Spruch:
In der Strafsache gegen Albert A wegen Vergehens nach § 287 Abs. 1
(§ 15, 269 Abs. 1 2. Fall; 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 4) StGB, AZ 10 Vr 907/83 des Kreisgerichtes Krems an der Donau, verletzt das Urteil dieses Gerichtes vom 5. Jänner 1984, ON 17, durch den Ausspruch zu Punkt 2) des Urteilstenors, Albert A habe am 4. November 1983 in Kirchberg am Walde im Rausch dadurch, daß er den Gendarmeriebeamten Ferdinand B während und wegen der Erfüllung seiner Pflichten am Körper mißhandelte und ihm hiedurch fahrlässig eine Verletzung, nämlich eine blutende Wunde am linken Zeigefinger zufügte, eine Handlung begangen, die ihm außer diesem Zustand als Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 4 StGB zugerechnet würde, und er habe hiedurch das Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1
StGB auch mit Beziehung auf die vorerwähnte Straftat begangen, das Gesetz in den Bestimmungen der § 83 Abs. 2 und 84 Abs. 2 Z 4 StGB
Das Urteil wird in dem bezeichneten Ausspruch sowie im Strafausspruch einschließlich des Ausspruches über die Anrechnung der Vorhaft aufgehoben. Für das ihm weiterhin zur Last liegende Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (in Beziehung auf § 15, 269 Abs. 1) StGB wird der Angeklagte Albert A nach § 287 Abs. 1 StGB zu 18 Monate Freiheitsstrafe verurteilt.
Gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB wird ihm die Vorhaft vom 4. November 1983, 23.15 Uhr, bis 5. Jänner 1984, 16.40 Uhr, auf die Strafe angerechnet.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
I. Aus dem Akt 10 Vr 907/83 des Kreisgerichtes Krems an der Donau ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Schöffengerichtes vom 5. Jänner 1984 (ON 17) wurde der am 1. Juni 1955 geborene Schlosser Albert A des Vergehens der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB (§ 15, 269 Abs. 1
erster - richtig: zweiter - Fall; 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 4 StGB) schuldig erkannt. Darnach hat er sich am 4. November 1983 (in Wien und Gmünd), wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch in Kirchberg am Walde 1) Beamte mit Gewalt und durch gefährliche Drohung an Amtshandlungen, nämlich seiner Festnahme, Anhaltung und überstellung in das Gefangenenhaus des Kreisgerichtes Krems an der Donau, zu hindern versucht, indem er sich nach seiner Festnahme und Abführung zum Gendarmerieposten Kirchberg am Walde von den ihn festhaltenden Gendarmeriebeamten losriß, den Gendarmeriebezirksinspektor Ferdinand B an der Uniform packte und zu Boden zu zerren versuchte, den Beamten damit drohte, er werde sie alle umbringen und vernichten und auch ihre Frauen und Kinder umbringen, und schließlich auch noch während der Eskorte nach Krems an der Donau gleichartige Drohungen äußerte;
2) durch die unter 1) angeführte Gewalttätigkeit den Gendarmeriebeamten Ferdinand B während und wegen der Erfüllung seiner Pflicht am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig verletzt, nämlich eine blutende Wunde am linken Zeigefinger zugefügt, mithin Handlungen begangen, die ihm außer diesem Zustand als die Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung zugerechnet würden.
Nach den diesem Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen versetzte sich der Angeklagte am 4. November 1983 durch Genuß erheblicher Mengen von Bier und Cola-Rum in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch. In diesem Zustand wurde er von Gendarmeriebeamten einer Funkpatrouille in Kirchberg am Walde angetroffen, denen gegenüber er sich unter Beschimpfungen weigerte, in die Gendarmeriepostenkanzlei mitzukommen und zu dem gegen ihn (von einem Discothekenbesitzer) erhobenen Vorwurf der Sachbeschädigung Stellung zu nehmen. Nachdem seine Festnahme ausgesprochen worden war, wurde er gewaltsam in die Postenkanzlei gebracht. Dort riß er sich plötzlich los, erfaßte den Gendarmeriebezirksinspektor B an der Uniform und suchte ihn zu Boden zu zerren. Den beiden Kollegen des Genannten gelang es jedoch, die Hände des Angeklagten von der Uniform zu lösen und dem Angeklagten Handschellen anzulegen. Durch diese Tätlichkeit wurde Bezirksinspektor B am linken Zeigefinger leicht verletzt (S 89). Der Angeklagte handelte dabei mit dem Willen, 'eine Abstandnahme von seiner Festnahme bzw. Anhaltung zu erreichen' (S 91).
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil wird lediglich vom Angeklagten mit Be rufung wegen des Ausspruchs über die Strafe bekämpft, über welches Rechtsmittel bisher noch nicht entschieden worden ist.
