Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Das Erstgericht erkannte den am 9. April 1963 geborenen (sohin zur Tatzeit noch jugendlichen) Angeklagten des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83, 84 Abs. 1, 85 Z 3 StGB schuldig. Es gründet den Schuldspruch auf folgende wesentliche Tatsachenfeststellungen:
Am 2. Oktober 1980 geriet der damalige Maurerlehrling Bernhard A, als er zusammen mit anderen bei einem Wasserleitungsbau in Amesbach, Gemeinde Baumgartenberg, beschäftigten Arbeitern in einem abgestellten VW-Bus saß, mit dem neben ihm auf der dritten (hintersten) Bank sitzenden (am 10. Oktober 1963 geborenen, also etwa gleichaltrigen) Murat B in Streit, erfaßte ihn mit beiden Händen am Hals, 'drückte' ihn über die hinterste Sitzlehne und stieß ihn durch die Öffnung der Hecktüre, wobei Murat B mit dem Kopf (genauer mit der rechten Hinterkopfseite) auf den Rand des Asphaltes der neben dem Standort des VW-Busses vorbeiführenden Gemeindestraße aufschlug. Hiedurch erlitt Murat B einen Schädelgrundbruch verbunden mit einem Bluterguß zwischen Gehirn (harter Hirnhaut) und dem Schädelknochen (sogenanntes Epiduralhämatom), welche schweren und lebensgefährlichen Verletzungen zu einer 'langen' Berufsunfähigkeit, deren Dauer nicht annähernd bestimmbar ist, führten. Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer ziffernmäßig auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit. b, der Sache nach auch Z 10, des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt:
Der Angeklagte motivierte in seiner Verantwortung das Hinausstoßen Murat Bs aus dem Wagen damit, daß dieser 'keine Ruhe' gegeben habe und er (der Angeklagte) der Meinung gewesen sei, B suche nach einem Messer. Der Angeklagte 'glaube kaum', daß B mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgefallen sei und sich dabei 'so arg verletzt' habe. B sei (nämlich) auf den Rasen gestürzt, sogleich wieder aufgestanden, habe eine Spitzschaufel geholt und mit dieser durch die hintere Türöffnung nach dem noch im Wagen befindlichen Angeklagten 'gestochert', ihn hiebei auch berührt, jedoch nicht verletzt. Nachdem der Angeklagte nun durch die Seitentüre aus dem Wagen gestiegen sei, habe B neuerlich mit der Schaufel (die Spitze voran) nach ihm gestoßen. Der Angeklagte sei ausgewichen, habe mit der rechten Hand die Schaufel am Stiel erfaßt und mit der linken B einen Stoß gegen die Brust versetzt. Hiedurch sei B gestolpert und rücklings zu Boden gefallen, wobei er (nunmehr erst) mit dem Hinterkopf auf dem Asphaltrand der Straße aufgefallen sei, geschrien und geweint sowie sich nach dem Aufstehen auch den Hinterkopf gehalten habe (S 42, 135 ff in Verbindung mit S 220 sowie S 192, 194 d. A).
Rechtliche Beurteilung
Mit Recht rügt der Angeklagte im Sinne einer Unvollständigkeit der Begründung, daß das Erstgericht sich in seinen Entscheidungsgründen mit dieser Verantwortung nicht befaßt hat, bei deren Zutreffen die Verletzung erst bei einem zweiten Sturz hätte entstanden sein können, nachdem Murat B - der dies allerdings bestreitet (S 39 f, 146 in Verbindung mit S 220 sowie S 209 d.A) - auf der Straße mit einer Schaufel auf den Angeklgten losgegangen sein soll.
Soweit das Erstgericht bei seinen Feststellungen den offenbar für glaubwürdiger befundenen Angaben des Verletzten folgt, läßt das Ersturteil aber jegliche Darlegung vermissen, aus der die im § 258 Abs. 2 StPO dem Gericht aufgetragene sorgfältige und gewissenhafte Prüfung der Beweismittel auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl einzeln als auch in ihrem inneren Zusammenhang erkennbar wäre.
