OGH 10Os23/83

OGH10Os23/8326.4.1983

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 1983 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Lachner und Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Veith als Schriftführer in der Strafsache gegen Helmut A wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 22. September 1982, GZ 20 a Vr 8530/78-153, nach öffentlicher Verhandlung - Vortrag des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Anhörung der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bernhauser, Verlesung der Gegenausführungen der Staatsanwaltschaft und Anhörung der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Kodek - zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe :

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Helmut A des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er am 10. Oktober 1978 auf dem Hermonberg in Syrien vorsätzlich Werner B durch zwei Schüsse und Rudolf C durch zumindest vier Schüsse tötete sowie Anton D durch zumindest drei Schüsse und Roland E durch drei Schüsse zu töten versuchte.

Die Geschwornen hatten (im ersten Rechtsgang) die betreffende Hauptfrage bejaht und (im zweiten Rechtsgang) eine Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit verneint.

Der nach der Zurückziehung der Einwände gemäß Z 4

(im Gerichtstag) nur noch auf Z 5 und Z 12 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch kommt keine Berechtigung zu.

Mit der aufrecht gebliebenen Verfahrensrüge (Z 5) bekämpft der Angeklagte die Abweisung (S 260 f./III) seiner Anträge, zur Erörterung des im zweiten Rechtsgang eingeholten Fakultätsgutachtens (über seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zur Tatzeit) einen 'informierten Vertreter' der (zu ergänzen: medizinischen) Fakultät der Universität Wien zu laden und überdies den beiden schon im ersten Rechtsgang tätig gewesenen Sachverständigen für Psychiatrie im Hinblick auf die Unüberprüfbarkeit jenes Gutachtens den Auftrag zu erteilen, ihre Ausführungen auf dessen Erörterung und Erklärung zu beschränken (S 241/III). Insoweit geht die Beschwerde fehl.

Auszugehen ist davon, daß es bei der vom Beschwerdeführer angestrebten 'Vertretung' der Fakultät zum Zweck der Erörterung (ersichtlich gemeint: Erläuterung) ihres Gutachtens durch eine (darüber) 'informierte' physische Person nicht etwa um eine rechtsgeschäftliche Vertretungstätigkeit geht, zu der von Gesetzes wegen (§§ 64 Abs. 7, 15 Abs. 11, 67 Abs. 1 UOG) der Dekan berufen wäre, sondern vielmehr um die Verdeutlichung oder (sogar) Ergänzung von Wissenserklärungen (vgl Lohsing, JBl 1914,392) des - für die Erstattung von Fakultätsgutachten allein zuständigen - Fakultätskollegiums (§ 64 Abs. 3 lit w UOG), also eines Kollegialorgans (§ 15 UOG), deren Grundlage das (allenfalls divergente) fachkundige Wissen aller seiner Mitglieder ist und deren Substrat aus einer Abstimmung resultiert (§§ 64 Abs.4 aE und Abs. 7, 15 Abs. 3 UOG). Daraus erhellt, daß es sich bei der vom Angeklagten erwünschten Tätigkeit eines Repräsentanten der Fakultät in Wahrheit gar nicht um eine - in Ansehung einer Wissens(re)produktion schon begrifflich ausgeschlossene - 'Vertretung' handeln sollte, sondern ihrem Wesen nach um eine entscheidend auf eigenem Fachwissen beruhende und daher durchaus eigenständige Tätigkeit als (weiterer) Sachverständiger. Die Entsendung eines derartigen Sachverständigen durch die Fakultät, speziell aus dem Kreis des Fakultätskollegiums, ist indessen - anders als etwa in § 48 LMG, wonach das Gericht bei Bedenken oder bei einer Ergänzungsbedürftigkeit von Befund oder Gutachten einer Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung einen Bediensteten dieser Anstalt, der mit der Untersuchung oder Begutachtung befaßt war, zur Darlegung und Ergänzung ihres Befundes oder Gutachtens als Sachverständigen zu vernehmen hat - im Gesetz nicht vorgesehen. Das Fakultätsgutachten, welches nicht den Verlesungsbeschränkungen des § 252 Abs. 1 StPO unterliegt, weil es sich hiebei nicht um das Gutachten eines 'Sachverständigen' (§ 2 Sachverständigen- und DolmetscherG) - also (begrifflich sowie der Terminologie des Gesetzes entsprechend) einer physischen (Einzel-) Person (vgl hiezu auch Foregger-Serini, StPO3, Anm III zu § 118; Lohsing-Serini, S 300 f.; Roeder, Lehrbuch, S 144) - sondern um das eines (lediglich mit den Funktionen eines Sachverständigen betrauten) Kollegiums handelt, ist demnach als Beweismittel eigener Art nach § 252 Abs. 2 StPO grundsätzlich nur (aber jedenfalls) zu verlesen. Bedarf es jedoch im Interesse einer beruhigenden Klarstellung des Sachverhalts zu einer Erläuterung ausnahmsweise doch eines Sachverständigen, dann obliegt dessen Auswahl nach dem Gesagten auch in solchen Fällen allein dem Gericht (§§ 119 Abs. 1, 248 Abs. 1 StPO); Bedenken gegen die Beiziehung der im Verfahren bereits tätig gewordenen Experten bestehen dabei grundsätzlich nicht.

