OGH 9Os179/83

OGH9Os179/8320.12.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 1983 unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr.

Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Spies als Schriftführer in der Strafsache gegen Horst A wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB und der versuchten Nötigung nach § 15, 105 Abs. 1 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Jugendschöffengericht vom 20. September 1983, GZ 11 c Vr 496/83-15, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Alder und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und die Probezeit auf 2 (zwei) Jahre herabgesetzt; im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 21. Juni 1968 geborene Schüler Horst A (zu 1.) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB und (zu 2.) des Vergehens der versuchten Nötigung nach § 15, 105 (Abs. 1) StGB schuldig erkannt. Es liegt ihm zur Last, am 21. April 1983 (also im Alter von 14 Jahren und 10 Monaten) auf dem Gelände des Sportplatzes in Dobermannsdorf den damals 11-jährigen Gerald B, der seine Sicht auf ein Fußballspiel behinderte, im Zuge eines deswegen entstandenen Streites durch Versetzen einer Ohrfeige und eines Stoßes mit dem Fuß, somit durch Gewalt zum Niederlegen zu nötigen versucht, (2. des Schuldspruches) und sodann den Genannten vorsätzlich am Körper verletzt zu haben, indem er ihm mit einem sogenannten 'Beinfeger' - einem dem Angeklagten aus dem Judosport bekannten Vorgang, bei welchem von zwei einander mit dem Gesicht gegenüberstehenden Gegnern der eine den anderen durch einen Schlag mit dem Bein gegen dessen (Stand-)Bein von hinten nach vorne und durch gleichzeitiges Drücken gegen die Brust in die Gegenrichtung rücklings zu Fall bringt - niederwarf, wodurch B eine Titiafissur im Bereich des linken Sprunggelenkes mit Ephiphysenlösung erlitt, welche mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbunden war (1. des Schuldspruches).

Rechtliche Beurteilung

Nur den Schuldspruch wegen der versuchten Nötigung (2.) ficht der Angeklagte mit einer ziffernmäßig auf Z. 9 lit. b (der Sache nach auch Z. 10) des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an, der jedoch Berechtigung nicht zukommt.

Die Beschwerde will aus der abschließenden Urteilsfeststellung, wonach der Angeklagte, als B am Boden lag 'das erreicht hatte, was er wollte' (S 105), die Annahme eines 'Gesamtvorsatzes' des Angeklagten, den minderjährigen B durch Angriffe auf seine körperliche Integrität zu Boden zu zwingen, herauslesen und vermeint, daß der zeitlich vorangegangene Versuch (einer Nötigung) durch die unmittelbar darauf folgende Vollendung (der Körperverletzung) 'als konsumiert' gelte. Hiebei schwebt ihr offensichtlich der Fall einer stillschweigenden Subsidiarität (also Scheinkonkurrenz) vor, bei welcher der Versuch einer Straftat hinter deren Vollendung unter der Voraussetzung zurücktritt, daß die einzelnen, letztlich erfolgreichen Ausführungshandlungen eine Sinneinheit bilden, von einem einheitlichen, wenn auch im Zuge der Tatausführung modifizierten Vorsatz getragen und planmäßig auf die Vollendung eines und desselben Verbrechens (Vergehens) ausgerichtet sind (Nowakowski, S 121;

Burgstaller, JBl 1978, S 400; EvBl 1977/7; ÖJZ-LSK 1979/223, 1981/150).

Der Beschwerde ist zwar einzuräumen, daß unter Zugrundelegung der zitierten (allerdings aus dem Zusammenhang der übrigen Urteilskonstatierungen herausgegriffenen) Passage der Feststellungen dem Angeklagten in subjektiver Beziehung unterstellt werden könnte, er habe von vornherein durch aufeinanderfolgende, in ihrer Intensität gesteigerte Angriffe auf die körperliche Integrität bis zuletzt den Schüler Gerald B 'wie einen Hund' zum Niederlegen vor seinen Füßen nötigen wollen. In diesem Fall wäre - wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt - aber rechtsrichtig ein Schuldspruch wegen des Vergehens der vollendeten Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und wegen des damit in Tateinheit zusammentreffenden Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu fällen gewesen (SSt 46/79), während das infolge geringerer Gewaltanwendung (Ohrfeige, Fußstoß) zunächst erfolglos gebliebene Tatverhalten nicht gesondert als Versuch der Nötigung zuzurechnen gewesen wäre.

