OGH 9Os50/83

OGH9Os50/8331.5.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 31.Mai 1983 unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Steininger in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Vogel als Schriftführer in der Strafsache gegen Theresia A wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB. über die von der Betroffenen Theresia A gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 10.Dezember 1982, GZ. 26 Vr 2497/81-46, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann, der Ausführungen des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Raftl und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Presslauer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ausgesprochen, daß die am 21. Jänner 1953 geborene, zuletzt beschäftigungslose und wiederholt im Wagner-Jauregg-Krankenhaus in Linz angehaltene beschränkt entmündigte Theresia A am 18.Oktober 1979 in Linz unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB.), nämlich eines schizophrenen Schubes, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, Mathilde B durch Versetzen eines Schlages mit der flachen Hand gegen die Kopf- bzw. Halsgegend am Körper mißhandelte, wobei die Tat den Tod der Geschädigten zur Folge hatte, und hiedurch eine Tat begangen hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist ('§ 86 StGB.'). Sie wurde deshalb gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Diesem Erkenntnis liegen nachfolgende, von der Beschwerdeführerin nicht bekämpfte wesentliche Feststellungen zugrunde:

Theresia A befand sich wegen eines schizophrenen Schubes seit dem 15. Oktober 1979 in der geschlossenen Abteilung des Wagner-Jauregg-Krankenhauses in Linz, als sie am 18.Oktober 1979 im Aufenthaltsraum dieser Anstalt mit der 77-jährigen, bereits desorientierten, pflegebedürftigen und keinerlei sexuellen Regungen mehr fähigen Mathilde B zusammentraf. Zufolge des schizophrenen Schubes, somit unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB.) fühlte sich Theresia A von Mathilde B sexuell angegriffen und entschloß sich spontan, diesen vermeintlichen Angriff dadurch abzuwehren, daß sie der alten Frau einen Schlag (eine Ohrfeige) gegen die Kopf- bzw. Halsregion versetzte. Mathilde B stürzte ohne jede Abwehr- oder Schutzreaktion nach hinten, schlug mit dem Hinterkopf auf den Boden auf und zog sich hiebei schwere Schädel- und Hirnverletzungen zu, denen sie innerhalb von zehn Minuten erlag.

Die Anordnung der Anstaltsunterbringung bekämpft die Betroffene mit einer nominell auf Z. 9, 10 und 11 des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie einerseits 'mangelnde Tatbestandsmäßigkeit ihres Verhaltens im Sinne des § 86 StGB.'

geltendmacht, da sie subjektiv nicht in der Lage gewesen sei, die Todesfolge der von ihr an Mathilde B ausgeübten Mißhandlung vorherzusehen, und andererseits das Vorliegen einer 'unrechtsausschließenden' irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts im Sinne des § 8 StGB. behauptet, zumal sie irrtümlich eine unzulässige sexuelle Annäherung der Mathilde B angenommen und (nur) zu deren Abwehr den Schlag geführt habe.

Rechtliche Beurteilung

Beide Einwände versagen.

Die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB.

setzt - neben der erforderlichen Gefährlichkeitsprognose - voraus, daß der Täter eine Tat verübt hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und daß er hiefür nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht. Als Anlaßtat im dargelegten Sinn fällt der Beschwerdeführerin vorliegend nach den Urteilsfeststellungen das Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs. 2, 86 StGB. zur Last, mithin ein erfolgsqualifiziertes Delikt, weil der Tod des Opfers eine besondere Tatfolge ist, an die das Gesetz die schwerere Strafe knüpft. Für die Zurechnung dieser Folge ist (gemäß § 7 Abs. 2 StGB.) Fahrlässigkeit des Täters in Ansehung der Herbeiführung der Folge erforderlich, somit im Bereich der Fahrlässigkeitsschuld subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts. Diese subjektive Vorhersehbarkeit kann bei einem Täter, der die Tat unter dem Einfluß eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustandes begangen hat, fehlen.

