OGH 12Os37/81

OGH12Os37/8123.4.1981

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.April 1981 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Friedrich A wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 25.November 1980, GZ. 27 Vr 2678/79-36, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Steininger, Verlesung der Rechtsmittelschrift des Angeklagten und Anhörung der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Gehart, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. (Punkt 4 des Urteilssatzes) sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25.Jänner 1962 geborene, sohin zu den Tatzeiten jugendliche Schlosserlehrling Friedrich A der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. (Punkt 1 des Schuldspruchs), der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1

StGB. (Punkt 2 des Schuldspruchs), des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB. (Punkt 3 des Schuldspruchs), des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. (Punkt 4 des Schuldspruchs) und der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. (1 und) 4, erster Fall, StGB. (Punkt 5 des Schuldspruchs) schuldig erkannt, weil er 1. am 12.Juni 1979 in Matrei am Brenner den Wolfgang B durch Versetzen von Faustschlägen, die einen Nasenbeinbruch, eine Prellung am linken unteren Augenbogen mit oberflächlicher Abschürfung des Unterlids und eine Rißquetschwunde an der Oberlippe zur Folge hatten, am Körper verletzte, 2. am 29.Juni 1979 in Steinach am Brenner den Werner C durch Versetzen von Faustschlägen, die einen beidseitigen Nasenbeinbruch mit Verlagerung der körperfernen Bruchstücke und leichter Verschiebung auch in der Achse, ein ausgedehntes Brillenhämatom, eine Schwellung der rechten Wange und eine Gehirnerschütterung zur Folge hatten, am Körper verletzte, wobei die Verletzung an sich schwer war und die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit nach sich zog,

3. am 31.Mai 1979 in Steinach am Brenner ein zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtetes Fahrzeug, nämlich ein Motorrad, ohne Einwilligung des Berechtigten Paul D in Gebrauch nahm, 4. am 12.Juni 1979 in Matrei am Brenner es unterließ, dem Wolfgang B, dessen zu 1. angeführte Verletzung am Körper er (widerrechtlich) verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten, indem er sich nach den Tätlichkeiten vom Tatort entfernte, ohne sich um den Verletzten zu kümmern und 5. am 16.August 1979 in Innsbruck als Lenker eines Motorfahrrades fahrlässig eine (an sich) schwere Körperverletzung seines Mitfahrers Andreas E dadurch herbeiführte, daß er beim Einfahren in eine Kreuzung den Vorrang eines anderen Fahrzeuges nicht beachtete und mit dem von Edfried F gelenkten VW-Bus zusammenstieß, wobei Andreas E eine Innenknöchelfraktur rechts, eine Nierenprellung und eine Gehirnerschütterung erlitt. Der auf die Z. 5, 9 lit. a und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt lediglich teilweise, nämlich nur in Ansehung des Schuldspruchs zu Punkt 4, Berechtigung zu; im übrigen ist sie hingegen unbegründet. Zu Punkt 1 des Schuldspruchs:

Rechtliche Beurteilung

Die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Beschwerdeführer, nachdem er von Wolfgang B, der sich durch das Verhalten des ihn und seine Begleiterin Annemarie G auf einem Moped im Schrittempo verfolgenden Angeklagten belästigt fühlte, durch einen Schlag ins Gesicht verletzt worden war, daraufhin das Moped abstellte, auf B zuging, ohne daß dieser noch einen weiteren Angriff gegen den Angeklagten unternommen hatte, auf ihn ein bis zwei Minuten lang nach der Art eines mit einem Punchingball trainierenden Boxers einschlug und auch dann nicht von dem stetig vor ihm zurückweichenden B abließ, als dieser endlich eine Schreckschußpistole aus der Tasche zog und gegen den Angeklagten richtete, ist - entgegen dem Beschwerdevorbringen - mängelfrei begründet.