Die Aussage des Verletzten, er sei bereits beim Sturz aus dem VW-Bus mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeprallt (S 38, 144 in Verbindung mit S 220 sowie S 209 f d.A), ist zwar mit dem in der (neu durchgeführten, dem Urteil unmittelbar vorangegangenen) Hauptverhandlung vom 21. September 1981
ersichtlich verlesenen und auch den Feststellungen zu Grunde gelegten (Urteilssatz 3) Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. C aus der Hauptverhandlung vom 23. Juli 1981, wonach ein Hinauswerfen aus dem Wagen als wahrscheinliche Ursache der Verletzung anzunehmen sei (S 149-152 in Verbindung mit S 220 d.A), zu vereinbaren.
Eine Erörterung der erwähnten, hiezu im Gegensatz stehenden Verantwortung des Angeklagten wäre aber dennoch unentbehrlich gewesen. Denn einerseits konnte sowohl nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C (S 152, 220 d.A), als auch nach jenem des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. D (S 215, 217 d.A) ein Fall aus dem Stehen auf eine harte Unterlage, wie zB auf Asphalt, ebenfalls als unmittelbare Verletzungsursache in Betracht kommen.
Andererseits vermögen die vom Erstgericht im gegebenen Zusammenhang herangezogenen Aussagen der Zeugen Karl E und Franz F (S 227 f d.A) in Wahrheit die Feststellungen des Erstgerichtes über den Tatablauf nicht zu stützen. Beziehen sich doch die Angaben beider Zeugen, sie hätten B mit dem Kopf auf dem Asphalt liegen gesehen, auf jene Vorgänge, die sich, ihrer und des Angeklagten Darstellung nach, ereignet haben sollen, nachdem Murat B sich nach dem Sturz aus dem Wagen bereits wieder erhoben gehabt haben soll (S 45 f, 159, 161, 168 f in Verbindung mit S 220 sowie S 196, 201 d.A). Hiezu kommt, daß das Erstgericht zwar auf den vom Sachverständigen Dr. D geäußerten Eindruck einer durch eine retrograde und anterograde Amnesie ausgelösten Konfabulation des Zeugen Murat B hinweist (vgl S 217, 228 d.A), ohne jedoch des weiteren den Einfluß einer derartigen Konfabulation auf die Mitteilungsfähigkeit des Zeugen in Ansehung des als erwiesen angenommenen Tatverlaufes, insbesondere des gegenständlichen Sturzes aus dem Kraftfahrzeug, und dessen (strafrechtlich relevanten) Erfolges zu erörtern.
Da das Erstgericht somit seiner Begründungspflicht, gemäß welcher es in nach den Kriterien der Logik und der allgemeinen Lebenserfahrung überprüfbarer Weise darzulegen gehabt hätte, aus welchen Gründen es bei den Feststellungen über den Tathergang (einschließlich jener über den seinerzeitigen Standort des VW-Busses) den Angaben des Verletzten gefolgt ist und nicht der hievon in wesentlichen Punkten abweichenden Verantwortung des Angeklagten sowie teils auch den Zeugenaussagen dessen Arbeitskollegen, nicht nachgekommen ist, ist das Urteil in seinem Ausspruch über entscheidende Tatsachen mit Nichtigkeit nach dem § 281 Abs. 1 Z 5 StPO behaftet, weshalb die Anordnung einer Hauptverhandlung unvermeidlich ist. In dem zu erneuernden Verfahren wird das Erstgericht mängelfrei begründete Feststellungen über den Tathergang zu treffen haben. Zur Frage einer Konfabulation des Zeugen Murat B ergibt sich aus der bisherigen Aktenlage, daß dieser bei seiner am 6. November 1980, also nur wenig mehr als ein Monat nach der Verletzung, durchgeführten Vernehmung durch die Gendarmerie bloß von einem einmaligen Zubodenstoßen auf der Straße