OGH 9Os192/83

OGH9Os192/837.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Mai 1984 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger (Berichterstatter), Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gartner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl A wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 13. Juli 1983, GZ 5 Vr 3610/82-68, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Knob, und des Verteidigers Dr. Guido Held, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde der nunmehr 46-jährige Karl A des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt, weil er sich am 5. November 1982 in Graz in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen ließ, seine Lebensgefährtin Renate B durch Versetzen eines heftigen Stichs mit einem Küchenmesser gegen den Nacken und durch länger dauerndes Würgen am Hals zu töten. Die Geschwornen hatten die an sie gerichtete (anklagekonforme) Hauptfrage I nach dem Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB) einstimmig verneint, hingegen die entsprechende Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB) ebenso einstimmig bejaht.

Die Staatsanwaltschaft bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 1 und 6 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Als Verfahrensmangel im Sinne des erstbezeichneten Nichtigkeitsgrundes macht sie geltend, die Geschwornenbank sei nicht gehörig besetzt gewesen, weil eine der Hauptgeschwornen - was der Beschwerdeführerin erst nach der Hauptverhandlung zur Kenntnis gelangt sei - infolge zweier rechtskräftiger Verurteilungen wegen im § 2 Abs. 1 Z 8 lit. a des Geschwornen- und Schöffenlistengesetzes (GSchLG) angeführter strafbarer Handlungen zum Amt eines Geschwornen unfähig sei.

Rechtliche Beurteilung

Richtig ist, daß die Unfähigkeit von Geschwornen (die an der Verhandlung und Urteilsfällung beteiligt waren) zum Geschwornenamt im Sinne des § 2

GSchLG grundsätzlich eine Nichtigkeit gemäß § 345 Abs. 1 Z 1 StPO bewirken kann (vgl. SSt 27/3, 35/7; EvBl. 1972/35 u.a.). Im vorliegenden Fall werden von der Beschwerdeführerin für eine solche Unfähigkeit zwei (nicht getilgte) Verurteilungen der betreffenden Hauptgeschwornen wegen im § 2 Abs. 1 Z 8

lit. a GSchLG (idF des Art VIII StRAG) aufgezählter strafbarer Handlungen ins Treffen geführt. Die in Rede stehenden Verurteilungen unterliegen allerdings (im Hinblick auf die verhängten Strafen, und zwar im ersten Fall einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und im zweiten Fall einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einer Woche) gemäß § 6 Abs. 2 lit. b und Abs. 6 TilgG den im § 6 Abs. 1 leg. cit. normierten Auskunftsbeschränkungen. Die Verurteilte war deshalb gemäß § 6 Abs. 5 TilgG im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Geschworne im gegenständlichen Verfahren weder verpflichtet, diese Verurteilungen anzugeben, noch durften diese - von den (hier nicht in Betracht kommenden) Fällen des § 6 Abs. 1 lit. a und b TilgG abgesehen - in die Auskünfte des Strafregisteramts aufgenommen werden. Da gemäß § 2 Abs. 1 Z 8 GSchLG die Unfähigkeit zum Amt eines Geschwornen (oder Schöffen) dann nicht eintritt (arg: '... es wäre denn ...'), wenn die Verurteilung schon getilgt oder 'ihre Aufnahme in Ausfertigungen der Strafkarte durch eine gesetzliche Vorschrift untersagt' ist, worunter nach der ratio des Gesetzes nicht nur die Verbote des zur Zeit der Erlassung des Geschwornen- und Schöffenlistengesetzes geltenden § 6 Abs. 3 und 4 StRegV 1933 bzw. des jetzt geltenden § 11 Abs. 1 zweiter Fall StRegG fallen, sondern auch die Fälle der beschränkten Auskunft gemäß § 6 Abs. 2 TilgG, war die betreffende Geschworne bei der gegebenen Sachlage zum Geschwornenamt nicht unfähig, sodaß von einer mangelhaften Besetzung des Gerichtes (wegen Unfähigkeit einer Geschwornen zu diesem Laienrichteramt) nicht gesprochen werden kann.