Die überprüfung oder Ergänzung eines Fakultätsgutachtens durch einen (solcherart betrauten) weiteren (Einzel-) Sachverständigen allerdings ist, wie zur Vermeidung von Mißverständnissen klargestellt sei, gewiß nicht zulässig (vgl SSt 50/73 = ÖJZ-LSK 1980/62 ua); davon kann jedoch solange nicht gesprochen werden, als sich dessen Tätigkeit auf die bloße Darlegung des aus fachkundiger Sicht unmißverständlichen und eindeutigen, für medizinische Laien aber unter Umständen doch unklaren Aussageinhalt einzelner Punkte jenes - im allgemeinen (und prinzipiell) infolge seiner hohen wissenschaftlichen Qualität einer besonderen Erläuterung ohnehin nicht bedürftigen (vgl SSt 28/58 ua) - Gutachtens beschränkt. Ist somit deshalb, weil ein Fakultätsgutachten mehrere Deutungen offen läßt, oder aus anderen Gründen, wie etwa auf Grund einer neuen Konstellation, die sich in der Hauptverhandlung ergibt, im Einzelfall tatsächlich eine Ergänzung unumgänglich, dann ist neuerlich das gesamte Fakultätskollegium zu befassen. So gesehen erweist sich, daß durch die Ablehnung des Antrags auf Ladung eines 'informierten Vertreters' der medizinischen Fakultät der Universität Wien zur Erläuterung ihres Gutachtens Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt wurden; eine Ergänzung des Fakultätsgutachtens aber wurde, wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei, mit dem Beweisantrag gar nicht begehrt und wäre auch nach Lage des Falles ohnedies nicht erforderlich gewesen.

Auf einer völligen Verkennung der prozessualen Situation hinwieder beruhte der weitere Antrag des Beschwerdeführers, die Ausführungen der bereits im ersten Rechtsgang tätig gewesenen Sachverständigen für Psychiatrie auf die (im zuvor beschriebenen Umfang zulässige) Erörterung (gemeint: Erläuterung) und Erklärung des Fakultätsgutachtens einzuschränken, zu dem er in der Beschwerde einleitend selbst einräumt, daß den Geschwornen (im Sinn des § 3 StPO) zunächst die einander widersprechenden Standpunkte der im ersten Rechtsgang tätig gewesenen Sachverständigen für Psychiatrie und erst dann das hiezu Stellung nehmende Fakultätsgutachten zur Kenntnis gebracht werden mußten; im Gegensatz zum Gutachten des Fakultätskollegiums durften nämlich die Gutachten der Sachverständigen Dr. G und Dr. H - vom (hier nicht aktuellen) Fall eines Einverständnisses zwischen Ankläger und Angeklagtem darüber (§ 252 Abs. 1 Z 4 StPO) abgesehen - nach § 252 Abs. 1 StPO nicht verlesen werden, sodaß die vom Beschwerdeführer gewünschte Einschränkung des mündlichen Vortrags der Sachverständigen schon deswegen nicht in Betracht kam, weil es gar nicht zulässig war, deren Gutachten den Geschwornen anders als mündlich zur Kenntnis zu bringen.

Aus eben diesem Grund ist übrigens auch im Verfahren zur Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB bei sonstiger Nichtigkeit die Beiziehung eines - schon in der Voruntersuchung erforderlichen (§ 429 Abs. 2 Z 2 StPO) - Sachverständigen (auch) in der Hauptverhandlung vorgeschrieben (§ 430 Abs. 4 StPO), ohne daß daraus irgendwelche Schlußfolgerungen auf die Zulässigkeit der Vertretung eines (Fakultäts-)Kollegiums durch eines ihrer Mitglieder (idS aber Mayerhofer-Rieder, Anm. bei E Nr 22 zu § 126 StPO) gezogen werden könnten. Inwiefern durch die einem Sachverständigen darnach gebotene Möglichkeit, sein Gutachten mündlich vorzutragen, das diesem widersprechende Fakultätsgutachten - welches doch gerade dazu bestimmt ist, zu derartigen (in bezug auf ein anderes Gutachten zutage getretenen) Widersprüchen Stellung zu nehmen und den Geschwornen bei ihrer Entscheidung eine (gleichwohl ihrer Beweiswürdigung unterliegende) Hilfestellung zu leisten (vgl hiezu ua die im ersten Rechtszug ergangene, als SSt 51/59 veröffentliche Entscheidung) -

'entwertet' werden und ein solcher Vorgang 'den Prinzipien der österreichischen Strafrechtspflege widersprechen' sollte, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.