II. Der Schuldspruch wegen Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung ist - wie die Generalprokuratur in ihrer deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Ergebnis zutreffend aufzeigt - insoweit mit materieller Nichtigkeit im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 10 StPO behaftet und demnach gesetzwidrig, als dem Angeklagten die Verwirklichung des bezeichneten Vergehens auch durch Begehung einer schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 4 StGB in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand angelastet worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B SSt 47/35) erfüllt nicht jede Verletzung eines Beamten im Verlaufe eines tätlichen Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 269 Abs. 1 StGB) schon zwangsläufig auch den Tatbestand der schweren Körperverletzung nach § 83, 84 Abs. 2 Z 4 StGB Damit dem Täter dieses Vergehen (im eintätigen Zusammentreffen mit dem Vergehen nach § 269 Abs. 1 StGB) angelastet werden kann, muß vielmehr feststehen, daß er mit Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz gegen den Beamten vorgegangen ist (Par 83 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB). An diesem Erfordernis der Erfüllung des subjektiven Tatbestands der Körperverletzung ändert sich auch dann nichts, wenn die Tat im Zustand voller Berauschung begangen worden ist. Denn die sogenannte Rauschtat ist zwar im Rahmen des Deliktsaufbaus des Vergehens nach § 287 Abs. 1 StGB eine außerhalb dessen Tatbestands liegende zusätzliche (objektive) Strafbarkeitsbedingung; sie muß aber den gesamten Tatbestand des betreffenden Deliktstypus erfüllen, somit bei einem Vorsatzdelikt sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand. Daß dies erforderlich ist, folgt aus der gesetzlichen Formulierung der Strafbarkeitsbedingung in § 287 Abs. 1 StGB: Vorausgesetzt wird, daß der Täter im Vollrausch alle Merkmale der betreffenden mit Strafe bedrohten Handlung erfüllt und diese (als solche) allein deshalb nicht bestraft werden kann, weil es infolge des Vollrauschs an der Schuld des Täters (an dessen Zurechnungsfähigkeit) fehlt. Fehlende Schuld schließt aber vorsätzliches Handeln nicht aus; vorsätzlich handeln kann grundsätzlich jeder strafrechtlich Handlungsfähige, daher auch ein im Vollrausch Befindlicher ebenso wie ein Strafunmündiger, sodaß auch beim Volltrunkenen eine tatbestandsbezogene Vorstellung und ein tatbestandsbezogenes Wollen vorliegen kann.
Die nach dem Gesagten auch für die Unterstellung des inkriminierten Tatverhaltens (§ 83 Abs. 2, 84 Abs. 2 Z 4 StGB) unter die Strafbestimmung des § 287 Abs. 1 StGB erforderliche Konstatierung eines Handelns mit Mißhandlungsvorsatz ist im vorliegenden Urteil nicht getroffen worden. Ein derartiger Vorsatz ergibt sich auch nicht zwangsläufig aus dem äußeren Verhalten des Angeklagten, denn bei dem Versuch, einen Beamten (im Zuge eines tätlichen Widerstands) zu Boden zu zerren, handelt es sich keineswegs um ein derart charakteristisches Verhalten eines mit Mißhandlungsvorsatz vorgehenden Täters, daß es der ausdrücklichen Feststellung eines solchen Vorsatzes nicht bedurft hätte.
Nach der Aktenlage könnten die fehlenden Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des § 83 Abs. 2 StGB auch in einem neuen Rechtsgang nicht nachgeholt werden.
Einer Beurteilung des zur Verletzung des Gendarmeriebeamten führenden Verhaltens des Angeklagten nach § 88 Abs. 1 StGB steht entgegen, daß die Tat erkennbar (S 66) keine drei Tage übersteigende Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit nach sich gezogen hat und Anhaltspunkte für ein schweres Verschulden im Sinne des § 88 Abs. 2 StGB mangels eines Hinweises auf die konkrete Art der Zufügung der eher atypischen Bagatellverletzung nicht gegeben sind (vgl. 9 0s 22/76; Leitsatz veröffentlicht in ÖJZ-LSK 1976/280). Zur Vermeidung der Nachteile, die der Angeklagte insbesondere wegen des höheren Unrechtsgehaltes eines mehrere Grundtatbestände verdeckenden Vergehens nach § 287 Abs. 1 StGB zu gewärtigen hätte (vgl. abermals SSt 47/35), war gemäß § 292 letztem Satz StPO das Urteil im Ausspruch, wonach dem Angeklagten Albert A das Vergehen nach § 287 Abs. 1 StGB auch mit Beziehung auf eine im Rausch begangene schwere Körperverletzung zur Last liegt, sowie im Strafausspruch aufzuheben und nach Ausschaltung des erwähnten Teiles des Schuldspruches die Strafe für das dem Angeklagten weiterhin zur Last liegende Vergehen nach § 287 Abs. 1 StGB (in Beziehung auf § 15, 269 Abs. 1 2. Fall StGB) neu zu bemessen.
Hiebei waren erschwerend die Vorverurteilungen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (welche die Voraussetzungen des § 39
StGB erfüllen würden) und der überaus rasche Rückfall, mildernd hingegen das Geständnis und der Umstand, daß die Tat beim Versuch geblieben ist. Die aus dem Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe trägt den im § 32 StGB normierten allgemeinen Grundsätzen für die Strafbemessung Rechnung, wird dem von der Schuld des Angeklagten umfaßten tatsächlichen Unrechtsgehalt der Tat gerecht und nimmt auch auf die - durch die offenbare Erfolglosigkeit selbst empfindlicher Abstrafungen gekennzeichnete - Täterpersönlichkeit des Angeklagten gebührend bedacht.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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