OGH 2Ob10/81

OGH2Ob10/8128.4.1981

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer, Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erna M*****, vertreten durch Dr. Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1) Karl M*****, und 2) D*****, beide vertreten durch Dr. Albert Sauer-Nordendorf, Rechtsanwalt in Pöllau, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden und beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichts vom 29. Oktober 1980, GZ 2 R 124/80-29, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 29. April 1980, GZ 17 Cg 302/78-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben zur ungeteilten Hand der Klägerin die mit 1.847,93 S (darin 136,88 S USt; keine Barauslagen) und die Klägerin hat den beklagten Parteien die mit 1.506,39 S (darin 102,69 S USt und 120 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens je binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erhebt mit der Klage neben einem Leistungsbegehren das Begehren auf Feststellung der Solidarhaftung der beklagten Parteien zur Hälfte für alle Folgen, die sie aus dem Verkehrsunfall vom 15. 11. 1977 auf der Landesstraße 406 in der Nähe von Pöllau treffen, und zwar mit dem Vorbringen, dass der Erstbeklagte den Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin als Fußgängerin schwer verletzt worden sei, durch Einhalten einer überhöhten Geschwindigkeit und verspätete Reaktion mitverschuldet habe.

Die beklagten Parteien bestritten jegliches Verschulden des Erstbeklagten und wendeten Alleinverschulden der Klägerin ein, die die Straße für den Erstbeklagten unvorhersehbar überquert habe.

Das Erstgericht gab mit dem Teilurteil dem Feststellungsbegehren dahin statt, dass es die Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand gegenüber der Klägerin für alle Folgen aus dem erwähnten Verkehrsunfall, bei der zweitbeklagten Partei beschränkt durch den Versicherungsvertrag, zu 1/3 feststellte und das Mehrbegehren (auf die Hälfte) abwies.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Streitteilen erhobenen Berufung nicht Folge, bestätigte das Teilurteil des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands, über den es entschied, 60.000 S übersteige.

Gegen das Urteil der zweiten Instanz richten sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revisionen beider Streitteile, der Klägerin insoweit, als nicht aufgrund einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 entschieden, und der beklagten Parteien insoweit, als das Klagebegehren nicht abgewiesen wurde. Beide Teile stellen die entsprechenden Revisionsanträge, die Klägerin hilfweise einen Aufhebungsantrag, die beklagten Parteien den Eventualantrag, eine Verschuldensteilung von 1 : 3 zu ihren Gunsten zugrundezulegen.

Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen erstattet, in denen sie beantragen, der Revision der Gegenseite jeweils nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind nicht gerechtfertigt.

Dem angefochtenen Urteil liegt der Sachverhalt zugrunde, wie er auf den Seiten 3 bis 11 der Entscheidung des Erstgerichts (= Seite 143 bis 151 des Aktes) wiedergegeben wird.

Das Erstgericht gelangte zum Ergebnis, dass die Klägerin und der Erstbeklagte, und zwar im Verhältnis von 2 : 1 zum Nachteil der Klägerin, den Unfall verschuldet haben. Das Verschulden der Klägerin liege darin, dass sie die Fahrbahn der Landesstraße 406 im Unfallsbereich überquerte, ohne sich um den aus Richtung Norden sich nähernden Verkehr zu kümmern, obwohl ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit bewusst sein musste, dass sie als Fußgängerin bei der herrschenden Dunkelheit für jeden Personenkraftwagenlenker nur schwer sichtbar war, und die Gefahr bestand, dass im Unfallsbereich außerhalb des Ortsgebiets ein Personenkraftwagenlenker eventuell nicht damit rechnete, dass vor einem nach links abbiegenden Personenkraftwagen noch Fußgänger versuchten, die Fahrbahn zu überqueren. Das Verschulden des Erstbeklagten sei darin zu erblicken, dass er bei den schlechten Sichtverhältnissen bei Abblendlicht in der Dunkelheit seine Geschwindigkeit von ungefähr 70 km/h beibehielt, obwohl er bei gehöriger Aufmerksamkeit einerseits, insbesondere auch aus den Fahrbahnmarkierungen, habe ersehen können, dass er sich einer Kreuzung mit zwei Straßeneinmündungen und mit Haltestellenbuchten näherte, und er andererseits wahrgenommen habe, dass der vor ihm fahrende, nach links abbiegende PKW seine Geschwindigkeit auffallend verlangsamte, nämlich auf fast 10 km/h, und es vor diesem PKW einen Fahrbahnbereich gab, den der Erstbeklagte nicht einsehen konnte. Das alles hätte den Erstbeklagten verpflichtet, seine Geschwindigkeit so weit herabzusetzen, dass er sein Fahrzeug rechtzeitig zum Stillstand hätte bringen können, falls aus dem nicht eingesehenen Bereich, wie dann auch tatsächlich geschehen, die Gefahr eines Schadensereignisses auftreten sollte.

