OGH 11Os50/84

OGH11Os50/843.7.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.Juli 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Diexer als Schriftführer in der Strafsache gegen Bahij Mohammed A wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach den § 75, 15 StGB als Beteiligter nach dem zweiten Fall des § 12 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 11.November 1983, GZ 20 i Vr 5.057/81-306, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und es werden das angefochtene Urteil, das im übrigen (Schuldspruch wegen des Vergehens des Ansammelns von Kampfmitteln nach dem § 280 Abs 1 StGB) unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach den § 12 (zweiter Fall), 75 und 15 StGB (I und II des Urteilssatzes) und wegen des Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit d WaffG (III 2 des Urteilssatzes), demgemäß auch im Strafausspruch sowie der den Schuldsprüchen zu I und II des Urteilssatzes zugrundeliegende Wahrspruch der Geschwornen aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 8.Februar 1953 geborene jordanische Staatsangehörige Bahij Mohammed A auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen (im zweiten Rechtsgang) des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach den § 75 und 15 StGB als Beteiligter nach dem zweiten Fall des § 12 StGB, ferner des Vergehens des Ansammelns von Kampfmitteln nach dem § 280 Abs 1 StGB und des Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit d WaffG schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, I. im April 1981 in Wien den gesondert Verfolgten Hesham Mohammed B, der Heinz C vorsätzlich tötete, durch die Aufforderung, ein Pistolenattentat auf diesen zu verüben, durch gemeinsame Besichtigung des Tatortes, Planung des Tatablaufes und der Flucht des Täters sowie durch übergabe einer Pistole der Marke Makarov samt Munition zur Ausführung dieser Straftat bestimmt, ferner II. im August 1981 in Wien die gesondert Verfolgten Marwan D und Hesham Mohammed B, die 1. Nathan E und Ulrike F vorsätzlich töteten, 2. eine größere, dreißig jedenfalls übersteigende Anzahl weiterer Personen vorsätzlich zu töten versuchten, dadurch, daß er sie aufforderte, einen Feuerüberfall auf die Besucher des jüdischen Stadttempels in Wien und die dort Sicherheitsdienst verrichtenden Polizeibeamten zu verüben und durch übergabe von zwei Maschinenpistolen, Modell 63, Kal. 9 mm Makarov, 130 Schuß Munition und 6

Splitterhandgranaten zur Ausführung dieser Straftaten bestimmt und schließlich III. von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 28.Oktober 1981 in Salzburg 1. einen Vorrat von Waffen und Schießbedarf, nämlich zwei automatische Gewehre der Marke Kalashnikov, vier Maschinenpistolen, Modell 63, Kal. 9 mm Makarov, neun Pistolen der Marken Llama, FN und M 64, jeweils mit Zubehör, 707 Schuß Munition, 12 Handgranaten und 4,8 kg Sprengstoff, angesammelt und bereitgehalten; 2. das unter Punkt 1 bezeichnete Kriegsmaterial unbefugt besessen zu haben.

Die Geschwornen hatten die an sie gerichteten, diesen Schuldsprüchen entsprechenden Hauptfragen 1 bis 5 jeweils stimmeneinhellig bejaht und die Eventualfragen 6 und 7, die nur im Fall der Verneinung der Hauptfrage 1 bzw. im Fall der Verneinung der Hauptfrage 1 und der Eventualfrage 6 aktuell geworden wären, daher (folgerichtig) unbeantwortet gelassen. Dieses Urteil wird vom Angeklagten im Schuldspruch zu I und II mit auf die Z 5 des § 345 Abs 1 StPO, im Schuldspruch zu III 2 mit auf die Z 12

(hilfsweise 6) des § 345 Abs 1 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist berechtigt.

