OGH 9Os137/83

OGH9Os137/838.11.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.November 1983

unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hirnschall als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sieglinde A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht St. Pölten vom 30.Juni 1983, GZ 24 Vr 1417/82-61, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach in Anwesenheit der verhafteten Angeklagten durchgeführter öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Steininger, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Obendorfer und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Hauptmann, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlaß wird jedoch gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO. das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Vorhaftanrechnung dahin ergänzt, daß auch die Vorhaft vom 21.Oktober 1982, 22.00 Uhr, bis 22. Oktober 1982, 23.45 Uhr, gemäß § 38 StGB. auf die Strafe angerechnet wird.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 25.Oktober 1942 geborene Angestellte Sieglinde A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. schuldig erkannt, weil sie am 20.Oktober 1982 in Wördern Christine B durch Versetzen mehrerer Stiche mit einem Jagdmesser in den Rücken- und Brustbereich vorsätzlich getötet hat.

Die Geschwornen hatten die Hauptfrage I (in Richtung des Verbrechens des Mordes) einstimmig bejaht; folgerichtig blieb die nur für den Fall der Verneinung dieser Frage gestellte Eventualfrage (in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB.) unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Die Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z. 8 und 12 des § 345 Abs 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Den erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund erblickt sie in einer - ihrer Auffassung nach - im Ergebnis einer Unrichtigkeit gleichkommenden Unvollständigkeit der den Geschwornen zur Eventualfrage II erteilten Rechtsbelehrung, weil darin der für den Tatbestand des § 76 StGB. entscheidende Hinweis fehle, daß sich die allgemeine Begreiflichkeit auf die heftige Gemütsbewegung zu beschränken hat, während eine solche Verständlichkeit der Tötungshandlung nicht vorausgesetzt wird. Nun ist es sicherlich richtig, daß nicht die Tat, als Ausfluß des psychischen Ausnahmezustands des Täters, sondern die heftige Gemütsbewegung in ihrer Relation zu dem sie herbeiführenden Anlaß allgemein verständlich sein muß (vgl. ÖJZ-LSK 1977/379; ÖJZ-LSK 1982/86; Leukauf-Steininger, Kommentar2 § 76 RN. 4 und 5). Eben das bringt aber die Rechtsbelehrung zur Eventualfrage II ohnehin zum Ausdruck.

Die darin enthaltene (den Leitsatz der Entscheidung ÖJZ-LSK 1975/185 in seinem Kern richtig wiedergebende) Erläuterung (S. 322/III), daß eine Gemütsbewegung dann allgemein begreiflich ist, wenn ein Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche geraten, läßt nämlich keinen Zweifel daran offen, daß nur der konkrete Affekt des Täters (allerdings in seiner gesamten Dimension, einschließlich seiner tatkausalen Intensität) in Relation zu seinem Anlaß - nicht aber die Tat selbst - einer rechtsethischen Bewertung auf seine allgemeine Verständlichkeit (Begreiflichkeit) im Sinn des § 76 StGB. zu unterziehen ist. Gerade auf diesen Teil der Rechtsbelehrung ist aber in der Niederschrift der Geschwornen (§ 331 Abs 3 StPO.) ausdrücklich Bezug genommen worden (S. 329/III). Damit geht aber auch der Einwand fehl, die Geschwornen könnten einen anderen Teil der ihnen erteilten schriftlichen Belehrung zur Eventualfrage II, nämlich den Hinweis, eine heftige Gemütsbewegung sei nicht einem Handeln ohne überlegung gleichzuhalten, dahin mißverstanden haben, daß eine derartige Gemütsbewegung einem Handeln mit überlegung gleichkomme, sodaß sie deshalb die allgemeine Begreiflichkeit einer solcherart überlegt begangenen Tötungshandlung rechtsirrig als Tatbestandsmerkmal des § 76 StGB. angesehen haben könnten. Im übrigen reißt die Beschwerde den vermeintlich von den Geschwornen mißverstandenen Teil der Rechtsbelehrung aus seinem Zusammenhang mit den unmittelbar nachfolgenden Erläuterungen, in denen klargestellt wird, daß auch ein von großer Leidenschaft erfaßter Täter planmäßig und überlegt, andererseits ein kaltblütiger Täter unüberlegt handeln kann (vgl. Dokumentation zum StGB. 122). Ob aber eine Rechtsbelehrung unrichtig und geeignet ist, die Geschwornen irrezuführen, ist nach ihrem gesamten Inhalt und nicht etwa nach einzelnen, aus dem Zusammenhang gerissenen Teilen zu prüfen (Mayerhofer-Rieder, StPO., E.Nr. 49, 50 zu § 345 Z. 8).

Für die Annahme des von der Beschwerde den Geschwornen unterstellten Mißverständnisses, welches auf einem krassen, auch für Laien unschwer vermeidbaren Denkfehler (nämlich auf einem Schluß aus der mangelnden Deckungsgleichheit zweier Begriffe auf die übereinstimmung des Umfangs der jeweils gegenteiligen Begriffe) beruht haben müßte, besteht vorliegend umso weniger Anlaß, als die Geschwornen ihrer Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO.) zufolge von einem vorgefaßten Plan der Angeklagten, ihre Nebenbuhlerin zu töten, sofern diese nicht auf ihren Freund verzichten sollte, ausgegangen sind (vgl. abermals S. 329/III).