Das Berufungsgericht billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts und die von diesem vorgenommene Verschuldensteilung.

Die weitläufigen Ausführungen der Revision der Klägerin lassen sich so zusammenfassen: Der Erstbeklagte hätte weiter rechts fahren müssen, da ihm eine Durchfahrtslücke von 4 m Breite zur Verfügung gestanden sei. Die Klägerin sei etwa in Straßenmitte niedergestoßen worden; bis zur Fahrbahnmitte hätte sie sich, ohne damit schuldhaft zu handeln, hinbewegen dürfen; nicht die Klägerin, sondern die beiden anderen Fußgängerinnen hätten den Erstbeklagten zum Linksauslenken veranlasst; ein Mitverschuldensanteil von 50 % werde ihrem Verhalten gerecht.

Die Revision der beklagten Parteien, die sich hauptsächlich mit dem schuldhaften Verhalten der Klägerin beschäftigt, macht im Wesentlichen geltend, dass der Erstbeklagte mit dem überraschenden Überqueren der Fahrbahn durch die Klägerin aus dem toten Winkel heraus, auch bei besonderer Anspannung nicht habe rechnen müssen; seine Geschwindigkeit von 70 km/h sei auch bei Abblendlicht zulässig gewesen. Sein Verschulden sei jedenfalls geringer als von den Vorinstanzen angenommen.

Beiden Revisionen kann nicht beigepflichtet werden. Auszugehen ist von der Feststellung, dass die Klägerin nach Maria S***** mit der Überquerung der Landstraße im Kreuzungsbereich vor dem nach links in Richtung Südosten abbiegenden PKW begann, dabei auf den weiteren Verkehr aus Richtung Norden nicht achtete und auf den herannahenden PKW des Erstbeklagten keine Rücksicht nahm. Hierin liegt eine schwerwiegende Verletzung der Bestimmungen des § 76 Abs 4 lit b und Abs 5 StVO durch die Klägerin, mit der diese die einleitende Ursache für den Unfall gesetzt hat. Da die Klägerin, wie feststeht, die Fahrbahn in einem Zuge - und nicht in zwei Etappen - zu überqueren beabsichtigte, lässt sich aus der von der Revision diesbezüglich zitierten, solche Fälle betreffenden Rechtsprechung für sie nichts gewinnen.

Es ist aber auch der Beurteilung der Vorinstanzen beizutreten, dass für den Erstbeklagten, bezogen auf die Verhältnisse im Bereich der Unfallstelle (Dunkelheit, Kreuzung, eingeschränkte Sicht) mit Rücksicht auf das Fahrverhalten des nach links abbiegenden PKWs (auffallend lange und starke Verminderung der Geschwindigkeit) eine im weitesten Sinne unklare Verkehrssituation und damit eine konkrete Veranlassung, gleichfalls die Geschwindigkeit des von ihm gelenkten PKWs entsprechend herabzusetzen, bestanden hat. Somit ist auch ein Verschulden des Erstbeklagten anzunehmen, dass aber deutlich geringer als das der Klägerin wiegt und daher eine Schadensteilung von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin gerechtfertigt erscheinen lässt (vgl 8 Ob 13/77; 8 Ob 226/79).

Beiden Revisionen war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO, wobei zu beachten war, dass der Streitwert der Revision der Klägerin nicht 20.000 S, sondern 6.666,66 S und jener der Revision der Beklagten nicht 20.000 S, sondern 13.333,33 S betrug.

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