Spruch:
Der Revision wird stattgegeben. Das angefochtene Urteil wird derart abgeändert, dass das Urteil erster Instanz in der Hauptsache wiederhergestellt wird.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten an Kosten des Verfahrens aller Instanzen den Betrag von 6.563,36 S (darin enthalten an Barauslagen 632 S und an Umsatzsteuer 439,36 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger stützte sein Begehren auf Übergabe einer näher bezeichneten Wohnung und Aushändigung der Schlüssel zu dieser Wohnung auf das Vorbringen, er habe diese Wohnung als Mieter innegehalten, über eine gegen ihn eingebrachte Räumungsklage sei ein Versäumungsurteil gefällt worden. Aufgrund dieses Urteils sei am 25. März 1981 die zwangsweise Räumung erfolgt. In der Folge seien das Versäumungsurteil und das gesamte Verfahren über die Räumungsklage als nichtig aufgehoben worden. Der Kläger vertrat dazu die Ansicht, seine Mietrechte bestünden aufrecht, die Beklagte verweigere ihm zu Unrecht die Nutzung des Mietgegenstands. Er machte weiter geltend, dass der von der Beklagten behauptete Mietzinsrückstand, soweit ein solcher überhaupt bestanden habe, ihm nicht zum groben Verschulden anzurechnen sei. Wesentlich für diesen Mietzinsrückstand sei, dass seiner Ehefrau die ihr gesetzlich zustehende Mietzinsbeihilfe verweigert worden sei.
Die Beklagte beantragte die Klageabweisung mit dem Vorbringen, dass seit März 1980 kein Mietzins bezahlt worden sei. Für die Zeit vom März 1980 bis März 1981 hafte ein Mietzins im Gesamtbetrag von 33.924,12 S unberichtigt aus. Dem Kläger sei Wohnbeihilfe gewährt, aber nicht ausbezahlt worden. Der Rechtsstreit über die - dem zunächst für nichtig erklärten Verfahren zugrundegelegte - Räumungsklage sei anhängig. Das Klagebegehren sei daher sittenwidrig. Die Beklagte beantragte im Verfahren erster Instanz die Unterbrechung des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Räumungsstreit.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Dazu sprach es aus, dass der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstand 2.000 S übersteigt.
Das Berufungsgericht legte seiner Entscheidung die erstrichterlichen Feststellungen zugrunde. Aus diesen ist hervorzuheben:
Der Kläger bewohnte - als Mieter - die strittige Wohnung mit seiner Ehefrau und drei Kindern. Ab März 1980 zahlte er keinen Zins. Bis einschließlich März 1981 lief auf diese Weise ein Mietzinsrückstand in der Höhe von 33.924,12 S auf. Auf diesen Rückstand gründete die Beklagte eine Räumungsklage. Das hierüber durchgeführte Verfahren führte zunächst zu einem Exekutionstitel, im Zuge dessen zwangsweiser Durchsetzung am 25. März 1981 eine Räumung bewirkt wurde. Erst nach diesem Vollzug wurde das gesamte Räumungsverfahren einschließlich der Klagszustellung als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur Einleitung des Verfahrens über die Räumungsklage an das Erstgericht zurückverwiesen. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im hier anhängigen Verfahren über die Klage des Mieters hat dieser auf den festgestellten Mietzinsrückstand nichts bezahlt. Bis zu diesem Zeitpunkt haftete der Mietzinsrückstand unberichtigt aus. In diesem Zeitpunkt war auch der Rechtsstreit über die Räumungsklage der Vermieterin (noch) anhängig.
Das Erstgericht entschied über den Unterbrechungsantrag nicht spruchmäßig, wies diesen Antrag aber durch die Fällung der Sachentscheidung im Ergebnis ab. In der Hauptsache folgerte es in rechtlicher Beurteilung: Das Mietverhältnis des Klägers an der strittigen Wohnung sei aufrecht. Die Beklagte könne dem Begehren auf Zuhaltung des Mietvertrags aber entgegenhalten, dass der Mieter keinen Mietzins bezahlt habe und damit mit seinen Vorleistungspflichten in Verzug geraten sei. Keinem der beiden Streitteile falle ein Verschulden daran zur Last, dass der Kläger „seine Wohnung verloren" habe. Wegen des Verzugs des Klägers mit seinen Zinszahlungen brauche aber die Beklagte als Vermieterin den Vertrag nicht zuzuhalten.
