OGH 5Ob524/84

OGH5Ob524/846.3.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Griehsler, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als Richter in der Pflegschaftssache der am ***** 1979 ehelich geborenen B***** M*****, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter C***** S*****, Bundesrepublik Deutschland, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 13. Jänner 1984, GZ 2 R 309/83‑33, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hall vom 6. Dezember 1983, GZ P 44/81‑30, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0050OB00524.840.0306.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird aufgetragen, nach Ergänzung des Verfahrens über das Recht der Mutter auf persönlichem Verkehr mit ihrer Tochter B***** M***** neuerlich zu entscheiden.

Begründung

Die Ehe der Eltern der Minderjährigen ist geschieden. Das Kind befindet sich bei den Eltern des ehelichen Vaters, dem die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten zugewiesen wurde, in Absam. Die Mutter wohnt nach neuerlicher Verehelichung nun in Hamburg. In Ermangelung einer Regelung ihres Rechts auf persönlichen Verkehr mit ihrer Tochter begehrte die Mutter, dass ihr gestattet werde, gelegentlich ihrer Besuche in Innsbruck (sie wohnt dann bei ihrer Mutter), das ist etwa dreimal im Jahr, das Kind auf etwa 2 bis 3 Tage zu sich nehmen, damit sie zu diesem den erforderlichen Kontakt aufbauen könne.

Der Vater des Kindes sprach sich dagegen aus, dass der Mutter überhaupt ein Besuchsrecht eingeräumt wird; er meinte, das Kind sei nach jedem Besuch der Mutter irritiert und nicht mehr ansprechbar, die Mutter „kaufe“ sich das Kind gewissermaßen, indem es ihm Geschenke bringe, sie „tauche“ nur auf, wenn sie ein „moralisches Tief“ habe und es ihr schlecht gehe.

Das Erstgericht entschied, dass die Mutter dreimal im Jahr je 2 Tage von 9 bis 18 Uhr das Kind zu sich nehmen dürfe und mit dem Vater des Kindes die jeweiligen Besuchszeitpunkte zeitgerecht zu vereinbaren habe; den darüber hinausgehenden Antrag, das Kind dreimal im Jahr je 2 bis 3 (volle) Tage zu sich nehmen zu dürfen, wies es ab.

Das vom ehelichen Vater angerufene Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es der Mutter auch das auf 6 Tage im Jahr für die Zeit von jeweils 9 bis 18 Uhr zuerkannte Recht auf persönlichen Verkehr mit dem Kind absprach. Es äußerte die Ansicht, dass die vom Erstgericht getroffene Regelung nur zu einer Verunsicherung und Beeinträchtigung der positiven Entwicklung des Kindes führen würde, denn das Ziel des Besuchsrechts, einen echten und innigen Kontakt zwischen den Beteiligten anzubahnen und die Bindung zwischen ihnen zu fördern, werde bei der geringen Anzahl und Dauer der Besuche „bei weitem nicht erreicht“; eine andere Lösung als die von der Mutter beantragte sei „ihr offenbar nicht möglich“.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der ehelichen Mutter, die „wenigstens die alte Regelung“ (gemeint: nach der Anordnung des Erstgerichts) wiederhergestellt haben möchte, ist berechtigt.