Ist aber ihr Fehlen auf den Einfluß des erwähnten Zustandes zurückzuführen, dann kann der Täter eben deshalb für die Tat nicht bestraft werden, und gerade darauf stellt § 21 Abs. 1 StGB. ab. Mangelnde subjektive Vorhersehbarkeit der besonderen Tatfolge, die auf den Einfluß des die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden abnormen Geisteszustandes zurückzuführen ist, schließt daher - entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin - bei einem erfolgsqualifizierten Delikt das Vorliegen einer Anlaßtat im Sinne des § 21 Abs. 1 StGB. nicht aus. Daß die bei der Beschwerdeführerin fehlende subjektive Vorhersehbarkeit des Todes ihres Opfers auf den Einfluß des ihre Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhte, zurückzuführen ist, hat aber das Erstgericht - gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen - festgestellt.

Ebenso unbeachtlich ist aber auch eine lediglich auf den Einfluß des abnormen Geisteszustandes zurückzuführende irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts, auf die sich die Beschwerdeführerin beruft.

Denn die behauptete irrige Annahme einer Notwehrsituation, nämlich eines vermeintlichen sexuellen Angriffs der Mathilde B, hatte ihre Ursache allein in dem schizophrenen Schub, unter dessen Einfluß die Beschwerdeführerin nach den Urteilskonstatierungen die Tat begangen hat. Ein solcher auf den Einfluß des die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden abnormen Geisteszustandes zurückzuführender Irrtum hat bei Beurteilung der Anlaßtat außer Betracht zu bleiben (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar2, RN. 9 zu § 21 und die dort zitierte Judikatur).

Soweit die Beschwerdeführerin aber unter dem Nichtigkeitsgrund der Z. 11 des § 281 Abs. 1 StPO. die vom Erstgericht erstellte Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 21 Abs. 1 StGB. bekämpft und ihre Unterbringung in einer Krankenanstalt (§ 49 KAG.) für ausreichend erachtet, bringt sie weder diesen noch einen anderen Nichtigkeitsgrund zur gesetzmäßigen Darstellung, da ein Urteil über die Anordnung der Maßnahme gemäß § 21 Abs. 1 StGB. wegen Nichtigkeit nur in bezug auf jene materiellrechtlichen Voraussetzungen der genannten Gesetzesstelle bekämpft werden kann, deren Beurteilung richterlichem Ermessen entzogen ist, mithin in bezug auf die Grundvoraussetzungen gemäß § 21 Abs. 1, erster Teil, StGB. Die Beurteilung der Gefährlichkeit im Sinne des letzten Teiles der genannten Gesetzesstelle ist dagegen als Ermessensentscheidung ausschließlich mit Berufung anfechtbar (vgl. Leukauf-Steininger, a.a.O., RN. 17 zu § 21). Eine Berufung wurde aber nicht angemeldet (ON. 47), sodaß es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, auf dieses inhaltlich als Berufungsausführung anzusehende Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde sachlich einzugehen (EvBl. 1972/238). Die Bestimmung des § 433 Abs. 1 StPO. normiert ausdrücklich, daß die für das Rechtsmittelverfahren geltenden Vorschriften auch für das Verfahren bei der in Rede stehenden vorbeugenden Maßnahme Geltung haben, sodaß es - entgegen der im Gerichtstag geäußerten Meinung der Generalprokuratur -, auch wenn im Verfahren nach § 21 Abs. 1 StGB. nur die Gefährlichkeitsprognose mit Berufung bekämpfbar ist, zumindest des durch die Anmeldung des Rechtsmittels der Berufung dokumentierten Willens des Betroffenen bedarf (§ 294 Abs. 2 StPO.), den Urteilsausspruch (auch) in dieser Richtung anzufechten (vgl. EvBl. 1978/32). Die unterlassene Berufungsanmeldung steht daher einer meritorischen Erledigung der in der (allein angemeldeten und ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerde vorgebrachten, die Gefährlichkeitsprognose betreffenden Einwände entgegen. Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen war daher zu verwerfen.

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