Das Berufungsgericht verneinte das vom Erstgericht anerkannte Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten, weil ein Vermieter wegen eines nach Übergabe des Bestandgegenstands eingetretenen Verzugs des Mieters mit fortlaufenden Mietzinsfälligkeiten nicht berechtigt sei, dem Mieter einfach den Gebrauch des Bestandgegenstands zu entziehen, und führte aus: Ob eine auf den zweiten Fall des § 1118 ABGB gestützte Aufhebungserklärung das Mietverhältnis zur Auflösung gebracht habe, stehe erst nach Rechtskraft des Urteils über eine entsprechende Räumungsklage bindend fest. Solange eine solche Entscheidung noch nicht vorliege, dürfe der Vermieter die von ihm geschuldete Gebrauchsüberlassung nicht verweigern. Wegen der auf die Fälle des § 21 Abs 3 MietG (nunmehr § 33 Abs 3 MRG) beschränkten Anwendbarkeit des in § 21 Abs 2 MietG (nunmehr § 33 Abs 2 MRG) vorgesehenen Instituts könne in einem anderen Rechtsstreit die Wirksamkeit der Aufhebungserklärung nach § 1118 ABGB nicht beurteilt werden. Das Begehren auf Zuhaltung des Bestandvertrags sei entgegen der Ansicht der Beklagten nicht als schikanös im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB zu erkennen.
Die Beklagte ficht das abändernde Berufungsurteil aus dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO mit dem Abänderungsantrag auf Wiederherstellung des klagsstattgebenden Urteils erster Instanz an. Sie erklärt ausdrücklich, den Antrag zu wiederholen, das anhängige Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung im näher bezeichneten Räumungsstreit wegen Präjudizialität zu unterbrechen. Der Kläger strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an. Der Unterbrechungsantrag ist zurückzuweisen. Das Erstgericht hat dem Unterbrechungsantrag durch Fällung der Sachentscheidung im Ergebnis nicht stattgegeben. Eine spruchmäßige Entscheidung in diesem Sinne wäre gemäß § 192 Abs 2 ZPO unanfechtbar gewesen. Die Unanfechtbarkeit eines die Unterbrechung ablehnenden Beschlusses kann aber nicht dadurch umgangen werden, dass derselbe Unterbrechungsantrag in einer Rechtsmittelinstanz neuerlich gestellt wird.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Beide Streitteile unterstellten, dass der Kläger als Mieter mit der Beklagten als Vermieterin über die strittige Wohnung einen Mietvertrag abgeschlossen hatte, der den mietengesetzlichen Kündigungsbeschränkungen unterworfen war. Die Räumungsexekution aufgrund eines Exekutionstitels, der in der Folge als nichtig ausgehoben wurde, bewirkte zunächst - wie ein als Zufall zu wertendes Ereignis - einen tatsächlichen Zustand. Der Mieter kann mit seinem Begehren auf Wiederherstellung eines dem Mietvertrag entsprechenden Zustands nur durchdringen, wenn der Mietvertrag im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch aufrecht besteht. Beide Vorinstanzen sind bei ihrer Beurteilung davon ausgegangen. Dazu sind aber Voraussetzungen, Form und Wirkung einer Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB im Allgemeinen und die verfahrensrechtlichen Folgerungen aus der atypischen Fallgestaltung des bereits aus dem Bestandgegenstand verdrängten Mieters zu erwägen:
Der Vertragsauflösungsgrund des qualifizierten Zinsrückstands konnte auch bei mietengesetzlich geschützten Bestandverhältnissen nach der allgemeinen bestandrechtlichen Regelung des § 1118 ABGB geltend gemacht werden (vgl nunmehr ausdrücklich § 29 Abs 1 Z 5 MRG). Die Auflösungserklärung des § 1118 ABGB ist eine einseitige, empfangsbedürftige Rechtsgestaltungserklärung des Bestandgebers. Sie ist formfrei. Die Erklärung bewirkt die Vertragsaufhebung unter der Voraussetzung, dass ein nach dem zweiten Fall des § 1118 ABGB qualifizierter Zinsrückstand im Zeitpunkt des Zugangs der Auflösungserklärung an den Bestandnehmer vorliegt. Im Anwendungsbereich des § 21 MietG (nunmehr § 33 MRG) konnte der Bestandnehmer die rechtsgestaltende Wirkung der Auflösungserklärung unter den im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen entkräften. Solange diese Möglichkeit bestand, herrschte kraft Gesetzes ein Schwebezustand, dessen unerwünschte Folgen aber wegen des vom Gesetzgeber als höherrangig gewerteten Interesses des Bestandnehmers an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses bewusst hingenommen wurden. Diese Wertung zwingt zur Folgerung, dass während des dargestellten Schwebezustands infolge einer nach § 21 MietG (numehr § 33 MRG) bestehenden Möglichkeit der Entkräftung einer Auflösungserklärung nach dem zweiten Fall des § 1118 ABGB sich kein Vertragsteil, insbesondere nicht der Vermieter, unter Berufung auf die erklärte Vertragsaufhebung der Leistung seiner Vertragspflichten entziehen darf. Diese Beurteilung führte im Ergebnis auch zur Annäherung an die Wirksamkeit einer Aufkündigung nach § 19 Abs 1 Z 1 MietG (nunmehr § 30 Abs 2 Z 1 MRG).