Diese Niederschrift, die der Prüfstein dafür ist, ob ein Mißverständnis über die Rechtsbelehrung vorliegt oder vorliegen konnte (Mayerhofer-Rieder, a.a.O. E.Nr. 69 zu § 345 Z. 8), beweist somit, daß von dem in der Beschwerde behaupteten Mißverständnis keine Rede sein kann.

Soweit die Beschwerdeführerin überdies in der Rechtsbelehrung einen Hinweis darauf vermißt, daß die besonders verwerfliche Begehungsweise (Zerstückelung des Opfers) die Unterstellung der Tat unter § 76 StGB. nicht ausschließt, so versagt dieser Einwand schon deshalb, weil eine Tötungshandlung dieser Art gar nicht Gegenstand der Fragestellung an die Geschwornen gewesen ist, zumal nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung (vgl. hiezu das in dieser ausdrücklich aufrecht erhaltene /S. 307/III / Obduktionsgutachten ON. 58, insb. S. 177/III) Christine B nicht erst durch die Zerstückelung ihres Körpers, sondern bereits durch die vorangegangenen Messerstiche getötet worden ist. Ebensowenig bedurfte es des - von der Beschwerdeführerin ebenfalls als unterlassen gerügten - Hinweises darauf, daß die Zerstückelung der Leiche bei Beurteilung der Tathandlung 'und Bemessung der Strafe' außer Betracht zu bleiben habe, weil ein Verfolgungsantrag wegen des Vergehens der Störung der Totenruhe nach § 190 Abs 1 StGB. nicht gestellt wurde. Denn die Rechtsbelehrung hat in dem durch das Frageschema gestellten Rahmen zu bleiben und die in den gestellten Fragen enthaltenen Rechtsbegriffe zu erläutern, nicht aber auf konkrete Tatumstände Bezug zu nehmen; auf die besondere Gestaltung des Einzelfalles einzugehen, bleibt vielmehr der im Anschluß an die Rechtsbelehrung vorzunehmenden Besprechung gemäß § 323 Abs 2 StPO. vorbehalten, deren allfällige Unvollständigkeit im übrigen keine Nichtigkeit zu begründen vermag (Mayerhofer-Rieder, a.a.O. E.Nr. 4 zu § 323).

Die Beschwerde vermag somit insgesamt keine einer Unrichtigkeit gleichkommende Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung in Ansehung der Eventualfrage II aufzuzeigen, weshalb die bezügliche Rüge versagt. Das Beschwerdevorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z. 12 des § 345 Abs 1 StPO., mit welchem die Unterstellung der Tat unter den Tatbestand des § 76 StGB. begehrt wird, stellt keine gesetzmäßige Ausführung des angezogenen materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes dar, weil es nicht vom Wahrspruch der Geschwornen ausgeht. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zur Gänze zu verwerfen. Aus deren Anlaß war jedoch gemäß §§ 290 Abs 1, 344

StPO. der fehlerhafte erstgerichtliche Ausspruch über die Vorhaftanrechnung entsprechend zu korrigieren.

Das Geschwornengericht verurteilte die Angeklagte nach § 75 StGB. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 (zwanzig) Jahren. Dabei wertete es als erschwerend den massiven und brutalen Angriff auf das wehrlose Mädchen, das praktisch keine Verteidigungsmöglichkeit und keine überlebenschance hatte, als mildernd hingegen das Geständnis des Tatsächlichen, die heftige Gemütsbewegung zur Zeit der Tat, die der Angeklagten übereinstimmend von allen drei beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen bescheinigt wurde, wobei diese Gemütsbewegung allerdings nicht 'allgemein' begreiflich war, sowie den bisherigen untadeligen Lebenswandel.

Mit ihrer Berufung strebt die Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe an.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Von einem reumütigen Geständnis (in Richtung des Mordes) kann nach der Aktenlage - entgegen dem bezüglichen Berufungsvorbringen - nicht gesprochen werden. Ein Geständnis 'des Tatsächlichen' ist, was wiederum das Geschwornengericht verkannt hat, kein Milderungsgrund (vgl. Leukauf-Steininger, a.a.O. § 34 RN. 25 und die dort zitierte Judikatur). Der Berufungswerberin kann jedoch als mildernd im Sinn des § 34 Z. 17 StGB. zugute gehalten werden, daß sie durch ihre Aussagen einen nicht unerheblichen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet hat. Dem weiters von der Berufung herausgestellten Umstand, wonach die Angeklagte ihr Vermögen veräußert hat, um die aus ihrer Tat entstandenen privatrechtlichen Ansprüche des Vaters des getöteten Mädchens zu erfüllen, kommt als besonderer Milderungsgrund kein allzu großes Gewicht zu, was die Berufung letztlich selbst einräumt, weil ein Menschenleben in Geld oder materiellen Werten nicht bewertbar und ersetzbar ist. Im übrigen hat das Geschwornengericht die Strafzumessungstatsachen durchaus zutreffend und vollständig festgestellt; zu deren Korrektur (zugunsten der Berufungswerberin) bestand demnach kein Anlaß. Es hat diese Strafzumessungstatsachen aber auch - unter entsprechender Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung - im Ergebnis durchaus zutreffend gewürdigt, wobei es ersichtlich gerade im Hinblick auf die in der Berufung vorgebrachten Erwägungen nicht eine lebenslange, sondern eine zeitliche Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Ausmaß dieser Strafe entspricht aber auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes der Schwere der personalen Täterschuld und dem hohen Unwert der gegenständlichen Straftat, weshalb eine Reduzierung der Strafe nicht in Erwägungen gezogen werden konnte.

Auch der Berufung mußte demnach ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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