nach dem Sturz aus dem Wagen sprach, wobei er dieses Mal mit der linken Seite aufgefallen und der Aufprall mit dem Kopf, zum Unterschied von dem vorangegangenen, auf den rechten Hinterkopf erfolgten Sturz aus dem Wagen, welcher starke Kopfschmerzen, Schwarzwerden vor den Augen und das Gefühl, der Kopf wäre geschwollen, verursacht haben soll, 'nicht mehr so stark' gewesen sein soll (S 38, 220 d.A). Erst bei seinen geraume Zeit später durchgeführten Vernehmungen in den Hauptverhandlungen vom 23. Juli und 21. September 1981 bekundete Murat B, er sei nach dem Sturz aus dem Wagen noch ein oder zwei, bzw mehrmals auf den Asphalt hingeschlagen worden (S 144 f, 220, bzw 209 d.A). Diese letzteren Angaben entsprechen übrigens inhaltlich einem von der Gendarmerie lediglich auf Grund der Angaben der Eltern Murat Bs dem Angeklagten sowie dem Zeugen E gemachten Vorhalt (S 43, 46 d.A). An Hand des gerichtsmedizinischen Gutachtens wird zu klären und durch eine entsprechende Begründung eine eindeutige Feststellung darüber zu treffen sein, ob sich der Verdacht einer Konfabulation nur auf die erwähnten späteren (allenfalls durch Äußerungen seiner Eltern hervorgerufenen) Aussagen des Zeugen Murat B über ein angebliches mehrmaliges Aufschlagen seines Kopfes auf der Straße oder auf seine Schilderung über den ursprünglichen Aufprall beim Sturz aus dem VW-Bus erstreckt.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. D auch bei einer retround anterograden Amnesie eine Tatsachenerinnerung nicht ausschließbar ist, jedoch bei der Annahme, daß die erste von mehreren Gewalteinwirkungen die (gegenständlichen) Verletzungen herbeigeführt hat, mit einer Realerinnerung zumindest für die nächsten Augenblicke nicht gerechnet werden könnte (S 217 d.A).
Für den Fall, daß das Erstgericht aber zum mängelfreien zu begründenden Schluß käme, daß die Verletzung nicht wie dies bisher als erwiesen angenommen wurde, schon beim Sturz aus dem VW-Bus, sondern erst im Zuge einer späteren tätlichen Auseinandersetzung zwischen B und dem Angeklagten entstanden sind, werden auch die für die rechtliche Beurteilung der vom Angeklagten behaupteten Notwehrsituation erforderlichen Feststellungen tatsächlicher Natur zu treffen sein. In Ansehung des Hinausstoßens Bs aus dem VW-Bus ist der bisherigen Verantwortung des Angeklagten die Behauptung einer Notwehrlage nicht zu entnehmen, zumal er ja seinen Angaben zufolge Murat B die angeblich von diesem erhobene Bierflasche schon entrissen und aus dem Wagen geworfen und das Säckchen, in welchem er ein Messer vermutet habe, bereits weggenommen und auf den Vordersitz gelegt haben will (S 41 f, 192, 220 d.A). Sollte der weiteteren Verantwortung des Angeklagten gefolgt und ein gegen diesen mit einer Spitzschaufel unternommenen Angriff Murat Bs als erwiesen angenommen werden, so werden aus dem Gesichtspunkt notwendiger und maßhaltender Verteidigung bzw deren kulposer überschreitung sowohl die Beschaffenheit der Schaufel, das Verhältnis der körperlichen Kräfte der Genannten (insofern ergibt sich aus dem bisherigen Akteninhalt, daß Murat B von schwächlicher Konstitution war /Sachverständigengutachten S 149 in Verbindung mit S 220 d.A/) und die Intensität des Angriffs und der Abwehr (vgl auch Zeugenaussage Josef G, S 202 d.A:'...
dann soll A den B gepackt und um die Erde gehaut haben ...') von Bedeutung sein.