Zunächst ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, wenn er sich durch die Abweisung des von seinem Verteidiger ausdrücklich gestellten Antrages auf (neuerliche) Vorführung des Zeugen Hesham Mohammed B in seinen Verteidigungsrechten verletzt erachtet. Hesham Mohammed B war am 9.November 1983 zwecks zeugenschaftlicher Einvernahme dem erkennenden Gericht vorgeführt worden, hatte jedoch die (sofortige) Beantwortung von Fragen verweigert, die Einräumung einer dreitägigen Vorbereitungsfrist verlangt und eine Aussage lediglich für die nächstfolgende Woche in Aussicht gestellt.

Daraufhin waren mit Zustimmung des Verteidigers und des Staatsanwaltes sämtliche bisherigen Aussagen, die Hesham Mohammed B als Beschuldigter, Angeklagter und als Zeuge abgelegt hatte, verlesen worden (S 142, 143/VIII d.A).

Zutreffend weist die Generalprokuratur zwar darauf hin, daß ein Einverständnis zur Verlesung der Aussage eines Zeugen im Regelfall als Verzicht auf die unmittelbare Aufnahme des Beweises zu werten sei und daß einer derartigen Verzichtserklärung Bedeutung für das (fortgesetzte) Verfahren zukomme, ihrem Widerruf daher nur dann Rechnung getragen werden müsse, wenn neu hervorgekommene Umstände eine Ergänzung der Beweisaufnahme im Interesse der Wahrheitsfindung geboten erscheinen lassen (vgl. auch SSt. 36/31 u.v.a.). Der vorliegende Fall ist allerdings in seiner Konstellation insofern exzeptionell, als der erschienene Zeuge - offenbar unter Bezugnahme auf die (von ihm mißverstandene) Vorschrift des § 221 Abs 1 letzter Satz StPO -

sich mangels entsprechender Vorbereitung außerstande erklärte, an diesem Tag eine Aussage abzulegen, dieser seiner Erklärung aber hinzufügte, er werde allenfalls in einigen Tagen bereit sein, seiner Zeugenpflicht nachzukommen.

Wenn unter solchen Umständen der Verteidiger (zunächst) einer Verlesung der bisherigen Angaben des Zeugen zustimmte, zu welcher Vorgangsweise das Gericht nach der zu diesem Zeitpunkt gegebenen Situation ohnedies gemäß dem § 252 Abs 1 Z 3 StPO berechtigt war, darf dieser Erklärung der Partei keineswegs die Bedeutung eines (endgültigen) Verzichtes auf die persönliche Befragung des Zeugen unterlegt werden. Der im Anschluß an die Verlesung, von dieser nur durch die Vorführung eines Videofilmes über die Tatrekonstruktion im Mordfall C und einem weiteren Parteienvorbringen getrennte Antrag auf neuerliche Vorführung des Zeugen B zwecks Ausübung des Fragerechtes des Verteidigers ist daher nicht als mit einer früheren (unwiderruflichen) Prozeßerklärung in Widerspruch stehend anzusehen. Dementsprechend stützte auch der Schwurgerichtshof sein abweisendes Zwischenerkenntnis allein auf die Erwägung, es sei von diesem Zeugen auch zu einem neuen Vernehmungstermineine Aussagebereitschaft nicht zu erwarten (S 149/VIII d.A). Diesem Argument kann indessen nicht gefolgt werden:

Nach Art. 6 Abs 3 lit d der im Verfassungsrang stehenden Menschenrechtskonvention (MRK) hat jeder Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen. Es ist nun nicht zu übersehen, daß der Zeuge B zu früherer Zeit ausführliche Angaben zur Sache machte (siehe etwa S 209 ff/ II dieses Aktes; S 169 ff, 239 ff/I und S 161

ff/V im Verfahren 20 a Vr 11.518/81 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien).

