OGH 9Os93/82

OGH9Os93/8228.9.1982

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 1982

unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Hon. Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Rathmanner als Schriftführer in der Strafsache gegen Ferdinand A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 22. April 1982, GZ 20 Vr 550/81-106, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Strasser, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Eichenseder zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 10. April 1933 geborene Pensionist Ferdinand A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen im zweiten Rechtsgang neuerlich des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Die Geschwornen hatten die an sie gestellte Hauptfrage (1), ob der Angeklagte schuldig sei, am 13. Februar 1981 in Telfs seinen Nachbarn Peter B durch einen Stich mit einem Offiziersdolch mit 26 cm langer, beidseitig geschliffener Klinge in das Herz vorsätzlich getötet zu haben, 'ohne daß er sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hat hinreißen lassen', einhellig bejaht, demzufolge die auf die Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB, der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 (2. Fall) StGB und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 83, 86 StGB lautenden Eventualfragen (2-4) unbeantwortet gelassen sowie die Zusatzfrage (5), ob der Angeklagte zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, ebenfalls einstimmig verneint. Mit der gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde macht der Angeklagte ausschließlich den Nichtigkeitsgrund einer unrichtigen Rechtsbelehrung (§ 345 Abs. 1 Z 8 StPO) in Ansehung der Zusatzfrage (5) nach dem Vorliegen eines Zustandes der Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB und hinsichtlich der Eventualfrage (2), sohin bezüglich des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB geltend.

Rechtliche Beurteilung

Die Rüge versagt.

Zunächst könnte eine unvollständige Rechtsbelehrung, wie sie die Beschwerde behauptet, den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs. 1 Z 8 StPO nur dann begründen, wenn sie geeignet wäre, die Geschwornen zu beirren und sie bei Beantwortung der an sie gerichteten Fragen auf einen falschen Weg zu weisen.

Entgegen dem ersten insofern aktenwidrigen Beschwerdeeinwand geht nun aus den Erläuterungen der Rechtsbelehrung zur Zusatzfrage (5) expressix verbis hervor, daß für die Zurechnungs- (=Schuld-)fähigkeit die Diskretionsfähigkeit (= Einsichts- oder Unterscheidungsvermögen), das ist die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, und die Dispositionsfähigkeit (= Steuerungs- oder Hemmungsvermögen), das ist die Fähigkeit, dieser Einsicht gemäß zu handeln, entscheidend sind und das Fehlen einer dieser Fähigkeiten Zurechnungsunfähigkeit bewirkt. Dieskretions- wie Dispositionsvermögen und die im § 11 StGB aufgezählten biologischen Zustände, bei deren Vorliegen die eine oder die andere Fähigkeit fehlen kann, nämlich Geisteskrankheit, Schwachsinn, eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung oder eine andere schwere, einem dieser Zustände gleichwertige seelische Störung, werden in der Rechtsbelehrung allgemein verständlich und in einer jedes Mißverständnis ausschließenden Weise hinreichend verdeutlicht (S 9 und 10 der Rechtsbelehrung). Dabei wird, der Beschwerde zuwider, insbesondere auch auf Trübungen oder Einengungen des Selbst- oder Umweltbewußtseins, die das seelische Gefüge des Betroffenen zerstören oder doch ganz erheblich erschüttern, wie etwa hochgradige Affektzustände, eingegangen (S 10 der Rechtsbelehrung). Was unter einem Affekt zu verstehen ist, wurde in der Belehrung schon zur Eventualfrage nach § 76 StGB (2) in zutreffender und erschöpfender Weise erörtert (S 4 - 6 der Rechtsbelehrung).

Daß diese Ausführungen in bezug auf die Zusatzfrage (5) nicht eigens wiederholt wurden, schadet schon deshalb nicht, weil die schriftliche Rechtsbelehrung eine Einheit darstellt und die Beurteilung ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit (im oben erwähnten Sinn) nach ihrem gesamten Inhalt zu erfolgen hat (vgl auch Mayerhofer-Rieder E Nr 49 f zu § 345 Z 8 StPO). Im übrigen verkennt die Beschwerde, soweit sie eine Erörterung des Einflusses pathologischer Veränderungen auf eine affektive Reizbarkeit sowie überhaupt Erläuterungen medizinischer (psychiatrischer) und psychologischer Begriffe vermißt, daß all dies nicht Gegenstand einer schriftlichen Rechtsbelehrung der Geschwornen ist; diese hat nämlich gemäß § 321 Abs. 2 StPO nur eine Darlegung von Rechtsbegriffen, sohin der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes zu enthalten (und das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage klarzulegen). Für die Erörterung sonstiger Fachausdrücke und die (an sich schon in den Sachverständigengutachten vorgenommene) Verdeutlichung medizinischer und psychologisch relevanter Umstände, die nicht zugleich in Gesetzesbegriffen enthalten sind, kommt daher nur die gemäß § 323 Abs. 2 StPO vom Vorsitzenden mit den Geschwornen abgehaltene mündliche Besprechung in Betracht.

