OGH 13Os45/84 (13Os46/84)

OGH13Os45/84 (13Os46/84)10.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider (Berichterstatter), Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Brandstätter als Schriftführers in der Strafsache gegen Alfred A wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Z. 1 und 2) StGB. über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 25. April 1983, GZ. U 219/83-7, und gegen das Urteil des Kreisgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgerichts vom 29. August 1983, AZ. 9 Bl 64/83, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Knob, und des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Der am 17. Jänner 1932 geborene Versicherungsangestellte (Vertriebsbereichsleiter) Alfred A wurde mit dem am 25. April 1983 gefällten Urteil des Bezirksgerichts Ried im Innkreis (im folgenden 'Bezirksgericht' genannt), GZ. U 219/83-7, des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Z. 1 und 2) StGB. schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Ihm liegt zur Last, am 3. März 1983 in Ried im Innkreis als Lenker des Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen O - 713.277 dadurch, daß er mit seinem Fahrzeug bei Dunkelheit unbeleuchtet und auf die linke Fahrbahnhälfte fuhr, wobei er den entgegenkommenden Personenkraftwagen des Wolfgang B, Kennzeichen O 448.940, streifte, unter besonders gefährlichen Verhältnissen eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit und die körperliche Sicherheit des Letztgenannten herbeigeführt zu haben. Vor der Tat versetzte sich der Angeklagte fahrlässig durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand, obwohl er vorhergesehen hatte, daß ihm die Lenkung seines Kraftfahrzeuges, mithin eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei.

Die von Alfred A gegen diese Entscheidung ergriffene Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe wurde mit dem Urteil des Kreisgerichts Ried im Innkreis (im folgenden kurz als 'Kreisgericht' bezeichnet) vom 29. August 1983

als ungegründet zurückgewiesen (9 Bl 64/83).

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde erblickt die Generalprokuratur bezüglich der eben angeführten Urteile eine Verletzung des § 89 (§ 81 Z. 1 und 2) StGB., im Urteil des Kreisgerichts auch eine solche des § 477 Abs. 1 StPO. Sie beantragt die Aufhebung dieser Urteile und den Freispruch des Angeklagten gemäß § 259 Z. 3 StPO. (§§ 292, 288 Abs. 2 Z. 3 StPO.).

Zur Begründung führt die Generalprokuratur aus:

'Die Verwirklichung des Tatbestandes der Gefährdung der körperlichen Sicherheit gemäß dem § 89 StGB. erfordert u.a. die konkrete Gefährdung eines anderen die aber nur anzunehmen ist, wenn infolge des Verhaltens des Täters eine Situation geschaffen oder erhalten wird, die nicht bloß allgemein, sondern auch und gerade im besonderen Fall die Möglichkeit eines schädlichen Erfolgs besorgen läßt, die mithin typischerweise dem Eintritt einer Körperverletzung vorangeht (und diesen erfahrungsgemäß erwarten läßt), wobei es nur noch von unberechenbaren und unvorhersehbaren Umständen - also vom Zufall - abhängt, ob eine solche Verletzung auch wirklich eintritt. Die Herbeiführung einer bloß abstrakten Gefahr reicht nicht aus. Ob aber eine konkrete Gefahr herbeigeführt wurde, ist ex post und nach einem objektiven Standpunkt zu beurteilen (vgl. Leukauf- Steininger, Komm. zum StGB. 2 , § 89, RN. 6 und die dort zitierte Judikatur; Kienapfel, BT I, RN. 468; LSK. 1982/170). Im vorliegenden Fall hat nun das Erstgericht weder Feststellungen getroffen, welche die Annahme einer konkreten Gefährdung des Wolfgang B in der entwickelten Bedeutung rechtfertigen könnten, noch wäre es den Beweisergebnissen zufolge möglich gewesen, derartige Feststellungen zu treffen. Wolfgang B hat von Anfang an angegeben, daß sein PKW. bei einer Geschwindigkeit von ca. 20 bis 30 km/h nur gestreift wurde, daß er angegurtet war und daß er keinerlei Verletzungen erlitt (S. 13, 27, 51). Die bei der Streifkollision entstandenen PKW-Beschädigungen sind als gering zu bezeichnen (vgl. insbesondere die Lichtbilder S. 31). Auch dafür, daß Wolfgang B einen sonst drohenden Frontalzusammenstoß etwa nur durch eine Vollbremsung oder durch ein 'Verreißen' seines Fahrzeugs verhindert hätte und solcherart einer ihm andernfalls drohenden Körperverletzung nur durch seine besondere Reaktionsfähigkeit oder durch Zufall entgangen wäre, bietet der Akteninhalt keinen Anhaltspunkt.

