OGH 11Os113/81 (11Os114/81)

OGH11Os113/81 (11Os114/81)25.11.1981

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 1981 unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Faseth, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Hoch als Schriftführer in der Strafsache gegen Theresia A wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs 1 StGB. über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 18. Februar 1980, GZ. U 540/79-16, und des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 30. April 1980, GZ. U 540/79-21 (18 Bl 81/80 des Kreisgerichtes Wels), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach dem der Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung am 29. Juli 1981 nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Nurscher und der Ausführungen des Privatanklagevertreters Dr. Mair sowie des Verteidigers Dr. Krainz zur Urteilsverkündung ausgesetzt worden war, in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Nurscher und des genannten Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Urteile des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 18. Februar 1980, GZ. U 540/79-16, und des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 30. April 1980, AZ. 18 Bl 81/80, verletzen, soweit mit ersterem Theresia A des am 10. August 1979 begangenen Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs 1 StGB. schuldig erkannt und mit letzterem ihre gegen diesen Punkt des Schuldspruches gerichtete Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld als unbebegründet zurückgewiesen wurde, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 111 Abs 1 und 114 Abs 1 StGB.

Diese Urteile werden in diesen Aussprüchen, das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 30. April 1980 auch im Strafausspruch sowie im Ausspruch über die Kostenersatzpflicht aufgehoben, desgleichen alle sich auf den betreffenden Schuldspruch gründenden Verfügungen, insbesondere die Endverfügung des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 11. August 1980 (ON. 22) und es wird im Umfang der Aufhebung - von welcher der freisprechende Teil des Urteils des Kreisgerichtes Wels vom 30. April 1980, AZ. 18 Bl 81/80, unberührt bleibt - gemäß dem § 288 Abs 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:

Theresia A wird (auch) von der (ausgedehnten) (Privat-)Anklage, sie habe am 10. August 1979 durch die Äußerung im Zuge ihrer Vernehmung als Beschuldigte in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Bad Ischl, sie bleibe dabei, daß sich Anna Elisabeth A an ihrem eigenen Sohn (sexuell) vergangen habe, die Genannte in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft geziehen, gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen. Mit ihrer Berufung wird Theresia A auf diese Entscheidung verwiesen. Gemäß den §§ 390 und 390 a StPO. fallen der Privatanklägerin Anna Elisabeth A die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zur Last.

Text

Gründe:

Anna Elisabeth A brachte am 19. April 1979

beim Bezirksgericht Bad Ischl zum AZ U 540/79 gegen ihre Schwiegermutter Theresia A die Privatanklage wegen übler Nachrede ein, weil Theresia A am 22. März 1979 im Verfahren 1 Nc 79/78 des genannten Gerichtes als Auskunftsperson u.a. angegeben hatte: 'Ich habe meine Schwiegertochter dabei erwischt, wie sie sich an ihrem eigenen Sohn vergangen hat. Sie war nackt, sie hatte das Nachthemd ausgezogen, auch der Bub hatte nichts an. Ich habe sie dabei erwischt, wie sie im Bett den Buben beim Bauch hatte. Ich habe dann später festgestellt, daß der Bub nicht mehr schlafen konnte, es ist ihm immer das Zipferl gestanden; das ist gemein.' In der Hauptverhandlung vom 21. Mai 1979 bestritt die Beschuldigte nicht, die inkriminierten Angaben gemacht zu haben, berief sich aber auf eine angeblich von ihr selbst vor eineinhalb Jahren gemachte Wahrnehmung. Der damals etwa 4 1/2 Jahre alte Sohn der Privatanklägerin sei bei seiner Mutter im Bett gewesen, die Privatanklägerin sei völlig nackt auf dem Rücken gelegen, der Bub habe nur ein bis zum Bauch reichendes Leibchen getragen, sich auf dem Bauch der Privatanklägerin mit dem Kopf in Höhe ihrer Brust befunden, und sein Geschlechtsteil sei erregt gewesen. In der Hauptverhandlung am 10. August 1979 hielt die Beschuldigte ihren Vorwurf aufrecht. Das Gutachten des dem Verfahren beigezogenen psychologischen Sachverständigen Dr. Karl B, wonach die Verhaltensweise des Kindes den Schluß, daß der Bub von seiner Mutter verführt worden sei, nicht zuließe, sei ihr zwar bekannt, sie bleibe aber dabei, 'daß sich die Privatanklägerin an ihrem Kind vergangen habe und daß das gemein sei.' Die Privatanklägerin dehnte wegen dieser in der Hauptverhandlung gemachten Äußerung die Privatanklage aus und beantragte auch diesbezüglich die Bestrafung der Beschuldigten 'im Sinne des Gesetzes'.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bad Ischl vom 18. Februar 1980, GZ. U 540/79-16, wurde Theresia A schuldig erkannt, am 22. März 1979 und am 10. August 1979

in Bad Ischl die Anneliese (Anna Elisabeth) A bei einer Vernehmung als Auskunftsperson im Außerstreitverfahren und anläßlich einer Hauptverhandlung, sohin in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise, durch die Äußerung, sie habe sich an ihrem eigenen Sohn sexuell vergangen, einer verächtlichen Eigenschaft geziehen und hiedurch das Vergehen der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs 1 StGB. begangen zu haben. Hiefür wurde sie zu einer Geldstrafe in der Höhe von 30 Tagessätzen zu je 20 S, im Nichteinbringungsfall zu 15 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Gegen dieses Urteil erhob Theresia A Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe.

