OGH 6Ob534/83

OGH6Ob534/8312.4.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Genossenschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Adolf Lientscher, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei P***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Karl Zingher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Teilkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 12. Oktober 1982, GZ R 445/82-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 28. Juni 1982, GZ C 1592/80-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.416,70 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 171,90 S USt und 96 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die V***** Genossenschaft mbH (nunmehr V***** Genossenschaft mbH) hat das Haus S*****, K*****gasse ***** im Jahre 1967 erworben. Die Beklagte hat mit Mietvertrag vom 27. 6. 1960 das in diesem Hause befindliche Geschäftslokal, bestehend aus einem Verkaufslokal, einem Vorraum, einem Keller und einer Haustorpassage gemietet. Das Geschäftslokal der Beklagten liegt an der Ecke K*****gasse, wo sich auch der Geschäftseingang befindet. In der K*****rgasse schließt sich an das Geschäftslokal der Beklagten das Mietobjekt der Firma H***** an. Neben diesem befindet sich die streitgegenständliche Haustorpassage. Die Klägerin hat im Hause K*****gasse ***** die Abteilung für EDV, Organisation und Innenrevision untergebracht. In die so genutzten Räume kommt man nur durch die streitgegenständliche Passage. Der derzeit zur Gänze im Geschäftslokal der Klägerin in der B*****gasse - nicht im streitgegenständlichen Haus - untergebrachte Kundenbereich muss geteilt werden. Der für die selbständig erwerbstätigen Bankkunden bestimmte Geschäftsbereich wird in Räumlichkeiten im Hause K*****gasse ***** angesiedelt und der gesamte Kundenverkehr im zweiten Stock abgewickelt werden. Für diese Kunden ist die Anbringung eines Nachttresors und einer Anzahl von Schließfächern unbedingt erforderlich. Derzeit hat die Klägerin in der B*****gasse einen Nachttresor und 40 Schließfächer. Sie benötigt aber insgesamt etwa 200 Schließfächer und einen eigenen Nachtresor für das Haus K*****gasse *****. Sie kann mit den Räumen in der B*****gasse nicht mehr das Auslangen finden, weil das Geschäftsvolumen und der Kundenverkehr stark zugenommen haben. Die Klägerin benötigt allein für eine Kassenhalle einen Raum mit ca 600 m2, während ihr in der B*****gasse lediglich 240 m2 zur Verfügung stehen. Während einer gänzlichen Umgestaltung der Räumlichkeiten in der B*****gasse wird der gesamte Geschäftsbetrieb der Klägerin im Hause K*****gasse ***** abgewickelt werden. Eine entsprechende Kennzeichnung des Hauses K*****gasse ***** als Bankhaus ist unbedingt erforderlich.

Mit der am 15. 12. 1980 beim Erstgericht eingelangten Teilkündigung kündigte die Klägerin die Haustorpassage des Hauses K*****gasse ***** mit den darin angebrachten Vitrinen zum 31. 3. 1981 auf und macht als Kündigungsgrund Eigenbedarf gemäß § 22 MG geltend. Dazu führte sie aus: Sie benötigt die Haustorpassage, weil ihr einerseits die Baubehörde die Beseitigung der dort befindlichen Vitrinen zur Auflage machen werde, wenn sie die Räumlichkeiten im Hause K*****gasse umbaue, um sie für geschäftliche Zwecke nutzen zu können, und weil es andererseits unzumutbar wäre, dass der einzig mögliche Zugang zu den Geschäftsräumlichkeiten der Klägerin im Hause K*****gasse ***** von Vitrinen der Beklagten gesäumt würde.

Die Beklagte erhob rechtzeitig Einwendungen und bestritt das Vorliegen eines dringenden Eigenbedarfs.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagte zur Räumung der Passage. Es bejahte das Vorliegen der Voraussetzung des § 31 Abs 1 MRG, der hier anzuwenden, im Übrigen aber identisch mit § 22 Abs 1 MG sei, und führte aus: Der danach erforderliche Notstand sei darin gelegen, dass für die Klägerin ohne den von den Vitrinen der Beklagten in Anspruch genommenen Platz in der Passage keine Möglichkeit bestünde, die erforderlichen Schließfächer samt Nachttresor anzubringen und nur eine geringe Möglichkeit bestünde. Die Möglichkeiten, das Bankhaus als solches entsprechend zu beschildern, seien „äußerst gering“. Die mit einem gelegentlichen Öffnen der Vitrinen verbundene Einschränkung der Bewegungsfreiheit in der Passage könnte möglicherweise auch verschiedene Bankkunden zum Wechsel des Instituts bewegen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten Folge, hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 2.000 S übersteige.

