Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 20. Jänner 1944 geborene beschäftigungslose Franz Peter A auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs 1
und Abs 2, zweiter Fall, StGB schuldig erkannt.
Ihm liegt zur Last, am 9. Dezember 1982 in Wien dem Robert B dadurch, daß er ihm ein Messer in den linken Mittelbauch stach, wodurch eine massive Blutung in die Bauchhöhle entstand, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt zu haben, wobei die Tat den Tod des Robert B zur Folge hatte.
Die Geschwornen hatten (jeweils stimmeneinhellig) die im Sinn der Anklage gestellte Hauptfrage bejaht und die zu dieser Hauptfrage gestellten Zusatzfragen 1 (Tatbegehung in Ausübung rechtfertigender Notwehr), 2 (Notwehrüberschreitung), 4 (Putativnotwehr), 5 (Putativnotwehrüberschreitung) und 7 (Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit) verneint, wodurch die Beantwortung sämtlicher Eventualfragen und der sich darauf beziehenden weiteren Zusatzfragen entfallen konnte.
In seiner gegen dieses Urteil gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde macht der Angeklagte die Nichtigkeitsgründe der Z 8 und 9 des § 345 Abs 1 StPO geltend.
Als unrichtig im Sinn des erstbezeichneten Nichtigkeitsgrundes erachtet der Beschwerdeführer zunächst die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 5 insofern, als darin zum Ausdruck komme, Putativnotwehrexzeß könne ein Täter nur dann für sich in Anspruch nehmen, wenn er in einer vermeintlichen Notwehrsituation aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreite oder sich einer unangemessenen Verteidigung bediene (vgl S 19 der Beilage B zum Hauptverhandlungs-Protokoll, ON 66 d.A); da im § 8 StGB nicht zwischen asthenischen und sthenischen Affekten unterschieden werde, handle es sich bei der in der Rechtsbelehrung vorgenommenen Einschränkung auf die Fälle der Tatbegehung in einem asthenischen Affekt um eine unzulässige Analogie zu § 3 Abs 2 StGB
Rechtliche Beurteilung
Dieser Argumentation kann aus folgenden Erwägungen nicht beigepflichtet werden:
Nach dem § 8 StGB kann wegen vorsätzlicher Begehung nicht bestraft werden, wer irrtümlich einen Sachverhalt annimmt, der die Rechtswidrigkeit der Tat ausschließen würde. In einem nach dem § 8 StGB zu beurteilenden Irrtum befindet sich demnach auch, wer irrtümlich annimmt, von seinem Gegner tätlich angegriffen zu werden, obwohl in Wahrheit ein gegenwärtiger oder unmittelbar bevorstehender Angriff auf ein notwehrfähiges Gut nicht vorliegt, und hierauf in vermeintlicher Notwehr eine Abwehrhandlung setzt, durch die der Gegner am Körper verletzt oder getötet wird;
hat der Betreffende hiebei die tatsächlichen Voraussetzungen der Notwehr fahrlässigerweise für gegeben erachtet, so ist er wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw fahrlässiger Tötung strafbar. Die Haftung wegen einer Vorsatztat wird also dann ausgeschlossen, wenn der Täter einen Sachverhalt annimmt, welcher die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes erfüllen würde, und er demnach, läge dieser Rechtfertigungsgrund wirklich vor, nicht rechtswidrig handelte. Bei der Notwehrüberschreitung (§ 3 Abs 2 StGB) handelt der Täter dagegen immer rechtswidrig (vgl Leukauf-Steininger, Komm zum StGB2, RN 96 zu § 3), doch wird ihm sein Verhalten, wenn er aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient, nicht als schuldhaft, falls die Notwehrüberschreitung aber auf Fahrlässigkeit beruht, zwar nicht als Vorsatztat, jedoch - sofern eine solche mit Strafe bedroht ist - als fahrlässige Handlung zugerechnet. Der Wortlaut des § 8 StGB erfaßt sohin an sich nur den Fall, daß jemand über die rechtfertigende Situation als solche irrt, ansonsten aber im Rahmen des Rechts bleibt, sein eigenes Handeln sich also innerhalb der Grenzen des in Betracht kommenden Rechtfertigungsgrundes hält (vgl Kienapfel in RZ 1977, 38 f; Schild in ÖJZ 1979, 181 f). Wer in Putativnotwehr handelt, darf folglich, wie der Schwurgerichtshof richtig erkannte (vgl S 19 der Rechtsbelehrung), zur Verteidigung nicht mehr tun, als derjenige, der sich wirklich in einer Notwehrsituation befindet. Kommt es zur Notwehrüberschreitung aus sogenannten sthenischen Affekten wie Zorn oder Rache, so bleibt der Täter bei Putativnotwehr ebenso wie im Fall einer tatsächlich gegebenen Notwehrsituation für sein vorsätzliches Handeln verantwortlich. Geht dagegen der irrigerweise eine Notwehrsituation Annehmende aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen seines (vermeintlichen) Notwehrrechts hinaus, so bleibt zwar die Rechtswidrigkeit seiner Tat bestehen, doch kann er - der strengeren Auffassung von Kienapfel und Schild (aaO) zuwider - mangels Bewußtseins des Vorsatzunrechts in analoger Anwendung des § 3 Abs 2 (in Verbindung mit § 8) StGB nicht wegen vorsätzlicher Deliktsbegehung bestraft werden. Beruht die Nichteinhaltung der Grenzen maßhaltender und angemessener Verteidigung auf Fahrlässigkeit, kann insoweit Haftung wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes eintreten, mag auch der Irrtum über den rechtfertigenden Sachverhalt an sich nicht fahrlässig bewirkt worden sein (vgl Leukauf-Steininger, Komm zum StGB2, RN 6 zu § 8). So gesehen hätte dem Angeklagten bei einem Putativnotwehrexzeß aus sthenischen Affekten ein Schuldausschließungsgrund keinesfalls zustatten kommen können. Da die Rechtsfolgen des § 8 StGB auf die irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes abgestellt sind und somit den Fall rechtswidriger überschreitung vermeintlicher Notwehr gar nicht erfassen, kann von einer dem Straftäter nachteiligen, mithin unzulässigen Analogie (§ 1 Abs 1 StGB) keine Rede sein; ein Analogieschluß, durch welchen - wie hier - der Straflosigkeitsbereich erweitert wird, ist dagegen statthaft (vgl Nowakowski im WK, RN 16 zu § 1 StGB). Die Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 5 steht daher mit dem Gesetz im Einklang. Die Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage 4 (und zur auf die unbeantwortet gebliebenen Eventualfrage VI sich beziehenden Zusatzfrage 11) rügt der Beschwerdeführer als fehlerhaft, weil darin bei Darlegung der Voraussetzungen des § 8 StGB als Beispiel angeführt wird, daß jemand irrtümlich annimmt, von seinem Gegner tätlich angegriffen zu werden, obwohl in Wahrheit ein solcher Angriff nicht vorliegt, und hierauf in vermeintlicher Notwehr eine Abwehrhandlung setzt (vgl S 18 f der Rechtsbelehrung), nicht aber ausdrücklich auch der Fall der irrtümlichen Annahme, es stehe ein tätlicher Angriff unmittelbar bevor, erwähnt wird. überdies hätte - meint der Beschwerdeführer - bei den Geschwornen auf Grund der ihnen erteilten Rechtsbelehrung der Eindruck entstehen können, daß § 8 StGB einen Tatbildirrtum voraussetze.
In beiden Richtungen versagt die Rüge.
Was unter irrtümlicher Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes zu verstehen ist, wurde in der Rechtsbelehrung an einem Beispiel erläutert; zu einem Eingehen auf alle nur denkbaren Tatvarianten war der Schwurgerichtshof nicht verpflichtet. Zudem wurde in der Rechtsbelehrung zu den Zusatzfragen 1 und 8 zum Begriff der Notwehr ohnehin ausführlich dargelegt, daß dieser Rechtfertigungsgrund stets einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff verlangt und daher nicht bloß bei gänzlichem Fehlen eines Angriffes auf ein notwehrfähiges Gut, sondern auch dann nicht vorliegt, wenn ein Angriff weder im Gang ist noch unmittelbar bevorsteht. Daß auch in einem solchen Fall ein rechtfertigender Sachverhalt irrtümlich angenommen werden kann, liegt auf der Hand. Daß sich der Irrtum immer auf einen rechtfertigenden Sachverhalt, also auf die tatsächliche Seite eines Rechtfertigungsgrundes und nicht etwa auf das gesetzliche Tatbild beziehen muß, um nach § 8
StGB beurteilt werden zu können, kommt in der Rechtsbelehrung ebenfalls unmißverständlich zum Ausdruck; wird darin doch schon eingangs zu den betreffenden Zusatzfragen hervorgehoben, daß diese Fragen darauf gerichtet sind, ob der Angeklagte bei Verübung der ihm zur Last gelegten Straftat infolge Irrtums das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes (Notwehr) angenommen hat, und in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß die Haftung wegen einer Vorsatztat ausgeschlossen wäre, wenn der Täter irrtümlich einen rechtfertigenden Sachverhalt annimmt (vgl S 18 der Rechtsbelehrung). Ihrem gesamten Inhalt nach konnte die Rechtsbelehrung daher keinewegs zu Mißdeutungen über den Kern der bei der Auslegung des § 8 StGB in Betracht kommenden Rechtsfragen Anlaß geben. Dem Wahrspruch der Geschwornen haften - wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt - den Beschwerdeausführungen zuwider auch keine Mängel im Sinn der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO an. Dieser Nichtigkeitsgrund kann nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausschließlich aus dem Wahrspruch selbst, nicht aber aus der gemäß § 331 Abs 3 StPO zu verfassenden Niederschrift der Geschwornen abgeleitet werden. Die Erwägungen, von denen sich die Geschwornen leiten ließen, gehören nicht zum Wahrspruch und können daher nicht wegen Undeutlichkeit, Unvollständigkeit oder inneren Widerspruchs angefochten werden. Weder die Erwägung der Geschwornen bei der Bejahung der Hauptfrage, wonach Franz Peter A die Absicht hatte, Robert B schwer zu verletzen, woraus sich nach Meinung des Beschwerdeführers nicht schlüssig ableiten lasse, daß absichtliches Handeln auch im Zeitpunkt des Zustechens als erwiesen angenommen worden sei, noch die Bemerkungen der Geschwornen im Zusammenhang mit der Verneinung der Zusatzfragen 4 und 5 können demnach im Rahmen der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO oder eines anderen Nichtigkeitsgrundes erörtert werden. Haben die Geschwornen nach ihrem Wahrspruch als erwiesen angenommen, daß der Angeklagte dem Robert B durch einen Messerstich in den Bauch absichtlich eine schwere Körperverletzung zufügte, die den Tod des letzteren zur Folge hatte (§ 7 Abs 2 StGB), und zugleich Notwehr, Notwehrüberschreitung, Putativnotwehr, Putativnotwehrexzeß sowie Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit verneint, so bleibt für eine Anfechtung der in diesem Wahrspruch enthaltenen Tatsachenfeststellungen kein Raum. Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach dem zweiten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB und unter Anwendung des § 39 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Jahren und wies zugleich den Antrag der Staatsanwaltschaft ab, die Unterbringung des Franz A in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter gemäß dem § 23 StGB anzuordnen.
Bei der Strafbemessung wertete das Geschwornengericht die über die Rückfallsqualifikation hinausgehenden, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen, den relativ raschen Rückfall sowie den Umstand, daß das Tatopfer dem Angeklagten keinen Anlaß für die gegenständliche Gewalttat bot, als erschwerend. Als mildernd fanden demgegenüber das Geständnis des Franz A im Vorverfahren sowie die Enthemmung durch übermäßigen Alkoholgenuß Berücksichtigung. Den Strafausspruch bekämpfen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte mit Berufung: Während Franz A die Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt, begehrt die Staatsanwaltschaft die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter.
Beiden Berufungen kommt keine Berechtigung zu.
Sieht man davon ab, daß der alkoholbedingten Enthemmung des Angeklagten mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 35 StGB nicht das Gewicht eines Milderungsgrundes zukommt, wurden die Strafzumessungsgründe vom Erstgericht im wesentlichen richtig festgestellt und auch zutreffend gewürdigt. Das in erster Instanz gefundene Strafmaß erweist sich vor allem in Anbetracht des Gewichtes des Tatunrechts und der durch mehrere einschlägige Vorstrafen (auch wegen Messerstechereien) belasteten Täterpersönlichkeit keineswegs als überhöht.
Dem Geschwornengericht ist aber auch insoweit beizupflichten, als es von der Anordnung einer Maßnahme nach dem § 23 StGB Abstand nahm. In diesem Zusammenhang wurde der Sache nach zutreffend darauf abgestellt, daß bei Franz A trotz seiner einschlägigen Vorstrafen noch keine eingewurzelte, bereits einen Grundzug seiner Persönlichkeit bildende Neigung zur Begehung vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben besteht, sondern sowohl die Anlaßtat als auch die den Vorverurteilungen im Sinn des § 23 Abs 1 Z 2 StGB zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen (überwiegend) 'auf den vom Angeklagten (seit Jahren) betriebenen und bisher nicht behandelten (krankhaften) Alkoholmißbrauch zurückzuführen sind' (vgl S 464). Die Aktenlage läßt somit eine (zweifelsfreie) Einstufung des Franz A als Hangtäter im Sinn des § 23 StGB (noch) nicht zu, so daß es mangels ausreichender Anhaltspunkte für eine besonders qualifizierte charakterliche Gefährlichkeit des Angeklagten an sich zumindest an einer der Voraussetzungen des Abs 1 Z 3 der zitierten Gesetzesstelle für die von der Anklagebehörde begehrte freiheitsentziehende Maßnahme fehlt.
Auch der Berufung der Staatsanwaltschaft konnte daher kein Erfolg beschieden sein.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
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