OGH 12Os121/83 (12Os122/83)

OGH12Os121/83 (12Os122/83)10.11.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.November 1983

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof.

Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. von der Thannen als Schriftführer in der Strafsache gegen Kurt A wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Fall StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 8.Juli 1983, GZ 8 Vr 426/83-38, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Müller-Strobl und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 2 1/2 (zweieinhalb) Jahre herabgesetzt.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 2.März 1964 geborene Büroangestellte Kurt A auf Grund des jeweils einstimmigen Wahrspruchs der Geschwornen neben einer anderen Straftat zu I./ des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 StGB. und zu II./ des Vergehens des (zu ergänzen: schweren) Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, Abs 2 Z. 1, 128 Abs 1 Z. 4 StGB. schuldig erkannt, weil er am 13.November 1982 in Klagenfurt in Gesellschaft des abgesondert verfolgten Hubert B I./ der Marie-Christine C mit Gewalt gegen ihre Person (Versetzen eines heftigen Stoßes) fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Handtasche im Wert von 550 S mit mindestens 5 S Bargeld, einer Brieftasche im Wert von ca. 150 S, einem Toilettetascherl und verschiedenen Toiletteartikeln im Wert von ca. 250 S, einem Etui im Wert von 130 S, sowie einem Schlüsselbund und II./ u.a. (zu 3./) der Ursula D eine Damenhandtasche im Wert von ca. 100 S mit 120 S Bargeld, einer Geldbörse im Wert von ca. 100 S und einer Fernsehbrille im Wert von ca. 300 S mit Bereicherungsvorsatz wegnahm.

Rechtliche Beurteilung

Der Sache nach nur diese Teile des Schuldspruchs bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe des § 345 Abs 1 Z. 4, 8 und 12 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Den erstgenannten Nichtigkeitsgrund sieht er durch Verletzung des § 260 Abs 1 Z. 2 StPO. verwirklicht, weil das angefochtene Urteil ihm in der rechtlichen Subsumtion der durch den Wahrspruch der Geschwornen festgestellten Taten zu I./ das Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 StGB. und (ebenfalls) zu I./ (zu ergänzen: 1., 2. und 3.) das Vergehen des Diebstahls nach §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z. 1, 128 Abs 1 Z. 4 StGB. anlaste. Es sei daher nicht zu erkennen, welcher Tat er zu I./ nun in Wahrheit schuldig befunden wurde. Diesem Vorbringen ist jedoch bereits durch den Beschluß des Vorsitzenden des Geschwornengerichts vom 12.August 1983, ON. 42, womit der erwähnte, offensichtliche Schreibfehler dahin berichtigt wurde, daß dem Angeklagten das Vergehen des (schweren) Diebstahls zu 'II./ 1. bis 3.' angelastet wird, der Boden entzogen.

Unter dem Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z. 8

StPO. bringt der Beschwerdeführer gegen den Schuldspruch wegen schweren Raubes zu I./ vor, die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung sei unrichtig bzw. unvollständig, weil sie sich auf die Erklärung des Grundtatbestandes nach § 142 Abs 1 StGB. sowie auf die der Beteiligungsformen des § 12 StGB. in Verbindung mit § 143 StGB. beschränke, die wichtigsten Unterscheidungsgrundsätze nach dem letzten Stand der Rechtsprechung in bezug auf Raub und Diebstahl einer Handtasche aber nicht dargestellt wurden. So hätte in der Rechtsbelehrung darauf hingewiesen werden müssen, daß in Fällen eines für den Angegriffenen unvorhersehbaren Angriffs dieser einen Widerstandsentschluß gar nicht fassen könne, sodaß das Entreißen einer Sache als Diebstahl und nicht als Raub zu beurteilen sei.

Die behauptete Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung liegt nicht vor:

Sogenannte deskriptive Tatbestandsmerkmale, die dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommen und daher jedermann verständlich sind, bedürfen keiner Erläuterung in der Rechtsbelehrung (SSt. 41/61, EvBl 1980/107).

