OGH 13Os170/83

OGH13Os170/8312.1.1984

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Spies als Schriftführer in der Strafsache gegen Günther T***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 8. August 1983, GZ 9 Vr 572/81‑53, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0130OS00170.830.0112.000

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Freispruch unberührt bleibt, im Übrigen aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung gegen den Strafausspruch und den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ***** geborene Gemeindesekretär Günther T***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe und zum Ersatz eines Betrags von 380.948 S an die Gemeinde M***** verurteilt. Darnach hat er in M***** als Leiter des Gemeindeamts mit dem Vorsatz, die Gemeinde M***** an ihrem Recht auf ordnungsgemäße Führung des Gemeindehaushalts, vorschriftsmäßige Erstellung der Gebarungsunterlagen und bestimmungsgemäße Verwendung von Gemeindegeldern zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde M***** als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, und zwar

a) in den Jahren 1977 bis 1980 dadurch, dass er die Buchhaltung und die Kassa der Gemeinde M***** nicht ordnungsgemäß führte, sondern die vorgeschriebenen Buchhaltungsunterlagen, vor allem Kassentagesbestandsausweise fälschte und dem Kontrollausschuss sowie dem Gemeinderat verfälschte Jahresabrechnungen für die Jahre 1977 bis 1980 vorlegte;

b) ab 12. Dezember 1978 dadurch, dass er den bei der Realisierung des Sparbuchs der Gemeinde M***** von der H***** (K*****) ausgezahlten Zinsenbetrag von 81.618 S nicht als Einnahme und Ausgabe verbuchte;

c) in den Jahren 1977 und 1978 dadurch, dass er wiederholt vom Gemeindekonto bei der H***** und bei der R***** behobene Barbeträge von insgesamt 299.330 S nicht ordnungsgemäß verbuchte.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer primär auf Z 9 lit a, daneben auch Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Gegen den Strafausspruch und den Zuspruch an den Privatbeteiligten wendet er sich mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerdeführer rügt im Ergebnis zu Recht, dass die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen den ihm im Spruch des Urteils angelasteten Vorwurf, er habe bei seinem wissentlichen Befugnismissbrauch als Organ der Hoheitsverwaltung der Gemeinde M***** mit dem Vorsatz gehandelt, die Gemeinde an ihrem Recht auf ordnungsgemäße Erstellung der Gebarungsunterlagen und bestimmungsgemäße Verwendung von Gemeindegeldern zu schädigen, in mehrfacher Hinsicht nicht decken. Dies findet in der rechtlichen Konklusion des Urteils selbst sinnfälligen Ausdruck, wenn dort dem Beschwerdeführer angelastet wird, dass er vorwiegend im Rahmen der Hoheitsverwaltung durch bewusste, nicht ordnungsgemäße Führung der Buchhaltungsunterlagen, Verfälschung der Kassenbestandsausweise und nichtordnungsgemäße Verbuchung von Geldbewegungen seine Befugnisse als Leiter des Gemeindeamts M***** wissentlich missbraucht hat (S 119/II). Allein aus dieser das Tatbestandserfordernis des (zumindest bedingten) Vorsatzes, einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, vernachlässigenden, den Begriff der Hoheitsverwaltung nicht konkretisierenden Formulierung erhellt, daß die Tatrichter sich nicht alle zur Erfüllung des Tatbestands des § 302 Abs 1 StGB geforderten subjektiven und objektiven Merkmale vor Augen geführt und demgemäß auch nicht alle nach der Lage des Falls und den spezifischen Verfahrensergebnissen indizierten Feststellungen, die zur verlässlichen rechtlichen Beurteilung notwendig gewesen wären, getroffen haben.