Den Beschwerdeausführungen zuwider haftet aber auch der Rechtsbelehrung zum Verbrechen des Totschlags keine aus dem Fehlen einer näheren Definition der Begriffe 'allgemeine Begreiflichkeit' und 'heftige Gemütsbewegung' im 'Hinblick auf das Element der Dauer' resultierende, Unrichtigkeit bewirkende Unvollständigkeit an. Unter welchen Voraussetzungen eine - zur rechtlichen Privilegierung einer Tat nach § 76 StGB führende - heftige Gemütsbewegung als 'allgemein begreiflich' anzusehen ist, wird auf der Seite 5 der Rechtsbelehrung vollauf im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung und Lehre unmißverständlich klargelegt (vgl hiezu insbesondere Leukauf-Steininger2

RN 5 zu § 76 StGB). Unrichtig ist nicht die Rechtsbelehrung, die davon spricht, daß Gemütsbewegungen zwar in der Regel rasch zurückgehen, ausnahmsweise aber auch ein länger andauernder Zustand der Gemütsbewegung gegeben sein kann (S 4, 5 unten der Rechtsbelehrung), und zudem zutreffend klarstellt, daß die Ursache einer Gemütsbewegung sittlich verständlich und in äußeren Umständen begründet sein muß und nicht in einem psychisch abnormen Persönlicheitsbild des Täters, somit nicht in seinem Charakter (Stimmungslabilität, leichte Erregbarkeit, mangelnde Beherrschung, gesteigerte Aggressivität usw) oder in seinen allenfalls vorhandenen verwerflichen Leidenschaften (etwa Rachsucht) liegen darf (S 5 der Rechtsbelehrung), sondern das Vorbringen in der Beschwerde, die aus dem Vorliegen sich durch Jahre hinziehender Nachbarschaftsstreitigkeiten eine 'außer Zweifel' stehende Affekttat ableitet.

Die sonstigen Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde, wonach die seit Jahren bestehenden Streitigkeiten mit dem Opfer und Provokationen bzw Herausforderungen durch dieses die Annahme eines Totschlags nicht ausschlössen, sondern diese 'eher' zu begründen vermöchten und demzufolge die 'Verzweiflungstat des Angeklagten' als eine 'logische Folge all dieser Umstände und Bedingungen' angesehen werden müßte, stellen keine Kritik an der Rechtsbelehrung, sondern am Wahrspruch der Geschwornen dar, der jedoch in seinem tatsächlichen Gehalt - von hier nicht einmal behaupteten Ausnahmen abgesehen - nicht bekämpfbar ist ( SSt 41/61 ua).

Aus den angeführten Erwägungen war die sohin unbegründete, zum Teil auch gar nicht dem Gesetz gemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung die Brutalität, mit der der Angeklagte das Opfer vor den Augen seiner engsten Angehörigen, insbesondere der beiden Kinder erstochen hat, als erschwerend, dessen Unbescholtenheit, sein von Reue allerdings nicht getragenes Geständnis, die erhebliche Verminderung seiner Zurechnungsfähigkeit, den durch Streitigkeiten und Provokationen seitens des Opfers entstandenen Affektzustand und die Bereitschaft zur Schadensgutmachung hingegen als mildernd. Mit der gegen den Strafausspruch erhobenen Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Strafe unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41

StGB an.

Dem Begehren kommt keine Berechtigung zu.

Die vom Geschwornengericht angenommenen Strafzumessungsgründe bedürfen zunächst insoweit einer Korrektur, als der im Urteil angeführte (einzige) Erschwerungsgrund zu entfallen hat. Vorliegend kann nämlich, da die Tat durch die Zufügung von zwei Stichen - von denen einer sofort tödlich war - in einem Affekt begangen wurde, bei dem der Täter die näheren Umstände des Geschehens nicht beachtete, sodaß er (nach seinen diesbezüglich unwiderlegt gebliebenen Angaben) die im PKW des Erstochenen befindlichen Personen überhaupt nicht bemerkte, von einer über bei Delikten dieser Art hinausgehenden Brutalität gewiß keine Rede sein.

Es erfolgte aber auch die Annahme eines Affektzustandes neben der erheblich verminderten Zurechnungsfähigkeit zu Unrecht; war doch der Affekt nach dem Sachverständigengutachten der Grund der reduzierten Zurechnungsfähigkeit und kann er daher nicht nochmals berücksichtigt werden.

Die Bereitwilligkeit zur Gutmachung des materiellen Schadens an den Hinterbliebenen des Getöteten stellt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes keinen Milderungsgrund dar (siehe dazu ÖJZ-LSK 1978/276 ua).

Ausgehend von den solcherart berichtigten Strafzumessungsgründen entspricht die vom Geschwornengericht ausgemessene Strafe der Schuld des Angeklagten, der, wie sein schlechter Leumund und sein Verhalten in der Haft beweist (siehe dazu Bd I, S 113 und die im Akt erliegenden Straferkenntnisse) in seiner ungestümen Art schon früher und auch jetzt wieder ein die Gemeinschaft störendes Verhalten an den Tag gelegt hat.

Aus den angeführten Gründen war sohin auch der Berufung ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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