OGH 2Ob7/81

OGH2Ob7/817.4.1981

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer, Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert H*****, vertreten durch Dr. Gerald Meyer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*****, vertreten durch Dr. Johann Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.000 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. Oktober 1980, GZ 42 R 754/80-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 13. April 1980, GZ 23 C 1716/78-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wieder hergestellt wird.

Der Kläger hat der beklagten Partei die mit 949,12 S (darin 69,12 S Umsatzsteuer und 16 S Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.119,74 S (darin 82,94 S Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Am 23. 3. 1978 ereignete sich auf der Goldegger-Landesstraße am sogenannten Mühlbühel im Gemeindegebiet von Goldegg im Pongau ein Verkehrsunfall, an dem der vom Kläger gehaltene, von seiner Ehegattin Helga H***** gelenkte PKW Peugeot 304, Kennzeichen *****, und der von Herbert P***** gehaltene und gelenkte PKW Ford Taunus, Kennzeichen ***** (D), beteiligt waren.

Wegen dieses Unfalls begehrte der Kläger von der beklagten Partei die Bezahlung des Betrags von 21.000 S sA mit der Begründung, Helga H***** habe den PKW des Klägers bei starkem Schneefall auf der Goldegger-Landesstraße an einer Stelle, an der die Straße eine Steigung von etwa 9 % aufweise, wegen im Schneematsch steckengebliebener Fahrzeuge anhalten müssen. Während des Anhaltens sei Helga H***** mit dem Fahrzeug des Klägers auf der glatten Fahrbahn zurückgerutscht, auf die linke Fahrbahnseite geraten und fahrbahnparallel an einer Schneemauer stehengeblieben. Nachdem einige Fahrzeuge des Gegenverkehrs an dem am linken Fahrbahnrand angehaltenen Fahrzeug des Klägers „einwandfrei“ vorbeigefahren seien, sei Herbert P***** mit seinem Fahrzeug gegen das Fahrzeug des Klägers gerutscht. Das Alleinverschulden treffe daher Herbert P*****, weil dieser trotz der herrschenden extremen Straßen- und Wetterverhältnisse sein Fahrzeug mit relativ überhöhter Geschwindigkeit gelenkt und einen zu geringen Tiefenabstand zu dem vor ihm fahrenden, das angehaltene Fahrzeug des Klägers anstandslos passierenden Fahrzeug eingehalten habe.

Die beklagte Partei, die für den Haftpflichtversicherer des Herbert P***** eintritt, wendete ein, das Alleinverschulden treffe die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers, weil sie auf die Gegenfahrbahn geraten und mit dem vorschriftsmäßig auf seiner Fahrbahnhälfte entgegenkommenden deutschen PKW zusammengestoßen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit dem Betrag von 14.250 S sA Folge und wies das Mehrbegehren von 6.750 S sA ab. Es ging von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zum Nachteil der beklagten Partei aus.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil auf der Grundlage des Alleinverschuldens des Herbert P***** dahin ab, dass es dem Kläger den Betrag von 19.000 S sA zusprach und das Mehrbegehren von 2.000 S sA abwies.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts „seinem gesamten Inhalte nach“ - nach den Revisionsausführungen jedoch nur hinsichtlich der Frage eines Mitverschuldens der Lenkerin Helga H***** - erhebt die beklagte Partei Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wieder herzustellen.

Der Kläger, der eine Revisionsbeantwortung erstattete, beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Ergebnis gerechtfertigt.

