Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im Ausspruch gemäß § 263 Abs. 2 StPO unberührt bleibt, im übrigen aufgehoben sowie nach § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:
Romana A ist schuldig, am 12. September 1982
in Wien fahrlässig eine schwere Körperverletzung eines anderen herbeigeführt zu haben, indem sie es unterließ, für die erforderliche Verwahrung eines Frettchens zu sorgen, wodurch es geschehen konnte, daß dieses ihrem zwei Monate alten Sohn Sascha mehrere Bisse zufügte, durch die das Kind Bißwunden im Gesicht samt einem teilweisen Abbiß der Nase und der rechten Ohrmuschel erlitt. Sie hat hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB begangen und wird hiefür nach dem ersten Strafsatz des § 88 Abs. 4 StGB unter Bedacht auf § 11 Z 1 JGG zu 3 (drei) Wochen Freiheitsstrafe sowie nach §§ 389, 390 a StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens erster und zweiter Instanz verurteilt.
Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wird die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB wird ihr die Vorhaft vom 11. Jänner 1983, 14,20 bis 21 Uhr, auf die Strafe angerechnet.
Die Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld wird zurückgewiesen; mit ihrer Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird die Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Jugendliche Romana A des Vergehens der Vernachlässigung eines Unmündigen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3 erster Fall StGB schuldig erkannt; darnach liegt ihr zur Last, am 12. September 1982 in Wien im Alter von siebzehn Jahren ihre Verpflichtung zur Fürsorge oder Obhut ihrem damals gerade zwei Monate alt gewesenen Sohn Sascha gegenüber gröblich verletzt und dadurch fahrlässig dessen Gesundheit (laut Tenor: oder körperliche Entwicklung) beträchtlich geschädigt zu haben, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) zur Folge hatte. Nach den hier wesentlichen Urteilsfeststellungen ließ die Angeklagte ein ihr erst zwei Tage zuvor geschenktes Frettchen (Wiesel) in ihrer Wohnung frei umherlaufen, ohne sich überzeugt zu haben, ob es gefährlich sei, wodurch es geschehen konnte, daß das Tier, nachdem sie es am Abend mit Wurstresten und rohem Fleisch gefüttert hatte, in der Nacht den in einem Kinderbett gelegenen Säugling anfiel, ihm zahlreiche Bißwunden im Gesicht zufügte sowie - ohne daß daraus schwere Dauerfolgen entstanden wären - einen Teil der Nase und der rechten Ohrmuschel abbiß. Gegen 6,00 Uhr früh wurde die Angeklagte durch ihre Schwester, die das blutverschmierte Kind entdeckte, geweckt und vom Sachverhalt informiert; sie schlief jedoch bis gegen 9,30 Uhr weiter und verständigte erst dann Rettung und Polizei. Der Verantwortung der Angeklagten, sie sei bei ihrer vorerwähnten Benachrichtigung durch ihre Schwester noch von einem Schlafmittel benommen gewesen und deshalb wieder eingeschlafen, hielt das Erstgericht entgegen, sie werde 'als unreife Persönlichkeit geschildert, die noch nicht bereit und fähig sei, Verantwortung für ihr Kind zu tragen und ihre eigenen Bedürfnisse um des Kindes willen hintanzuhalten'. Zu ihrer weiteren Rechtfertigung, daß ihr jener Bekannte, von dem das Tier stamme, versichert habe, es sei friedlich und habe noch nie jemanden gebissen, daß sie selbst schon zwei Frettchen gehabt habe und daß sie daher diese Tiere kenne sowie noch keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht habe, vertrat es die Auffassung, sie habe 'ohne Zweifel zumindest fahrlässig' gehandelt:
denn sie habe, möge sie auch vorher Frettchen besessen haben, die harmlos gewesen seien, doch jedenfalls das Verhalten des ihr geschenkten Tieres nach so kurzer Zeit noch nicht abschätzen können und hätte daher, zumal sie es als ein fleischfressendes Tier kannte, für seine sichere Verwahrung sorgen müssen;
'ohne Zweifel' habe sie (gemeint: durch die Unterlassung einer derartigen Verwahrung) ihre Verpflichtung zur Obhut gegenüber dem Säugling gröblich vernachlässigt. In bezug auf den Eintritt der tatbestandsmäßigen (Gesundheits-) Schädigung genüge 'im übrigen' Fahrlässigkeit; diese sei 'ohne Zweifel' vorgelegen.
Rechtliche Beurteilung
Der formell verfehlt als 'Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld' bezeichneten, ohne ziffernmäßige Benennung der Sache nach auf § 281 Abs. 1 Z 5, 9 lit. a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten gegen dieses Urteil kommt insofern Berechtigung zu, als sie gegen die Beurteilung des inkriminierten Tatverhaltens als Vergehen nach § 92 Abs. 2 StGB gerichtet ist.