Die rechtliche Annahme schwerer Dauerfolgen im Sinne des § 85 Z 3 StGB wird eine präzisere Feststellung, als dies bisher geschehen ist ('... lange Berufsunfähigkeit, deren Dauer auch nicht annähernd bestimmbar ist ...'), erfordern. Folgen für lange Zeit im Sinne der Deliktqualifikation des § 85 StGB sind nur solche, die eine gewichtige einer immerwährenden Folge nahekommende Beeinträchtigung des Daseinswertes für das Opfer bedeuten; der Zeitraum muß so lange sein, daß er im Hinblick auf die durchschnittliche Lebensdauer des Opfers einen wesentlichen Teil des Lebens darstellt (Leukauf-Steininger2, RN 2 zu § 85 StGB). Zumindest eine zeitlich derart umfangreiche Berufsunfähigkeit Murat Bs könnte in dem vom Sachverständigen Dr. C beschriebenen Zustand, nämlich einer dauernden Gebrauchsminderung der linken Hand, die für das Opfer die Aufnahme seiner früheren Berufstätigkeit (als Hilfsarbeiter; vgl S 37 d.A) ausschließt und ihm künftig nur einarmige Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen ermöglichen wird (S 105 f, 150 d.A) erblickt werden.
Was letztlich die vom Beschwerdeführer sachlich aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO relevierte objektive und subjektive Zurechenbarkeit der schweren Dauerfolge, die auf das epidurale Hämatom zurückzuführen ist, anlangt, so sind folgende Erwägungen maßgeblich:
Richtig ist, daß dem Gutachten des Sachverständigen Dr. D zufolge die Bedrohlichkeit des Verletzungszustandes bereits ab 19.00 Uhr des Tattages, also etwa zwei Stunden vor der Konsultierung des praktischen Arztes, welche um ca. 21,00 Uhr erfolgte, für die Angehörigen Murat Bs erkennbar gewesen und bei Vornahme dessen Operation zu einem früheren Zeitpunkt, als tatsächlich geschehen, die Chance von weniger nachhaltigen Verletzungsfolgen groß gewesen wäre (S 205, 218 d.A). Die Frage eines allfälligen fahrlässigen Verhaltens der Angehörigen, bestehend in einer verspäteten Herbeiholung ärztlicher Hilfe, kann hier jedoch, entgegen der Beschwerdeansicht, auf sich beruhen. Denn für den Bereich der Verletzungsdelikte ist der objektive Risikozusammenhang zwischen der schuldhaften Handlung und der eingetretenen, nicht gerade atypischen Folge auch dann zu bejahen, wenn sich zwischen die Tathandlung und den Erfolg ein fahrlässiges Verhalten eines Dritten (oder des Verletzten selbst) schiebt, das unter den vom Täter herbeigeführten Umständen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht völlig ungewähnlich ist (vgl EvBl 1981/15 und die dort zitierte Judikatur und Literatur).
Das Auftreten eines Schädelbruches und einer Blutung im Schädelinneren sind nun einerseits weder atypische noch unvorhersehbare Folgen erheblicher traumatischer Einwirkungen auf den Kopf eines Menschen insbesonders bei dem Sturz auf eine harte Unterlage. Andererseits ist in solchen Fällen ein Zuwarten dritter Personen, etwa von durch den Zustand des Opfers völlig konsternierten Angehörigen, mit der Herbeiholung ärztlicher Hilfe, das allenfalls sogar ein (unter Umständen grob) fahrlässiges Fehlverhalten derselben bedeuten kann, nach allgemeiner Lebenserfahrung keineswegs ungewähnlich. Für die Zurechnung der schweren Dauerfolge (§ 85 StGB) würde daher, falls der Angeklagte für das Grunddelikt der (schweren) Körperverletzung (§§ 83, 84 Abs. 1 StGB) haftete, die Verzögerung der Herbeirufung ärztlicher Hilfe durch die Angehörigen des Verletzten (vgl die Zeugenaussage dessen Mutter S 206 d.A) ohne Belang sein.
Aus den genannten Gründen war der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285 e StPO Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Gerichtshof erster Instanz zurückzuverweisen. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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