OGH 10Os104/80

OGH10Os104/8031.3.1981

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 1981

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. König als Schriftführer in der Strafsache gegen Marcel A und Christian B wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB sowie einer anderen strafbaren Handlung über die von den Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 5. Mai 1980, GZ 23 Vr 899/80-8, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Houska und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Melnizky, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Marcel A und Christian B (I.) des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB sowie A außerdem (II.) des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, begangen dadurch, daß am 19. Jänner 1980 in Innsbruck (zu I.) beide in Gesellschaft als Beteiligte (§ 12 StGB) Bargeld in einem 5.000 S nicht übersteigenden Betrag der Ingrid C mit dem Vorsatz wegzunehmen versuchten, sich durch die Geldzueignung unrechtmäßig zu bereichern, und (zu II.) A die zuvor Genannte schädigte, indem er ihre Lederhandtasche samt Inhalt im Gesamtwert von etwa 2.000 S aus ihrem Gewahrsam dauernd entzog, ohne die Sachen sich oder einem Dritten zuzueignen.

Rechtliche Beurteilung

Den auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. a StPO gestützten, in einer gemeinsamen Rechtsmittelschrift ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Bei der dem Schuldspruch wegen versuchten Gesellschaftsdiebstahls (Punkt I. des Urteilssatzes) zugrunde liegenden - auch durch weitere Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen (S 21, 24, 25) gedeckten - Feststellung, daß die Beschwerdeführer ihr Vorhaben, einer Frau die Handtasche zu entreißen, um zu Geld für einen Schiausflug zu kommen, nicht aufgaben, als sie in der Innsbrucker Altstadt kein geeignetes Opfer dazu fanden, und daß sie gerade zu dem Zweck eine andere Gegend aufsuchten, um dort ihren Plan verwirklichen zu können, hat das Erstgericht die darauf bezogene Verantwortung des Angeklagten B vor der Polizei (S 27) sowie die sie betreffende Passage in der Anzeige (S 16) keineswegs übergangen und den Inhalt dieser (von der Mängelrüge nur entstellt und daher ihrerseits aktenwidrig zitierten) Angaben im Urteil durchaus korrekt wiedergegeben (S 56 f). Von einer (insoweit behaupteten) Unvollständigkeit oder Aktenwidrigkeit der Entscheidungsgründe (Z 5) kann daher keine Rede sein. Mit dem die vorerwähnte Feststellung ignorierenden Versuch aber, aus dem Unterbleiben eines Hinweises des A an B auf das konkrete Bevorstehen der geplanten Tatausführung (zum Nachteil gerade der Ingrid C) - in tatsächlicher Hinsicht - die auf das Gegenteil hinauslaufende Annahme abzuleiten, B sei (nur mehr) rein zufällig sowie ohne Diebstahlsvorsatz am Tatort anwesend gewesen, als A der (genannten) Passantin ihre Handtasche entriß, und mit dem auf jener urteilsfremden Sachverhaltsprämisse beruhenden Argument, eine 'allfällige' Beteiligung des B am Tatgeschehen habe daher erst nach der Vollendung des Diebstahls stattgefunden, womit dem nach dem Gewahrsamsbruch gesetzten Verhalten des B eine für beide Angeklagten günstigere (rechtliche) Tragweite verliehen werden soll, gelangen die bezüglichen Rechtsrügen (Z 9 lit. a - der Sache nach aber zum Teil Z 10) nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung, weil sie (wie dargelegt) nicht an dem im Urteil konstatierten Sachverhalt festhalten.

Gleichermaßen versagen die Einwände des Angeklagten A gegen den Schuldspruch wegen dauernder Sachentziehung (Punkt II. des Urteilssatzes).

Mit der Behauptung, das Erstgericht habe insoweit zur subjektiven Tatseite überhaupt keine Feststellungen getroffen sowie insbesondere nicht konstatiert, ob sich sein Entschluß zur dauernden Entziehung der Handtasche auch auf den Tascheninhalt erstreckt habe (Z 9 lit. a), geht der Beschwerdeführer neuerlich nicht von dem im Urteil als erwiesen angenommenen Sachverhalt aus.

Den Entscheidungsgründen ist nämlich, im Zusammenhang gesehen, unmißverständlich zu entnehmen, daß das Schöffengericht mit der Bezeichnung des Objekts, von dem A 'damit rechnen mußte und dies auch billigend in Kauf nahm', die Eigentümerin werde es nicht wieder zurückerhalten und dadurch einen Schaden erleiden, als 'ihre Tasche' (S 58) eben jene 'Handtasche samt Inhalt' (S 56) erfaßte, die er im Anschluß an ihre erfolglose Durchsuchung nach Bargeld in der Toilettenanlage am Bahnhof stehen ließ. In dieser Konstatierung findet aber auch die - trotz ständiger Hinweise in Judikatur und Literatur (vgl z.B nur RZ 1978/

47, ÖJZ-LSK 1978/142 sowie Leukauf-Steininger, Kommentar2, RN 17, 18 zu § 5 StGB) allerdings sehr unglücklich formulierte, durch die Hervorhebung der Billigung des Erfolges unter den besonderen Umständen des konkreten Falles (und der dargetanen spezifischen Sachlage) die Feststellung, er habe sich mit der Tatbildverwirklichung abgefunden und sie somit (vorher) tatsächlich ernstlich für möglich gehalten (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB), gerade (doch) noch zum Ausdruck bringende - Annahme des zur Verwirklichung des Vergehens nach § 135 StGB auf der subjektiven Tatseite vorauszusetzenden (bedingten) Schädigungsvorsatzes des Beschwerdeführers (in bezug auf die Handtasche samt Inhalt) Deckung. Eindeutige Feststellungen darüber hingegen, ob der Angeklagte A den vorerwähnten Vorsatz schon beim 'Entziehen', also bei der Wegnahme gefaßt hat, oder - worauf die Formulierung der Entscheidungsgründe (S 58) hinzuweisen scheint - erst bei dem durch ihr Abstellen in der Toilettenanlage bewirkten 'dauernden Entziehen' der Handtasche aus dem Gewahrsam der Berechtigten sind dem Urteil tatsächlich nicht zu entnehmen. Sie waren aber, der in der Rechtsrüge vertretenen Auffassung dieses Beschwerdeführers zuwider, aus rechtlichen Erwägungen auch gar nicht erforderlich.