Dies trifft zunächst auf die pauschale Urteilsannahme zu, der wissentliche Befugnismißbrauch des Angeklagten habe sich neben rein privatwirtschaftlichen Agenden vor allem auf die Erfüllung von Vollziehungsaufgaben der Gemeinde M***** im Rahmen der Hoheitsverwaltung erstreckt (S 119/II). Abgesehen davon, dass auf die rechtlich ebenfalls relevante Verantwortung des Angeklagten, er habe nur infolge Arbeitsüberlastung seinen Pflichten nicht nachkommen können (siehe hiezu RZ 1976/50), nicht eingegangen wird, hat es das Erstgericht unterlassen, die jeweiligen Aufgabenbereiche der Gemeinde M*****, auf die sich die schweren Mängel in der Buchführung und die Verfälschungen der Kassentagesbestandsausweise (Tagesabschlüsse) und der Jahresrechnungsabschlüsse (Faktum a) sowie die nichtverbuchten Barabhebungen (Faktum c) beziehen, im einzelnen darzustellen. Dies wäre aber umso erforderlicher gewesen, als die Prüfungsberichte (siehe insbesondere ON 2 und 17) und das Sachverständigengutachten (ON 48) darauf schließen lassen, dass sich ein Großteil der beanstandeten Buchungs- und Abrechnungsmängel auf Aufwendungen der Gemeinde für Professionistenleistungen anlässlich der Errichtung und Instandhaltung von Bauwerken, Straßen, Wegen und dergleichen bezog, somit auf finanzielle Transaktionen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung.

Die Abgrenzung zwischen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung ist nämlich immer auf Grund materiell-inhaltlicher und nicht formell‑organisatorischer Gesichtspunkte vorzunehmen. Es kommt daher nicht darauf an, ob es zur Erfüllung einer der Gemeinde im eigenen oder übertragenen Wirkungsbereich obliegenden gesetzlichen Aufgabe (§§ 10, 11 Allgemeine Gemeindeordnung des Landes Kärnten, LGBl 1/1966, nunmehr wiederverlautbart im LGBl 8/1982) auch hoheitlicher Akte bedarf, es muss vielmehr beim einzelnen Vollziehungsakt unterschieden werden, ob er sich seiner Zweckbestimmung nach als Ausfluss hoheitlicher staatlicher Gewalt darstellt oder ob es sich um eine darüber hinausgehende (technische, wirtschaftliche oder privatrechtliche) Tätigkeit handelt, die nur mittelbar der Erreichung eines bestimmten gesetzlichen Zwecks dient. Keinen Einfluss auf diese Abgrenzung haben jedenfalls Normen des öffentlichen Rechts, insbesondere des Budgetrechts und der Gemeindeordnungen mit ihren das Gebarungs-, Rechnungs- und Voranschlagswesen generell regelnden Ausführungsverordnungen (hier: Allgemeine Gemeindekassenordnung LGBl 5/1977, Allgemeine Gemeindehaushaltsordnung LGBl. 50/1976 des Landes Kärnten). Diese Vorschriften sagen nämlich nichts darüber aus, in welcher Stellung sich die Gebietskörperschaft und ihr Organ jeweils gegenüber anderen Rechtssubjekten im Einzelfall befinden (vgl zu all dem SSt 50/6 = LSK 1979/131, 132).

Nach dem Gesagten kann jedenfalls die unterlassene Verbuchung der durch eine vorübergehend günstige Anlage einer Bedarfszuweisung des Landes Kärnten (zum Zweck der teilweisen Finanzierung des Volksschulbaues) im Betrag von 2,3 Mio S erlangten Zinsgewinne von 81.618 S (Faktum b) keinesfalls als eine pflichtwidrige Unterlassung (§ 2 StGB) einer Organhandlung im Rahmen der Hoheitsverwaltung qualifiziert werden, so dass der Schuldspruch wegen § 302 Abs 1 StGB insoweit jedenfalls rechtsirrtümlich ergangen ist.

Ob der Angeklagte aber durch die Nichtverbuchung dieser Zinsengutschrift und Verwendung zur Begleichung einer in der Buchhaltung offenen Rechnung der Kärntner Landesregierung (tatsächlich nicht mehr vorhandene) Schulden der Gemeinde M***** vortäuschen wollte, um unrechtmäßig weitere Bedarfszuweisungen (von 100.000 S) zu erwirken (so seine Verantwortung S 11, 94/II) und sich dadurch eines (versuchten) Betrugs (§§ 146, 147, allenfalls 15 StGB) schuldig gemacht hat, was bei Vorliegen aller weiteren Tatbestandserfordernisse ebenfalls eine Verantwortlichkeit nach § 302 Abs. 1 StGB begründen könnte (Leukauf-Steininger 2, RN 40, 41, 42 zu § 302 StGB), kann mangels jedweder Urteilsfeststellungen in dieser Richtung derzeit nicht beurteilt werden.

