OGH 5Ob539/84

OGH5Ob539/8410.4.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Griehsler, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als Richter in der Pflegschaftssache des voll entmündigten Georg Helmut S*****, infolge Revisionsrekurses des Georg Helmut S*****, vertreten durch Dr. Harold S*****, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 27. Jänner 1984, GZ 1 R 28/84‑425, womit der Beschluss des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 19. Dezember 1983, GZ 17 P 278/81‑417, aufgehoben wurde folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0050OB00539.840.0410.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag des Rechtsmittelwerbers auf Zuspruch der Vertretungskosten für das Revisionsrekursverfahren wird abgewiesen.

Text

Begründung

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Graz wurde der beschränkt entmündigte Georg Helmut S***** mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 13. 12. 1974, ON 62, wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche gemäß § 1 Abs 1 EntmO voll entmündigt. Der nähere Sachverhalt kann dem diese Entscheidung bestätigenden Beschluss des Obersten Gerichtshof vom 4. 3. 1975, 5 Ob 22/75 (ON 67), entnommen werden.

Mit Beschluss vom 21. 3. 1983, ON 292, hob das Erstgericht die volle Entmündigung des Georg Helmut S***** wegen wesentlicher Besserung seines Geisteszustands auf. Über Rekurs der Staatsanwaltschaft Graz wurde dieser Beschluss vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Das Erstgericht beauftragte hierauf die beiden ärztlichen Sachverständigen Dr. S***** und Dr. O***** mit der Erstattung von Ergänzungsgutachten.

Dr. S***** kam in seinem Ergänzungsgutachten vom 28. 7. 1983, ON 336, zu dem Ergebnis, dass sich die Grundpersönlichkeit des Kuranden in ihren wesentlichen Strukturen nicht verändert habe, dass sich aber im konkreten Verhalten des Kuranden im Vergleich zu seinem Zustand vor 12 Jahren eine wesentliche Veränderung eingestellt habe. Seinerzeit habe er eine regellose, sehr aggressive und in jede nur denkbare Richtung angelegte Eingabentätigkeit entwickelt, während seine nunmehrigen Eingaben zielgerichtet seien und ihren Schwerpunkt in zwei Richtungen hätten: Entschädigung für die angeblich zu Unrecht erfolgte Anhaltung und Wiederaufnahme seines seinerzeitigen Strafverfahrens. Er scheine derzeit in der Lage zu sein, „seine Angelegenheiten ohne Beistand gehörig zu besorgen“. Die weitere Prognose sei günstig.

Dr. O***** kam in seinem Ergänzungsgutachten vom 15. 12. 1983, ON 415, zu dem Ergebnis, dass im geistigen Zustand des Untersuchten eine deutliche Besserung eingetreten sei, sodass er in der Lage erscheine, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen. Es müsse aber nicht zuletzt aufgrund der Längsschnittbeobachtungen einerseits und der Eingabenflut des Untersuchten in den letzten Monaten andererseits hinzugefügt werden, dass derzeit nicht mit Bestimmtheit gesagt werden könne, wie lange dieser Zustand anhalten und insbesondere wann sich das psychopathisch‑hypomane Verhalten des Untersuchten wieder jenem Grenzbereich nähern werde, in dem es neuerlich Krankheitswert erreiche.

Gestützt auf diese Gutachten hob das Erstgericht die volle Entmündigung des Georg Helmut S***** mit Beschluss vom 19. 12. 1983, ON 417, neuerlich auf.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz gab dem dagegen von der Staatsanwaltschaft Graz erhobenen Rekurs Folge, hob den erstgerichtlichen Beschluss auf und trug dem Erstgericht eine neue, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf; dies aus folgenden Erwägungen:

Berechtigt sei die Mängelrüge, dass die an die Oberstaatsanwaltschaft Graz gerichtete Eingabe des Kuranden vom 5. 7. 1983 und die an die Staatsanwaltschaft Graz gerichtete Eingabe der Margret Raudaschl vom 11. 1. 1983, die dem Erstgericht vorgelegt worden seien, nicht erörtert und verwertet worden seien.

Zu diesem Mangel komme auch noch der weitere, dass die beiden Sachverständigen die zahlreichen (vom Rekursgericht näher bezeichneten) Eingaben und Telegramme des Kuranden aus der letzten Zeit nicht beurteilt hätten bzw nicht beurteilen hätten können, weil der Sachverständige Dr. S***** sein Ergänzungsgutachten bereits am 28. 7. 1983 erstattet habe und der Sachverständige Dr. O***** sein Ergänzungsgutachten (lediglich) auf dem Ergebnis der Tagsatzung vom 8. 6. 1983 und der am 21. 10. 1983 erfolgten neuerlichen Untersuchung des Kuranden aufbaue. Es falle auf, dass der Kurand seine Ansichten und Standpunkte recht aggressiv vortrage und sein Lebensschicksal ausschließlich mit Fehlhandlungen anderer Personen im Zusammenhang bringe. Dabei beschränke er seine Vorwürfe nicht auf die Vergangenheit, sondern mache auch immer nur andere Personen für sein gegenwärtiges Schicksal verantwortlich und beschuldige sie massiv der Pflichtverletzungen.

