OGH 2Ob32/84

OGH2Ob32/843.7.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred S*****, vertreten durch Dr. Walter Christl, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagten Parteien 1.) Karl E*****, und 2.) D*****-Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wegen 472.935,86 S und Feststellung (60.000 S) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. März 1984, GZ 5 R 33/84-41, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und den beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichts Steyr vom 9. Dezember 1983, GZ 1 a Cg 177/80-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten haben zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit 16.487,75 S (darin 1.200 S Barauslagen und 1.389,80 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16. August 1978 ereignete sich um etwa 18:30 Uhr auf der Pogmunkler Gemeindestraße im Bereich der Einmündung des Pogmunklwegs in Auern, Gemeinde Nußbach, ein Verkehrsunfall, an dem die Kläger als Lenker eines Motorrads, Marke Yamaha, Kennzeichen *****, und der Erstbeklagte als Halter und Lenker des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs, Marke Fiat 850, Kennzeichen *****, beteiligt waren.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Titel des Schadenersatzes ein Schmerzengeld von 350.000 S, eine Verunstaltungsentschädigung von 150.000 S sowie Verdienstentgang, Fahrzeugschaden, Kleiderschaden und Fahrtspesen, insgesamt 522.935,86 S sA. Überdies stellte er ein mit 60.000 S bewertetes Feststellungsbegehren. Der Unfall sei vom Erstbeklagten dadurch alleine verschuldet worden, dass er den dem Kläger gemäß § 19 Abs 6 StVO 1960 zukommenden Vorrang verletzt habe. Der Kläger habe sein Motorrad nur noch nach links verreißen können, jedoch den PKW des Erstbeklagten gestreift und sei anschließend zu Sturz gekommen. Zur Verunstaltungsentschädigung brachte der Kläger vor, es lägen eine Beinverkürzung um 3 cm sowie eine Bewegungseinschränkung und zahlreiche verunstaltende Narben vor. Dadurch erleide er eine erhebliche Einbuße in den Möglichkeiten seines besseren Fortkommens sowohl für Heiratsaussichten als auch im Berufsleben.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Der Unfall sei vom Kläger durch Verletzung des dem Erstbeklagten gemäß § 19 Abs 1 StVO 1960 zukommenden Rechtsvorrangs selbst verschuldet worden. Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigungsbegehren seien wesentlich überhöht.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 472.935,86 S sA zu und gab dem Feststellungsbegehren statt; das Mehrbegehren von 50.000 S sA wurde abgewiesen.

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten blieben erfolglos.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur die Vorrangfrage strittig.

