OGH 3Ob4/84

OGH3Ob4/8425.1.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden (C 509/82 ) und beklagten (C 508/82 ) Partei Elfriede S*****, vertreten durch Dr. Siegfried Leitner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte (C 509/82 ) und klagenden (C 508/82 ) Partei Franz S*****, vertreten durch Dr. Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wegen 41.330 S samt Nebengebühren (C 509/82 ) und Einwendungen gegen den Anspruch nach § 35 EO (C 508/82 ), infolge Revision der erstgenannten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 26. September 1983, GZ 1 R 288, 289/83-27, womit infolge Berufung der zweitgenannten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bad Radkersburg vom 9. Mai 1983, GZ C 509/82 -19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Franz S***** hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Parteien ist seit 1962 wegen Alleinverschuldens des Mannes geschieden. In dem im Scheidungsverfahren am 30. 1. 1962 vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zu 18 Cg 12/62-2 geschlossenen Vergleich verpflichtete sich Franz S***** unter anderem Elfriede S***** ab 1. 2. 1962 an jedem Monatsersten im Vorhinein einen Unterhaltsbetrag von 800 S zu zahlen, der nach dem Verbraucherpreisindex I oder einem Ersatzindex wertgesichert wurde. Darüber hinaus verzichteten beide Teile ausdrücklich auf Herabsetzung oder Erhöhung des verglichenen Unterhaltsbetrags. Die verglichene Unterhaltspflicht sollte für die Dauer eines eheähnlichen Verhältnisses (Lebensgemeinschaft) der Frau ruhen.

Am 28. 5. 1979 brachte Franz S***** gegen seine geschiedene Frau beim Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz zu 28 C 723/79 eine Feststellungsklage ein, dass ihr Unterhaltsanspruch aus dem zitierten Vergleich wegen einer von ihr eingegangenen Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann - es handelte sich um Dr. Abido G***** - seit Einbringung der Klage ruhe. Elfriede S***** beantragte die Abweisung dieses Begehrens. Zu der für den 13. 8. 1979 anberaumten Tagsatzung war außer den Parteien und dem damaligen und nunmehrigen Vertreter Franz S*****s auch Dr. G***** geladen. Nach Aufruf der Sache durch den Richter Dr. Schmiedl entschuldigte Elfriede S***** den genannten Zeugen damit, dass er sich im Ausland befinde und derzeit nicht greifbar sei. Dann wurden die bisherigen beiderseitigen Prozessstandpunkte erörtert, wobei auch die bevorstehende Beweisschwierigkeit zur Sprache kam und besprochen wurde, ob die Vernehmung Dr. G*****s in Leoben stattfinden solle. Elfriede S*****, die auf ihren geschiedenen Mann den Eindruck machte, prozessmüde zu sein, wollte zunächst wegen des Nichterscheinens Dr. G*****s eine Vertagung erreichen, erklärte aber schließlich: „Ich brauche von Herrn S***** nichts mehr, ich möchte endlich meine Ruhe haben, ich möchte das Verfahren beenden“. Hierauf schlug der Richter ein Ruhen des Verfahrens vor und erklärte der damaligen Beklagten dessen Rechtsfolgen. Da sich diese nunmehr sicher war, dass ihr dadurch keine Kosten erwachsen würden und eine Änderung der rechtlichen Situation nicht eintrete, war sie mit einem Ruhen des Verfahrens einverstanden, das auch vom damaligen Kläger und seinem Vertreter akzeptiert wurde. Elfriede S***** war sich nunmehr auch sicher, dass sie hinsichtlich des der Wertsicherung entsprechenden Betrags ihres Rechts für drei Jahre nicht verlustig würde. Der Richter hielt in einem Aktenvermerk fest, dass die Parteien bei Aufruf der Sache um 10:00 Uhr erklärt hätten, nicht verhandeln zu wollen. Beim Verlassen des Verhandlungssaals wendete sich Dr. Franiek nochmals an Elfriede S***** und sagte ihr, sie möge nunmehr Ruhe geben, sie müsse zu ihrem Wort stehen und dürfe keine Exekution führen. Sie erwiderte nochmals, sie wolle ihre Ruhe haben und werde nichts mehr tun. In der Folge leistete Franz S***** seiner Frau keinen Unterhalt mehr. Etwa ein bis zwei Wochen nach der beschriebenen Tagsatzung rief er sie an und sagte, sie solle ihn nicht mehr belästigen. Er sei ihr nichts mehr schuldig. Er befürchtete und rechnete nämlich damit, dass sie wortbrüchig sein könnte. Elfriede S***** wollte jedoch im Anschluss an das Verfahren nicht sogleich wieder mit ihrem geschiedenen Mann zusammentreffen. Überdies war sie sich sicher, dass sie sich auch ohne die Geltendmachung nichts von ihren Rechten vergeben würde.

