OGH 2Ob275/82

OGH2Ob275/8222.3.1983

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Albin R*****, vertreten durch Dr. Klaus Reisch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Sebastian N*****, vertreten durch Dr. Albert Heiss, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 293.635,20 S sA, infolge Revision der klagenden und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgerichts vom 27. Oktober 1982, GZ 5 R 236/82‑93, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 21. Mai 1982, GZ 12 Cg 97/76‑87, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1983:0020OB00275.820.0322.000

 

Spruch:

I.) Die Revision des Beklagten im Kostenpunkt wird zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dieser Revision nicht Folge gegeben.

II.) Der Revision des Klägers wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene berufungsgerichtliche Urteil, das hinsichtlich des Zuspruchs von 111.181,85 S sA als Teilurteil bestätigt wird, wird hinsichtlich der Abweisung des Mehrbegehrens nach weiteren 182.453,35 S sA und der Kostenentscheidung aufgehoben. In diesem Umfang wird auch das Ersturteil aufgehoben.

Dem Erstgericht wird aufgetragen, das Verfahren zu ergänzen und sodann neuerlich zu entscheiden.

III.) Die Kostenentscheidung wird dem Endurteil vorbehalten.

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagte war am 3. 12. 1972 Eigentümer und Halter des PKWs *****, Kennzeichen *****, und verschuldete an diesem Tag mit dem genannten Fahrzeug auf der Bundesstraße 1 zwischen Söll und Ellmau beim Gasthaus „B*****“ einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde. Der Beklagte wurde rechtskräftig wegen Vergehens nach § 88 Abs 4 StGB verurteilt.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Teil‑ und Zwischenurteil des Erstgerichts vom 14. 12. 1978, GZ 12 Cg 97/76‑41, wurde über ein vom Kläger erhobenes Begehren auf Feststellung, dass der beklagte dem Kläger für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 3. 12. 1972 zur Gänze ersatzpflichtig sei, sowie über die Forderungen an Schmerzengeld, Kleiderschaden und Krankenbesuchskosten im Sinne des Klägers erkannt und ausgesprochen, dass sein Anspruch auf Ersatz des unfallsbedingt eingetretenen Verdienstentgangs dem Grunde nach zur Gänze zu Recht bestehe.

Im weiteren Verfahren hatte das Erstgericht somit nur noch über das (eingeschränkte) Begehren auf Bezahlung von 293.635,20 S samt 4 % Zinsen seit 5. 7. 1978 und 4 % Zinsen aus 21.461,50 S vom 5. 7. 1978 bis 5. 12. 1978 zu erkennen (S 401). Dem Kläger sei unfallsbedingt bis einschließlich 30. 6. 1978 ein Verdienstentgang von 457.692,30 S entstanden. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten bzw dessen Haftpflichtversicherer geleisteten Teilzahlungen von zusammen 164.057,10 S verbleibe eine Verdienstentgangsforderung von 293.635,20 S.

Der Beklagte beantragte Abweisung des noch streitverfangenen Begehrens und machte geltend, dass die der Verdienstentgangsforderung des Klägers zugrundeliegende Annahme, der Kläger hätte im Betrieb der Firma D***** ebensoviel verdient wie der Angestellte Leonhard M*****, unrichtig sei; bei Leonhard M***** handle es sich um einen „Spitzenverdiener“, der überdies früher als der Kläger in den Betrieb eingetreten sei und dessen Einkommen der Kläger nie zu erreichen vermocht hätte. Die im Rahmen einer Klagsausdehnung für die Zeit vor Klagseinbringung (13. 11. 1975) erhobene Verdienstentgangsforderung sei zudem verjährt; ferner gehe der Kläger bei der Berechnung seines Verdienstentgangs unzulässigerweise von Bruttobezügen aus und habe übersehen, für die Dauer seiner Spitalsaufenthalte die Haushaltsersparnis in Abzug zu bringen.