Liest man aber die Urteilsfeststellungen in ihrer Gesamtheit, so sind die Tatrichter - entgegen der Meinung der Generalprokuratur - nicht davon ausgegangen, daß der Angeklagte die zum unkontrollierten harten Fall auf den Boden und zur schweren Körperverletzung führende (beim Judounterricht erlernte) Beinschere ('Beinfegerl') nur in Weiterverfolgung seines auf Nötigung gerichteten Vorsatzes angewendet hat. Sie gelangten vielmehr ersichtlich zur überzeugung, daß der Angeklagte, weil er darüber erbost war, daß ihm B 'nicht folgte' (S 104), sich nunmehr, nachdem der Nötigungsversuch mißlungen war, mit Verletzungsvorsatz zu der massiven Gewaltanwendung, welche die schwere Verletzung des Genannten zur Folge hatte, entschlossen hat.

Geht man bei der rechtlichen Überprüfung aber von diesen (insgesamt unbekämpft gebliebenen) Urteilsannahmen aus, hat das Jugendschöffengericht zutreffend Realkonkurrenz zwischen dem erfolglos und damit beim Versuch gebliebenen Vergehen der Nötigung nach § 15, 105 Abs. 1 StGB und dem im Anschluß daran in Abänderung des ursprünglichen (nur auf Nötigung ausgerichteten) Tatplanes begangenen Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB angenommen.

Aber auch der in Ausführung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO erhobene Beschwerdeeinwand, das als versuchte Nötigung qualifizierte, nur mit leichter Handanlegung verbundene Kommando 'Platz' entbehre einer gesonderten Strafwürdigkeit (§ 42 StGB), trifft nicht zu.

Die Tatsache, daß dem Angeklagten auch eine weitere, mit einer die Grenze von einem Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte strafbare Handlung zur Last liegt, schließt zwar grundsätzlich die Anwendung des § 42 StGB für das gemeinsam abgeurteilte, für sich allein nur mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu ahndende Vergehen der Nötigung nicht aus (vgl Leukauf-Steininger 2 , RN 21 zu § 42 StGB).

Jedoch kann bei der gegebenen Fallkonstellation weder bei der Beurteilung der Schuld noch bei Prüfung der spezialpräventiven Erfordernisse außer acht gelassen werden, daß der (wenn auch noch sehr junge) Angeklagte auf das Mißlingen seines Nötigungsversuches bewußt mit einer Gewaltaktion reagiert hat, was auf eine nicht unbeträchtliche Intensität des deliktischen Willens hinweist und damit gegen eine geringe Schuld spricht, insbesondere aber die Notwendigkeit aufzeigt, dem Jugendlichen schuldspruchmäßig vor Augen zu führen, daß sein Tatverhalten insgesamt (und nicht nur die Körperverletzung) strafrechtlich verpönt ist.

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher zur Gänze der Erfolg zu versagen.

Das Erstgericht verurteilte Horst A nach § 84 Abs. 1 StGB unter Anwendung der § 28 StGB und 11 Z 1 JGG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten und bestimmte die Probezeit mit drei Jahren. Bei der Strafzumessung wurde das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen als erschwerend, als mildernd hingegen ein wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung, der bisher unbescholtene Wandel, sowie der Umstand angenommen, daß es bei der Nötigung beim Versuch geblieben und die Tat auf eine gewisse Provozierung durch einen weiteren Jugendlichen (der den Angeklagten noch aufgestachelt hatte) zurückzuführen ist.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte (ersichtlich primär) die Anwendung des § 13 JGG an; eventualiter begehrt er die Herabsetzung der Strafe bzw die 'Umwandlung' der Freiheitsstrafe in eine (gleichfalls bedingt nachgesehene) Geldstrafe.