Am 5. 5. 1982 gab Elfriede S***** bei ihrem Wohnsitzgericht gegen ihren geschiedenen Mann eine Klage auf 41.330 S (aufgewertete Unterhaltsbeiträge von Mai 1979 bis April 1982) zu Protokoll, die am 11. 6. 1982 beim zuständigen Bezirksgericht Bad Radkersburg einlangte, dort unter C 509/82 eingetragen und Franz S***** am 13. 9. 1982 zugestellt wurde.

Ebenfalls am 5. 5. 1982 gab Elfriede S***** bei ihrem Wohnsitzgericht gegen ihren geschiedenen Mann auch einen Antrag auf Bewilligung der Fahrnisexekution zur Hereinbringung des im Unterhaltsvergleich titulierten Unterhaltsrückstands für die Zeit vom 1. 5. 1979 bis 31. 5. 1982 von 28.800 S zu Protokoll, der am 11. 5. 1982 beim zuständigen Bezirksgericht Bad Radkersburg einlangte, am 13. 5. 1982 zu E 336/82 bewilligt wurde und noch anhängig ist.

Am 27. 5. 1982 erhob Franz S***** gegen diese Exekution mit der Klage C 508/82 mehrere Einwendungen. Der betriebene Anspruch ruhe, weil Elfriede S***** seit vielen Jahren eine Lebensgemeinschaft mit Dr. G***** unterhalte. Der Anspruch sei aber auch erloschen, weil die betreibende Gläubigerin in der im Verfahren 28 C 723/79 des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz am 13. 8. 1979 abgehaltenen Tagsatzung erklärt habe, vom Oppositionskläger nichts mehr zu brauchen und seither von ihm keinen Unterhalt mehr verlangt habe. Schließlich sei seiner geschiedenen Frau seit 1. 5. 1979 eine Erwerbstätigkeit zumutbar, aus der sie ihren angemessenen Lebensunterhalt bestreiten könne, sodass der verglichene Unterhaltsanspruch auch deshalb erloschen sei.

Beide Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens des jeweiligen Prozessgegners.

Beide Rechtsstreite wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das Erstgericht verurteilte Franz S*****, seiner geschiedenen Frau 41.330 S samt 4 % Zinsen seit 14. 9. 1982 zu zahlen und wies das Oppositionsbegehren ab. Es nahm die behauptete Lebensgemeinschaft mit Dr. G***** nicht als erwiesen an. Zum behaupteten Anspruchsverzicht traf es im Wesentlichen die schon wiedergegebenen Feststellungen und beurteilte diese rechtlich dahin, dass sich daraus ein Unterhaltsverzicht nicht mit Sicherheit ableiten lasse. Auch durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit der geschiedenen Frau sei der verglichene Unterhaltsanspruch nicht erloschen, weil die Parteien die Umstandsklausel ausdrücklich ausgeschlossen hätten.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es das Leistungsbegehren abwies und der Oppositionsklage stattgab. Es teilte die eine Lebensgemeinschaft Elfriede S*****s mit Dr. G***** verneinende und einen Ausschluss der Umstandsklausel bejahende Rechtsansicht des Erstgerichts, beurteilte jedoch das Verhalten Elfriede S*****s in der Tagsatzung vom 13. 8. 1979 und in den folgenden Jahren bis zur Klage und Exekutionsführung im Mai 1982 im Zusammenhalt als Unterhaltsverzicht „zumindest bis auf weiteres und ohne einen Rückstand zu fordern“. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei und begründete dies damit, dass Entscheidungen, die auf § 863 ABGB Bedacht nehmen, stets auf den Einzelfall abzustellen seien, weshalb diesbezüglich eine einheitliche Rechtsprechung nur schwer erreicht werden könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision Elfriede S*****s wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, es durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern, allenfalls es aufzuheben.