Diesbezüglich hat das Erstgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Die vom Kläger befahrene Pogmunkler Gemeindestraße führt von Nußbach nach Wartberg an der Krems; sie ist rund 3,5 bis 3,6 m breit, verläuft zunächst nahezu gerade, beschreibt dann eine ganz leichte Rechtskurve, an die sich eine ganz leichte Linkskurve anschließt. Im weiteren Unfallbereich verläuft die Straße wieder gerade. 25 bis 30 m vor der Unfallstelle bildet die Fahrbahn eine Kuppe, vor dieser steigt die Fahrbahn (in Richtung des Klägers gesehen) mit etwa 2 bis 3 % an, nach der Kuppe fällt sie mit etwa 3 %. Die Fahrbahn ist mit einem Asphaltbelag in sehr gutem Erhaltungszustand versehen. Im Unfallsbereich liegt rechts (in Fahrtrichtung des Klägers) die Einmündung eines Wegs (Pogmunkelweg), über den ein etwa 100 m entferntes Anwesen, bestehend aus einem Sägewerk und mehreren Gebäuden erreicht werden kann. Sicht von der Pogmunkler Gemeindestraße aus auf dieses Anwesen besteht erst auf Höhe des Einmündungstrichters. Dieser ist an der Fluchtlinie der Gemeindestraße einschließlich seiner nicht asphaltierten und nicht befestigten Anteile in seinen äußeren Bereichen rund 21 m breit. Abgesehen von diesen Bereichen ist der Trichter mit einem Asphaltbelag versehen, der in einer Breite von ca 12 m an die Fluchtlinie der Gemeindestraße stößt. Dieser Asphaltbelag weist unregelmäßig verlaufende Ränder auf und hebt sich gegenüber der Fahrbahnoberfläche der Gemeindestraße etwas durch einen weniger guten Erhaltungszustand, vor allem an den seitlichen Rändern, ab. Der Einmündungstrichter fällt von der Gemeindestraße weg stark ab zu einer Holzbrücke, die etwa 10 m von der Fluchtlinie der Gemeindestraße entfernt ist. Asphaltiert ist der Trichter nur in einer Tiefe von 5-6 m, daran schließt sich bis zur Brücke und weiter nach der Brücke eine geschotterte Fahrbahnoberfläche an, die unterschiedlich 2,5 bis 3,5 m breit ist. Der Weg führt am genannten Anwesen vorbei und weiter zum Haus des Erstbeklagten und mündet schließlich in die Nußbacher Landesstraße ein. Der gesamte Weg ist 400-500 m lang. Von der Pogmunkler Gemeindestraße weg verläuft der Weg zunächst etwa 250 m über Privatgrund des Leopold P*****, der auch die Holzbrücke errichtet hat. Das Haus des Erstbeklagten liegt bereits außerhalb dieses Privatgrundes. P***** hat am Beginn der Brücke für von der Gemeindestraße kommende Fahrzeuge eine Verbotstafel „Allgemeines Fahrverbot“ mit dem Zusatz „nur für Anrainer gestattet“ aufgestellt. Der Erstbeklagte hatte von P***** die Erlaubnis, den Weg zu benützen. Für Fahrzeuge, die von der Nußbacher Landesstraße in den Weg einfahren, sind keine beschränkenden Verkehrszeichen aufgestellt. Die Einmündung des Wegs in die Gemeindestraße ist weder auf jenem noch auf dieser durch Verkehrszeichen angezeigt. Auch die Gemeindestraße mündet in Fahrtrichtung des Klägers gesehen in die Nußbacher Landesstraße ein. Vom Einmündungstrichter aus gesehen, besteht nach links eine Sichtbehinderung durch zum Teil bis nahe an den rechten Fahrbahnrand der Gemeindestraße heranreichenden Busch- und Baumbewuchs. Der Erstbeklagte kam mit seinem PKW vom Pogmunklweg und wollte nach links in die Gemeindestraße einbiegen. Es kann nicht festgestellt werden, ob er vor Erreichen der Fluchtlinie der Gemeindestraße seinen PKW zum Stillstand brachte; an der Fluchtlinie brachte er ihn nicht zum Stillstand. Er überfuhr die Fluchtlinie mit einer Geschwindigkeit von ca 18 km/h. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger, der eine Geschwindigkeit von rund 95 km/h einhielt, von der späteren Unfallstelle noch 41 bis 42 m entfernt. Von der Einfahrposition des Erstbeklagten aus hatte er Sicht nach links in die Anfahrtrichtung des Klägers von rund 60 m. Der Kläger war zum Zeitpunkt, als der Erstbeklagte in die Pogmunkler Gemeindestraße einfuhr, bereits im Sichtbereich für den Erstbeklagten. Vom Beginn des Einfahrens des Erstbeklagten in die Gemeindestraße bis zur Kollision verstrich eine Zeit von rund 1,6 Sekunden. Der Erstbeklagte bemerkte den herannahenden Kläger und leitete eine Bremsreaktion ein, er kam im Kollisionszeitpunkt praktisch zum Stillstand, blockierte aber die Gemeindestraße fast zur Gänze. Der Kläger erkannte das Einfahren des Erstbeklagten und verlenkte sein Motorrad nach links.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, dass sich der PKW des Erstbeklagten nicht im Rechtsvorrang befunden habe, sondern von einer ungeordneten Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 in die Pogmunkler Gemeindestraße eingefahren sei. Der Pogmunklweg, auf dem der Erstbeklagte kam, unterscheide sich insbesondere auch im Einmündungstrichter deutlich von der Gemeindestraße in der Richtung, dass es sich hiebei der ganzen Anlage nach nur um eine unbedeutende Zufahrt zur Gemeindestraße handle. Es sei daher vom Vorrang des Klägers auszugehen. Er habe weder eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten, noch sei ihm eine Reaktionsverspätung anzulasten. Sein Linksausweichmanöver sei erfolgversprechender erschienen als etwa eine Bremsung; tatsächlich sei es auch nur noch zu einer hart streifenden Kollision gekommen. Im Übrigen sei die Abwehrmaßnahme des Klägers als typische Fluchtreaktion „weg von der Gefahr“ anzusehen und ein Fehlverhalten des Klägers könne darin nicht erblickt werden. Im Falle einer Bremsung wäre es überhaupt zu einer vollen frontalen Kollision gekommen. Ein Anhalten des Motorrads wäre nicht mehr möglich gewesen.