Nicht gesetzmäßig ausgeführt schließlich ist die Rechtsrüge des Angeklagten (Z 12), weil er dabei im Bestreben darzutun, daß er zur Tatzeit im Sinn des § 11 StGB zurechnungsunfähig gewesen sei, den - in Ansehung dieses Schuldausschließungsgrundes außerdem gar nicht mit einem materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund, sondern nur im Weg einer Anfechtung der Fragestellung (Z 6) oder der darauf bezogenen Rechtsbelehrung (Z 8) bekämpfbaren, dem Urteil zugrunde zu legenden (§ 335 StPO) - Wahrspruch der Geschwornen übergeht, welche die Zusatzfrage (I.), ob er zur Zeit der Tat wegen einer (nicht im Hinblick auf letztere zugezogenen) vollen Berauschung, also wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, oder wegen einer einem solchen Zustand gleichwertigen schweren seelischen Störung unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, verneint haben.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 75 StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe; dabei wurde sein bisher ordentlicher Lebenswandel sowie weiters, daß das Tatgeschehen mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht und das ihm zur Last fallende Verbrechen in Ansehung zweier Personen beim Versuch geblieben ist, als mildernd berücksichtigt, der Umstand aber, daß das Mord-Vorhaben gegen vier Personen gerichtet war, als erschwerend gewertet.

Außerdem nahm das Geschwornengericht darauf Bedacht, daß der Angeklagte zur Tatzeit Wachdienst hatte, sodaß die Opfer seinem Schutz anvertraut waren, daß er den Mord an Werner B geradezu nach Art einer Liquidation sowie mit besonderer Rücksichtslosigkeit vollbrachte und daß er seine übrigen Kameraden durch die Ankündigung von Warnschüssen in Sicherheit wog, sodaß sie gegen den auf sie verübten Anschlag kaum Vorsicht zu gebrauchen vermochten. Seine den Abbau von Hemmungen begünstigende Alkoholisierung zur Tatzeit wurde ihm nicht als mildernd zugute gehalten, weil die dadurch bedingte Herabsetzung seiner Zurechnungsfähigkeit durch den Vorwurf aufgewogen werde, daß er den Alkohol angesichts des ihm bevorgestandenen Wachdienstes und sogar noch in dessen Verlauf konsumierte.

Der Berufung des Angeklagten, mit der er eine Strafherabsetzung unter Anwendung des § 41 StGB anstrebt, kommt keine Berechtigung zu. Zwar mag ihm eingeräumt werden, daß der vom Erstgericht (ohnehin) angenommene Zustand einer Minderung seiner Zurechnungsfähigkeit, in dem er sich im Anschluß an den vierfachen Mordanschlag auch selbst schwer verletzte, nicht ausschließlich auf seinen Alkoholgenuß zurückzuführen war, doch wird der darin (dementsprechend wohl doch) gelegene Milderungswert bei der Strafzumessung durch die gezielte Heimtücke seines Tatverhaltens, mit dem er - in zwei Fällen mit Erfolg und in einem dritten mit schweren Verletzungen seines Opfers verbunden - vier Menschen meuchlings zu ermorden trachtete, bei weitem überwogen. Von einem reumütigen Geständnis oder von einem (sonstigen) wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung durch seine Verantwortung aber kann im gegebenen Fall keine Rede sein, im Gegenteil: im Verhalten und Gehaben des Angeklagten seit der Tat treten verschiedentlich durchaus gravierende Charaktermängel zutage, die der Hoffnung auf eine positive Persönlichkeitsentwicklung bei ihm deutlich entgegenwirken. Auf sein Vorleben schließlich hat das Geschwornengericht ohnedies gebührend Rücksicht genommen. Alles in allem ist die Verhängung der gesetzlichen Höchststrafe über den Angeklagten im Hinblick auf seine außerordentlich große tatbezogene Schuld, die durch persönlichkeitsbedingte Faktoren nicht entscheidend gemindert wird, vollauf gerechtfertigt (§ 32 StGB). Auch der Berufung mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

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