OGH 1Ob514/84 (1Ob515/84)

OGH1Ob514/84 (1Ob515/84)23.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Kurt M*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Gerda M*****, vertreten durch Dr. Erhard C. J. Weber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Oktober 1983, GZ 13 R 4/83-26, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. November 1982, GZ 19 Cg 238/82-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit 6.748,92 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon 357,42 S USt und 1.920 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Rechtssache war Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 1. 6. 1983, 1 Ob 656, 657/83, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Das Berufungsgericht wiederholte und ergänzte im zweiten Rechtsgang das Beweisverfahren und stellte fest: Die Ehe der Streitteile sei durch viele Jahre hindurch harmonisch verlaufen. Seit Mitte der Siebzigerjahre betreibe der Kläger und Widerbeklagte (im Folgenden: Kläger) Die Kaffee-Konditorei „B*****" in *****; die Beklagte und Widerklägerin (im Folgenden: Beklagte) sei bei ihm bis Herbst 1980 als Serviererin beschäftigt gewesen. Bei einem Heurigenbesuch hätten die Streitteile zufällig einen Taxifahrer namens „Fredi", einen früheren Arbeitskollegen der Beklagten, getroffen, mit dessen Taxi sie in der Folge öfter gefahren seien; sie hätten ihn nach solchen Taxifahrten auch öfters in ihre Ehewohnung eingeladen. An einem Tag im Jahre 1977 habe der Kläger um ca 6:00 Uhr morgens seine Ehewohnung verlassen, um ausnahmsweise mit der Straßenbahn in sein Geschäft zu fahren, das er um 7:00 Uhr morgens öffne; die Beklagte hätte, wie es auch sonst öfters vorgekommen sei, nach Erledigung der Hausarbeiten später nachkommen sollen. In der Nähe der Ehewohnung sei dem Kläger „Fredi" mit seinem Taxi begegnet, in dem sich kein Fahrgast befunden habe. Der Kläger sei umgekehrt, zu seiner Wohnung gegangen und habe ca zwei Minuten an der Wohnungstür gelauscht; aus der Wohnung seien Stimmen vernehmbar gewesen. Der Kläger habe an der versperrten Türe geklopft, auf sein Klopfen habe die Beklagte kurze Zeit später die Tür geöffnet. Die Beklagte sei beim Weggehen des Klägers vollständig bekleidet gewesen, lediglich die oberen Knöpfe ihrer Bluse seien wie immer geöffnet gewesen. Auch „Fredi" sei vollständig bekleidet gewesen. Die Beklagte und „Fredi" hätten Kaffe oder Cognac getrunken. Die Beklagte sei über die Rückkehr des Klägers erstaunt gewesen, auch der Kläger habe sich erstaunt gegeben, als er „Fredi" gesehen habe. Der Kläger sei kurze Zeit in der Wohnung verblieben und habe beim Weggehen, „gute Unterhaltung" gewünscht. Die Beklagte sei ca eine Stunde später ins Kaffeehaus nachgekommen. Dort habe sie den Kläger gefragt, was er habe; der Kläger habe geantwortet, sie wisse es schon. Die Beklagte habe erklärt, sie sei sich keiner Schuld bewusst, habe sich aber vorsichtsweise entschuldigt. Dieser Vorfall habe jedoch nicht die Zerrüttung der Ehe eingeleitet. Die Entfremdung der Streitteile habe erst später eingesetzt, weil ihre Zuneigung erkaltet sei. Es sei immer seltener zu einem Geschlechtsverkehr gekommen, der schließlich vollständig unterblieben sei, weil die Beklagte ihn nicht mehr gewollt habe. Die Eheleute hätten auch zu streiten begonnen. Die Beklagte habe den Kläger beschimpft und gelegentlich übermäßig Alkohol konsumiert. In dieser Zeit, zum Jahreswechsel 1978/1979, hätten die Streitteile Christine A***** und deren damaligen Mann kennengelernt und sich mit ihnen angefreundet. Das Ehepaar A***** sei häufig ins Kaffeehaus des Klägers gekommen; die