Spruch:
Im Verfahren zum AZ 6 b E Vr 5035/79 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde durch das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. Juni 1981, AZ 23 Bs 64/81 das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 473 Abs. 2, 489 Abs. 1 StPO verletzt.
Dieses Urteil und alle darauf beruhenden Verfügungen werden aufgehoben; dem Oberlandesgericht Wien wird aufgetragen, über die Berufung des Privatanklägers neuerlich zu verhandeln und zu entscheiden.
Text
Gründe:
Aus dem Akt 6 b E Vr 5035/79 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ergibt sich folgender Sachverhalt:
Rechtsanwalt Dr. Heinrich A wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 1. Oktober 1980, GZ 6 b E Vr 5035/79-13, von der durch Rechtsanwalt Dr. Hermann B gegen ihn erhobenen Privatanklage, er habe in Wien während der am 18. Mai 1979 im ersten Fernsehprogramm des Österreichischen Rundfunks ausgestrahlten Sendung 'Argumente' durch die Äußerung: '..... der Herr Kollege hat offenbar auch ein bisserl ein persönliches Interesse daran, weil er selber wegen eines Betrugsvorwurfes angeklagt wurde, die Geschichte aus der Welt zu schaffen .....' 1./ den Privatankläger Dr. Hermann B eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet sei, den Privatankläger in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen; und 2./ über den Privatankläger Dr. Hermann B unrichtige Tatsachen behauptet und dadurch den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen des Privatanklägers geschädigt oder gefährdet; (und er habe hiedurch zu 1./ das Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und Abs. 2 StGB und zu 2./ das Vergehen der Kreditschädigung nach § 152 Abs. 1 StGB begangen) gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Das erkennende Gericht stellte in tatsächlicher Beziehung fest, daß in den Abendstunden des 18. Mai 1979 außer anderen Personen auch die Rechtsanwälte Dr. B und Dr. A im Rahmen der Fernsehsendung 'Argumente' an einer Diskussion teilnahmen, bei der die Preisgestaltung eines seinerzeit von dem Autohändler Wilhelm C verkauften Personenkraftwagens der Type 'Alfa Spider Veloce' erörtert wurde. Dieses Thema war bereits einmal bei einer früheren 'Argumente-Sendung' am 11. November 1977 und zwar derart diskutiert worden, daß sich Wilhelm C beleidigt fühlte und deshalb - vertreten durch Dr. Heinrich A - gegen Dr. Hermann B zu 6 b E Vr 105/78 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ein (noch nicht abgeschlossenes) Privatanklageverfahren wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und Abs. 2 StGB mit der Behauptung anstrengte, Dr. B habe ihm (bei dieser Sendung am 11. November 1977) im Zusammenhang mit dem Verkauf des erwähnten Personenkraftwagens die Begehung eines Betruges vorgeworfen. Zur Sendung am 18. Mai 1979 war nun Dr. Heinrich A als Vertreter des Autohändlers Wilhelm C eingeladen worden. Dr. A, der für seinen Mandanten sprechen sollte, wurde am Ende der Diskussion das Schlußwort erteilt, in dessen Verlauf er die Dr. Hermann B betreffende Äußerung machte: '..... der Herr Kollege hat offenbar auch ein bisserl ein persönliches Interesse daran, weil er selber wegen eines Betrugsvorwurfes angeklagt wurde, die Geschichte aus der Welt zu schaffen .....'.
Mit dieser Äußerung wollte Dr. A - wie das Erstgericht, dessen Verantwortung folgend, weiter annahm - nicht zum Ausdruck bringen, gegen Dr. Hermann B sei ein Verfahren wegen Betruges nach §§ 146 ff StGB anhängig. Vielmehr bezweckte er damit nur eine Anspielung auf das erwähnte Privatanklageverfahren, in dem Dr. B wegen eines gegen Wilhelm C erhobenen Betrugsvorwurfes der üblen Nachrede angeklagt worden war. Auch von einem der Sendung aufmerksam und konzentriert folgenden Zuseher habe die öußerung nach der Art ihrer Widergabe, von der sich das Gericht an Hand einer Bandaufzeichnung der Fernsehsendung überzeugte, keinesfalls dahin mißverstanden werden können, Dr. B sei selbst des Betruges verdächtig.
In rechtlicher Beziehung beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, daß Dr. Heinrich A durch die Anspielung auf das mehrfach erwähnte, gegen Dr. Hermann B anhängige Privatanklageverfahren zwar keine unrichtigen Tatsachen im Sinne des § 152 StGB behauptet, wohl aber (auch beim angenommenen Sinngehalt der inkriminierten öußerung) den Tatbestand der üblen Nachrede gemäß § 111 Abs. 1
und Abs. 2 StGB verwirklicht habe. Insoweit sei ihm jedoch im Hinblick auf das gegen Dr. B zu 6 b E Vr 105/78 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien tatsächlich anhängige Verfahren der Wahrheitsbeweis im Sinne des § 111 Abs. 3 StGB gelungen, dessen Führung das Erstgericht ungeachtet des im § 112 StGB ausgesprochenen Beweisthemenverbotes (wonach der Wahrheitsbeweis ua über strafbare Handlungen, die - wie hier - nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden können, nicht zuzulassen ist) für zulässig erachtete, weil Dr. Heinrich A als Rechtsvertreter des Dritten (nämlich des zur Privatanklage gegen Dr. B berechtigten Wilhelm C) dieselbe Stellung und dieselben Rechte zugebilligt werden müßten wie dem Dritten selbst.