Auch die (vom Rekursgericht im einzelnen aufgezeigte) abwegig anmutende Haltung des Kuranden in wirtschaftlichen Belangen sei von den Sachverständigen nicht beurteilt worden. Es erhebe sich die ‑ schon anlässlich der Entmündigung aufgeworfene und damals bejahte ‑ Frage, ob nicht die „Ursache für die völlig abwegige und gemeingefährliche Haltung in wirtschaftlichen Belangen“ eine geistige Störung sei. Die maßlosen Entschädigungsansprüche, die der Kurand gegenüber dem Land Salzburg geltend mache, sprächen gleichfalls eher für einen defekten Geisteszustand.

Angesicht des Verhaltens des Kuranden, das nicht erkennen lasse, dass er sich mit seiner Vergangenheit kritisch auseinandergesetzt habe und nunmehr versuche, sich seiner neuen Situation anzupassen, sei zu fragen, ob nicht doch noch Symptome einer Geisteskrankheit vorlägen oder wieder vorlägen, weil sich das psychopathisch‑hypomane Verhalten des Kuranden im Sinne der Ausführungen des Sachverständigen Dr. O***** (ON 415) wieder jenem Grenzbereich genähert haben könnte, in welchem es neuerlich Krankheitswert erreicht habe. Es sei daher eine weitere ärztliche Begutachtung des Kuranden erforderlich. Da die gutachtlichen Aussagen der beiden Sachverständigen Dr. S***** und Dr. O***** nicht völlig übereinstimmten und insbesondere in der Erstellung der Prognose auseinanderklafften, werde die Beiziehung eines weiteren ärztlichen Sachverständigen nicht zu umgehen sein.

Im fortgesetzten Verfahren werde aber auch zu berücksichtigen sein, dass die Entmündigung wegen Geisteskrankheit und Geistesschwäche erfolgt sei und dass deren Aufhebung nur dann zu erfolgen habe, wenn beide Entmündigungsgründe weggefallen seien und nicht nur derjenige, welcher den unmittelbaren Anlass zur Entmündigung gegeben habe.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des durch einen Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer vertretenen Georg Helmut S***** mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses.

Der Rechtsmittelwerber führt aus, dass das erstgerichtliche Verfahren nicht mangelhaft geblieben sei, vielmehr zwei bekannte und über jeden Zweifel erhabene Sachverständige aufgrund schlüssiger Gutachten zu demselben Ergebnis gelangt seien; seine Eingaben, die lediglich Missstände in der Verwaltung und Gerichtsbarkeit aufzeigen sollten, böten keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass sein Verhalten auf eine Geisteskrankheit oder Geistesschwäche zurückzuführen wäre; er könne sich nicht des Eindrucks erwehren, das durch den angefochtenen Aufhebungsbeschluss nur eines bezweckt werde, nämlich die Auffindung eines dritten Sachverständigen, der dann zu einem für ihn ungünstigeren Ergebnis komme.

Die Berechtigung des Georg Helmut S*****, ungeachtet seiner vollen Entmündigung durch den ihm im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt den gegenständlichen Revisionsrekurs zu erheben, kann im Hinblick auf § 51 Abs 2 EntmO nicht zweifelhaft sein (vgl SZ 19/57, SZ 38/89 ua).

Die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels ergibt sich aus § 56 Abs 1 EntmO, wonach in dem in der Entmündigungsordnung geregelten Verfahren, soweit nicht abweichende Bestimmungen getroffen sind, die Vorschriften der §§ 1 bis 19 AußStrG Anwendung finden: Da die hier in Betracht kommenden §§ 55, 49 EntmO diesbezüglich keine abweichenden Bestimmungen enthalten, ist der gegenständliche Aufhebungsbeschluss der zweiten Instanz daher nach dem hiefür im Außerstreitverfahren geltenden Grundsatz (JudB 203) anfechtbar, und zwar ohne Rücksicht darauf, dass ihm ein Rechtskraftvorbehalt nicht beigesetzt worden ist.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht gerechtfertigt.

Da der Oberste Gerichtshof auch im Außerstreitverfahren nur Rechts‑ und nicht Tatsacheninstanz ist, kann er einem Ergänzungsauftrag des Gerichts zweiter Instanz nicht entgegentreten, wenn dieser auf keiner unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht, die aufgetragene Beweisergänzung also den entscheidungserheblichen Sachverhalt betrifft (s die in MGA 302 unter Nr 11 zu § 14 AußStrG abgedruckten Entscheidungen sowie EFSlg 34.965 ff, 37.303, 39.717). Das gilt auch im Verfahren nach der Entmündigungsordnung (5 Ob 109/74, 5 Ob 719/81, 1 Ob 795/82 ua). Da sich die Rechtsmittelausführungen des Georg Helmut S***** mit der durch den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatfrage beschäftigen, zu der auch die Beurteilung des Geisteszustands einer Person gehört, und eine dem Rekursgericht unterlaufene unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache nicht darzutun vermögen, war daher dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Vertretungskosten für das Revisionsrekursverfahren beruht auf § 62 EntmO.

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