Die Verwirklichung jenes Delikts setzt auf der objektiven Tatseite eine gröbliche Pflichtenvernachlässigung, also ein krasses, beim Täter geradezu auf einen Charaktermangel hinweisendes Mißverhältnis zwischen seinem Verhalten und jenem Maß an Fürsorge oder (wie hier) Obhut voraus, dessen Anwendung unter den konkreten Umständen des Falles allgemein von ihm erwartet wird; in subjektiver Hinsicht müssen sowohl die Pflichtwidrigkeit als auch jene Umstände, die deren Gröblichkeit ausmachen, von seinem zumindest bedingten Vorsatz (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB) umfaßt sein (vgl. Leukauf-Steininger, StGB2, RN 9, 11 zu § 92; Foregger-Serini, MKK, Anm. II zu § 92 StGB); nur zur Herbeiführung der tatbildlichen Schädigung des Schutzbefohlenen genügt Fahrlässigkeit.
Als eine im dargelegten Sinn gröbliche Pflichtenverletzung kann nun der Angeklagten im vorliegenden Fall sicherlich vorgeworfen werden, daß sie nach ihrer Benachrichtigung durch ihre Schwester von den schweren Verletzungen des Säuglings nicht unverzüglich alles in ihrer Macht Stehende unternahm, um raschestmöglich für ärztliche Hilfe zu sorgen, sondern vielmehr in - möge sie auch infolge der Nachwirkungen eines Schlafmittels noch schlaftrunken gewesen sein - verantwortungsloser Weise ihre eigene Bequemlichkeit voranstellte und stundenlang weiterschlief, bevor sie das Erforderliche veranlaßte;
daß das Kind aus dieser in der Tat gröblichen Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflicht durch die Beschwerdeführerin einen Schaden erlitten hätte, ist aber den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen und hätte nach den Verfahrensergebnissen auch gar nicht konstatiert werden können.
In der Verletzung ihrer Obhutspflicht für den Säugling durch die Unterlassung einer gehörigen Verwahrung des Frettchens hinwieder kann - worin der Rechtsrüge (sachlich Z 10) entgegen der im Urteil vertretenen Auffassung beizupflichten ist - unter den hier gegebenen Umständen eine im Sinn des zuvor Gesagten krasse, geradezu einen Charaktermangel der Angeklagten aufzeigende Pflichtenvernachlässigung nicht erblickt werden.
Schon mangels objektiver Tatbildverwirklichung erweist sich demnach der Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 92 Abs. 2 StGB als rechtlich verfehlt. Daß die Beschwerdeführerin in Ansehung der ihr angelasteten Vernachlässigung ihrer Obhutspflicht überdies selbst nach den Urteilsannahmen nicht vorsätzlich, sondern bloß (unbewußt) fahrlässig gehandelt hat, sei in diesem Zusammenhang nur der Vollständigkeit halber vermerkt.
Insofern ist die Angeklagte mit ihrer Beschwerde demzufolge im Recht; in ihrem Bestreben darzutun, daß sie sich (überhaupt) nicht einmal fahrlässig verhalten habe, kann ihr jedoch nicht gefolgt werden.
Hält man sich nämlich vor Augen, daß der Beschwerdeführerin aus dem früheren Umgang mit eigenen Tieren dieser Art jedenfalls hätte klar sein müssen, daß das ihr geschenkte Frettchen mangels dementsprechender Vorkehrungen ohne weiteres in der Lage war, in das Kinderbett zu klettern und sich dort ungehindert zu bewegen, dann zeigt sich, daß ihr selbst als Siebzehnjähriger gleichermaßen hätte bewußt sein müssen, bereits damit würde für das darin gelegene zwei Monate alte Kind die Gefahr von Verletzungen, und zwar im Hinblick auf die Verständnis- und Hilflosigkeit des Säuglings auch von solchen (mit Bezug auf dessen Gesicht und Augen) schweren Grades, verbunden sein; demgemäß war sie tatsächlich als Mutter schon deswegen verpflichtet, gegen die Möglichkeit eines derartigen Kontaktes zwischen dem Tier und dem Kind Vorsorge zu treffen. Durch die Unterlassung dieser Vorsicht hat daher die Angeklagte jene Sorgfalt außer acht gelassen, zu der sie nach den Umständen (objektiv) verpflichtet sowie (subjektiv) befähigt und die ihr auch zuzumuten war (§ 6 Abs. 1 StGB). Die daraus entstandenen schweren Verletzungen des Säuglings lagen ungeachtet dessen, daß sie durch Bisse des Frettchens hervorgerufen wurden, durchaus im Rahmen jenes Risikos, welches durch eine gehörige Verwahrung des Tieres ausgeschaltet worden wäre; sie sind demnach der Beschwerdeführerin als Folgen ihrer Fahrlässigkeit im Sinn des § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB zuzurechnen, ohne daß es einer Erörterung darüber bedarf, ob sie (auch) gerade mit derartigen Bissen hätte rechnen müssen.
