OGH 7Ob26/84

OGH7Ob26/8420.6.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Silvia B*****, vertreten durch Dr. Klaus Grubhofer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei W*****, vertreten durch Dr. Reinhold Nachbaur, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen restlich 5.501,84 S sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. Februar 1984, GZ 1 R 306/83‑22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 18. August 1983, GZ 6 Cg 3856/82‑18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00026.840.0620.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Bezau vom 3. 5. 1982 wurden Siegfried B*****, der Ehemann der Klägerin, und dessen Bruder Albert B***** der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Dem Schuldspruch liegt zugrunde, dass die Obgenannten am 29. 8. 1981 auf der Bregenzerwald‑Bundesstraße (im Folgenden B 200) die beiden Radfahrer Franz und Paul V***** anzuhalten versuchten, zu diesem Zweck die Fahrbahn betraten und den beiden Radfahrern den Weg versperrten, wodurch es zum Zusammenstoß des Siegfried B***** mit Paul V***** kam, der mit seinem Fahrrad stürzte und schwer verletzt wurde Paul V***** und dessen Sozialversicherungsträger machen gegen Siegfried B***** Ersatzansprüche aus diesem Vorfall geltend.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei und 16.106,12 S sA aufgrund der mit dieser abgeschlossenen, mit einer Privathaftpflichtversicherung verbundenen Haushaltsversicherung, in der ihr Ehegatte mitversichert ist. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Allgemeinen Bedingungen für Haushaltsversicherungen 1973 (ABH 1973) zugrunde.

Die beklagte Partei verweigert den Versicherungsschutz mit der Begründung, dass Siegfried B***** den Schaden vorsätzlich herbeigeführt habe, dass das Ereignis nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens gehöre, dass ihr der Versicherungsfall grob fahrlässig nicht unverzüglich angezeigt und die Verteidigung im Strafverfahren einem nicht von ihr namhaft gemachten Anwalt überlassen worden sei.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt und sprach der Klägerin 5.501,84 S sA zu. Das Leistungsmehrbegehren wies es ab. Nach seinen Feststellungen fuhr Albert B***** mit einem PKW, an den ein Pferdewagen angehängt war, auf der B 200 talauswärts. Im PKW befanden sich noch seine Eltern und sein Bruder Siegfried B*****. Die Seitenfenster des PKW waren teilweise geöffnet. Franz und Paul V***** fuhren je mit einem Fahrrad nebeneinander in die gleiche Richtung. Als sich Albert B***** den Radfahrern näherte, konnte er zunächst nicht überholen und gab deshalb ein Hupzeichen. Daraufhin begannen die beiden Radfahrer im Zickzack zu fahren, und einer von ihnen zeigte die Faust. Albert B***** fuhr, um zu überholen, auf die linke Fahrbahnhälfte. Hiebei wurde der PKW von einem der beiden Radfahrer angespuckt. Albert B***** wollte hierauf den PKW anhalten, um die Radfahrer zu stellen und anzuzeigen. Während er die Geschwindigkeit verminderte, schlossen die Radfahrer auf und überholten, einer links und einer rechts, den PKW. Hiebei spuckten sie gegen den PKW, wobei Siegfried B***** und dessen Mutter getroffen wurden. Nachdem Albert B***** die Radfahrer wieder überholt hatte, hielt er an, um sie zur Rede zu stellen und sie anzuzeigen. Die Brüder B***** stellten sich auf der rechten Fahrbahnhälfte auf. Albert B***** stand ca am rechten Fahrbahnrand, Siegfried B***** ca in der Fahrbahnmitte. Ihr Vater stand außerhalb der Fahrbahn und versuchte, seine Söhne von ihrem Vorhaben abzubringen. Die Brüder B***** hatten nicht die Absicht, die Radfahrer zu verletzen. Bei Annäherung beschleunigten die beiden Radfahrer, um an den auf der Fahrbahn stehenden Personen vorbeizufahren. Albert B***** wich dem Franz V***** gegen die Fahrbahnmitte hin aus, sodass dieser an ihm vorbeifahren konnte. Siegfried B***** wich dem Paul V***** gleichfalls zur Fahrbahnmitte hin aus. Da auch Paul V***** in diese Richtung auszuweichen versuchte, kam es zur Berührung zwischen den beiden oder zwischen Siegfried B***** und dem Fahrrad des Paul V*****. Dieser kam hiedurch zu Sturz, wobei er unter anderem einen Schädelbasisbruch mit ausgedehnter Hirnblutung erlitt.