Die privatrechtliche wirksame Auflösungserklärung kann auch in der Prozesserklärung der (Räumungs-)Klage gelegen sein, sie kann aber ebenso, wenn dies auch nur bei einer atypischen Sachlage wie im vorliegenden Fall praktisch werden wird, in einer prozessualen Einwendung gelegen sein. Es wurde zwar nicht festgestellt, wann, aber es muss doch davon ausgegangen werden, dass die Räumungsklage dem Mieter vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung im anhängigen Rechtsstreit wirksam zugegangen ist. Das Einwendungsvorbringen der Vermieterin in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 20. November 1981 („es sei sittlich nicht gerechtfertigt, die Übergabe einer Wohnung zu verlangen, für welche kein Mietzins bezahlt wurde. Seit März 1980 werde kein Miezins bezahlt ...") ist im Zusammenhang mit dem gleichzeitig gestellten Unterbrechungsantrag und mit der Bezifferung des Mietzinsrückstands in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 24. Februar 1982 als Auflösungserklärung nach dem zweiten Fall des § 1118 ABGB zu werten. Im Streitfall über die Höhe des geschuldeten Zinsrückstands hätte dem Mieter die in § 21 Abs 2 MietG (nunmehr § 33 Abs 2 MRG) vorgesehene beschlussmäßige Entscheidung vor der Sachentscheidung über das Klagebegehren nicht vorenthalten werden dürfen (je nach der Sachlage durch Unterbrechung des Rechtsstreits bis zur beschlussmäßigen Entscheidung im Rechtsstreit über die ursprüngliche Räumungsklage oder durch eine entsprechende beschlussmäßige Entscheidung im anhängigen Rechtsstreit). Die trotz der vertauschten Parteirollen gleichartige Interessenlage des Mieters gebietet nämlich eine analoge Anwendung der Verfahrensbestimmung des § 21 Abs 2 MietG auf Rechtsstreitigkeiten, in denen das Klagebegehren auf die Unwirksamkeit einer Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB gestützt wird, auch wenn das Begehren ausnahmsweise nicht auf Räumung gerichtet ist. Nach der Parteienaussage des Klägers („der geltend gemachte Mietzinsrückstand ist richtig, nämlich 33.927,12 S vom 1. 3. 1980 bis März 1981" ... „Ob der Mietzinsrückstand genau stimmt, kann ich nicht sagen, weil ich ihn nicht überprüft habe ...") lagen aber ungeachtet der Formulierung des Vorbringens in der Tagsatzung vom 20. November 1981 („sollte überhaupt ein Mietzinsrückstand bestanden haben, so sei dieser unverschuldet ...") die prozessualen Voraussetzungen für eine beschlussmäßige Entscheidung über die Höhe der Mietzinsschuld nicht vor.
In der Zustellung der Räumungsklage muss eine Mahnung und in den Einwendungen im anhängigen Rechtsstreit eine Auflösungserklärung (oder umgekehrt) erblickt werden. In beiden Zeitpunkten bestand der festgestellte Zahlungsrückstand. Die Auflösungserklärung des Vermieters hatte daher die Eignung, das Bestandverhältnis aufzulösen. Der Mieter hat die ihm grundsätzlich offengestandene Möglichkeit zur Entkräftung der Auflösungserklärung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht genutzt. Damit war der Bestandvertrag in diesem Zeitpunkt bereits endgültig aufgehoben und keine taugliche Rechtsgrundlage für ein Begehren auf seine Zuhaltung mehr.
Aus dieser Erwägung war in Stattgebung der Revision die Entscheidung des Prozessgerichts erster Instanz in der Hauptsache wieder herzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsstreits beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO, § 10 Z 2c) RATG und § 15 Z 2b) GJGebG.
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