Mit Endurteil vom 21. 5. 1982, GZ 12 Cg 97/76‑87, verurteilte das Erstgericht den Beklagten zur Bezahlung von 110.383,65 S samt 4 % Zinsen seit 5. 7. 1978 und 4 % Zinsen aus 21.641,47 S vom 5. 7. 1978 bis 5. 12. 1978 und wies das ‑ infolge eines offenbaren Rechenfehlers unrichtig ‑ mit 163.251,55 S (richtig 183.251,55 S) samt 4 % Zinsen seit 5. 7. 1978 bezifferte Mehrbegehren ab.

Über die Berufungen beider Parteien gegen das Endurteil erkannte das Berufungsgericht dahin, dass es dem Kläger den Betrag von 111.181,85 S sA zusprach und sein Mehrbegehren nach weiteren 182.453,35 S abwies.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts erheben beide Parteien Revision, der Kläger im Umfange der Abweisung seines Klagebegehrens und der beklagte insoweit, als dem Klagebegehren stattgegeben wurde, mit den entsprechenden Revisionsanträgen. An Revisionsgründen werden von beiden Rechtsmittelwerbern unrichtige rechtliche Beurteilung, vom Kläger auch Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, vom Beklagten hingegen unrichtige Kostenbemessung, geltend gemacht.

Nur der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragt, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Soweit der Beklagte Revision im Kostenpunkt erhoben hat, ist das als Revisionsrekurs zu behandelnde Rechtsmittel gemäß § 528 ZPO unzulässig und war daher zurückzuweisen (7 Ob 756/79 ua).

Während die Revision des Beklagten nicht gerechtfertigt ist, komm der des Klägers teilweise Berechtigung zu.

Dem angefochtenen Urteil liegt der Sachverhalt zugrunde, wie er auf den Seiten 5 unten bis 10 Mitte der Ausfertigung (=S 559‑564 des Aktes) wiedergegeben wird.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass bei der Ermittlung des zu ersetzenden Verdienstentgangs (in der Höhe von 110.383,65 S) von den Nettoeinkünften ‑ also den um die Lohnsteuer und die Abgaben für die gesetzliche Sozialversicherung verminderten Bruttobezügen ‑ auszugehen sei. Dass der Kläger die ihm aus dem Titel des Verdienstentgangs zufließenden Entschädigungsleistungen zu versteuern haben werde und dass der Beklagte auch für die daraus entstehenden Belastungen einstehen müsse, sei zwar richtig, brauche aber nicht weiter erörtert zu werden, weil der Kläger aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung über sein Feststellungsbegehren die Möglichkeit besitze, den Steuerbetrag nach tatsächlicher Vorschreibung durch das Finanzamt beim Beklagten einzufordern. Die vom Beklagten erhobene Verjährungseinrede sei unbegründet, weil der Kläger auch die im Rahmen der Klagsausdehnung für die Zeit vor Klagseinbringung erhobene Verdienstentgangsforderung innerhalb der Verjährungszeit geltend gemacht habe. Eine unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigende Haushaltsersparnis sei nur gegen kongruente Schadenersatzansprüche aufrechenbar, also nicht gegen eine Verdienstentgangsforderung.

Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei und die Beweiswürdigung als unbedenklich und übernahm daher den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt. Es billigte im Wesentlichen auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, ausgenommen die Berücksichtigung des dem Kläger für den Zeitraum vom 6. 12. bis 31. 12. 1972 von der Salzburger Gebietskrankenkasse ausbezahlten Taggeldes von zusammen 798,20 S, was zu einem Mehrzuspruch in dieser Höhe und der entsprechenden Änderung beim abzuweisenden Klagebegehren führen müsse. Zu der Frage, ob dem Kläger über den Nettoverdienstentgang hinaus weitere Sozialversicherungsbeträge und die Differenz auf Bruttobeträge gebühre, führte das Berufungsgericht aus:

Dass der Kläger im Zeitraum zwischen 1. 1. 1973 und 30. 6. 1978 zwecks Aufrechterhaltung des ihm vor dem Unfall aufgrund geleisteter Sozialversicherungsbeiträge zukommenden Versicherungsschutzes eine freiwillige Weiterversicherung vornehmen musste und dadurch Auslagen hatte, habe er im Verfahren erster Instanz nie behauptet. Die diesbezüglichen Ausführungen am Schluss der Mängelrüge der Berufung enthielten unzulässige und damit unbeachtliche Neuerungen (§ 482 ZPO). Auch zur Versteuerung der Schadenersatzleistung habe der Kläger im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht. Allerdings sei er davon ausgegangen, dass er Anspruch auf Ersatz des Bruttoverdienstentgangs habe. Da der Kläger den vom Erstgericht mit 274.440,75 S ermittelten Nettoverdienstentgang zum Großteil (164.057,10 S) im Rahmen mehrerer, in den Jahren 1976, 1978, 1979 und 1980 geleisteter Teilzahlungen bereits ersetzt erhalten habe, seien die vom Sachverständigen vorgenommenen Berechnungen über die aus der Schadenersatzleistung erwachsende Steuerbelastung nicht brauchbar, weil sie auf der Annahme beruhten, dass der gesamte Verdienstentgang von 274.440,75 S dem Kläger im Jahre 1981 zufließe (S 429). Die Berechnungen im Gutachten ON 84 berücksichtigten zwar die bereits erfolgten Zahlungen (S 469), seien im Ergebnis aber ebenfalls nicht brauchbar, weil ihnen der Verdienstentgang des Klägers unter Annahme einer der Vergleichsperson Bruno M***** (nicht Leonhard M*****) entsprechenden Berufslaufbahn zugrundeliege. Ob der Kläger die ihm bereits zugekommenen Beträge versteuert habe und welche Auslagen ihm dadurch entstanden seien, sei ebenfalls nicht bekannt. Da der Kläger die zur Ermittlung seiner Steuerbelastung erforderlichen Angaben schuldig geblieben sei und wegen des von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkts auch kein Anlass bestanden habe, ihn gemäß § 182 ZPO zu einer Ergänzung seines Prozessvorbringens zu verhalten, habe das Erstgericht zutreffend dem Kläger nur den Nettoverdienstentgang zugesprochen.

Zur Revision des Beklagten:

Im Vordergrund steht die Ansicht des Revisionswerbers, die Vorinstanzen hätten der Ermittlung des Verdienstentgangs nicht die Verdienstsituation des vor dem Kläger in die Firma D***** eingetretenen Lehrlings Leonhard M*****, sondern jene des Lehrlings Bruno M*****, der nach dem Abgang des Klägers dessen Stelle eingenommen habe, zugrunde legen müssen.

Die ‑ wenn auch nur hypothetischen ‑ Fest-stellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf ‑ hier ein Verdienst des Klägers bei Unterbleiben des Unfalls ‑ betreffen den Tatsachenbereich, der im Revisionsverfahren zulässigerweise nicht mehr bekämpft werden kann. Auf das bezügliche Revisionsvorbringen einzugehen erübrigt sich daher.

Neuerlich wiederholt der Beklagte seinen Standpunkt, der vom Kläger begehrte Verdienstentgang bis zur Klagseinbringung (13. 11. 1975), soweit er den Betrag von 48.500 S übersteige, somit in der Höhe von 17.510,26 S, sei verjährt.

Dies trifft, wie die Vorinstanzen zu Recht erkannten, nicht zu. Die vorliegende Leistungs‑ und Feststellungsklage wurde vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist (Unfall: 3. 12. 1972 ‑ Klagstag: 13. 11. 1975) erhoben. Das Leistungsbegehren wurde im weiteren Prozessverlauf ausgedehnt. Die Einbringung einer mit einer Leistungsklage verbundenen und in der Folge erfolgreichen Feststellungsklage bewirkt jedoch, dass einzelne Schadenersatzansprüche, selbst wenn sie bereits zum selben Zeitpunkt mit Leistungsklage hätten begehrt werden können, auch nach Ablauf der dreijährigen Verjährungszeit im anhängigen Prozess durch Ausdehnung geltend gemacht werden können (vgl EvBl 1974/110 = ZVR 1974/171; 1 Ob 586/80 uva). Somit kann aber eine Verjährung der fraglichen Differenz beim Verdienstentgang nicht eingetreten sein.