Siegfried B***** verständigte die beklagte Partei von dem Versicherungsfall erst nach Abschluss des Strafverfahrens mit Schreiben vom 29. 4. 1982, weil er bis dahin nicht wusste, dass er mitversichert ist. Die verspätete Meldung hatte auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung keinen Einfluss. Der Unfall wurde, unmittelbar nach dem er sich ereignet hatte, von der Gendarmerie aufgenommen. Die Kosten der Strafverteidigung betrugen 21.208,25 S. An Kosten der Privatbeteiligung im Strafverfahren machte Paul V***** 11.003,68 S geltend.

Das Erstgericht verneinte eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens. Das Ereignis liege auch nicht außerhalb der Risikobegrenzung des Art 16 Abs 1 lit a der ABH 1973. Aufgrund des Verhaltens der beiden Radfahrer sei das Bestreben der Brüder B*****, diese anzuzeigen, verständlich. Hiefür sei ein Anhalten der Radfahrer zur Feststellung ihrer Identität zweckmäßig gewesen. Die Brüder B***** hätten nicht damit rechnen müssen, dass sich die Radfahrer die Durchfahrt erzwingen werden. Erst dadurch seien sie zu den Ausweichbewegungen veranlasst worden. Eine solche Gefahrensituation gehöre zu den Gefahren des täglichen Lebens. Die Verletzung der Obliegenheit der unverzüglichen Anzeige des Unfalls nach Art 22 Abs 1 der ABH 1973 sei wegen eines Informationsmangels des Siegfried B***** nicht grob fahrlässig erfolgt. Die beklagte Partei habe daher Versicherungsschutz zu gewähren. Von den Kosten der Privatbeteiligung in Höhe von 11.003,68 S falle jedoch nur die Hälfte auf den mitversicherten Ehemann der Klägerin. Dagegen bestehe kein Anspruch auf Ersatz der Verteidigerkosten. Die beklagte Partei sei nur zur Tragung derjenigen Kosten der Verteidigung im Strafverfahren verpflichtet, die aufgrund ihrer Weisung aufgelaufen seien.

Das Berufungsgericht änderte das nur in seinem stattgebenden Teil angefochtene Ersturteil dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es verneinte, gestützt auf die Auslegung des Begriffs der Gefahr des täglichen Lebens in der Rechtsprechung, das Vorliegen eines unter das versicherte Risiko gehörenden Haftpflichtfalls. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der von der Stattgebung der Berufung betroffene Wert des Streitgegenstands 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige und die Revision zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichts aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Klägerin ist im Ergebnis berechtigt.

Der Begriff der „Gefahren des täglichen Lebens“ ist – wie bereits das Berufungsgericht richtig hervorgehoben – nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dahin auszulegen, dass der Versicherungsschutz für die Haftpflicht des Versicherungsnehmers (oder des Mitversicherten) jene Gefahren umfasst, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss. Solche Gefahren müssen nicht geradezu täglich auftreten. Es genügt, wenn derartige Gefahren erfahrungsgemäß im normalen Lebenslauf immer wieder häufiger oder auch seltener vorkommen (ZVR 1981, 241; VersR 1980, 984; SZ 51/33; JBl 1971, 527; 7 Ob 25/77 uva). Wendet man diese Grundsätze auf den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt an, kann die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts nicht geteilt werden. Zutreffend weist die Revisionswerberin darauf hin, dass es im Straßenverkehr nicht allzu selten vorkommt, dass ua auch eine Klarstellung der persönlichen Verhältnisse eines Verkehrsteilnehmers gewünscht wird. Der Versuch, zu diesem Zwecke einen Verkehrsteilnehmer anzuhalten, ist demnach ein Vorgang, der dem täglichen Leben zuzurechnen ist. Betrifft dieser Versuch einen Radfahrer, stellt auch das Betreten der Fahrbahn noch keine ungewöhnliche Gefahrenlage dar.

Die Feststellungen des Erstgerichts wurden jedoch von der beklagten Partei bekämpft. Da sich das Berufungsgericht, ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht, mit der Beweisrüge nicht befasst hat, ist iS des Eventualantrags der Klägerin mit einer Aufhebung in die zweite Instanz vorzugehen.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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