Es ist richtig, dass im Konfliktfall das Recht des Elternteils, dem die Pflege und Erziehung des Kindes nicht anvertraut ist, auf persönlichen Verkehr mit diesem Kind gegenüber dem Kindeswohl zurückstehen muss; der Konflikt muss jedoch in seinen Auswirkungen auf das Wohl des Kindes jenes Maß überschreiten, das als natürliche Folge der Aufhebung des Familienbandes durch die Trennung der Eltern unabänderlich in Kauf genommen werden muss (EFSlg 26.601 ua). Nach der Aktenlage besteht kein Grund zur Annahme, dass hier ein derart schwerwiegender Konfliktfall vorliegt. Wie jedes normal entwickelte Kind ist auch die minderjährige B*****, die sich nun schon im fünften Lebensjahr befindet, auf ganz natürliche Weise beiden Elternteilen zugeneigt und leidet offenbar auch unter der Entfremdung seiner natürlichen Eltern. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Mutter des Kindes elterliche Verhaltensgebote verletzt; aus der Zuwendung von Geschenken an das Kind darf ihr grundsätzlich kein Vorwurf gemacht werden, denn diese sind doch in aller Regel nur Ausdruck menschlicher und warmer Zuneigung. Es ist auch ganz natürlich, dass die Mutter in Zeiten seelischer Not besonderes Verlangen nach persönlichem Verkehr mit ihrer Tochter hat. Soweit Spannungen im persönlichen Verkehr der Eltern miteinander bestehen, wäre es ihre Pflicht, diese im Interesse des darunter leidenden Kindes mit Geduld, Selbstüberwindung durch Beherrschung der Leidenschaften und Rücksichtnahme auf das Kind aufzubauen; es ist ein beide Elternteile treffendes wesentliches Verhaltensgebot, die Liebe und Zuneigung des Kindes zu beiden Elternteilen in gleicher Weise zu fördern. Die Beachtung dieses Gebots mag nach der Trennung der Ehe den Eltern oft schwer fallen, sie ist aber gerade nach der Zerstörung der Ehe für das richtig verstandene Wohl des Kindes, seine Charakterbildung und sein seelisches Gleichgewicht von besonderer Bedeutung.

Dem Rekursgericht ist nur in der Ansicht beizustimmen, dass zu einer zweckmäßigen Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr ein möglichst häufiges Zusammentreffen der Mutter mit ihrer Tochter erforderlich wäre. Diesem Erfordernis steht freilich der Umstand entgegen, dass sich die Mutter im Hamburg aufhält und offenbar nicht in der Lage sein dürfte, öfter als dreimal im Jahr nach Innsbruck zu reisen. Daran darf aber nicht schon prinzipiell das Recht der Mutter auf persönlichen Verkehr mit ihrer Tochter scheitern. Das Kind befindet sich nun schon in einem Alter, in dem starke persönliche Eindrücke, wie sie sich aus dem persönlichen Kontakt mit seiner natürlichen Mutter ergeben, längere Zeit hindurch nachwirken, sodass der Mangel an Häufigkeit der Kontaktnahme mit seiner Mutter in einem gewissen Ausmaß durch die jeweils längere Dauer der Vereinigung der Beiden ausgeglichen werden kann. Darüber war sich die rechtsunkundige und nicht rechtsfreundlich vertretene Mutter bei der Stellung ihres Antrags offenbar nicht im Klaren. Es ist aber die Pflicht des Außerstreitrichters, ihr in einem solchen Fall mit fachkundigem Rat beizustehen und die zur Stellung eines sinnvollen Antrags auf Regelung des Rechts auf persönlichen Verkehr mit dem Kind erforderlichen Anleitungen zu geben. Bevor dies nicht geschehen ist, kann über dieses Recht nicht abgesprochen werden. Aus diesem Grunde sind die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und es ist dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens in der aufgezeigten Richtung aufzutragen, damit aufgrund eines sinnvollen Antrags auch eine entsprechende Regelung getroffen werden kann. Es wird aber schon jetzt bemerkt, dass der Mutter bei der gegebenen Sachlage auch nicht seltene und kurzfristige Vereinigungen mit dem Kind verwehrt werden dürfen, wenn nicht geradezu krankhaft abnormale Reaktionen des Kindes zu besorgen sein sollten ‑ zu welcher Annahme nicht der geringste Anhaltspunkt aktenkundig ist ‑, denn das Recht der Mutter auf persönlichen Verkehr mit ihrem getrennt lebenden Kind ist ein allgemein anerkanntes Menschenrecht (EFSlg 26.601 uva, zuletzt etwa 8 Ob 546/83 vom 22. 9. 1983), das nur in Ausnahmefällen aus besonders schwerwiegenden Gründen verwehrt werden darf.

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