Zur Revision des Klägers:

Der Kläger wiederholt wie in der Mängel‑ und in der Rechtsrüge seiner Berufung, dass ihm nicht nur der entgangene Nettolohn, sondern auch die diesem zuzurechnenden Lohnsteuern und Sozialversicherungs-beiträge, also der Bruttoverdienst, zuzusprechen seien. Darauf hätten die Vorinstanzen von Rechts wegen Bedacht nehmen müssen; in der Unterlassung einer allenfalls erforderlichen Anleitung (§ 182 ZPO) liege ein Verfahrensmangel.

Mit Recht verweist das Berufungsgericht darauf, dass es an einem Vorbringen des Klägers im Verfahren erster Instanz in Bezug auf die Kosten einer freiwilligen Weiter‑ oder Höherversicherung fehlt, und dass daher die bezüglichen ‑ ohnedies nicht gerade konkreten ‑ Aus-führungen in der Berufung des Klägers unbeachtlich bleiben konnten. Anders verhält es sich aber mit der steuerlichen Belastung des entgangenen Verdiensts. Diesbezüglich hat sich der Kläger bereits in erster Instanz (vgl die Klage ON 1 und die Klagsausdehnung ON 32) auf Bruttobeträge gestützt und sich dazu auf die Lohnbestätigungen seines Arbeitgebers berufen, die Bruttobeträge ausweisen (vgl Beilage ./H und die Zeugenaussage des Arbeitgebers S 154 des Aktes). Im erstinstanzlichen Verfahren wurde offenbar auch die Frage erörtert und insbesondere vom Sachverständigen in sein Gutachten einbezogen, wenn auch dessen Ergänzung, wie vom Berufungsgericht hervorgehoben, nur unter Bezugnahme auf die Vergleichsperson Bruno M*****, statt richtig Leonhart M*****, erfolgte. Während das Erstgericht sodann den Zuspruch des Bruttoverdienstentgangs unter Hinweis auf das ohnedies vorliegende Feststellungsurteil umging, erachtete das Berufungsgericht die Frage wegen des vom Kläger eingenommenen „Rechtsstandpunkts“ und wegen der „Unbrauchbarkeit“ des Gutachtens des Sachverständigen als nicht weiter aufklärungsbedürftig. Schon das Erstgericht hätte jedoch in Ausübung der ihm gemäß § 182 ZPO obliegenden Pflichten im Hinblick auf die vorzunehmende richtige Verdienstentgangsberechnung (vgl SZ 33/50 = ZVR 1961/118; ZVR 1964/44 uam) darauf hinwirken müssen, dass alle in diesem Belang erforderlichen Angaben gemacht und alle Aufschlüsse gegeben werden. Aufgabe des Sachverständigen wäre es sodann gewesen, unter Heranziehung der Vergleichsperson Leonhard M***** sowie in Berücksichtigung der dem Kläger zugekommenen Teilzahlungen auf den behaupteten Verdienstentgang und allenfalls erbrachter Steuerleistungen den zu ersetzenden Verdienstentgang zu errechnen. Dies wird somit im ergänzenden Verfahren nachzuholen sein.

Der Umstand, dass das Berufungsgericht den vom Kläger in diesem Zusammenhang gerügten Verfahrensmangel als nicht gegeben erachtete und dass nach der ständigen Rechtsprechung eine solcherart abschlägig beschiedene Mängelrüge im Allgemeinen in der Revision nicht mehr mit Erfolg wiederholt werden darf, schlägt hier nicht durch. In Wahrheit liegt hier nämlich nicht ein bloßer Verfahrensverstoß vor, sondern, weil es der Ergänzung der Sachgrundlagen im aufgezeigten Sinne bedarf, ein Feststellungsmangel, der bei der Überprüfung der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmen ist (vgl Fasching IV 209).

Es war somit das angefochtene Urteil in seinem zusprechenden Umfange als Teilurteil zu bestätigen, im Umfange der vom Kläger bekämpften Abweisung aber aufzuheben.

Der Vorbehalt der Kostenentscheidung beruht auf §§ 392 Abs 2 (52 Abs 2) und 51 Abs 1 ZPO.

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