Daher ist auch eine Belehrung über den Ausdruck 'Gewalt gegen eine Person' i.S. des § 143 Abs 1 StGB. in der Regel nicht erforderlich (RZ. 1973/102 S. 69). Im vorliegenden Falle hat die Rechtsbelehrung diesen Begriff aber ohnedies im Einklang mit Lehre und Rechtsprechung (vgl. Leukauf-Steininger2, RN. 6 bei § 142) als Anwendung einer überlegenen und zur Beugung oder Beseitigung eines vorausgesetzten tatsächlichen oder erst zu erwartenden Widerstandswillens des Opfers geeigneten physischen Kraft erläutert. Beispielsweise werden Schlagen, Zubodenstoßen und auch das bloße Festhalten des Opfers, um ihm die Sache wegzunehmen, als Gewaltanwendung angeführt. Auch die Unterschiede zwischen den Tatbildern des Raubes und des Diebstahls werden dargestellt; ebenfalls zutreffend wird hiezu ausgeführt, daß sich der Raub vom Diebstahl dadurch unterscheidet, daß die Sachwegnahme bei letzterem ohne Einsatz von körperlicher Gewalt erfolgt (S. 397). Damit ist auch die wesentliche Abgrenzung der beiden Tatbilder ausreichend und verständlich gekennzeichnet. Gegenstand der Rechtsbelehrung können nur rechtliche, nicht aber tatsächliche Umstände sein, die vor allem für die Beweiswürdigung in Betracht kommen; auf den Sachverhalt des Anlaßfalles ist daher in der Rechtsbelehrung grundsätzlich nicht einzugehen. Deshalb soll eine Bezugnahme auf (kasuistische) 'Beispielsfälle', die die Geschwornen zu Vergleichen mit dem in den ihnen vorgelegten Fragen konkretisierten Tatgeschehen anregen und insoweit (mittelbar) ihre Beweiswürdigung beeinflussen können, tunlichst unterbleiben (JBl. 1980, 162; vgl. auch Melnizky, Fragestellung und Rechtsbelehrung im geschwornengerichtlichen Verfahren, JBl. 1973, 348 inbes. 356). Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung war daher eine fallbezogene Darstellung der Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Entreißen einer Handtasche als Raub und wann als Diebstahl anzusehen ist, nicht angebracht. Im übrigen bot die im Anschluß an die Rechtsbelehrung abgehaltene Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschwornen gemäß § 323 Abs 2 StPO noch Raum zu weiteren Erörterungen über die Anwendung der schriftlich erläuterten Rechtsbegriffe auf den den Fragen zugrundeliegenden Sachverhalt.

Verfehlt ist der weitere Vorwurf des Beschwerdeführers, die Rechtsbelehrung hätte auch darauf eingehen müssen, daß der Raub eine schwere Beeinträchtigung einer anderen Person erfordere. Es genügt vielmehr die Anwendung jeder überlegenen und zur Beugung bzw. Beseitigung eines vorausgesetzten - tatsächlichen oder auch erst zu erwartenden - Widerstandswillens des Opfers geeigneten physischen Kraft. Lediglich ganz unwesentliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit scheiden aus (Leukauf-Steininger, StGB.2, RN. 6 bei § 142 StGB.). Die vom Beschwerdeführer vermißten Ausführungen über die Tatbegehung durch schwere Beeinträchtigung des Raubopfers hätten daher die Rechtsbelehrung unrichtig gemacht. Unbegründet ist auch der weitere, sich gegen den Schuldspruch zu II./ 3. richtende Vorwurf gegen die Rechtsbelehrung, sie sei zur

4. Hauptfrage (Vergehen des Diebstahls) nicht erteilt worden. Die Erläuterung der Merkmale dieses Tatbildes wurde nämlich - zur entsprechenden, in der überschrift allerdings verfehlt als '5.'

bezeichneten Hauptfrage und zu den Eventualfragen 7 bis 8 zusammengefaßt - zutreffend vorgenommen. Daß es sich bei der erwähnten falschen Bezeichnung der Hauptfrage um einen den Geschwornen auch als solchen erkennbaren Schreibfehler handelte, wird nicht nur daraus deutlich, daß Gegenstand dieses Teiles der Rechtsbelehrung eben der Diebstahl ist, sondern auch aus der anschließenden, diesfalls zutreffenden Erörterung einer Hauptfrage 5 (Hehlerei). Ein Verschreiben bei der Nummernangabe der Frage, auf die sich die Rechtsbelehrung bezieht, vermag Nichtigkeit nicht zu begründen (Mayerhofer/Rieder, II2, E.Nr. 48 zu § 345 Abs 1 Z. 8 StPO.).