Damit führt aber die objektiv - nachträgliche Beurteilung der Gefahrenlage zu dem Ergebnis, daß im Zuge des Unfallsgeschehens lediglich eine abstrakte Gefährdung des Wolfgang B gegeben war. Die bloße Verletzungsmöglichkeit bei einem anderen Handlungsablauf muß hingegen als Hypothese bei der Beurteilung des tatsächlichen Unfallsgeschehens, bei dem keineswegs typischerweise mit einer Körperverletzungsfolge des Wolfgang B zu rechnen war, außer Betracht bleiben.

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhalts wäre Alfred A demnach - mangels konkreter Gefährdung des Wolfgang B (oder einer anderen Person) - schon vom Erstgericht freizusprechen gewesen.

Es war aber auch die Entscheidung des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht verfehlt, das keinen Anlaß zu einer Maßnahme nach dem § 477 Abs. 1 StPO. - in der Berufung des Angeklagten wurde die Frage der konkreten Gefährdung des Wolfgang B oder einer anderen Person nicht aufgegriffen - fand, somit der Sache nach eine unrichtige Anwendung des Strafgesetzes zum Nachteil des Alfred A verneinte und demnach die durch das Erstgericht erfolgte rechtliche Beurteilung der dem Alfred A angelasteten Tat als das Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit ersichtlich als zutreffend ansah (vgl. hiezu 13 0s 49-53/73, 9 0s 168, 169/81).' Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Rechtsfrage der konkreten Gefährdung des Wolfgang B kann auf Grund des in den Urteilen erster und zweiter Instanz ohnehin enthaltenen Tatsachensubstrats beantwortet werden.

Für die Strafbarkeit der Herbeiführung einer konkreten Gefahr genügt es, daß der Täter durch sein Verhalten eine außergewöhnlich hohe Unfallswahrscheinlichkeit (fahrlässig) verschuldet hat, wobei die solcherart qualifizierte Gefährdung einer einzigen Person zur Tatbestandsmäßigkeit ausreicht. In der sehr hohen Unfallswahrscheinlichkeit liegt aber zugleich auch das wesentliche Merkmal der konkreten Gefährdung. Es wird daher zu quantifizieren sein: Ist im Normalfall typischerweise mit dem Eintritt einer Verletzung zu rechnen, liegt eine konkrete Gefahr vor; wurde durch das Täterverhalten jedoch die Situation gegenüber dem Normalfall deutlich verschärft, werden besonders gefährliche Verhältnisse (§ 81 Z. 1 StGB.) anzunehmen sein (Leukauf- Steininger, Komm. 2 , RN. 5 zu § 89 StGB.).

Diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, bedeuten, daß das Unterbleiben einer Körperverletzung des Wolfgang B nur einem Zufall zu verdanken ist, denn es liegt auf der Hand, daß die Streifung des entgegenkommenden Fahrzeugs auf dessen Fahrbahnhälfte geeignet ist, dieses Fahrzeug aus der Fahrbahn zu bringen und dadurch einen Unfall herbeizuführen (vgl. EvBl. 1957 Nr. 196). Bei dieser Beurteilung ist nicht nur die mit 20 bis 30 km/h festgestellte Geschwindigkeit B` S zu berücksichtigen, sondern auch jene des Angeklagten, die aufgrund des Weges seines Fahrzeuges nach der Streifung (Fahren gegen eine Eisenbahnböschung und einen Wegweiser - § 53 Abs. 1 Z. 13 b StVO. - nach einer Vollbremsung - S. 7, 13, 19, 33;

59/60 des bezirksgerichtlichen Akts) ersichtlich nicht unbeträchtlich war.