Soweit die Angeklagte demgegenüber auf dem Standpunkt steht, sie sei unter den gegebenen Verhältnissen zu einer sicheren Verwahrung des Frettchens nicht verpflichtet gewesen und bei der Verletzung des Kindes durch das Tier handle es sich nur um einen bedauerlichen Zufall sowie um eine Verkettung unglücklicher Umstände, ist ihre Rechtsrüge (sachlich Z 9 lit. a) darnach verfehlt;
mit dem weiteren Einwand aber, sie habe nicht damit rechnen können, daß sich ihre Schwester als unfähig erweisen werde, für die 'Rettung' (gemeint: ärztliche Betreuung) des Säuglings zu sorgen, geht diese Rüge überhaupt ins Leere, weil der Beschwerdeführerin (wie schon gesagt) nicht (auch) die Verletzung ihrer Fürsorgepflicht zur Last liegt, sondern (ohnehin nur) die Vernachlässigung ihrer Obhutspflicht.
In Ansehung der eingangs zitierten, für sich allein gelesen in der Tat mißverständlichen Konstatierung über das Fehlen einer Verantwortungsbereitschaft der Angeklagten in bezug auf ihr Kind schließlich ist vorerst die (inhaltlich geltend gemachte) Mängelrüge (Z 5) nicht zielführend. Denn die rechtliche Relevanz dieser Feststellung - die das Erstgericht außerdem ohnehin deutlich genug (und aktengetreu) auf einen Bericht der Wiener Jugendgerichtshilfe (ON 7) gestützt hat (US 2) - für die Annahme einer Gröblichkeit der Fürsorgepflicht-Verletzung durch die Beschwerdeführerin ist infolge deren zuvor aufgezeigter faktischer Unerheblichkeit nicht aktuell; bei der Prüfung der Reife der Angeklagten (§ 10 JGG) sowie der subjektiven Komponente ihrer Fahrlässigkeit (§ 6 Abs. 1 StGB) aber könnte ihr die in Rede stehende Konstatierung, sofern sie auf diese Themen überhaupt Bezug hätte, nur zum Vorteil gereichen, sodaß die Beschwerde insoweit mit der Behauptung eines Begründungsmangels gar nicht zu ihren Gunsten ausgeführt ist.
Für die zuletzt relevierten Belange indessen geht aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe mit (letzten Endes doch gerade noch) hinreichender Deutlichkeit hervor, daß das Erstgericht mit der soeben erörterten - infolge ihrer mißverständlichen Terminologie gewiß äußerst unglücklich formulierten - Wendung, die Beschwerdeführerin werde als 'unreife' Persönlichkeit geschildert, die 'noch nicht' bereit und 'fähig' sei, Verantwortung für ihr Kind zu tragen und ihre eigenen Bedürfnisse um des Kindes willen hintanzustellen, nicht etwa deren (in der Folge sogar ausdrücklich als erwiesen angenommene) Reife im Sinn des § 10 JGG (vgl. dazu US 5) oder ihre nach § 6 Abs. 1 StGB für die Annahme einer Fahrlässigkeit vorauszusetzende subjektive Fähigkeit zum Erkennen des konkreten Umfangs ihrer Obhutspflicht in Frage stellen, sondern vielmehr (wie zuvor dargelegt) bloß auf ihre für die Gröblichkeit der Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflicht bedeutsame Charakterhaltung hinweisen wollte. Sofern die Angeklagte mit ihrem (seinerseits nicht eindeutig substantiierten) Beschwerdeeinwand, daß die gerügte Passage allein 'schon Grund genug' wäre, das Urteil 'wegen Nichtigkeit' aufzuheben, insoweit eine andere Auffassung (sachlich Z 9 lit. b und/oder Z 9 lit. a) vertreten sollte, wäre diese demnach verfehlt.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher das angefochtene Urteil wie im Spruch geschehen (nur) dahin zu korrigieren, daß die Beschwerdeführerin nicht das Vergehen der Vernachlässigung eines Unmündigen nach § 92 Abs. 2 und Abs. 3 erster Fall StGB, sondern (bloß) jenes der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB zu verantworten hat.
Bei der hiedurch erforderlich gewordenen Strafneubemessung, die (weiterhin unter Bedacht auf § 11 Z 1 JGG) nunmehr nach dem ersten Strafsatz des § 88 Abs. 4 StGB vorzunehmen war, wurde kein Umstand als erschwerend, der bisher ordentliche Lebenswandel der Angeklagten und ihr mit ihrem Tatsachengeständnis verbundener wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung hingegen als mildernd gewertet. Bei diesen Strafzumessungsgründen und mit Rücksicht auf im Zusammenhang mit der Tat zutage getretene charakterliche Fehlhaltung der Angeklagten erschien nach ihrer tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) eine Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Wochen als angemessen.
Die (sachlich durchaus gerechtfertigte) Gewährung bedingter Strafnachsicht (§ 43 Abs. 1 StGB) war schon im Hinblick auf das Verschlimmerungsverbot (§ 290 Abs. 2 StPO) zu erneuern.
Die gegen schöffengerichtliche Urteile unzulässige Schuld-Berufung (§§ 280, 283 Abs. 1 StPO) war zurückzuweisen; mit ihrer Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe war die Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.
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