In der Rechtsrüge nach § 345 Abs 1 Z. 12 StPO. bringt der Beschwerdeführer vor, die im Wahrspruch der Geschwornen festgestellte und vom Geschwornengericht als Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 (erster Fall) StGB. beurteilte Tat stelle richtigerweise nur das Vergehen des Diebstahls dar. Bei der Interpretation des Wahrspruchs durch Heranziehung der Ergebnisse des Beweisverfahrens ergebe sich nämlich, daß das angebliche Raubopfer vom Beschwerdeführer nur leicht angerempelt wurde, keinen aktuellen Behauptungswillen entfaltete und die Tasche nicht festhielt. Im vorliegenden Falle haben die Geschwornen die den Beschwerdeführer betreffende zweite Hauptfrage uneingeschränkt und damit auch in Ansehung der Gewaltanwendung bejaht. Sie haben also eine im Sinne der ihnen erteilten Rechtsbelehrung auf Willensbeugung des Opfers gerichtete und hiezu geeignete, vom Beschwerdeführer gesetzte physische Einwirkung auf das Opfer als erwiesen angenommen. Dem Wahrspruch ist nichts zu entnehmen, was einer Wertung der Tat des Angeklagten als Raub entgegenstünde. Die vom Beschwerdeführer vertretene Rechtsmeinung, Raub liege nur dann vor, wenn der Widerstandswille des Angegriffenen gebrochen wurde, trifft dann nicht zu, wenn von vornherein Gewalt gegen die Person des Raubopfers (hier durch Versetzen eines Stoßes) und nicht bloß gegen eine Sache (durch Reißen an der vom Opfer getragenen Tasche) geübt wird. Nur in den letztgenannten Fällen bedarf es zur Abgrenzung zwischen Raub und Diebstahl des vom Beschwerdeführer herausgestellten Kriteriums des Widerstandswillens, der durch Festhalten der Tasche ausgeübt wird, sodaß deren Wegreißen die überwindung eines entgegenstehenden Willens und damit Gewalt gegen die Person darstellt. Wird aber von vornherein unmittelbar gegen die Person Gewalt geübt und ein der Sachwegnahme entgegenstehender (wenngleich noch gar nicht aktualisierter) Wille ausgeschaltet, besteht an der Beurteilung der Tat als Raub kein Zweifel (vgl. neuerlich Mayerhofer/Rieder, StGB.2, a. a.O. und Leukauf-Steininger RN. 22 zu § 142 StGB. und die dort wiedergegebene Judikatur).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB. unter Anwendung der §§ 28 und 41 StGB. zu drei Jahren Freiheitsstrafe.

Bei der Strafbemessung nahm es als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen, die Wiederholung der strafbaren Handlungen und die zweifache Diebstahlsqualifikation an, als mildernd hingegen das Geständnis, die Unbescholtenheit, das Alter unter 21 Jahren und die teilweise Schadensgutmachung durch Zustandebringung der Beute.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe an.

Die Berufung ist begründet.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe zwar im wesentlichen richtig erfaßt; die verhängte Strafe ist jedoch nach Lage des Falles im Hinblick auf den bisherigen ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, der Tatsache, daß der Unrechtsgehalt der Raubtat nicht allzu sehr ins Gewicht fällt (handelt es sich doch um einen eher atypischen Fall des (schweren) Raubes) und sich weder aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Otto E noch aus dem Vorleben des bisher unbescholtenen Berufungswerbers ergibt, daß die an einem Tag begangenen Taten auf eine grundsätzlich gegenüber den rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung zurückzuführen sind, überhöht und eine Herabsetzung auf das im Spruch ersichtliche Ausmaß gerechtfertigt.

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