vorliegenden Tat eingegangen worden; der Name scheint lediglich in der (einleitenden) Zusammenfassung des Gegenstandes der Zusatzfrage auf.

Davon abgesehen würde eine Erörterung der Umstände des Einzelfalles, welche grundsätzlich der Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschwornen vorzubehalten ist (§ 323 Abs 2 StPO), nur dann Urteilsnichtigkeit im Sinne der Z. 8 des § 345 Abs 1 StPO bewirken, wenn sie durch ein Vorgreifen auf die Lösung der Tatfrage geeignet wäre, bei den Geschwornen unrichtige Vorstellungen über die Rechtslage zu schaffen und - namentlich durch eine richtungsweise fixierte Darstellung rechtlich bedeutsamer Tatsachen - die Geschwornen zu einer bestimmten rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes zu beeinflussen (Mayerhofer-Rieder, E. 17 und 19 zu § 345 Abs 1 Z. 8 StPO).

In welcher Weise aber die gerügten Teile der Rechtsbelehrung zu den Eventualfragen 8 und 9 sowie zur Zusatzfrage 7 den Wahrspruch zu beeinflussen geeignet sein sollten, ist nicht erkennbar, und der Beschwerdeführer versucht dies auch gar nicht darzutun. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Josef A wurde nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Gemäß § 21 Abs 2 StGB wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Bei der Strafbemessung waren erschwerend die Vorstrafen, die teilweise auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, mildernd hingegen die Begehung der Tat unter dem Einfluß eines abnormen Geisteszustandes, sowie die Erregung des Angeklagten durch vorangegangene Schläge mit dem Schwert durch Josef B. Das Geschwornengericht nahm an, daß bei Josef A eine geistige und seelische Abartigkeit von höherem Grad vorliegt, ohne daß er deshalb unzurechnungsfähig wäre. Auf Grund der Persönlichkeitsstörungen des Angeklagten muß befürchtet werden, daß er unter dem Einfluß seiner geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grade wieder eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte eine Herabsetzung der Strafe unter Anwendung des § 41 StGB und Abstandnahme von der Einweisung in die Anstalt nach § 21 Abs 2 StGB

Auch die Berufung ist nicht berechtigt.

Das Tatsachengeständnis des Angeklagten im Vorverfahren ist zwar als mildernd (§ 34 Z. 17 StGB) noch zu berücksichtigen. Dieser Milderungsgrund fällt aber wegen seiner leugnenden Verantwortung in der Hauptverhandlung nicht besonders ins Gewicht. Bedeutung hat hingegen die schwere Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, die einem Schuldausschließungsgrund nahekommt. Das Geschwornengericht hat aber den abnormen Geisteszustand des Angeklagten ohnehin als mildernd angenommen und bei Bemessung der Strafe - die Strafdrohung nach § 75 StGB beträgt 10 bis 20 Jahre oder lebenslange Freiheitsstrafe - ebenso ausreichend berücksichtigt, wie den Umstand, daß die einschlägigen Vorstrafen, und nur die kommen als erschwerender Umstand in Frage, nur relativ geringfügige Straftaten betreffen.

Bei diesen Strafbemessungsgründen kann von einem überwiegen der Milderungsumstände ebenso keine Rede sein, wie von einer günstigen Zukunftsprognose. § 41 StGB ist somit nicht anwendbar. Die verhängte Strafe ist nicht zu hoch bemessen worden. Sie entspricht vielmehr dem Unrechtsgehalt der Tat, auch wenn man die gestörte Täterpersönlichkeit weitgehend berücksichtigt.

Das Geschwornengericht folgte der Zukunftsprognose der Sachverständigen Dr. Heinrich D und Dr. Rudolf E. Auch wenn bei der Untersuchung durch den Sachverständigen für das Fachgebiet Psychologie Dr. Inge K*** eine nach außen gerichtete destruktive Aggressivität nicht zutage kam (Bd. I, S. 327, vgl. dazu die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. E Band II S. 61) ergibt sich aus den erstgenannten übereinstimmenden Gutachten, daß die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten im Zusammenhang mit Drogenkonsum und Abstinenzsyndromen die Befürchtung rechtfertigt, daß der Angeklagte, der unter dem Einfluß einer seelischen Abnormität höheren Grades einen Mord begangen hat, ohne entsprechende Behandlung auch in Zukunft schwere Straftaten begehen werde (vgl. Band I S. 425 und Band II S. 61, 107).Die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB war daher geboten.

Der Berufung mußte somit ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf der angeführten Gesetzesstelle.

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