OGH 2Ob533/84

OGH2Ob533/8427.3.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Leopold R*****, vertreten durch seinen Vater und gesetzlichen Vertreter Ing. Leopold R*****, ebendort, dieser vertreten durch Dr. Hans Litschauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ruth N*****, vertreten durch Dr. Hans Jürgen Krehan, Rechtsanwalt in Stockerau, wegen 33.600 S und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Dezember 1983, GZ 16 R 238/83-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichts Korneuburg vom 30. Juni 1983, GZ 3 Cg 378/80-49, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Beide Parteien haben ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, der bei einem Skiunfall Verletzungen erlitt, begehrte von der Beklagten Schadenersatz und zwar ein Schmerzengeld von 30.000 S und Fahrtspesen von 3.600 S. Außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren. Er brachte vor, die Sicherheitsbindung sei von der Beklagten unsachgemäß montiert worden und daher beim Sturz nicht aufgegangen.

Die Beklagte wendete ein, die Bindung sei von ihrem Gatten kostenlos und fachgerecht montiert worden, die Schischuhe seien für die Bindung nicht geeignet gewesen.

Das Erstgericht wies das Leistungs- und das Feststellungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass dem Leistungsbegehren stattgegeben, das Feststellungsbegehren aber abgewiesen wurde. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten. Sie macht die Revisionsgründe der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Aktenwidrigkeit geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Folgender wesentlicher Sachverhalt steht fest:

Der Vater des Klägers kaufte im Geschäft der Beklagten für den Kläger eine Sicherheitsbindung. Ski und Schuhe hatte er schon vorher in einem anderen Geschäft gekauft. Er wollte die Bindung selbst montieren. Der Gatte der Beklagten, der in deren Geschäft anwesend war, bot an, die Bindung zu montieren und einzustellen. Er montierte die Bindung, die für den damals 12 Jahre alten Kläger geeignet war, ordnungsgemäß und stellte sie auf den niedrigsten Wert ein. Die Skischuhe hatten eine Sohlenhöhe von 24 mm und waren sehr weich, was infolge eines Mangels eines Spielraums zwischen Sohlenhalterung und Sohlenhöhe als auch aufgrund der Weichheit des Materials zu einer Erhöhung des Reibwerts geführt hat, weshalb der Auslösewert der Bindung über den Angaben der Erzeugerfirma und den Sollwerten der Ö-Normen lag. Beim rechten Schi erreichte der Auslösewert das Doppelte der allenfalls noch zu tolerierenden Abweichungen von den Sollwerten. Der Gatte der Beklagten teilte dies dem Kläger bzw dessen Vater nicht mit. Der Kläger war ein ungeübter Skifahrer, er kam wenige Wochen nach dem Kauf der Bindung beim Skifahren zu Sturz und zog sich einen Drehbruch des rechten Schienbeines zu. Die Sicherheitsbindung des rechten Skis löste sich beim Sturz nicht. Warum es zum Unfall gekommen ist, kann nicht festgestellt werden. Derartige Verletzungsfolgen beim Skifahren hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie Fahrverhalten, körperliche Verfassung, Schneebeschaffenheit, Lufttemperatur, Gelände, Fahrkönnen und verwendetes Material. Auch Skibindungen, die schuhabhängig fein eingestellt sind, können höchstens 30 % der Unfallmöglichkeiten vermindern oder verhindern; eine Sicherheitsbindung muss sich bei einem derartigen Sturz nicht unbedingt öffnen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Bindung sei vom Erfüllungsgehilfen der Beklagten ordnungsgemäß montiert und eingestellt worden. Eine Aufklärungspflicht hinsichtlich der in einem anderen Geschäft gekauften Schuhe habe die Beklagte nicht getroffen. Im Übrigen hätte auch ein optimal funktionierendes Material bei einer Feineinstellung das Verletzungsrisiko des Klägers nur um 30 % vermindern können. Dem Kläger sei daher nicht der Nachweis gelungen, dass eine fehlerhafte Montage oder Einstellung der Bindung durch die Beklagte oder deren Erfüllungsgehilfen für den Schadenseintritt mit hoher Wahrscheinlichkeit ursächlich gewesen sei.