Franz S***** beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben, ohne sich mit ihrer Zulässigkeit auseinanderzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist unzulässig.

Da die Revision im Zulassungsbereich liegt, wäre sie nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhinge, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen wäre oder eine solche Rechtsprechung fehlen würde oder uneinheitlich wäre.

Zur Frage, wann eine derart erhebliche Rechtsfrage vorliegt, führte der Bericht des Justizausschusses zur Regierungsvorlage der Zivilverfahrens-Novelle 1981 (1337 BlgNR XV. GP. 19) aus, dass die vorgeschlagene (und dann Gesetz gewordene) Formulierung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sicherstellen solle, „dass der Oberste Gerichtshof grundsätzlich nur mit wichtigen, zumindest potentiell für eine größere Anzahl von Rechtsstreitigkeiten bedeutsamen Rechtsfragen befasst wird, um seiner Leitfunktion besser gerecht werden zu können“.

Die für die Revisionszulässigkeit maßgebende Erheblichkeit der Rechtsfragen bestimmt sich nach objektiven Umständen. Hat das Berufungsgericht im Sinn einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung entschieden, dann kann die Zulässigkeit der Revision nur mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet werden (Ausschussbericht aaO).

Der Rechtsmittelwerber wird immer zu überlegen haben, ob sein Rechtsproblem auch andere Personen und vergleichbare Fälle berühren könnte. Die Kasuistik des Einzelfalls wird in der Regel eine beispielgebende Entscheidung ausschließen, weshalb es etwa in Fällen, bei denen es um die Auslegung ungebräuchlicher Vertragsklauseln unter gesetzeskonformer Auslegung der §§ 863 und 914 f ABGB geht, häufig zu einer Verkürzung des Rechtszugs kommen wird (Petrasch, Das neue Revisions-(Rekurs-)recht in ÖJZ 1983, 177; vgl auch Rechberger-Simotta, Zivilprozessrecht² 339).

Die Revisionswerberin behauptet nun gar nicht, dass das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs über die grundsätzlichen Voraussetzungen der wirksamen Entsagung (Verzichts) (vgl zB die in MGA ABGB31 zu § 1444 und bei Heller-Berger-Stix I 373 zitierten Entscheidungen) abgegangen wäre oder dass es dazu keine oder eine uneinheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung gäbe.

Die Rechtsmittelwerberin bekämpft lediglich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass ihr - für die Entscheidung ihres Falls maßgebliche - Verhalten am 13. 8. 1979 und in den folgenden Jahren bis Mai 1982 einen von ihrem geschiedenen Mann angenommenen Verzicht auf den verglichenen Unterhaltsanspruch darstelle, wobei darauf hinzuweisen ist, dass das Berufungsgericht im Hinblick auf die Forderung bloß von Unterhaltsrückständen offen ließ ob die Rechtsmittelwerberin bis auf weiteres oder für alle Zukunft konkludent auf Unterhalt verzichtete.

Damit macht die Revisionswerberin aber nicht geltend, dass das Urteil des Berufungsgerichts auf der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts beruht, der erhebliche Bedeutung im oben dargelegten Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukommt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird lediglich darauf gestützt, dass das Erstgericht die (rechtsunkundige und damals nicht durch einen Rechtsanwalt vertretene) Rechtsmittelwerberin entgegen § 432 Abs 1 ZPO nicht angeleitet habe, die Vernehmung des Verhandlungsrichters vom 13. 8. 1979 als Zeugen zu beantragen. Auch bei Beurteilung ob die Anleitungspflicht im Einzelfall zu einem zusätzlichen Beweisantrag geführt hätte, handelt es sich um keine Rechtsfrage des Verfahrensrechts, der erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukommt.

Die Revision wird daher aus keinem zulässigen Revisionsgrund begehrt (§ 503 Abs 2 ZPO), weshalb sie zurückzuweisen war.

Da der Revisionsgegner in der Revisionsbeantwortung keine Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltend gemacht hat, war sein Schriftsatz nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen, weshalb er keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten hat (§§ 40, 41 und 50 sowie 507 Abs 1 Satz 3 ZPO).

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