Sie ist durch die vom Schöffengericht für glaubwürdig erachteten und als Urteilsgrundlage herangezogenen Aussagen der vernommenen (unbeteiligten) Tatzeugen H und G gedeckt, von denen die Verantwortung des Angeklagten, auf B erst eingeschlagen zu haben, als ihn dieser mit einer Pistole bedrohte, nicht bestätigt wurde (S. 138, 139). Mit der Behauptung, aus den Aussagen der vernommenen Zeugen hätte sich auch schließen lassen, daß sie das Ziehen der Waffe durch B schon am Beginn der Auseinandersetzung bloß nicht bemerkt hatten, macht die Beschwerde aber gar keinen Begründungsmangel im Sinne des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. geltend, sondern bekämpft lediglich in unzulässiger (und damit unbeachtlicher) Weise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung. Es versagt aber auch die Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO.), mit welcher der Beschwerdeführer den Rechtfertigungsgrund der Notwehr in Anspruch nimmt. Den Urteilsfeststellungen zufolge handelte es sich nämlich bei dem von B gegen den Angeklagten geführten Schlag um eine - zudem von letzterem provozierte - völlig abgeschlossene Aktion. Mangels eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden (weiteren) Angriffs bestand deshalb für den Angeklagten keine Notwehrsituation, als er daraufhin seinerseits gegen B tätlich wurde. Daran änderte sich auch nichts, als B in der Folge die Schreckschußpistole zog und gegen den Beschwerdeführer richtete, denn mit einer solchen Bedrohung seines Widersachers überschritt B nach Lage des Falles keineswegs das gerechtfertigte Maß der ihm zustehenden Verteidigung, gegen die der Angeklagte als Angreifer Notwehr schon begrifflich selbst dann nicht üben konnte, wenn er die Schreckschuß- pistole - wie er sinngemäß behauptet - für eine scharf geladene Schußwaffe gehalten haben sollte.

Zu Punkt 2 des Schuldspruchs:

Ohne einen Begründungsmangel im Sinne des § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. dartun zu können, bekämpft der Angeklagte auch in diesem Fall bloß die Beweiswürdigung des Jugendschöffengerichtes mit dem Einwand, der Darstellung des Verletzten Werner C komme wegen dessen Alkoholisierung zur Tatzeit keine hinreichende Beweiskraft zu und den (anderen) zu diesem Faktum vernommenen Tatzeugen könne unter den in der Diskothek vorwaltenden Umständen entgangen sein, daß er von C am Beginn der Auseinandersetzung eine schmerzhafte Hodenverletzung zugefügt erhalten und sich gegen dessen Angriff lediglich gewehrt habe. Das Erstgericht schloß einen derartigen Geschehensablauf mit der denkfolgerichtigen und lebensnahen Begründung aus, daß der Angeklagte in einem solchen Fall gewiß sofort eine vernehmbare Schmerzensäußerung von sich gegeben hätte und danach nicht mehr imstande gewesen wäre, gegen C auf die festgestellte Weise gewalttätig vorzugehen. Soweit der Beschwerdeführer mit demselben Nichtigkeitsgrund auch die Annahme einer an sich schweren Verletzung im Sinne des § 84 Abs. 1

StGB. bekämpft, so übersieht er, daß es sich hier um die Entscheidung einer Rechtsfrage handelt (ÖJZ-LSK. 1975/214), die vom Gericht im vorliegenden Fall - ausgehend vom mängelfrei festgestellten Verletzungsbefund, nämlich (u.a.) einem beidseitigen Nasenbeinbruch mit Dislokation der Bruchenden - zutreffend gelöst wurde (ÖJZ-LSK. 1975/215).

Seiner auch für dieses Faktum Notwehr relevierenden Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO.) unterstellt der Beschwerdeführer, daß er den am folgenden Morgen bei ihm ärztlich konstatierten Bluterguß am Hodensack durch Werner C, und zwar nicht etwa - was das Schöffengericht allerdings nicht ausschloß - im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Genannten, sondern schon an deren Beginn erlitten habe und lediglich zur Abwehr dieses Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit gegen C vorgegangen sei. Solcherart geht er aber von einem urteilsfremden Sachverhalt aus und bringt demnach den geltendgemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung.

Zu Punkt 3 des Schuldspruchs:

Soweit der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. vorbringt, das Urteil führe nur unvollständige Gründe für den Ausspruch an, er habe das Motorrad des Paul D ohne dessen Einwilligung in Gebrauch genommen, ist ihm zu erwidern, daß die wiederholte Wahrnehmung von Motorradlärm durch die Zeugin Karolina I keinerlei Schlüsse auf die in Rede stehende Tatfrage zuläßt. Die Annahme des Jugendschöffengerichtes, daß D das Motorrad nur zum Aufladen der Batterie in die Tankstelle des Vaters des Angeklagten brachte, jedoch keinen Reparaturauftrag erteilte, der die Vornahme einer Probefahrt üblicherweise in sich schließt, ist in den Verfahrensergebnissen gedeckt und mit keinem Begründungsmangel behaftet. Umso weniger war bei der gegebenen Sachlage eine auch nur stillschweigende Einwilligung des Berechtigten in die Vornahme einer derartigen 'Probefahrt' durch den zur Lenkung eines Motorrades auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nicht berechtigten Angeklagten in Betracht zu ziehen.