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten blieben erfolglos. Ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts billigte das Berufungsgericht auch dessen rechtliche Beurteilung.

Der Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 3 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

In der Rechtsrüge versuchen die Beklagten darzutun, dass es sich bei dem vom Erstbeklagten befahrenen Pogmunklweg nicht um eine Verkehrfläche iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 handle und daher dem Erstbeklagten gemäß § 19 Abs 1 StVO 1960 der Vorrang gegenüber dem Kläger zugekommen sei. Der Kläger habe daher den Vorrang des Erstbeklagten verletzt, es treffe ihn das Alleinverschulden an dem Unfall.

Demgegenüber hat das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben, dass die Bestimmung des § 19 Abs 6 StVO 1960, nach welcher Fahrzeuge im fließenden Verkehr den Vorrang gegenüber Fahrzeugen haben, die aus Nebenfahrbahnen, von Parkplätzen, von Haus- und Grundstückseinfahrten, von Feldwegen, von Tankstellen oder dergleichen kommen, eine Ausnahme von der Grundregel des Rechtsvorrangs darstellt. Die Beurteilung der Frage, ob eine Verkehrsfläche den in § 19 Abs 6 StVO 1960 angeführten Flächen gleichzuhalten ist, hat nach objektiven Kriterien zu erfolgen. Bei Lösung dieser Frage kommt es daher nicht auf die jeweilige subjektive Betrachtungsweise der beteiligten Lenker an, sondern darauf, ob sich die betreffende Verkehrsfläche in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet, sohin einer untergeordneten Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 gleichzuhalten ist (vgl ZVR 1983/332 uva).

Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist dem Berufungsgericht beizupflichten, dass sich der vom Erstbeklagten benützte Weg in seiner gesamten Anlage von sonstigen öffentlichen Straßen, insbesondere von der vom Kläger benützten Gemeindestraße, deutlich unterschied. Während etwa die Gemeindestraße einen Asphaltbelag in sehr gutem Erhaltungszustand aufweist, war lediglich der Einmündungstrichter des Pogmunklwegs in einer Tiefe von 5 bis 6 m asphaltiert, wobei sich der Asphaltbelag in weniger gutem Zustand befand und unregelmäßig verlaufende Ränder aufwies. Bis zur 10 m entfernten Brücke und nach der Brücke schloss sich eine geschotterte Fahrbahnoberfläche an. Der Weg führt zu einem Anwesen, bestehend aus einem Sägewerk und mehreren Gebäuden sowie weiter zum Haus des Erstbeklagten. Schon aus diesen objektiven Kriterien im Zusammenhalt mit den übrigen Feststellungen ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision zweifelsfrei, dass sich der vom Erstbeklagten befahrene Weg in seiner gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen, insbesondere auch von der vom Kläger befahrenen Gemeindestraße unterschied und somit eine untergeordnete Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO 1960 darstellt. Ohne Rechtsirrtum ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Erstbeklagte durch Verletzung des dem Kläger zukommenden Vorrangs den Unfall allein verschuldet hat.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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