Das Kreisgericht Wels als Berufungsgericht gab mit Urteil vom 30. April 1980, AZ. 18 Bl 81/80, der Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit teilweise Folge, hob das angefochtene Urteil im Schuldspruch der Theresia A, am 22. März 1979 vor dem Bezirksgericht Bad Ischl das Vergehen der üblen Nachrede begangen zu haben, sowie im Strafausspruch auf und sprach Theresia A von diesem Anklagepunkt gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. frei; die Strafe wurde mit 20 Tagessätzen a 20 S neu festgesetzt.

Im übrigen - hinsichtlich der Äußerung vom 10. August 1979 - wurde die Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruches über die Schuld als unbegründet zurückgewiesen. Durch den Schuldspruch wegen der am 10. August 1979 wiederholten Behauptung, Elisabeth A habe sich an ihrem Kind sexuell vergangen, verletzen beide Urteile das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 111 Abs 1, 114 Abs 1 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß dem § 199 Abs 1 StPO. ist der in einem gerichtlichen Strafverfahren Beschuldigte grundsätzlich zur wahrheitsgemäßen Verantwortung verpflichtet; er darf jedoch weder durch Versprechungen oder Vorspiegelungen noch durch Drohungen oder Zwangsmittel zur Angabe der Wahrheit bestimmt (§ 202 StPO.) und demzufolge auch wegen Verletzung der Wahrheitspflicht nicht zur Verantwortung gezogen werden. Er hat nach dem Gesetz das Recht, seine Verteidigung zu wählen, wie es ihm zweckmäßig erscheint. Er darf ohne Sanktion in Ausübung seines Verteidigungsrechtes die Unwahrheit sagen, die Richtigkeit ihn belastender Angaben und anderer Beweismittel bestreiten und in diesem Zusammenhang alles vorbringen, was nach seinem Dafürhalten zur Entkräftung der gegen ihn erhobenen Anschuldigung dienlich ist. Allerdings erwächst ihm aus dem Recht, sich gegen den Vorwurf der Begehung einer strafbaren Handlung zu verteidigen, keineswegs die Berechtigung, über das zur Abwehr der Beschuldigung Notwendige hinaus in geschützte fremde Rechtssphären einzugreifen. Derartige Eingriffe sind unzulässig; sie können lediglich im Fall der Verteidigung gegen einen unberechtigten Vorwurf unter Umständen gerechtfertigt sein (überwiegendes Interesse am Nachweis der Unschuld).

Daraus ergibt sich - wie auch von der Generalprokuratur zutreffend dargelegt wurde -, daß einem wegen Ehrenbeleidigung (oder Verleumdung) Verfolgten das bloße Beharren auf dem inkriminierten Standpunkt grundsätzlich nicht als Wiederholung der Beleidigung (Verleumdung) angelastet werden kann. Nur dann, wenn er über eine solche Abwehr hinaus wahrheitswidrig (bzw. wider besseres Wissen) konkrete Angaben macht, in denen er eine andere Person beleidigt (bzw. einer strafbaren Handlung bezichtigt), ist eine rechtswidrige (strafbare) Handlung gegeben; denn in einem solchen Fall verliert das Vorbringen des Beschuldigten den Charakter einer in der Verneinung der Richtigkeit des gegen ihn selbst gerichteten Deliktsvorwurfes bestehenden Verantwortung (vgl. u.a. SSt. 45/18, EvBl 1981/

51, 56; Foregger-WK Rn 5 zu § 114 StGB.; Kienapfel BT I Rn 1056, 1058, 1061; Leukauf-Steininger, Kommentar2 Rn 2

ff. zu § 114 StGB.).

Im vorliegenden Fall handelte Theresia A, als sie in der Hauptverhandlung vom 10. August 1979 erklärte, sie bleibe bei ihrem von der Privatanklägerin inkriminierten Vorwurf, zwar nicht in Ausübung einer Rechtspflicht (hierin ist der Auffassung des Kreisgerichtes Wels beizupflichten), jedoch im Rahmen ihres Rechtes auf Verteidigung. Durch die bloße Aufrechterhaltung der ihr als üble Nachrede angelasteten Behauptung wahrte sie ihr Parteiinteresse in angemessener Form. Ihre Handlungsweise war daher - objektiv - grundsätzlich gemäß dem § 114 Abs 1 StGB. gerechtfertigt. Diese Rechtfertigung setzte weder die Wahrheit der ehrenrührigen Darstellung voraus, noch mußte die Angeklagte - entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes - zumindest an die Richtigkeit ihrer Behauptung glauben. Selbst wenn man der neueren Strafrechtslehre folgt, verlangt die Rechtfertigung subjektiv nur die Kenntnis vom Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes (siehe Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt 176; Nowakowski ÖJZ. 1977, 575; Leukauf-Steininger2 Rn 5 zu § 3 StGB.), hier somit das - den Gegebenheiten nach unbestreitbare - Wissen um das eigene Handeln im Rahmen der Verteidigung vor Gericht wegen des Vorwurfes, sich durch eine inhaltlich idente Äußerung strafbar gemacht zu haben. Daß darüber hinaus das unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung zu beurteilende Täterverhalten, das sich sohin bereits als (bewußte) Rechtsausübung darstellt, auch noch durch eine andere Motivation (hier: die Verächtlichmachung oder Herabsetzung der Privatanklägerin, wie das Berufungsgericht - allerdings unter Verletzung der Vorschrift des § 473 Abs 2 StPO. - feststellte / S. 95 d.A. /) bestimmt wird, ist in diesem Zusammenhang nicht mehr von Bedeutung (vgl. OGH. 20. März 1980, 13 0s 32/80 = JBl 1980, 494, mit zustimmender Besprechung durch Burgstaller).

Die infolge des aufgezeigten Rechtsirrtums unterlaufene Gesetzesverletzung gereicht Theresia A zum Nachteil. Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs 2

StPO. erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß dem § 292 StPO.

wie eingangs zu erkennen.

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