Das Erstgericht gelangte daher zu einem Freispruch. Gegen das freisprechende Urteil ergriff der Privatankläger Dr. Hermann B das Rechtsmittel der Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und (ungeachtet des Freispruchs) auch wegen Strafe. Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, bei der (jedoch) Beweise weder wiederholt noch neu aufgenommen wurden, mit Entscheidung vom 23. Juni 1981, AZ 23 Bs 64/81, der Berufung wegen Nichtigkeit Folge, hob das (seiner Meinung nach nur im Freispruch vom Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 und Abs. 2 StGB angefochtene) Ersturteil im Umfang des Freispruchs vom Vergehen der üblen Nachrede auf, erkannte Dr. Heinrich A insoweit des Vergehens nach § 111 Abs. 1 und Abs. 2 StGB schuldig und veruteilte den Genannten nach § 111 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe. Mit seiner Schuld- und Strafberufung wurde der Privatankläger auf diese Entscheidung verwiesen.
Das Oberlandesgericht Wien vermeinte, daß schon der auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9 lit a (§§ 468 Abs. 1 Z 4, 489 Abs. 1) StPO gestützten Rechtsrüge des Berufungswerbers Berechtigung zukomme, weil von jener Bedeutung der inkriminierten Äußerung auszugehen sei, die ihr ein objektiver, unbefangener, nicht besonders qualifizierter, durchschnittlicher (und nicht - wie das Erstgericht annahm - ein aufmerksamer und konzentrierter) Fernsehzuseher zugemessen habe. Ein solcher habe aber bei der gebrauchten Formulierung annehmen müssen, Dr. B sei einer Betrugshandlung verdächtig (und deshalb angeklagt). Da einerseits zur Verwirklichung des Vergehens nach § 111 StGB auf der subjektiven Tatseite bedingter Vorsatz genüge und andererseits jedem Beleidiger, wenn er sich überhaupt in einem zurechnungsfähigen Zustand befinde, unterstellt werden könne, daß er um den ehrenbeleidigenden Charakter seiner - objektiv ehrenrührigen - Aussage wisse, habe Dr. Heinrich A daher für diesen Sinngehalt seiner Äußerung einzustehen, zumal er für die Behauptung, Dr. B habe eine Betrugshandlung begangen und sei deshalb auch angeklagt worden, keinen Wahrheitsbeweis angeboten habe und einen solchen nach der Aktenlage auch nicht hätte anbieten können.
Rechtliche Beurteilung
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 23. Juni 1981, AZ 23 Bs 64/81, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Die oben wiedergegebenen erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen
darüber, welche Bedeutung der inkriminierten Äußerungen nach dem
Willen des Täters zukam und welcher Sinngehalt ihr von der Umwelt
beigemessen wurde, sind - der Auffassung des Oberlandesgerichtes
Wien zuwider - tatsächlicher Natur (vgl Mayerhofer-Rieder, II/2, Nr
46 - 48 zu § 281
StPO). An Konstatierungen im tatsächlichen Bereich ist aber das Berufungsgericht gemäß §§ 473 Abs. 2, 489 Abs. 1
StPO bei der Entscheidung über das Rechtsmittel gegen ein Urteil des Einzelrichters eines Gerichtshofes grundsätzlich gebunden. Hat es gegen die erstgerichtlichen Feststellungen (soweit sie entscheidende Umstände betreffen) oder gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes Bedenken, dann muß es, um den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit zu genügen, das Beweisverfahren wiederholen. Auch ergänzende (vom Erstgericht unterlassene, rechtlich erhebliche) Feststellungen darf das Berufungsgericht nur dann treffen, wenn es die für die Beurteilung des betreffenden Sachverhaltes in Betracht kommenden Beweise selbst aufgenommen hat (vgl ÖJZ-LSK 1979/62 = SSt 49/61 ua).
Indem das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht im gegenständlichen Fall (bei seinen geschilderten Bemühungen, die in Rede stehende Tatfrage der rechtlichen Beurteilung zuzuordnen, in Wahrheit) von den erstgerichtlichen - nicht nur auf die Wortbedeutung der inkriminierten öußerung, sondern auch auf die Verantwortung des Dr. Heinrich A und auf den bei der Besichtigung einer Bandaufzeichnung der bezüglichen Fernsehsendung gewonnenen Eindruck gestützten - Feststellungen über den konkreten Vorsatz des Dr. Heinrich A in bezug auf die Bedeutung, die seine (mehrdeutige) Äußerung haben sollte, sowie darüber, welcher Sinngehalt dieser Äußerung seitens der Zuseher beigemessen worden war, abging und sie ohne Wiederholung sowie allfällige (zusätzliche) Neuaufnahme von Beweisen durch andere Konstatierungen ersetzte, mißachtete es die erwähnten Verfahrensgrundsätze.
Da sich die aufgezeigte Gesetzwidrigkeit zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, war das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 23. Juni 1981, AZ 23 Bs 64/81, mithin aufzuheben und diesem Gericht aufzutragen, über die Berufung des Privatanklägers Dr. Hermann B gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 1. Oktober 1980, GZ 6 b E Vr 5035/79-13, neuerlich zu verhandeln und zu entscheiden (vgl SSt 22/39, 14/28 ua).
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