OGH 6Ob1/84

OGH6Ob1/8424.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Dr. Christoph Haffner, Rechtsanwalt in Amstetten, wider die beklagte Partei Franz S*****, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Widerruf und Anfechtung einer Schenkung (Streitwert 1,8 Mio S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. April 1983, GZ 15 R 66/83‑37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichts St. Pölten, vom 27. September 1982, GZ 6 Cg 150/82‑31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist der Sohn, der Beklagte der Enkel der am 22. Juli 1978 verstorbenen Johanna S*****. Diese hatte in ihrer letztwilligen Verfügung vom 12. Dezember 1976 den Kläger zum Erben eingesetzt, dem Beklagten für seine Mitarbeit in der Landwirtschaft einen Baugrund von 1000 m² und ihren Töchtern Anna H*****, Maria S***** und Johanna L***** je 30.000 S vermacht. Der Nachlass der Johanna S***** bestand im Wesentlichen aus einer Liegenschaft mit einem landwirtschaftlichen Betrieb (EZ ***** KG *****) im Ausmaß von ca 21 ha. Mit Notariatsakt vom 15. November 1978 schenkte der Kläger dem Beklagten die Hälfte des landwirtschaftlichen Betriebs, bestehend aus der Liegenschaft EZ ***** KG *****. Aufgrund der Einantwortungsurkunde vom 4. Dezember 1978 und des Schenkungsvertrags vom 15. November 1978 wurde ob der bezeichneten Liegenschaft das Eigentumsrecht für beide Streitteile je zur Hälfte einverleibt.

Der Kläger begehrte die Feststellung der Ungültigkeit der Einverleibung des Eigentumsrechts für den Beklagten und dessen Einwilligung zur Einverleibung des Eigentumsrechts des Klägers ob dem Hälfteanteil des Beklagten an der vorgenannten Liegenschaft. Der Kläger behauptete, die Schenkung sei unwirksam. Er sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht geschäftsfähig gewesen. Der Vertrag hätte abhandlungsbehördlich genehmigt werden müssen und verstoße gegen das Anerbengesetz. Der Kläger sei durch eine unrichtige Schätzung und die Geltendmachung überhöhter Pflichtteilsforderungen arglistig in Irrtum geführt worden. Es liege auch der Tatbestand des Wuchers vor. Die Schenkung werde wegen groben Undankes des Beklagten widerrufen.

Der Beklagte bestritt die Klagsbehauptungen und beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Er behauptete, dass die Übertragung der halben Landwirtschaft gegen Verzicht der Vermächtnisnehmer und Pflichtteilsberechtigten auf ihre Ansprüche erfolgt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf zu dem Eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch folgende Feststellungen: Die Schwestern des Klägers erklärten im Verlassenschaftsverfahren, dass ihre Mutter der Ansicht gewesen sei, der Kläger sei zur alleinigen Führung der Landwirtschaft außerstande. Aus diesem Grund habe ihre Mutter den Beklagten auf dem Hof erzogen, dessen Besuch der Landwirtschaftsschule in G***** veranlasst und sich gegen eine Adoption durch den Ehemann seiner Mutter ausgesprochen. Sie sei zuletzt der Auffassung gewesen, dass beide Streitteile die Landwirtschaft erhalten und gemeinsam bewirtschaften sollten. Die Schwestern des Klägers, die die Ansicht ihrer Mutter teilten, machten im Verlassenschaftsverfahren den Vorschlag, die Landwirtschaft dem Beklagten zu übertragen. Davon wollte der Kläger nichts wissen, desgleichen nichts von den die Vermächtnisse übersteigenden Pflichtteilsforderungen seiner Schwestern. Er erklärte jedoch, sich die Angelegenheit 14 Tage überlegen zu wollen. Er machte dann die Übergabe der Landwirtschaft an den Beklagten von der Bezahlung einer monatlichen Rente von 10.000 S abhängig. Dies lehnte der Beklagte als mit der Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft nicht im Einklang stehend ab. Die Schätzung der Liegenschaft durch Erbhofsachverständige ergab einen Übernahmspreis von 3,6 Mio S. Der Gerichtskommissär belehrte den Kläger, dass danach die Pflichtteilsansprüche seiner Schwestern je 450.000 S betragen. Der Kläger erklärte, dies sei ihm zu viel, dann gebe er lieber das halbe Haus dem Beklagten. Die Schwestern des Klägers erklärten sich bereit, auf ihre Pflichtteilsforderungen zu verzichten, wenn der Beklagte dafür die halbe Landwirtschaft erhalte. Der Beklagte erklärte, auf sein Vermächtnis zu verzichten. Der Kläger war damit einverstanden und unterfertigte noch am selben Tag den ihm „ausdrücklich vorgelesenen“ Notariatsakt. Einzelheiten über eine gemeinsame Wirtschaftsführung wurden nicht erörtert. Der Vertrag entsprach dem Willen des Klägers und wurde in seiner Tragweite von ihm voll verstanden, auch wenn die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Klägers unter dem Durchschnitt liegt.