Das Berufungsgericht führte zur Rechtsfrage aus, der Ansicht des Erstgerichts, die Beklagte habe keine sie treffenden Aufklärungspflichten verletzt, könne nicht gefolgt werden. Sicher habe eine solche Pflicht nicht hinsichtlich der in einem anderen Geschäft gekauften Sportgeräte als solcher bestanden, wohl aber im Zusammenhang mit der vertragsgemäßen Montage der bei der Beklagten gekauften Bindung auf die vom Kläger mitgebrachten Skier unter Verwendung der ebenfalls vom Kläger mitgebrachten Skischuhe. Zwar seien die Bindungen vom Erfüllungsgehilfen der Beklagten ordnungsgemäß montiert worden, jedoch habe sich infolge der Eigenart der Schuhe ein Auslösewert ergeben, der weit über den Firmenangaben gelegen sei. Es wäre Sache des Verkäufers gewesen, den Kunden auf dieses erhöhte Gefahrenrisiko hinzuweisen. Weiche die Bindungseinstellung wesentlich von den Sollwerten ab, so dass sie als echt anlastbare Fehleinstellung qualifiziert werden müsse, habe die Bindung beim Sturz nicht ausgelöst und sei die hiebei eingetretene Verletzung eine typische Skiverletzung (Beinbruch, Bänderriss oder Zerrung am Bein), die üblicherweise über den langen Hebelarm des Skis zustandekomme, so werde man den Kausalitätsnachweis im Sinne eines hohen Wahrscheinlichkeitsbeweises für erbracht ansehen können, solange es dem Händler nicht gelinge, einen anderen Ursachenzusammenhang noch wahrscheinlicher zu machen. Ein solcher Unfall könne nämlich als typische Folge einer zu hart eingestellten Bindung angesehen werden. Bei einer solchen Lage scheine prima facie die Annahme gerechtfertigt, dass eine taugliche und richtig eingestellte Bindung nach dem gewöhnlichen Geschehensablauf die über den langen Hebelarm des Skis bewirkte typische Skiverletzung durch rechtzeitiges Auslösen vermieden hätte. In einem solchen Fall obliege es dem Händler, den Wahrscheinlichkeitsbeweis durch Tatsachen zu entkräften, aus denen sich im konkreten Fall die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergebe (Pichler, Haftungsfragen rund um die Skibindung, ÖJZ 1976, 461). Der Beklagten oder deren Erfüllungsgehilfen könne zwar eine Fehleinstellung der Bindung nicht zum Vorwurf gemacht werden, jedoch habe sich infolge anderer Umstände ein wesentlich erhöhter Auslösewert ergeben, der am rechten Ski das doppelte der allenfalls noch zu tolerierenden Abweichungen von den Sollwerten erreicht habe. Diese auf die Eigenschaft der Schuhe zurückzuführende Erhöhung des tatsächlichen Auslösewerts hätte der Beklagten und deren Erfüllungsgehilfen als Fachleuten bekannt sein müssen und sie wären verpflichtet gewesen, den Kläger oder dessen gesetzlichen Vertreter darauf aufmerksam zu machen. Dem Klagsvorbringen habe die Beklagte lediglich entgegengesetzt, dass die Bindung ordnungsgemäß eingestellt und montiert worden sei. Gegen den bereits in der Klage erhobenen Vorwurf, es hätte der Beklagten auffallen müssen, dass die vom Kläger bereitgestellten Skischuhe für die verkaufte Bindung keinesfalls geeignet gewesen seien, habe die Beklagte kein konkretes Vorbringen erstattet. Die Beklagte habe daher den ihr in dieser Richtung liegenden Entlastungsbeweis nicht einmal angetreten. Durch die Feststellung, dass bei schuhabhängig fein eingestellten Bindungen höchstens 30 % der Unfallsmöglichkeiten vermindert oder verhindert werden können, sei der der Beklagten obliegende Entlastungsbeweis nicht erbracht, zumal Unaufklärbarkeiten in diesem Belange zu Lasten des Händlers gehen (Pichler aaO 463). Die Beklagte hafte daher dem Kläger nach den §§ 1165 ff, 1299 und 1313a ABGB für den dem Kläger durch den Skiunfall entstandenen Schaden. Das Feststellungsbegehren sei hingegen abzuweisen gewesen, weil mit Dauerfolgen nicht zu rechnen sei.

Die Revisionswerberin vertritt die Ansicht, es habe kein Werkvertrag vorgelegen, weil die Bindung unentgeltlich montiert worden sei. Ihr Gatte habe zur Montage keinen Auftrag gehabt, die Klägerin sei zur Montage nicht verpflichtet gewesen und daher bestehe keine Haftung nach § 1313a ABGB. Es könnte höchstens eine Haftung ihres Gatten bestehen, der die Bindung aus Gefälligkeit montiert habe. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, dem Kläger sei der Nachweis des Kausalitätszusammenhangs mit hoher Wahrscheinlichkeit gelungen, stünden mit den Feststellungen im Widerspruch, dass eine Sicherheitsbindung nur 30 % der Unfallsmöglichkeiten vermindern oder verhindern könne. Aufgrund der Schilderung des Unfalls durch den Kläger sei anzunehmen, dass sich die Bindung auch nicht geöffnet hätte, wenn die Schuhe der Norm entsprochen hätten. Es wäre Aufgabe des Klägers gewesen nachzuweisen, das der Unfall durch fehlerhafte Montage verursacht worden sei. Bei den Fahrtkosten handle es sich um Kosten des Vaters des Klägers, die durch diesen unmittelbar geltend gemacht hätten werden müssen.