Die Berufung ist teilweise, allerdings nur in Ansehung der Dauer der bestimmten Probezeit, berechtigt.

Der vorläufige Aufschub des Ausspruchs und der Vollstreckung der (wegen einer Jugendstraftat) zu verhängenden Strafe setzt voraus, daß (mit Grund) anzunehmen ist, der Schuldspruch (allein oder in Verbindung mit Weisungen usw) werde genügen, um den jugendlichen Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten und der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 13 Abs. 1 JGG). Nun ist es zwar richtig, daß tätliche Auseinandersetzungen zwischen Schulpflichtigen nicht in jedem Fall nach jenen kriminellen Maßstäben zu messen sind, die ansonsten für derartige Auseinandersetzungen gelten. Im vorliegenden Fall ist aber zu berücksichtigen, daß der Berufungswerber seine Aggressionen, die zunächst in der Anwendung nötigender Gewalt bestanden, dann aber (infolge ihrer Erfolglosigkeit) zu einer mit dem Eintritt einer schweren Körperverletzung verbundenen massiveren Gewaltaktion führten, aus nichtigem Anlaß - bloß um sich auf einem Fußballplatz bessere Sicht auf das Spiel zu verschaffen - gegen einen um drei Jahre jüngeren und körperlich nicht sehr gewandten Knaben, der ohnedies bemüht war, dem Angeklagten nicht die Sicht zu verstellen (S 104), richtete, wobei schon die Vorgangsweise bei der versuchten Nötigung einen nicht unbeträchtlichen Mangel an Achtung der Würde des Jüngeren erkennen läßt. Das deutet insgesamt darauf hin, daß der Berufungswerber in größerem Maße als dies sonst bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Altersgenossen der Fall ist, dazu neigt, seinen Willen gewaltsam durchzusetzen, und seine körperliche überlegenheit aggressiv auszuspielen. Einer solchen schädlichen Neigung muß aber - auch im Interesse des jugendlichen Rechtsbrechers - rechtzeitig und entsprechend entgegengewirkt werden; sie läßt es nicht mit Grund annehmen, daß der Schuldspruch allein (ohne Strafausspruch) genüge, um den Täter entsprechend positiv zu beeinflussen und ihn davon abzuhalten, abermals seiner Aggressionsneigung aus nichtigem Anlaß zu unterliegen. Solcherart fehlt es daher vorliegend an der in § 13 Abs. 1 JGG geforderten günstigen Zukunftsprognose, abgesehen davon, daß bei Straftaten wie den gegenständlichen, die von Kameraden des jugendlichen Rechtsbrechers mitverfolgt werden, auch gewichtige generalpräventive Gründe gegen einen (bloßen) Schuldspruch sprechen.

Dem Begehren um Anwendung des § 13 JGG konnte somit aus den dargelegten Erwägungen nicht entsprochen werden.

Das Maß der verhängten Freiheitsstrafe entspricht durchaus dem Schuld- und Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftaten, sodaß eine Reduzierung nicht geboten war. Gerade zu Beginn einer nach den Umständen indizierten Hinentwicklung zu aggressiver Kriminalität vermag eine bedingte nachgesehene Geldstrafe, wie sie die Berufung eventualiter begehrt, vorliegend nicht die gebotene positive Beeinflussung zu erzielen; es bedarf hiezu vielmehr der - wenn auch kurzfristigen und bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe als der spezialpräventiv wirksameren Strafe (vgl hiezu Nowakowski in ÖJZ 1973, 35; Göppinger, Kriminologie 3 , 303; Leukauf-Steininger, Kommentar 2

§ 37 RN 12).

Was dagegen die Dauer der gemäß § 43 Abs. 1 StGB bestimmten Probezeit betrifft, die das Jugendschöffengericht mit drei Jahren bemessen hat, so ist insoweit eine angemessene Reduzierung gerechtfertigt; in diesem - und nur in diesem - Umfang kommt daher der Berufung Berechtigung zu, sodaß insgesamt spruchgemäß zu erkennen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte