Spruch:
In der Strafsache gegen Dr. Werner A wegen §§ 153 Abs 1 und 2 (erster Fall), 15 StGB, AZ 35 Vr 450/80 des Landesgerichtes Innsbruck, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20. Mai 1981, AZ 3 Bs 166/81 (ON 86 der erstgerichtlichen Akten), das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 430 Abs 1, 434 Abs 1 letzter SatzStPO in Verbindung mit den §§ 474, 489 Abs 1 StPO.
Dieses Urteil, welches im Ausspruch, daß der Berufung des Angeklagten wegen Schuld Folge gegeben werde, unberührt bleibt, wird im übrigen aufgehoben.
Gemäß §§ 288 Abs 2 Z 3, 292 StPO wird im Umfang dieser Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Der Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck ist unzuständig (§ 434 Abs 1 letzter Satz StPO).
Dem Landesgericht Innsbruck wird aufgetragen, über den Antrag des öffentlichen Anklägers auf Unterbringung des Dr. Werner A gemäß § 21 Abs 1 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher das gesetzliche Verfahren (§§ 429, 430 Abs 1 zweiter HalbsatzStPO) durchzuführen.
Text
Gründe:
Aus den Akten 35 Vr 450/80 des Landesgerichtes Innsbruck und 3 Bs 166/81 des Oberlandesgerichtes Innsbruck ergibt sich folgender Sachverhalt:
Auf Grund der Anzeige der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 23. Jänner 1980 beantragte die Staatsanwaltschaft Innsbruck am 26. Jänner 1980 beim Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Innsbruck die Vornahme gerichtlicher Vorerhebungen gegen Dr. Werner A durch dessen verantwortliche Abhörung gemäß § 38 Abs 3 StPO. Nach Durchführung dieser Vorerhebungen stellte die Staatsanwaltschaft sodann am 8. April 1980 gegen den Genannten Strafantrag wegen des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 (erster Fall) StGB, begangen in der Zeit vom 8. November bis zum 5. Dezember 1979 in Innsbruck durch Einlösung von acht auf sein - ungedecktes - Konto bei der Tiroler Genossenschaftskasse gezogenen (Scheckkarten-)Schecks im Gesamtbetrag von 17.150 S (ON 5 d.A).
Nachdem der Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck am 16. Oktober 1980 gegen Dr. Werner A einen Haftbefehl aus dem Grunde der Fluchtgefahr gemäß § 175 Abs 1 Z 2 StPO (ON 17 d.A) erlassen hatte, wurde der Genannte am 6. November 1980 festgenommen und um 9.45 Uhr desselben Tages dem Gefangenenhaus des Landesgerichtes Innsbruck eingeliefert (ON 20, S 75, 79 d.A). Erst am 10. November 1980, sohin nach Ablauf der dreitägigen Maximalfrist des § 179 Abs 1 zweiter Satz StPO, erfolgte unter gleichzeitiger Verhängung der Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 2 Z 1
StPO die Vernehmung des Eingelieferten durch einen Richter des Landesgerichtes Innsbruck (ON 21 d.A).
Nach der Hauptverhandlung vom 11. März 1981 (ON 56 d.A) erkannte der Einzelrichter des Landesgerichtes Innsbruck den Beschuldigten Dr. Werner A im Sinne des in dieser Hauptverhandlung modifizierten Strafantrages des Vergehens des (in Ansehung von Scheckbeträgen von insgesamt 17.026,72
Schilling) teils vollendeten und (hinsichtlich eines Scheckbetrages von 2.500 S) teils versuchten Untreue nach §§ 153 Abs 1 und Abs 2 (erster Fall), 15 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten. Gleichzeitig ordnete der Einzelrichter auf Antrag des öffentlichen Anklägers (S 251 d.A) gemäß § 21 Abs 2
StGB die Unterbringung des Beschuldigten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an, weil dieser, ohne zurechnungsunfähig zu sein, die Taten unter dem Einfluß einer geistigen Abartigkeit höheren Grades, nämlicher einer paranoiden Psychose, begangen habe und zu befürchten sei, daß er unter dem Einfluß seiner fortschreitenden geistigen Erkrankung in Hinkunft mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, insbesondere 'auf die Vernichtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Existenz der Opfer gerichtete Verleumdungen in Presseerzeugnissen' und auch, angesichts seiner Schulden von mehr als 300.000 S, 'schwere Eigentumsdelikte' begehen werde (ON 57 d.A). Eine Voruntersuchung hat - entgegen der Vorschrift des § 436 Abs 1
StPO - nicht stattgefunden.
Gegen dieses Urteil erhob Dr. Werner A Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, welch letztere sich unter Bestreitung der Gefährlichkeitsprognose auch gegen die Unterbringung gemäß § 21 Abs 2 StGB richtete. In seiner Schuldberufung reklamierte der Angeklagte Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) zu den Tatzeiten.
Rechtliche Beurteilung
Mit dem Urteil vom 20. Mai 1981, AZ 3 Bs 166/81 (ON 86 der erstgerichtlichen Akten), gab das Oberlandegericht Innsbruck nach ergänzender Vernehmung des bereits in erster Instanz beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen der Schuldberufung des Angeklagten Folge, hob das erstgerichtliche Urteil zur Gänze auf und erkannte in der Sache selbst dahin zu Recht, daß es den Angeklagten gemäß § 259 Z 3 StPO von der Anklage freisprach, jedoch unter einem auf Grund des des vom öffentlichen Ankläger in der Berufungsverhandlung 'subsidiär' gestellten Antrages 'auf Einweisung gemäß § 21 Abs 1
StGB' (S 373 d.A) die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1
StGB anordnete; mit seinem weiteren Berufungsbegehren wurde der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Das Berufungsgericht nahm auf Grund des (in der Berufungsverhandlung) ergänzten Beweisverfahrens als erwiesen an, daß sich der Angeklagte bereits zu den Tatzeitpunkten in einem 'dem § 11 StGB zu unterstellenden' Geisteszustand befunden hatte, übernahm jedoch im übrigen die erstgerichtlichen Feststellungen in Ansehung der äußeren Tatseite der dem Angeklagten angelasteten Taten sowie auch die vom Erstgericht erstellte Gefährlichkeitsprognose. Wie die Generalprokuratur in ihrer nur gegen das bezeichnete Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zunächst zutreffend aufzeigt, sind schon im erstinstanzlichen Verfahren insofern Mängel unterlaufen, als die für die Einleitung der Vernehmung des dem Gericht Eingelieferten vorgesehene Höchstfrist von drei Tagen (§ 179 Abs 1 StPO) überschritten und darüber hinaus vom Landesgericht Innsbruck auch übersehen wurde, daß die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt gemäß § 21 Abs 2 StGB gemäß § 436 Abs 1
StPO nur erfolgen darf, wenn eine Voruntersuchung stattgefunden hat, was vorliegend nicht der Fall war.
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 20. Mai 1981, AZ 3 Bs 166/81, hingegen steht aus folgenden Erwägungen mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 430 Abs 1 StPO ist zur Entscheidung über den Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB jenes Gericht berufen, das für ein Strafverfahren auf Grund einer Anklage oder eines Strafantrages gegen den Betroffenen wegen seiner Tat zuständig wäre, an Stelle des Einzelrichters jedoch - wegen der schwerwiegenden Bedeutung der Maßnahme (EBRV zum StPAG 1974, 934 der Beilagen, 35) - ausnahmslos das Schöffengericht. Deshalb trägt § 434 Abs 1 letzter Satz StPO dem Einzelrichter, falls er zur Auffassung gelangt, daß die Unterbringung des Angeklagten nach § 21 Abs 1 StGB in Betracht komme, bei sonstiger Nichtigkeit (§ 468 Abs 1 Z 2 StPO) den Ausspruch seiner Nichtzuständigkeit (§ 261 StPO) auf.
Bei den Erwägungen, die zur Bejahung seiner Zuständigkeit zur Entscheidung über den Unterbringungsantrag nach § 21 Abs 1 StGB führten, übersah das Oberlandesgericht Innsbruck, daß für das Berufungsgericht, wenn es in der Sache selbst erkennt, grundsätzlich die für die Urteilsfällung der Gerichtshäfe erster Instanz geltenden Vorschriften maßgeblich sind (§§ 474, 489 Abs 1 StPO), sohin, mangels einer ausdrücklichen abweichenden Regelung (§ 474 letzter Halbsatz StPO), auch die die ausschließliche Zuständigkeit des Schöffengerichtes an Stelle des Einzelrichters im Verfahren über die Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB normierenden Bestimmungen des § 430 Abs 1 (§ 434 Abs 1 letzter Satz) StPO. Aus der Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes zur Entscheidung über die vorliegende Berufung gegen das Urteil des Einzelrichters sowie aus seiner nur in Ansehung der Gefährlichkeitsprognose (§ 21 Abs 1 Ende StGB), nicht aber auch in bezug auf das (nur wegen Nichtigkeit anfechtbare) Vorliegen der materiellen (Grund-)Voraussetzungen (§ 21 Abs 1 erste Hälfte StGB; vgl ÖJZ-LSK 1976/275
= SSt 47/32 ua) gegebenen Zuständigkeit zur Entscheidung (bloß) über (Straf-)Berufungen gegen eine vom Schöffenoder Geschwornengericht ausgesprochene Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB läßt sich demnach die Kompetenz zur Anordnung einer Einweisung nach dieser Sanktionsnorm im Rechtsmittelverfahren gegen das Urteil eines Einzelrichters, wie sie das Oberlandesgericht Innsbruck für sich reklamierte, nicht ableiten.
Richtig ist zwar, daß - zumal die Frage, ob ein Täter zur Zeit der Tat zurechnungsfähig war oder nicht, oft zweifelhaft sein und unter Umständen erst in der Hauptverhandlung entschieden werden kann - der Übergang vom normalen Strafverfahren zum Einweisungsverfahren und umgekehrt möglichst erleichtert werden und das (zuständige) Gericht grundsätzlich frei sein soll, auf Grund einer Anklageschrift die Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB anzuordnen oder aber nach § 21 Abs 2 StGB vorzugehen und die Unterbringung zugleich mit dem Ausspruch über die Strafe anzuordnen. Dabei müssen jedoch, was das Oberlandesgericht Innsbruck bei seiner Argumentation außer acht läßt, die vom Gesetz im Interesse des Betroffenen angeordneten Besonderheiten des Verfahrens zur Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, wozu unzweifelhaft insbesondere die erläuterte Zuständigkeitsregelung, aber auch die zwingend vorgeschriebene Voruntersuchung gehört, unter allen Umständen eingehalten werden (EBRV aaO, 36).
Insoweit das Oberlandesgericht Innsbruck im vorliegenden Fall die Zuständigkeit des Schöffengerichtes durch seine eigene substituierte - und damit dem Betroffenen überdies die Möglichkeit nahm, seine Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB durch eine an den Obersten Gerichtshof gehende Nichtigkeitsbeschwerde zu bekämpfen (§ 433 Abs 1 StPO) -, wurde daher das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 430 Abs 1, 434 Abs 1 letzter Satz in Verbindung mit §§ 474, 489 Abs 1 StPO verletzt.
Richtigerweise hätte das Oberlandesgericht, als es auf Grund des ergänzten Beweisverfahrens zur Ansicht kam, daß die Voraussetzungen zwar nicht für einen Schuldspruch, wohl aber für ein vom öffentlichen Ankläger in der Berufungsverhandlung 'subsidiär' beantragtes Vorgehen nach § 21 Abs 1 StGB vorlagen, in Stattgebung der Schuldberufung des Angeklagten und damit zugleich auch dem bezüglichen (Eventual-)Antrag des öffentlichen Anklägers Rechnung tragend, das angefochtene Urteil (zur Gänze) aufheben und - ohne Fällung eines Freispruchs nach § 259 Z 3 StPO (vgl 11 Os 52/76) - gemäß § 434 Abs 1 letzter Satz StPO in Verbindung mit §§ 474, 489 Abs 1 StPO die Unzuständigkeit des Einzelrichters aussprechen sowie die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens (§§ 429, 430 Abs 1 zweiter HalbsatzStPO) veranlassen müssen.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren daher die dem Oberlandesgericht Innsbruck unterlaufenen Gesetzesverletzungen spruchgemäß festzustellen.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO war das dem Angeklagten (Betroffenen) zum Nachteil gereichende, sich trotz seiner verfehlten Formulierung - als dieselben (Anlaß-)Taten betreffender 'Freispruch' bei gleichzeitiger Anstaltseinweisung - materiell (ausschließlich) als (einheitlicher) Ausspruch einer Einweisungsanordnung darstellende Sacherkenntnis des Oberlandesgerichtes Innsbruck (als Berufungsgericht) aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufzutragen, in dem es insbesondere auch die Bestimmung des § 293 Abs 3 (§ 290 Abs 2) StPO zu beachten haben wird.
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