Sollten einzelne wissentliche Befugnismissbräuche des Angeklagten dem Bereich der Hoheitsverwaltung zuzuordnen sein, wären begründete Feststellungen zu treffen, ob und welche konkreten Rechte der Gemeinde M***** der Angeklagte vorsätzlich (§ 5 Abs 1 StGB) schädigen wollte und/oder tatsächlich schädigte. Das im Urteilstenor offensichtlich angesprochene Recht der Gemeinde auf ordnungsgemäße und den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Führung ihres Rechnungswesens und Ausfertigung wahrheitsgemäßer Belege stellt jedenfalls für sich allein nur ein allgemeines (abstraktes) Recht dar, dessen (wenn auch vorsätzliche) Beeinträchtigung Amtsmissbrauch nicht zu begründen vermag (vgl LSK 1983/48). Sollte der Angeklagte aber durch die als chaotisch beurteilte, die einschlägigen Vorschriften missachtende Buchführung, vor allem durch die Verfälschung der Tages‑ und Jahresabrechnungen dahinterstehende konkrete Rechte der Gemeinde M***** (wie etwa das gesetzliche Prüfungsrecht des Gemeinderats und das damit zusammenhängende Recht auf Geltendmachung allfälliger Schadenersatzansprüche, das Recht auf zeitgerechte Abgabeneinhebung und deren bestimmungsgemäße Verwendung und dergleichen) vorsätzlich geschädigt oder die falschen Jahresrechnungsabschlüsse erstellt haben, um für die Gemeinde vom Land Kärnten höhere Bedarfszuweisungen (auch für andere Zwecke als den Volksschulbau) beanspruchen zu können, so könnte darin die Schädigung konkreter Rechte der Gemeinde oder des Landes erblickt werden. Das könnte eine Verantwortlichkeit nach § 302 Abs 1 StGB begründen (RiZ 1970 S 183), im Fall eines 100.000 S übersteigenden Schadens in Idealkonkurrenz mit dem Verbrechen des Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (LSK 1976/318).

Daneben wären aber auch Feststellungen in der Richtung angezeigt, ob sich der Angeklagte durch die Verfälschung der Kassentagesbestandsausweise und der Jahresrechnungsabschlüsse des (zum Tatbestand des Amtsmißbrauchs allerdings nur subsidiären) Vergehens der falschen Beurkundung im Amt nach § 311 StGB schuldig gemacht hat.

Hiebei kommt es aber - wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat - nicht allein auf formelle, in der rechtlichen Beschaffenheit des Ausstellers (als Beamter nach § 74 Z 4 StGB) gelegene Kriterien, sondern darüber hinaus auf die Bedeutung dessen an, was beurkundet wird; erst darin liegt der Grund für den besonderen strafrechtlichen Schutz öffentlicher Urkunden (LSK 1983/8, 9 = RiZ 1983/25 = EvBl 1983/79 = JBl 1983 S 386 m Anm Kienapfel; 13 Os 56/83). Urkunden, die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung entstehen, werden in der Regel nicht als öffentliche Urkunden im dargelegten Sinn anzusehen sein. Aber auch bei Urkunden, die im Rahmen der Hoheitsverwaltung nicht primär für den Verkehr nach außen, sondern bloß zur gegenseitigen Information amtlicher Stellen bestimmt sind, handelt es sich zwar um „amtliche“, nicht aber um öffentliche Urkunden im Sinn des Strafgesetzbuchs (Kienapfel im WK § 224 RZ 23, 27, 28 und 29; derselbe in JBl 1982 S 509 = Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 10 S 102 bis 106). Es wären daher Konstatierungen betreffend den gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt und die Form der verfälschten Abrechnungen und deren Zweckbestimmung sowie die Art der Verfälschung (nur unrichtige Zahlen oder auch händisch veränderte Zahlen und nachgemachte Unterschriften) zu treffen, um die rechtliche Beurteilung auch in dieser Richtung (allenfalls §§ 223, 224 StGB) verlässlich vornehmen zu können.

Zufolge dieser Feststellungsmängel (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) ist die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidlich (§ 285e StPO), weshalb das Urteil in allen Aussprüchen mit Ausnahme des Freispruchs aufzuheben und dem Erstgericht insoweit die Verfahrenserneuerung aufzutragen war, ohne dass auf das Vorbringen der Mängelrüge noch einzugehen gewesen wäre.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte hierauf zu verweisen.

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