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

Am Unfallstag lenkte Helga H***** das Fahrzeug des Klägers auf der Goldegger-Landesstraße von Schwarzach in Richtung Goldegg. Es herrschte dichtes Schneetreiben, die Fahrbahn war mit Schneematsch bedeckt. In Fahrtrichtung des Fahrzeugs des Klägers bewegte sich eine aufgelockerte Kolonne mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h bergwärts. Da vor ihr Fahrzeuge zum Stillstand gekommen waren, bremste Helga H***** das Fahrzeug des Klägers gleichfalls ab, doch rutschte dieses im Zuge des Anhaltens langsam nach links und geriet hiebei auf die linke Fahrbahnseite, wo es parallel zum Fahrbahnrand dicht an der dort befindlichen Schneemauer zum Stillstand kam. In diesem Straßenabschnitt, dem sogenannten Mühlbühel, weist die Landesstraße in Fahrtrichtung des Fahrzeugs des Klägers eine Steigung von rund 10 % auf und beschreibt eine leichte Linkskurve. Die Breite der Fahrbahn, an die sich an der Kurveninnenseite ein 0,30 m breites und an der Kurvenaußenseite ein 0,50 m breites Bankett anschließt, betrug 5,60 m. Infolge der in Fahrtrichtung Schwarzach bestehenden leichten Rechtskurve bestand für den Verkehr in dieser Richtung erstmals die Sichtmöglichkeit auf das beim rechten Fahrbahnrand zum Stillstand gekommene Fahrzeug des Klägers aus einer Entfernung von rund 50 m. Nachdem das Fahrzeug des Klägers zum Stillstand gekommen war, passierten zunächst drei Fahrzeuge im Gegenverkehr das am linken Fahrbahnrand angehaltene Fahrzeug. Der Ehemann der Klägerin wollte vorerst den Gegenverkehr abwarten und dann aussteigen, um ein Pannendreieck aufzustellen. Helga H***** gab währenddessen keine Warnzeichen für den Gegenverkehr ab. Nach rund einer Minute näherte sich dem Fahrzeug des Klägers im Gegenverkehr ein VW-Bus, wenige Meter dahinter folgte Herbert P***** mit seinem PKW Ford Taunus, an welchem gute Michelin-Reifen montiert waren. Beide Fahrzeuge bewegten sich mit einer Geschwindigkeit von ca 25 km/h talwärts. Infolge des geringen Tiefenabstands zu seinem Vorderfahrzeug war Herbert P***** zunächst die Sicht auf das in seiner Fahrbahnhälfte angehaltene Fahrzeug des Klägers genommen. Rund 19 m vor der Halteposition des Fahrzeugs des Klägers zog der Lenker des VW-Busses sein Fahrzeug nach links, um am Fahrzeug des Klägers vorbeizufahren. In diesem Augenblick gab der VW-Bus dem hinter ihm fahrenden PKW-Lenker P***** die Sicht auf das angehaltene Klagsfahrzeug frei. Durch das Auftauchen dieses Fahrzeugs in seiner Fahrbahnhälfte überrascht, bremste Herbert P***** sein Fahrzeug ab, ohne vorher nach links auszulenken. Während der VW-Bus das Fahrzeug des Klägers gefahrlos passierte, rutschte P***** mit seinem PKW direkt auf dieses zu. Die von Herbert P***** hiebei erzielte Bremsverzögerung betrug ca 1 m/sec2. Nachdem er noch im letzten Moment versucht hatte, nach links auszulenken, stieß er mit seinem PKW in einer leichten Schräg-Links-Position mit einer Restgeschwindigkeit von rund 17 km/h gegen die Front des Fahrzeugs des Klägers, wobei die Überdeckung rund ¾ der Fahrzeugfronten betrug. Durch den Unfall erlitt das Fahrzeug des Klägers Totalschaden, der Zeitwert betrug 22.000 S, der Restwert 3.000 S.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, dass Herbert P***** das überwiegende Verschulden am Unfall treffe, weil er entgegen der Bestimmung des § 18 Abs 1 StVO einen zu geringen Tiefenabstand zu seinem Vorderfahrzeug eingehalten und dadurch der gegebenen Verkehrssituation nicht entsprechend Rechnung habe tragen können. Darüberhinaus habe er eine relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und insofern eine Fehlreaktion gesetzt, als er nicht sofort nach links ausgelenkt, sondern nur die Bremse betätigt habe. Der Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers könne es zwar nicht als Verschulden angelastet werden, dass sie im Zuge des Bremsmanövers auf die linke Fahrbahnhälfte geraten sei, doch treffe sie insofern ein Mitverschulden, als sie bei der gegebenen Verkehrssituation keine Warnzeichen abgegeben und damit gegen die Bestimmung des § 22 StVO verstoßen habe.

Das Berufungsgericht erachtete, dass der Lenkerin Helga H***** ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 22 StVO nicht zur Last gelegt werden könne, weil eine zur Angabe von Warnzeichen verpflichtende Verkehrslage nicht gegeben gewesen sei. Das Fahrzeug des Klägers sei wohl auf der Gegenfahrbahn im Bereich einer Kurve, aufgrund deren nur eine Sichtmöglichkeit von rund 50 m auf das Fahrzeug des Klägers bestand, zum Stillstand gekommen, doch habe die Lenkerin gemäß § 3 StVO darauf vertrauen dürfen, dass andere Verkehrsteilnehmer die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen würden, dass also im konkreten Fall entgegenkommende Fahrzeuge nur auf Sicht fahren würden. Diesem Gebot habe jedoch Herbert P***** zuwidergehandelt, ohne dass der Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 22 Abs 1 StVO und damit ein Mitverschulden aus diesem Grunde zur Last gelegt werden könnte. Herbert P***** habe daher das Alleinverschulden am Unfall zu vertreten.

Nach Meinung der Revision sei dadurch, dass sich das Fahrzeug des Klägers infolge eines Verschuldens der Lenkerin auf der linken Fahrbahnseite befand, eine Verkehrssituation vorgelegen, die die Angabe von Warnzeichen im Sinne des § 22 StVO durch Helga H***** erfordert hätte.

Dazu ist zu sagen: Zutreffend hat das Berufungsgericht ein Verschulden im Verhalten der Lenkerin Helga H***** nicht angenommen, da das Abrutschen des von ihr gelenkten Fahrzeugs und dessen Zum-Stillstand-Kommen am linken Fahrbahnrand ein nicht gewolltes, sondern durch äußere Umstände erzwungenes Ereignis war, weshalb der Gattin des Klägers in diesem Zusammenhang die Übertretung eines Schutzgesetzes nicht angelastet werden kann. Durch den von der beklagten Partei erhobenen Vorwurf, Helga H***** sei „auf die Gegenfahrbahn geraten“, erscheint aber auch eine Verletzung des § 7 StVO nicht erfüllt, weil danach nur möglichst weit rechts „zu fahren“ ist (vgl ZVR 1974/81). Aus der Übertretung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB kann infolgedessen ein Mitverschulden der Gattin des Klägers nicht abgeleitet werden.

Helga H***** hat auch ihre Verpflichtung zum unverzüglichen Aufstellen einer geeigneten Warneinrichtung im Sinne des § 89 Abs 2 StVO, § 3 WarnEV nicht verletzt, weil feststeht, dass Fahrzeuge des Gegenverkehrs erst hätten passieren müssen, bevor der Kläger sein Fahrzeug zum Aufstellen einer geeigneten Warneinrichtung hätte verlassen können.

Trotz Verneinung eines vom Kläger zu vertretenden Mitverschuldens seiner Gattin bleibt aber noch zu prüfen, ob der Kläger als Halter des beschädigten Kraftfahrzeugs nicht aufgrund seiner gesetzlichen Ausgleichspflicht nach § 11 EKHG einen Teil seines Schadens selbst zu tragen hat. § 11 EKHG ist auch in solchen Fällen anzuwenden, in denen nur auf einer Seite der an dem Unfall Beteiligten eine Verschuldenshaftung gegeben ist, nicht aber auch auf der anderen Seite (ZVR 1962/221; ZVR 1963/21 uam). Dass sich die beklagte Partei auf § 11 EKHG nicht ausdrücklich bezogen hat, schließt die Anwendung dieser Bestimmung nicht aus, hat doch die Beklagte damit keineswegs zum Ausdruck gebracht, dass sie einen anderen Haftungsgrund als den des Verschuldens ausschließen wollte (SZ 29/30; ZVR 1966/158, ZVR 1968/90 uam), zumal nach ständiger Rechtsprechung (ZVR 1966/283 uam) die - beschränkte - Haftung nach dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz gegenüber der unbeschränkten Haftung nach §§ 1295 ff ABGB kein aliud, sondern ein minus ist.

Im vorliegenden Falle steht nur fest, dass das Fahrzeug des Klägers wegen der Schneeglätte auf der Fahrbahn bereits stehend an den linken Fahrbahnrand rutschte, was bedeutet, dass von diesem Fahrzeug eine Betriebsgefahr ausgegangen ist. Die grundsätzliche Haftung des Klägers für die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr ist daher zu bejahen.

Nach der Rechtsprechung wird nun zwar die vom Fahrzeug des Geschädigten ausgehende gewöhnliche Betriebsgefahr durch ein Verschulden des Schädigers als Unfallursache in der Regel ganz zurückgedrängt; eine Ausgleichspflicht nach § 11 EKHG kommt aber dann in Betracht, wenn und so weit der Schaden auf eine besondere Betriebsgefahr des beschädigten Fahrzeugs zurückzuführen ist (SZ 24/159; ZVR 1965/36 uam). Eine solche erhöhte, über das gewöhnliche Maß der mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundenen Gefahren hinausgehende Betriebsgefahr muss aber gerade im vorliegenden Fall angenommen werden; der PKW des Klägers - er befand sich auch nach dem durch äußere Umstände erzwungenen Anhalten noch „in Betrieb“ im Sinne des § 1 EKHG - war auf der schneeglatten Fahrbahn auf eine solche Weise zum Stillstand gebracht worden, dass er die dem Gegenverkehr vorbehaltene Fahrbahnhälfte der Goldegger-Landesstraße versperrte (vgl ZVR 1974/81; 8 Ob 92/78). Dass durch diese Umstände die regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verbundenen Gefahren ganz wesentlich vergrößert wurden und eine Situation geschaffen wurde, in der es leicht zu einem Unfall mit unter Umständen schwerwiegenden Folgen kommen konnte, kann nicht zweifelhaft sein. Demgegenüber fällt das vom Lenker P***** zu vertretende Verschulden - nämlich seine für die besonderen Straßen- und Sichtverhältnisse zu hohe Geschwindigkeit und die unrichtige Reaktion beim Ansichtigwerden des Hindernisses - keineswegs so schwer und so überwiegend ins Gewicht, dass es zu einer gänzlichen Aufhebung der Erfolgshaftung des Klägers führen könnte; die Umstände des Falles lassen es vielmehr geboten erscheinen, auch den Kläger als den Halter des beschädigten Fahrzeugs gemäß § 11 EKHG zum Ausgleich heranzuziehen. Der Oberste Gerichtshof hält infolgedessen eine Verpflichtung des Klägers, ¼ seines Schadens - wie von der Revision angestrebt - selbst zu tragen, nach der Sachlage für angemessen, sodass es zu einer Wiederherstellung des Ersturteils zu kommen hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und die des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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