Eine ziffernmäßige Urteilsfeststellung über die vom Angeklagten im Unfallszeitpunkt eingehaltene Geschwindigkeit fehlt sowohl dem Urteil des Bezirksgerichts als auch dem des Kreisgerichts. Berücksichtigt man ferner, daß der - wie noch auszuführen sein wird, im Sinn des § 81 Z. 2 StGB. alkoholisierte - Angeklagte bei Dunkelheit ohne Kraftfahrzeugbeleuchtung die Mitte der 6,4 m breiten Fahrbahn der (schlecht beleuchteten - siehe S. 11 des bezirksgerichtlichen Akts) Roseggerstraße fast mit der gesamten Breite seines Fahrzeuges überschritt (vgl. S. 59 des bezirksgerichtlichen Akts), gelangt man zu dem Ergebnis, daß die Situation durch das Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Normalfall deutlich verschärft wurde, sodaß auch das Vorliegen besonders gefährdeter Verhältnisse (§ 81 Z. 1 StGB.) zu bejahen ist. Die Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit in der Bedeutung des Par 81 Z. 2 StGB., wonach ein Rauschzustand schon dann vorliegt, wenn durch Genuß von Alkohol die Fahrtüchtigkeit derart beeinträchtigt ist, daß dies eine Gefahrenquelle bedeutet (vgl. die bei Mayerhofer-Rieder unter Nr. 14 und 24 zu § 81 StGB. 2 zitierten Entscheidungen) ergibt sich aus den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen eindeutig. Diese beruhen - aktenmäßig gedeckt - auf den Angaben der erhebenden Gendarmeriebeamten, die einen deutlichen Alkoholgeruch und einen schwankenden Gang des Angeklagten wahrnahmen; er selbst machte zu den Gendarmeriebeamten die Bemerkung: '........ der A fährt einmal angesoffen und schon ist der Führerschein weg' (s.S. 60/61 des bezirksgerichtlichen Akts und die dort enthaltenen Hinweise). Daß der Alkoholgenuß infolge Medikamenteneinnahme die Herbeiführung des vom Erstgericht - mängelfrei - festgestellten Rauschzustandes noch förderte, vermag den Angeklagten, der vor Antritt der Fahrt (mindestens) einen halben Liter Bier getrunken hatte (siehe dazu S. 85 des bezirksgerichtlichen Akts) und nach dem Unfallsereignis ohne Begründung den Alkotest verweigerte (siehe S. 13 unten des bezirksgerichtlichen Akts), nicht zu exkulpieren, zumal sich aus dem Akteninhalt kein faßbarer Anhaltspunkt für die Annahme ergibt, daß dem Angeklagten die Wirkung von Alkohol bei Medikamenteneinnahme nicht bekannt gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Bezirksgericht gefällte Schuldspruch des Angeklagten wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Z. 1 und 2) StGB. erweist sich daher als ebenso rechtsrichtig wie - im Ergebnis -

das bestätigende Urteil des Kreisgerichts. Diesem kann daher ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 477 Abs. 1 StPO. nicht vorgeworfen werden. Auch von der Generalprokuratur behauptete Feststellungsmängel haften den in Rede stehenden Urteilen nicht an. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage war es nicht erforderlich, im Rahmen des Berufungsverfahrens ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen und in der Rechtsmittelentscheidung zu verwerten. Demgemäß ist die dem Kreisgericht unterlaufene, von der Generalprokuratur nicht gerügte Verletzung der - auch im Berufungsverfahren anzuwendenden - Vorschrift des Par 258 Abs. 1 StPO. (siehe § 474 StPO.), wonach das Gericht bei Urteilsfällung nur auf das Rücksicht zu nehmen hat, was in der (Berufungs-) Verhandlung vorgekommen ist, und Aktenstücke (hier: das medizinische Sachverständigen-Gutachten ON. 11 des bezirksgerichtlichen Akts) nur insoweit als Beweismittel dienen können, als sie bei der (Berufungs-) Verhandlung verlesen wurden, bedeutungslos. Wie sich aus dem über die Berufungsverhandlung aufgenommenen Protokoll (ON. 13 des bezirksgerichtlichen Akts) ergibt, wurde nämlich das Gutachten ON. 11 nicht verlesen. Aus den aufgezeigten Gründen war die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen.

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