Den Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO erblickt die Staatsanwaltschaft darin, daß den Geschwornen eine Eventualfrage nach Totschlag gestellt wurde, obgleich es selbst bei Unterstellung der Richtigkeit der in dieser Beziehung in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen jedenfalls an der allgemeinen Begreiflichkeit einer allfälligen heftigen Gemütsbewegung des Angeklagten fehle.

Auch diese Rüge erweist sich als nicht zielführend. Der im § 76 StGB vorausgesetzte, für das spontane Fassen des Tatentschlusses kausale und zum Tatzeitpunkt noch nicht abgeklungene (vgl. ÖJZ-LSK 1977/95 u.a.) Affekt des Täters muß einerseits tiefgreifend und andererseits (als objektives Kriterium) allgemein begreiflich sein. Dieses (sittliche) Verständlichsein für jedermann muß jedoch nicht die Tat selbst (als Folge des psychischen Ausnahmezustandes des Täters) und noch viel weniger ihre im Einzelfall besonders abstoßende oder grausame Ausführung betreffen, sondern die konkrete Gemütsbewegung des Täters im Verhältnis zu dem sie herbeiführenden Anlaß, und zwar in ihrer gesamten den Täter letzten Endes zur vorsätzlichen Tötung eines Menschen hinreißenden Dimension und Dynamik, also einschließlich ihrer tatkausalen Heftigkeit. Es muß sich um eine so entstandene Gemütsbewegung handeln, daß sich ein rechtsgetreuer Durchschnittsmensch vorzustellen vermag, auch er wäre in der psychischen Spannung, welcher der Täter ausgesetzt war, zwar unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles, jedoch unter Vernachlässigung solcher Faktoren, die ihre Ursache nur in einer psychisch abnormen Persönlichkeitsstruktur des Täters haben, in einen derartigen seelichen Zustand geraten (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar 2 § 76 RN 5 und die dort zitierte Judikatur; Kienapfel, BT I, RN 47 bis 49; weiters EvBl. 1982/80, EvBl. 1982/167 u. a.).

Für die behauptete Nichtigkeit (wegen Verletzung der Vorschrift über die Eventualfragestellung / § 314 StPO / ) ist nun aber nicht die (in der Folge von den Geschwornen allerdings bejahte) Frage von Bedeutung, ob sich der Angeklagte wirklich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung in der entwickelten Bedeutung zur Tat hinreißen ließ, sondern lediglich der Umstand, ob in der Hauptverhandlung - wenn auch nur mittelbar durch die darin vorgeführten Beweismittel (vgl. ÖJZ-LSK 1980/182 = EvBl. 1980/222) - Tatsachen vorgebracht wurden, die - wären sie im Sinne des § 314 Abs. 1 StPO erwiesen - eine solche Gemütsbewegung wenigstens in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken würden (vgl. EvBl. 1978/119 u. a.).

Letzteres traf jedoch der von der Staatsanwaltschaft vertretenen Ansicht zuwider zu: Nicht nur aus der eigenen - wenngleich in der Hauptverhandlung einen Tötungsvorsatz leugnenden - Verantwortung des Angeklagten selbst, sondern vor allem aus den Gutachten der beiden psychiatrischen Sachverständigen Dr. Richard C (S 306 ff/II in Verbindung mit ON 38) und Doz.Dr.Otto D (S 305/II in Verbindung mit ON 43) geht nämlich hervor, daß gute Gründe für eine ungeplante Tat aus der aktuellen Situation heraus, und zwar im Kulminationspunkt einer Phase spannungsreicher Instabilität der Partnerbeziehung, sprachen, wobei (auch) ein eher unentschiedenes Verhalten des Opfers mit Wechselspiel von Zewürfnis und Versöhnung eine Role spielte und nicht auszuschließen ist, daß der reaktiv-, situations-, aber auch persönlichkeitsbedingte Tatentschluß des allem Anschein nach die Situation subjektiv als ausweglos betrachtenden und deshalb zunächst einen ernsthaften Selbstmordversuch unternehmenden Angeklagten in einer plötzlichen Entladung aufgestauter Gefühle gewissermaßen über den Täter 'hereinbrach'.

So gesehen war aber die bemängelte Fragestellung sehr wohl indiziert, weshalb die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.

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