Das Erstgericht nahm die Prozessfähigkeit des Klägers als gegeben an und bejahte auch dessen Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Es verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung und meinte, mangels eines auffallenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung liege auch der Tatbestand des Wuchers nicht vor. Der Schenkungsvertrag habe keiner abhandlungsbehördlichen Genehmigung bedurft. Das Erstgericht verneinte auch das Vorliegen groben Undankes.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es prüfte die Prozessfähigkeit des Klägers und nahm diese in Übereinstimmung mit dem Erstgericht als gegeben an. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung. Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus:

Behaupte eine minderen Grades geistesschwache aber nicht beschränkt entmündigte Person die Ungültigkeit eines von ihr abgeschlossenen Vertrags, müsse sie beweisen, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht imstande gewesen zu sein, die Tragweite des konkreten Vertrags zu beurteilen. Dem Kläger sei dieser Beweis nicht gelungen. Der Vertrag zwischen den Streitteilen sei nicht als Schenkung zu qualifizieren. Die rechtliche Qualifikation eines Vertrags sei nicht nach dem Willen der Vertragsparteien und der von ihnen gewählten Bezeichnung, sondern nach dem Vertragsinhalt zu beurteilen. Für einen Schenkungsvertrag sei die Schenkungsabsicht wesentlich. Fehle diese, könne auch keine gemischte Schenkung vorliegen. Die Übertragung der Liegenschaftshälfte an den Beklagten sei nur gegen Abgeltung der Pflichtteilsansprüche der Schwester des Klägers und der Legatansprüche des Beklagten erfolgt. In Wahrheit handle es sich bei dem Notariatsakt vom 15. November 1979 um ein Erbübereinkommen, das einer abhandlungsbehördlichen Genehmigung nicht bedurft habe. Selbst wenn dieses Übereinkommen für den Beklagten sehr vorteilhaft gewesen sein sollte, ergäbe sich daraus noch keine Teilunentgeltlichkeit. Nicht jeder zweiseitige Vertrag, der einem Teil größeren Vorteil bringe als dem anderen, könne als Schenkung des Mehrwerts angesehen werden. Das Berufungsgericht verneinte auch das Vorliegen eines Willensmangels und führte noch aus: Der Übernahmspreis sei von den Sachverständigen unter Bedachtnahme auf das Anerbengesetz ermittelt worden. Auch sonst sei eine unrichtige Darstellung der Rechtslage dem Kläger gegenüber nicht erfolgt. Unerheblich sei, ob sich im Gutsbestand des Nachlasses auch Bauland befunden habe, weil allenfalls die Beschaffung von Bauland für den Beklagten dem Willen der Erblasserin eher entsprochen hätte als die Ungültigkeit des Vermächtnisses. Unter Berücksichtigung des Pflichtteilsverzichts der Schwestern des Klägers und des Legatsverzichts des Beklagten liege dann aber das zur Annahme des Wuchertatbestands erforderliche auffallende Missverhältnis der Leistungswerte nicht vor. Ein solches Missverhältnis würde nur die Hauptleistungspflicht betreffen und setze ein grobes, leicht erkennbares Missverhältnis voraus.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Frage der Prozessfähigkeit des Klägers ist vom Obersten Gerichtshof nicht mehr zu prüfen, weil beide Vorinstanzen, wenn auch nicht im Spruch ihrer Entscheidung, aber doch in den Entscheidungsgründen die Prozessfähigkeit des Klägers bejaht haben (EvBl 1979/160, S 437; RZ 1976/111, S 220 ua).

Mit dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens werden Feststellungsmängel geltend gemacht, welche im Rahmen der Erledigung der Rechtsrüge zu behandeln sind.