Streitteile hätten mit dem Ehepaar A***** auch gemeinsam gefeiert. Ab 1979 habe die Beklagte häufiger Alkohol konsumiert; beim Heurigen habe sie oft bis zu vier Viertel Liter Wein getrunken. Sie habe dies meist in Begleitung ihres Gatten getan. Der Kläger habe üblicherweise weniger Alkohol getrunken. Im Geschäft habe die Beklagte auch während der Öffnungszeiten öfters einige Gläser Weinbrand konsumiert. Nach Geschäftsschluss hätten die Streitteile mit Stammgästen und Freunden weitergetrunken; dabei habe die Beklagte gelegentlich bis zu 12 große Weinbrand konsumiert. Die Beklagte habe auch begonnen, den Kläger immer häufiger zu beschimpfen und zwar mit Worten wie „Sautrottel", „Besoffener" oder „Arschloch". Im Geschäftslokal habe sie, wenn Gäste zu bedienen waren, öfters geäußert „der Gschissene soll arbeiten". Die Beschimpfungen hätten sich in der Folge gehäuft, der Kläger habe nicht zurückgeschimpft. In dieser Zeit hätten sich der Kläger und Christine A***** näher angefreundet. Seit Anfang 1980 sei Christine A***** auch allein und vor allem dann, ins Kaffeehaus gekommen, wenn die Beklagte nicht anwesend gewesen sei. Der Kläger habe sich immer mehr von der Beklagten abgewandt und Christine A***** zugewandt; er habe begonnen, selbst im Kaffeehaus mit ihr Zärtlichkeiten auszutauschen. Christine A***** habe den Kläger auch in Abwesenheit der Beklagten in der Ehewohnung besucht. Nach einem Streit mit der Beklagten sei der Kläger im Mai 1980 heimlich aus der Ehewohnung ausgezogen und lebe seither mit Christine A***** in Lebensgemeinschaft. Seit Anfang 1981 sei Christine A***** beim Kläger beschäftigt. Die Beklagte habe noch bis Ende August 1980 im Kaffeehaus des Klägers gearbeitet. Die dauernden Differenzen wegen der Beziehung des Klägers zu Christine A***** hätten sie schließlich veranlasst, sich um eine andere Arbeit umzusehen. Die Beklagte habe vergeblich versucht, den Kläger zur Rückkehr zu ihr zu bewegen. Im Oktober 1981 habe sie Gerhard P***** kennengelernt, der seit Februar 1982 öfter in ihrer Wohnung übernachte; spätestens seit Herbst 1982 unterhalte die Beklagte mit Gerhard P***** intime Beziehungen. Auf der Grundlage dieser Feststellungen gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstrichters, das in seinem Ausspruch über die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten unangefochten geblieben war, dahin ab, dass beide Teile ein Verschulden an der Scheidung treffe. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, die Beweiswiederholung habe ergeben, dass die Beklagte den Kläger schon vor seiner Zuwendung zu Christine A***** und unabhängig davon beschimpft und ihn vor Gästen bloßgestellt habe; die Beklagte habe auch schon vor diesem Zeitpunkt mehr Alkohol konsumiert als ihr gutgetan habe. Weiters habe die Wiederholung des Beweisverfahrens ergeben, dass die Beklagte nicht nur ehewidrige, sondern seit spätestens Herbst 1982 auch ehebrecherische Beziehungen zu Gerhard P***** unterhalten habe. Fasse man die beiderseitigen Eheverfehlungen zusammen, so sei dem Kläger anzulasten, dass er durch das Verlassen der Beklagten und die Aufnahme einer Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau seine in einer Krise befindliche Ehe endgültig und völlig zerrüttet habe. Es seien aber auch der Beklagten Eheverfehlungen (Beschimpfungen, übermäßiger Alkoholgenuss) anzulasten, die für die Ehekrise mitursächlich gewesen seien; weiters falle ihr die Aufnahme ehebrecherischer Beziehungen mit Gerhard P***** zur Last, möge diese auch erst zu einem Zeitpunkt geschehen sein, zu dem die Ehe durch das Verhalten des Klägers bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei. Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehepartners am Scheitern der Ehe sei nur gerechtfertigt, wenn dessen Schuld erheblich schwerer wiege als die des anderen Teils, sodass dessen Verschulden völlig in den Hintergrund trete. Bei der Verschuldensabwägung sei auch in erster Linie ausschlaggebend, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht habe; weiters stelle nach der Rechtsprechung ein Ehebruch noch immer die schwerste Eheverfehlung dar, er sei selbst nach eingetretener Zerrüttung der Ehe nicht unbeachtlich. Demnach überwiege zwar das Verschulden des Klägers am Scheitern der Ehe, das Verschulden der Beklagten könne aber nicht als so gering angesehen werden, dass es den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers rechtfertigen könnte. Die Ehe sei daher aus dem Verschulden beider Teile zu scheiden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichts erhobenen Revision der Beklagten kommt Berechtigung nicht zu.

Der rechtlichen Beurteilung der Sache sind im Hinblick auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswiederholung und Beweisergänzung die Feststellungen des Berufungsgerichts und nicht jene des Erstrichters im ersten Verfahrensgang zugrundezulegen. Richtig ist, dass im zweiten Rechtsgang die Behauptung des Klägers, die Beziehungen der Beklagten zu einem anderen Mann hätten die Zerrüttung der Ehe eingeleitet, nicht erwiesen wurde, zumal der Kläger auf die in der Berufung beantragte Einvernahme der Zeugin Elisabeth P***** in der Folge verzichtet hat. Das Beweisverfahren hat aber - abweichend von den im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen - ergeben, dass die Beklagte den Kläger bereits vor seiner Zuwendung zu Christine A***** gröblich beschimpfte und ihn vor den Gästen bloßstellte. Es wurde während dieser Zeit auch ein übermäßiger Alkoholgenuss der Beklagten festgestellt. Diese Eheverfehlungen der Beklagten können daher auch nicht als bloße Reaktionshandlungen auf das erst nachfolgende ehewidrige Verhalten des Klägers gewertet werden. Nach der vom Berufungsgericht festgestellten zeitlichen Abfolge des Geschehensablaufs hat die Beklagte vielmehr mit ihren Eheverfehlungen, die zu einer Zeit gesetzt wurden, als der Kläger noch keine Beziehungen zu Christine A***** unterhielt, die Zerrüttung der Ehe eingeleitet. Gewiss fällt dem Kläger zur Last, dass er die Beklagte in der Folge verlassen und ehebrecherische Beziehungen zu Christine A***** aufnahm, wodurch die Ehe unheilbar zerrüttet wurde, doch hat auch die Beklagte, wenn auch zu einem Zeitpunkt, als die Ehe bereits durch das Verhalten des Klägers zerrüttet war, ehebrecherische Beziehungen mit Gerhard P***** aufgenommen. Die Abwägung der beiderseitigen Verschuldensanteile ergibt, dass der Beitrag des Klägers zur Zerrüttung der Ehe schwerer wiegt als der der Beklagten. Der Ausspruch überwiegenden Verschuldens ist aber, wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Vorentscheidung aussprach, nur dann gerechtfertigt, wenn die Schuld des einen Ehegatten erheblich schwerer ist als die des anderen und neben dem eindeutigen Verschulden des einen Teils fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 38.788, 38.787, 25.082 ua; Schwind in Klang, Komm2 I/1, 837; Schwind, Komm z österr Eherecht2 251). Dass das Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe gegenüber dem Verschulden des Klägers so eindeutig geringer wäre, kann nach den getroffenen Feststellungen nicht gesagt werden. Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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