Diese Sachverhaltsdarstellungen wurden auch von den Geschwornen, wie ihrer Niederschrift zu entnehmen ist, in ihrem den Angeklagten belastenden Teil für glaubwürdig befunden und mit zur Grundlage des Wahrspruches genommen. Da es sich bei Hesham Mohammed B somit um einen für die Wahrheitsfindung sehr bedeutsamen Zeugen handelt, der seine Bereitschaft zu neuerlicher Aussage -

wenn auch zu einem (das Verfahren nur geringfügig verzögernden) späteren Termin - erkennen ließ, hätte der Schwurgerichtshof im Sinn des gestellten Antrages des Verteidigers zumindest den Versuch unternehmen müssen, durch nochmalige Vorführung dieses Zeugen dem Angeklagten in verlängerter Hauptverhandlung die Möglichkeit der Fragestellung einzuräumen und so den Geschwornen eine erweiterte Erkenntnisgrundlage zu verschaffen. (Zur öußerung des Zeugen, zu einem späteren Zeitpunkt aussagewillig zu sein, siehe im übrigen auch die im Rechtsmittelverfahren vorgelegten schriftlichen Erklärungen.) Der - angesichts dieser prozessualen Lage - in der Verweigerung der Ausübung des (dem Angeklagten garantierten) Fragerechts liegende Verstoß gegen Art. 6 Abs 3 lit d MRK mußte im Rahmen des zutreffend geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs 1 Z 5 StPO wahrgenommen werden.

Die Verteidigungsrechte verletzt schließlich auch die - des weiteren gerügte - Ablehnung der beantragten Ladung eines informierten Vertreters der G Salzburg, wodurch der Nachweis erbracht werden sollte, daß der Angeklagte 'am 26.August 1981 ca. am Vormittag in der G war, um das Geld abzuheben und dieses tatsächlich am Nachmittag des 26.August 1981

abgehoben hat' (S 181/VIII d.A).

Wohl trifft es zu, daß - wie die Generalprokuratur dazu ausführt die Entfernung zwischen Salzburg und Wien mit privaten oder öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb weniger Stunden überwunden werden kann, sodaß auch bei Nachweis der behaupteten Bankbesuche des Angeklagten am 26.August 1981 in Salzburg eine Zusammenkunft des Angeklagten mit Marwan D in Wien noch möglich gewesen wäre. Dennoch ist nicht von vornherein auszuschließen, daß das Ergebnis der beantragten Beweisaufnahme (gegen die im übrigen auch der Vertreter der Anklagebehörde keinen Einwand erhob) den Geschwornen für die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen Marwan D, durch dessen Depositionen der Angeklagte (gleichfalls) schwer belastet wurde, bedeutsam erscheinen könnte. Dies auch dann, wenn man berücksichtigt, daß die von diesem Zeugen zunächst sehr dezidiert vorgetragene Behauptung, auch am 26.August 1981 mit dem Angeklagten in Wien zusammengetroffen zu sein (siehe S 169 ff/VIII d.A), letztlich abgeschwächt wurde (S 170/VIII d.A). Der Schwurgerichtshof muß sich bei der Entscheidung über gestellte Beweisanträge stets vor Augen halten, daß die Lösung der Beweisfrage nicht ihm, sondern den Geschwornen zukommt, deren Entscheidung nicht vorgegriffen werden darf. Beweisanträge sind daher - bei aller gebotenen kritischen Prüfung - jedenfalls zuzulassen, wenn sie auf eine sachdienliche Erweiterung der Erkenntnismöglichkeit in der Tatfrage abzielen (11 Os 32/83; in diesem Sinn auch Mayerhofer-Rieder ENr. 10 ff zu § 345 Z 5 StPO).

In diesem Umfang erweist sich sohin die Verfahrensrüge begründet und demnach das Urteil als mit Nichtigkeit nach der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO behaftet.

Zum weiteren Beschwerdevorbringen kann der Stellungnahme der Generalprokuratur gefolgt werden:

Die zeugenschaftliche Vernehmung des Redakteurs der H Hubertus I und des PLO-Vertreters in Wien Daoud J hatte der Verteidiger zum Thema PLO-Splittergruppen und insbesondere zum Beweis dafür beantragt, daß bei Terroranschlägen häufig Indizienmaterial entweder bei gegnerischen Gruppen hinterlegt oder zumindest nicht bei eigenen Gruppen deponiert werde, sowie zum Beweis dafür, daß Hesham Mohammed B in der Zeit um den 6.Oktober 1981 die Möglichkeit hatte, in den Räumen der Staatspolizei mit palästinensischen Freunden ungestört Gespräche zu führen und unter anderem bei diesem Anlaß die Gelegenheit hatte, seine weitere Verantwortung zu besprechen (vgl. S 144 und 179/VIII d.A).

