OGH 7Ob585/84

OGH7Ob585/8420.6.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache der mj Alexandra H*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Ing. Hubert H*****, vertreten durch Dr. Michael Nierhaus, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 3. Mai 1984, GZ 3 R 85/84‑18, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Stainz vom 20. März 1984, GZ P 118/83‑15, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00585.840.0620.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene und der erstgerichtliche Beschluss werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung

Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht infolge Rekurses des ehelichen Vaters den Beschluss des Erstrichters, womit über widerstreitende Anträge der Kindeseltern die persönlichen Elternrechte und ‑pflichten nach der am 15. 12. 1983 erfolgten Ehescheidung der Eltern künftig der Mutter allein zugewiesen wurden.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

Beide Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass die nun 15 Jahre alte, sehr intelligente Mittelschülerin bis vor einem oder eineinhalb Jahren zu beiden Eltern normale ungetrübte Beziehungen hatte, dass dann aber der Vater wegen eines Verhältnisse der Mutter zu Dipl.‑Ing. F***** das Kind massiv gegen die Mutter beeinflusste und ständig für sich in Anspruch nahm. Auf diese Weise wurde der Mutter mehr und mehr ein herzlicher Kontakt mit dem Kind unmöglich gemacht, das sich schließlich gänzlich auf die Seite des Vaters schlug, weil es der massiven väterlichen Einflussnahme nicht mehr gewachsen war. Wenngleich das Kind den dringenden Wunsch äußerte, beim Vater zu bleiben, zumal sie keineswegs mit Dipl.‑Ing. F***** zusammen sein oder gar unter einem Dach leben wolle, könne eine Entfremdung zwischen ihr und der Mutter nicht dem Wohl des Kindes dienen. Die Verhinderung der in der Pubertät wichtigen Identifikationsprozesse mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil könne zu erheblichen Krisen führen. Das Kind sei in seiner Entscheidungsfindung infolge der einseitigen Beeinflussung durch den Vater nicht frei. Es werde durch die übermäßigen Beziehungen zu ihm in seiner Eigenständigkeit und an altersentspechenden Sozialkontakten eingeschränkt und behindert. Wenngleich die äußeren Lebensbedingungen beider Elternteile gesichert seien, sei deshalb die Mutter als geeignetere Erziehungsperson anzusehen, zumal ihre Erziehungsvorstellungen qualifiziert und kindorientiert, die Beziehungen des Vaters zum Kind aber stark besitzergreifend und beeinflussend seien. Das angeführte Motiv des Kindes könne die Zuteilung der elterlichen Rechte an den Vater nicht rechtfertigen.

Die vom Vater behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt allerdings nicht vor. Es genügt nach ständiger Rechtsprechung, dass er Gelegenheit hatte, in seinem Rekurs an die zweite Instanz zu allen jenen Verfahrensergebnissen Stellung zu nehmen, die ihm nicht schon vorher mitgeteilt worden waren.

Mit Recht verweist der Rekurswerber aber darauf, dass der – auch im Revisionsrekursverfahren wiederholte – Wunsch der 15 Jahre alten, also mündigen Minderjährigen, beim Vater zu bleiben, nicht entsprechend berücksichtigt wurde. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit der Entscheidung über die Zuweisung der elterlichen Rechte und Pflichten liegt nach ständiger Rechtsprechung in der nicht gebührenden Berücksichtigung des Wohles des Kindes, dem nach § 177 Abs 2 ABGB entscheidende Bedeutung zukommt. Nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesbestimmung hat das Gericht vor seiner Entscheidung ein mindestens 10‑jähriges Kind (anders als bei der bloßen Besuchsrechtsregelung nach § 148 Abs 1 ABGB) zwingend zu hören. Darin zeigt sich die gesteigerte Rücksichtnahme auf die Persönlichkeit des Kindes, und es wird der Bedeutung Rechnung getragen, die einer Entscheidung nach § 177 ABGB für das Kind zukommt (AB 587, BlgNR 14. GP 14). Einem mündigen Kind soll deshalb womöglich nicht gegen seinen Willen die Erziehung durch einen Elternteil aufgezwungen werden (vgl Pichler in Rummel , ABGB, Rdz 1 zu § 177 und 3 zu § 148, EvBl 1975, 42 und RZ 1982/16). Richtig hat das Rekursgericht allerdings erkannt, dass der Wunsch des Kindes nicht allein den Ausschlag geben kann; die Anhörung dient aber dazu, aus der Sicht und den Empfindungen des Kindes die entscheidungswesentlichen Umstände zu erkennen und ins Klare zu setzen (6 Ob 581/80).

In diesem Sinn erscheinen im vorliegenden Fall die wesentlichen Motive der Abneigung des Kindes gegen eine Erziehung durch die Mutter in ihrer Bedeutung für das Wohl des Kindes nicht hinreichend geklärt. Wenngleich der Mutter im psychologischen Gutachten attestiert wird, dass ihre Erziehungsvorstellungen qualifiziert und kindorientiert seien, ist völlig offen geblieben, wie sich die Mutter ein Zusammenleben mit dem Kind unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen zu jenem Mann vorstellt, der aus der Sicht des Kindes für die Zerstörung der Ehe seiner Eltern verantwortlich ist und mit dem das Kind verständlicherweise weder zusammenkommen noch gar unter einem Dach leben will. Dabei kann der Mutter allerdings nicht der Vorwurf gemacht werden, dass sie sich bisher nicht genug um das Kind gekümmert habe; bessere Kontakte hat wohl der Vater verhindert. Andererseits kann diesem kaum vorgeworfen werden, sich zuviel um die Tochter gekümmert zu haben, die nun so stark zu ihm tendiert. Gewichtiger wären wohl die Beschimpfungen, die der Vater weigstens teilweise auch in Gegenwart der Tochter gegen die Mutter richtete. gerade die Tatsache aber, dass die Tochter trotz solcher Beschimpfungen eindeutig zum Vater steht, spricht für eine nicht bloß durch massive Beeinflussung des Vaters bewirkte Abneigung gegen die Mutter.

Im Ganzen ist nach dem Gesagten noch nicht mit der für eine endgültige Entscheidung erforderlichen Gewißheit abschätzbar, ob eine gegen den Wunsch des Kindes erfolgende Zuweisung der elterlichen Rechte und Pflichten an die Mutter dem Wohl des Kindes entspricht und ob dessen Motive nicht doch vor allem im Zusammenhang mit der ungeklärten weiteren Beziehung der Mutter zu dem von der Tochter abgelehnten anderen Mann auch objektiv von entscheidender Bedeutung sind. Nur wenn auch insofern eine gedeihliche Entwicklung des Kindes bei der Mutter gewährleistet wäre und die Änderung der bestehenden Verhältnisse mit Sicherheit ohne erhebliche Gefährdung der Psyche des Kindes als für dessen weitere Entwicklung notwendig und vorteilhaft prognostiziert werden könnte, wäre der Antrag des Vaters abzuweisen und das Kind, das beim ihm ist und bei ihm bleiben will, der Mutter zuzuweisen.

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