Zu diesen Ausführungen ist Folgendes zu erwägen:

Die Vereinbarung über die Montage der Sicherheitsbindung kann nicht als Werkvertrag qualifiziert werden, weil ein solcher gemäß § 1151 ABGB ein Entgelt voraussetzt. Die anlässlich des Abschlusses eines Kaufvertrags über eine Sicherheitsbindung geschlossene Vereinbarung der unentgeltlichen Montage ist nicht als selbständige Vereinbarung zu werten, sondern eine aufgrund der Vertragsfreiheit gültig vereinbarte Nebenpflicht des Verkäufers (vgl Bydlinski in Klang 2 IV/2, 322 f; Aicher in Rummel ABGB Rdz 28 zu § 1061; SZ 49/47). Aus der Vereinbarung über den Kauf der Sicherheitsbindung und deren Montage ergaben sich Aufklärungs- und Mitteilungspflichten des Verkäufers. Die Sicherheitsbindung dient dazu, Verletzungen möglichst zu verhindern und es ist daher Pflicht desjenigen, der eine solche Bindung verkauft und montiert, den Vertragspartner darauf aufmerksam zu machen, wenn die Bindung aufgrund der vom Käufer selbst beigestellten Skier oder Schuhe ihre Funktion nicht voll erfüllen kann. Im vorliegenden Fall entsprachen die Schuhe nicht der Norm, sie bewirkten aufgrund der Stärke der Sohle und der Weichheit des Materials einen zu hohen Auslösewert, worauf der Gatte der Beklagten den Vater des Klägers hätte aufmerksam machen müssen. Da er dies nicht getan hat, wurde eine vertragliche Nebenpflicht verletzt, die Beklagte hat als Verkäuferin hiefür gemäß § 1313a ABGB einzustehen.

Ob die Verletzung des Klägers auch eingetreten wäre, wenn die Schuhe der Norm entsprochen hätten und der Auslösewert der Sicherheitsbindung daher niedriger gewesen wäre, steht nicht fest. Daraus folgt aber - entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - nicht, dass die Ausführungen des Berufungsgerichts über den prima facie Beweis mit den Feststellungen in Widerspruch stehen. Die Frage, ob ein prima facie Beweis überhaupt zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglicht, ist nämlich keine Frage der Beweiswürdigung, sondern eine solche der Beweislast und damit der rechtlichen Beurteilung (8 Ob 190/80; RZ 1983/14, S 66; EvBl 1983/120, S 445).

Bei Beurteilung der Frage, ob ein typischer Geschehensablauf vorlag, der zu einer Verschiebung der Beweislast führt, ist davon auszugehen, dass die Sicherheitsbindung den Zweck hat, Verletzungsfolgen zu vermeiden. Ist sie mangelhaft eingestellt oder ihre Wirkung durch ungeeignete Schuhe herabgesetzt, dann kann sie diesen Zweck nicht erfüllen. Öffnet sich die Bindung nicht und ereignet sich ein typischer Unfall, der durch die Sicherheitsbindung hätte verhindert werden sollen, dann liegt ein typischer Geschehensablauf vor, der die Anwendung des prima facie Beweises rechtfertigt. Da insbesondere ein Drehbruch, wie ihn der Kläger erlitten hat, eine Folge der Hebelwirkung des Skis ist, handelt es sich im vorliegenden Fall um eine Verletzung, die durch eine ordnungsgemäß funktionierende Sicherheitsbindung vermieden werden soll. Die auf den Ausführungen Pichlers in ÖJZ 1976, 461 ff beruhende Rechtsansicht des Berufungsgerichts über den prima facie Beweis ist daher zu billigen. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, zu behaupten und zu beweisen, dass die Verletzung auch bei Verwendung von der Norm entsprechenden Schuhen eingetreten wäre. Dies hat die Beklagte jedoch nicht getan. Da es sich bei dem Drehbruch, den der Kläger erlitten hat, um eine typische Verletzung handelt, deren Vermeidung eine Sicherheitsbindung dienen soll, ist der Umstand, dass auch ordnungsgemäß eingestellte Sicherheitsbindungen nur etwa 30 % der Unfallsmöglichkeiten verhindern können, ohne Bedeutung. Die Revisionsausführungen, aufgrund des vom Kläger bei seiner Aussage geschilderten Unfallshergangs hätte sich die Sicherheitsbindung auch bei der Norm entsprechenden Schuhe nicht gelöst, finden in den Feststellungen keinerlei Deckung.

Zutreffend bejahte daher das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten für den Schaden des Klägers, weshalb dieser Anspruch auf das der Höhe nach nicht bestrittene Schmerzengeld hat.

Auch hinsichtlich der Fahrtkosten bekämpft die Beklagte nicht die Höhe des Anspruchs, sondern nur ihren Grund. Dem Grunde nach sind diese Kosten aber im Sinne der ständigen Rechtsprechung berechtigt, weil das verletzte Kind zur Geltendmachung der Besuchskosten der Eltern im Rahmen der gesetzlichen Sorge- und Beistandspflicht nach § 137 ABGB aktiv legitimiert ist (EFSlg 38.588 uva).

Aus all diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Beim Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens war davon auszugehen, dass die Revision erfolglos blieb, weshalb die Beklagte die Kosten gemäß § 40 ZPO selbst zu tragen hat. Der Kläger obsiegte im Revisionsverfahren zwar, seinem Antrag, der Beklagten den Ersatz der Kosten des Revisionsverfahrens aufzutragen, konnte jedoch kein Erfolg beschieden sein, weil er die Kosten nicht verzeichnete (§ 54 ZPO).

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