Zu Punkt 4 des Schuldspruchs:

Im Recht ist der Beschwerdeführer hingegen, soweit er aus den Nichtigkeitsgründen des § 281 Abs. 1 Z. 5 und 9 lit. a StPO. den Schuldspruch wegen Imstichlassens eines Verletzten (§ 94 Abs. 1 StGB.) bekämpft. Verfehlt ist zwar sein Einwand, die Tatzeugin Annemarie G habe sich ohnehin um den Verletzten gekümmert: Der Verursacher der Verletzung ist grundsätzlich verpflichtet, dem Verletzten, dessen Hilfebedürftigkeit er kennt oder doch für möglich hält und sich damit abfindet, selbst die notwendige Hilfe zu leisten (ÖJZ-LSK. 1978/333), und er wird von dieser ihn selbst treffenden Hilfeleistungspflicht nicht durch die Annahme entbunden, daß dritte Personen sich um den (tatsächlich hilfebedürftigen) Verletzten kümmern werden (SSt. 47/17 u.a.). Jedoch enthält das Urteil keinerlei begründete Sachverhaltsfeststellungen, nach welchen verläßlich beurteilt werden könnte, ob der Beschwerdeführer vorsätzlich die erforderliche und ihm zumutbare Hilfeleistung für den von ihm verletzten Wolfgang B unterlassen hat (siehe hiezu Leukauf-Steininger, Kommentar2, § 94 RN. 13 ff.; ÖJZ-LSK. 1978/334; zuletzt RZ. 1980/61).

Die Bemerkung des Erstgerichtes (S. 155), der Angeklagte habe sich dadurch, daß er - wofür er allerdings zufolge § 94 Abs. 4 StGB. nicht gesondert strafbar ist - den von ihm schwer Verletzten Werner C, dessen Hilfebedürftigkeit er sich bewußt war, ohne Hilfeleistung liegen ließ, 'wie im ersten Fall' (B) verhalten, vermag die zur verläßlichen Beurteilung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen nach § 94 StGB. im gegenständlichen Fall erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen nicht zu ersetzen, deren Fehlen sohin zur Aufhebung des eben erörterten Schuldspruchs und insoweit zur Anordnung der Verfahrenserneuerung nötigt.

Zu Punkt 5 des Schuldspruchs:

Das auf § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. gestützte Vorbringen des Beschwerdeführers, mit welchem er die Vollständigkeit und Richtigkeit der Urteilsfeststellungen zum Unfallshergang an Frage stellt, ist nicht zielführend. Denn zum einen traf das Jugendschöffengericht darüber, aus welcher Richtung der von Edfried F gelenkte VW-Bus kam, entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers eine eindeutige und durch die Verfahrensergebnisse gedeckte Feststellung;

zum anderen aber findet die Darstellung des Beschwerdeführers, er habe die von F benützte Fahrspur nicht gekreuzt, sondern auf der Kranebitter Allee in östlicher Richtung weiterfahren wollen, weder in der Unfallskizze (S. 29 in ON. 29) noch in den Ermittlungen des Verkehrsunfallkommandos (S. 11-12 ebendort) die behauptete Stütze. Somit war der Nichtigkeitsbeschwerde teilweise Folge zu geben, das angefochtene Urteil, das in Ansehung der Schuldsprüche zu den Punkten 1, 2, 3 und 5 des Urteilssatzes unberührt zu bleiben hatte, im Schuldspruch wegen Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. (Punkt 4 des Urteilssatzes) sowie im Strafausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückzuverweisen; im übrigen war jedoch die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die getroffene Entscheidung zu verweisen.

Da ein Teil der Schuldsprüche aufrecht geblieben ist, fallen dem Angeklagten - ungeachtet der teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und der insoweit erfolgten Rückverweisung der Sache an die erste Instanz - die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last (vgl. Mayerhofer/Rieder, StPO., Nr. 11 zu § 390 a).

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