Soweit die Revision die Feststellungen der Vorinstanzen über den Inhalt des Vorschlags der Schwestern des Klägers als aktenwidrig rügt, liegt eine Aktenwidrigkeit nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Dem Kläger ist aber beizupflichten, wenn er sich gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts wendet, der Sachverständige Dr. Erhart P***** habe kein widersprechendes Gutachten erstattet. Der Sachverständige hat einerseits ausgeführt, der Tod der Mutter des Klägers habe diesen plötzlich in eine Situation gebracht, für deren Bewältigung ihm alle notwendigen angeborenen und anerzogenen Eigenschaften und Fähigkeiten gefehlt hätten, diese aktuelle und unvorbereitete Überforderung habe in psychologisch‑einfühlbarer Weise aus dem dumpfen Empfinden der Unzulänglichkeit und dem Versuch, diese nach außen zu überspielen, noch zu einer weiteren Zuspitzung der abnormen Verhaltensweisen geführt. Dies habe zu der im Entmündigungsverfahren getroffenen gutächtlichen Feststellung geführt, dass das Zusammenwirken aller angeführten Faktoren eine Geistesschwäche im weiteren Sinne, nämlich eine solche nach § 1 Abs 1 EntmO habe begründen können, wobei ausdrücklich auf die damalige konkrete Lebenssituation des Klägers abgestellt worden sei, in der die so eklatante Verwahrlosung der Wirtschaft ausschlaggebend gewesen sei. Andererseits führte der Sachverständige jedoch aus, es könne kein Zweifel darüber bestehen, dass der Kläger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die Fähigkeit zur Einsicht in das Wesen und die Tragweite eines Vertrags wie des gegenständlichen besessen habe. Den Ausführungen des Berufungsgerichts, ein Widerspruch im Sachverständigengutachten liege nicht vor, weil einerseits die Entmündigungsbedürftigkeit, andererseits die Geschäftsfähigkeit zu beurteilen gewesen seien und die „Hilflosigkeit bei der Beistandshaftung des Anwesens und im Kontakt mit dem Beklagten“ noch nicht ausschließe, dass der Kläger ausreichende Fähigkeiten zur Einsicht in des Wesen und die Tragweite des abgeschlossenen Vertrags besessen habe, kann nicht beigepflichtet werden. Wenn es richtig ist ‑ wie das Berufungsgericht ausführte ‑ dass der Kläger keine ausreichend starke Realitätsbeziehung hatte, abnorm beeinflussbar und hilflos war, dann bedarf es einer näheren Begründung, warum der Kläger dessen ungeachtet die Fähigkeit zur Einsicht in das Wesen und die Tragweite des vorliegenden Vertrags besessen habe. Denn der Kläger musste sich vor Abschluss des Vertrags mit der Frage auseinandersetzen, ob er in der Lage sein werde, bei Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs die Pflichtteilsforderungen seiner Schwestern zu befriedigen. Dies setzte aber voraus, dass er in der Lage war, die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu beurteilen. Fehlte ihm dazu nach der konkreten Lebenssituation die Einsicht, dann kann nicht ohne Weiteres gesagt werden, er habe andererseits die Einsicht in das Wesen und die Tragweite des Betrags besessen. Diese Frage hätte daher näher erörtert werden müssen. Ohne eine solche Erörterung durfte das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, dass der Sachverständige keine verschiedenen Ansichten ausgesprochen und daher kein Anlass zur Beiziehung eines zweiten Sachverständigen bestanden habe. Es kann daher derzeit noch nicht beurteilt werden, ob der Kläger im konkreten Fall die Tragweite des Rechtsgeschäfts beurteilen konnte (Aicher in Rummel, Kommentar zum ABGB Rdz 5 zu § 21; Rummel, aaO Rdz 3 zu § 865; Koziol‑Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts6, I 46; JBl 1977, 537; MietSlg 22.068 ua). Schon aus diesem Grunde erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

Aber auch für die Beurteilung, ob eine Irreführung des Klägers oder Wucher vorliegt ‑ Die Frage des Widerrufs einer Schenkung wegen groben Undankes wird in der Revision nicht mehr aufgeworfen ‑ reichen die bisherigen Feststellungen nicht aus. Dazu bedarf es vor allem Feststellungen darüber, wie hoch der nach dem Anerbengesetz festzustellende Übernahmspreis tatsächlich gewesen wäre. Soweit dazu das Erstgericht ausführte, es bedürfe keiner Einholung eines Gutachtens, weil der vom Verlassenschaftsgericht mit 3,6 Mio S, ermittelte Übernahmspreis nicht mehr überprüft werden könne, übersah es, dass ein Übernahmspreis iSd § 11 AnerbenG weder von den Miterben im Vergleichsweg, noch durch das Verlassenschaftsgericht nach billigem Ermessen bestimmt wurde. Vielmehr haben im Verlassenschaftsverfahren die Sachverständigen ohne jede nähere Begründung einen Übernahmspreis von 3,6 Mio S (bei einem reinen Nachlass von 3.619.801,14 S) als angemessen bezeichnet. Dem Schätzungsgutachten ist auch in keiner Weise zu entnehmen, nach welchen Grundsätzen die Landwirtschaft geschätzt wurde. Dass die Sachverständigen als Erbhofsachverständige beigezogen wurden, besagt noch keineswegs, dass sie in ihrem Gutachten berücksichtigt haben, dass der Anerbe wohl bestehen kann. Unter diesen Umständen durfte die Behauptung des Klägers im Verlassenschaftsverfahren nach Franz S***** zu A 25/77 sei ein Übernahmspreis von nur 60.000 S angenommen worden (AS 110), nicht ohne nähere Erhebungen übergangen werden. Dem Berufungsgericht ist in diesem Zusammenhang beizupflichten, dass der vorliegende Vertrag nicht isoliert für sich, sondern nur im Zusammenhang mit dem Pflichtteilsverzicht der Schwestern des Klägers und dem Legatsverzicht des Beklagten beurteilt werden kann. Tatsächlich handelt es sich um ein Übereinkommen, an welchem nicht nur die Streitteile, sondern auch die Schwestern des Klägers beteiligt waren. Auch die behaupteten Kondiktionsansprüche des Beklagten könnten bei Beurteilung der behaupteten Irreführung und des Wuchers eine Rolle spielen. Auch wird zu klären sein, inwieweit dem Beklagten und den Schwestern des Klägers ein tatsächlich angemessener Übernahmspreis für die Liegenschaft bekannt sein musste.

Das bisherige Verfahren erweist sich daher als mangelhaft, weshalb in Stattgebung der Revision die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben waren und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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