Mit Recht hielt hier der Schwurgerichtshof eine Einvernahme dieser Zeugen für entbehrlich. Denn abgesehen von dem im abweisenden Zwischenerkenntnis (S 180/ VIII d.A) enthaltenen zutreffenden Hinweis auf die zu den zitierten Beweisthemen ohnedies schon vorliegenden umfangreichen Beweisergebnisse (vgl. insbesondere auch die Artikel in der Zeitschrift K Nr. 29 vom 20. Juli 1981, S 18 ff, Nr. 32 vom 10.August 1981, S 12 ff und Nr. 45 vom 9.November 1981, S 52 ff) ist nämlich der Antragstellung nicht zu entnehmen, inwieweit von der begehrten Beweisaufnahme ein den konkreten Anklagevorwurf in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht betreffendes maßgebliches Ergebnis zu erwarten sein sollte (vgl. ÖJZ-LSK 1983/199 zu § 345 Z 5 StPO). Da der Angeklagte die ihm angelasteten Taten gleichermaßen auch dann verübt haben könnte, wenn es zuträfe, daß bei Terroranschlägen häufig Indizienmaterial entweder bei gegnerischen Gruppen hinterlegt oder zumindest nicht bei eigenen Gruppen deponiert wird und wenn erwiesen wäre, daß Hesham Mohammed B tatsächlich die Möglichkeit hatte, mit palästinensischen Freunden seine weitere Verantwortung zu besprechen, handelt es sich insoweit um bloße Erkundungsbeweise über zudem nicht entscheidungsrelevante Tatsachen, zumal im gegebenen Zusammenhang auch nicht etwa eine Behauptung in der Richtung aufgestellt wurde, die Zeugen könnten bestätigen, daß der Angeklagte im konkreten Fall fälschlich belastet worden sei. In der Ablehnung der Durchführung dieser Erkundungsbeweise liegt daher weder eine Hintansetzung noch eine unrichtige Anwendung von Grundsätzen, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist.

Berechtigung kommt der Nichtigkeitsbeschwerde allerdings auch zu, soweit sie sich in Ausführung des Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs 1 Z 12 StPO dagegen wendet, daß dem Angeklagten materiellrechtlich neben dem Vergehen des Ansammelns von Kampfmitteln nach dem § 280 Abs 1 StGB (Punkt III 1 des Urteilssatzes) auch noch das Vergehen nach dem § 36 Abs 1 lit d WaffG (Punkt III 2 des Urteilssatzes) angelastet wurde. Der Oberste Gerichtshof wies bereits in seiner Entscheidung vom 28.Juni 1983, 11 Os 32/83-10 (insoweit veröffentlicht in ÖJZ-LSK 1983/182 zu § 36 Abs 1 lit d WaffG) darauf hin, daß die bezügliche Tat durch ihre Unterstellung unter die (strenger strafbare) Bestimmung des § 280 Abs 1 StGB in ihrem Unrechts-und Schuldgehalt schon hinreichend erfaßt ist, weswegen - da dem Angeklagten vorliegend nach dem Waffengesetz lediglich der Besitz jenes (Kampfmittel darstellenden) Kriegsmaterials angelastet wird, das auch den Gegenstand der (Besitz in Form von Ansammeln und Bereithalten voraussetzenden) Verurteilung nach dem § 280 Abs 1 StGB bildet - die (verdrängte) Vorschrift des § 36 Abs 1 lit d WaffG nicht mehr zur Anwendung zu gelangen hatte. Der Schuldspruch (auch) wegen des Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit d WaffG erweist sich demnach jedenfalls als rechtlich verfehlt. Da sich sohin zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine (abschließende) Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war über die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß dem § 285 e StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Mit seiner durch die (teilweise) Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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