Es vertrat die Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Bestimmungen des Mietengesetzes und nicht jene des Mietrechtsgesetzes anzuwenden seien, dieser Umstand aber wegen der Übereinstimmung der Bestimmungen des § 31 Abs 1 MRG und des § 22 Abs 1 MG nur theoretische Bedeutung habe. Das Erstgericht habe zu Recht die Frage der Rechtswirksamkeit der Aufkündigung nach den Bestimmungen über den Kündigungsschutz geprüft. Nach den Feststellungen sei zwar die Gefahr einer gewissen Beeinträchtigung des Geschäftsbetriebs der Klägerin gegeben, da sie über die Passage nicht nach Gutdünken verfügen könne und ihr insbesondere die Anbringung von Schließfächern mit einem Nachttresor oder einer entsprechenden auffälligen Beschilderung im Hauseingangsbereich verwehrt sei. Alle vom Erstgericht angeführten Umstände reichten aber nicht für die Annahme aus, durch die Unwirksamerklärung der Teilkündigung bestünde für die Klägerin ein existenzbedrohender Notstand. Der Kündigungsgrund des § 22 Abs 1 MG sei daher nicht gegeben. Der fehlende Eigenbedarf könne nicht durch eine Interessenabwägung ersetzt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Was zunächst die Frage betrifft, ob im vorliegenden Fall das Mietengesetz oder das Mietrechtsgesetz anzuwenden ist, hat der Oberste Gerichtshof schon mehrmals ausgesprochen, die Bestimmung des § 48 Abs 1 MRG, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Mietrechtsgesetzes (1. 1. 1982, § 58 Abs 1 MRG) bei Gericht anhängige Verfahren nach den bisher in Geltung gestandenen Vorschriften „durchzuführen“ sind, bedeute, dass auch die bisherigen materiell-rechtlichen Vorschriften weiterhin anzuwenden sind (1 Ob 711/82; 1 Ob 830/82; 5 Ob 797/81 ua). Von dieser Auffassung abzugehen, besteht kein Anlass. Dies bedeutet, dass entgegen der von der Klägerin in der Revision vertretenen Ansicht die vorliegende Rechtssache nach § 22 Abs 1 MG zu beurteilen ist.

Wenn auch die Klägerin bei ihren weiteren Ausführungen dem Berufungsgericht vorwirft (Punkt 1 der Revision), es habe zu Unrecht das Vorliegen eines Notstands verneint, so zeigen die übrigen Revisionsausführungen, dass die Klägerin das Vorliegen eines Notstands im Sinne der Existenzgefährdung gar nicht behauptet, sondern vielmehr die Auffassung vertritt, im vorliegenden Fall genüge zur wirksamen Teilkündigung ein erheblicher geschäftlicher Nachteil, der nach sofortiger Behebung verlange und nicht anders als durch die Kündigung der Nebenflächen abgewendet werden könnte. Es sei nicht gerechtfertigt, die von der Rechtsprechung für Fälle der Kündigung des gesamten Mietgegenstands entwickelte und auf die Teilkündigung von „Hauptbestandsteilen des Mietgegenstandes“ übertragene Auslegung des Begriffs „dringender Eigenbedarf“ im Sinne existenzieller Gefährdung auf die Teilkündigung von Nebenflächen zu übertragen. Dies würde, weil bei dringendem Bedarf eines Vermieters an den Nebenflächen selbst eine unmittelbare Existenzgefährdung seines Unternehmens kaum gegeben sein werde, eine Vereitelung solcher Teilkündigungen bedeuten.

Diesen Ausführungen kann nicht zugestimmt werden. Der Bestimmung des § 22 Abs 1 MG kann nicht entnommen werden, dass der darin verwendete Begriff des dringenden Eigenbedarfs je nach Art des von der Teilkündigung betroffenen Teils des Mietgegenstands ein verschiedener sein sollte. Es mag sein, dass bestimmte „Teile“ eines Bestandgegenstands kaum eine solche Bedeutung haben können, dass ihr Verbleiben bei dem Bestandobjekt die Existenz des Vermieters bedrohen könnte. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass, um in solchen Fällen trotzdem eine Teilkündigung zu ermöglichen, die Voraussetzungen hiefür verringert werden und der Begriff „dringender Eigenbedarf“ anders verstanden wird. Dem Sinne des § 22 Abs 1 MG als Kündigungsschutzbestimmung entspricht es vielmehr, den dringenden Eigenbedarf auch in solchen Fällen nach ebenso strengen Maßstäben wie sonst zu messen und die Teilkündigung abzulehnen, wenn die Umstände des Einzelfalls diesen Maßstäben nicht entsprechen.

Ist somit auch im vorliegenden Fall als Voraussetzung für die Berechtigung der Teilkündigung ein Notstand zu fordern, der nicht anders als durch die Aufkündigung behoben werden könnte, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl MietSlg 31.476, 32.429 ua), liegt keine Fehlbeurteilung vor, wenn das Berufungsgericht den festgestellten Sachverhalt nicht als dringenden Eigenbedarf iSd § 22 Abs 1 MG beurteilt hat. Denn die Behinderung der Ausweitung des Geschäftsbetriebs der Klägerin kann nicht als Notstand im Sinne der ständigen Rechtsprechung angesehen werden.

Aus diesen Erwägungen war der Revision der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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