Denn die für den (in Rede stehenden) Tatbestand maßgebende Entziehungshandlung besteht nicht im Gewahrsamsbruch an sich, sondern im 'Sachentzug auf Dauer' (Leukauf-Steininger, Kommentar2, RN 54-57 zu § 136, RN 3, 4 zu § 135, Burgstaller in ÖJZ 1974, 541 sowie mit überzeugenden Argumenten Fuchs in RZ 1980, 9 ff), also in der auf immerwährende Zeit angelegten Verhinderung einer Wiedererlangung des Gewahrsams durch den Berechtigten, in einer 'Enteignung', die nicht unbedingt mit einer Sachwegnahme einhergehen muß.

Dieses Verständnis der Gesetzesworte 'aus dessen Gewahrsam dauernd entzieht' entspricht - sieht man von einer Betrachtung ab, die einer petitio principii gleichkommt (Bertel im Wiener Kommentar, RN 1 zu § 135, sowie in 'Die Vermögensdelikte im StGB', Prugg 1980, S 44 f) -, durchaus einer (obgleich allenfalls im Grenzbereich gelegenen - vgl Höpfel, JBl 1979, S 579, Anm. 202 - so doch jedenfalls) sprachlich möglichen Aussagebedeutung der Norm (vgl ÖJZ 1980, 63 f), zumal eine rein grammatikalische Auslegung schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil ein 'dauerndes Entziehen' begriffslogisch gar nicht möglich wäre; keineswegs kann demnach insoweit von einer gemäß § 1 StGB unzulässigen Lückenschließung (Kienapfel, BT II, RN 4 zu § 135) gesprochen werden. Das Aussageziel des Gesetzes aber liegt eindeutig darin, nicht nur zu den Zueignungsdelikten (§§ 127, 137 ua StGB), sondern auch zu Veruntreuung und Unterschlagung (§§ 133, 134 StGB) sowie zur (im neuen Recht in ihrem Anwendungsbereich reduzierten) Sachbeschädigung (§§ 125 f StGB), bei denen ein Gewahrsamsbruch als Tathandlung teils gar nicht möglich und teils nicht erforderlich ist, einen Auffangtatbestand zu normieren (vgl hiezu schon den ersten Satz der Darlegungen zu § 141

auf S 283 der - ansonsten in keine Richtung hin entscheidende Hinweise gebenden - Erl.Bem. zur RV des StGB, 30 d. Beil. zu den sten.Prot. des NR, XIII. GP; Foregger-Serini, StGB2, Anm. I zu § 135), jedoch gewiß nicht darin, Strafbarkeitslücken (vgl Bertel, aaO, RN 9, Scheil in ZVR 1979, 163) zu eröffnen. Dem Gesagten trägt auch die systematische Einordnung des Tatbestands im StGB (nicht unmittelbar nach §§ 127 ff, sondern erst nach §§ 133, 134) Rechnung. Eine begriffliche Gleichsetzung der in § 135

StGB pönalisierten Tathandlung mit der durch § 127 StGB erfaßten dagegen bietet sich - zumal unter Bedacht auf die Entstehungsgeschichte der hier interessierenden Tatbestandsformulierung (vgl Fuchs, aaO, 11) - umso weniger an, als dabei eben gerade nicht von einem 'Wegnehmen', sondern (gleichwie in allen Vorentwürfen) von einem (demgegenüber das Element des fortdauernden Distanzierens der Sache vom Berechtigten mitumfassenden) 'Entziehen' die Rede ist. Der weitere Einwand hinwieder, daß durch eine Auslegung, die einem Gewahrsamsbruch erst nachfolgende Tathandlungen in das Tatbestandsmerkmal 'dauernd entzieht' einschließe, ungewollt auch jene nicht strafwürdigen Fälle des bloßen Vorenthaltens einer Sache, in denen letztere im Besitz des Täters bleibt und darum der zivilrechtliche Rechtsschutz zur Durchsetzung des Herausgabeanspruches genügt (vgl Erl.Bem. aaO, S 280), dem Tatbestand unterstellt würden (Scheil, aaO, 162), ist deshalb nicht stichhältig, weil ein derartiges, dem Berechtigten die Wiederlangung des Tatobjekts im Rechtsweg offen lassendes Verhalten durchaus nicht als 'Sachentzug auf Dauer' im Sinn des § 135 StGB zu verstehen ist.

Dementsprechend genügt es vollauf, wenn der Vorsatz, eine Sache in der dargelegten Bedeutung 'auf Dauer zu entziehen', erst zur Zeit eben jener Tathandlung gefaßt wird, die als damit - weil durch das zusätzliche Moment der Dauer verstärkt - 'qualifizierte Entziehung' direkt zu diesem Erfolg führt, wie etwa (erst) das Verbergen (13 Os 29/80) oder das Wegwerfen (12 Os 27/77) eines Tatobjekts (nach vorher bewirktem Gewahrsamsbruch), selbst wenn dieses Vorhaben zur Zeit einer allenfalls vorausgegangenen Sachwegnahme noch nicht bestanden hat (vgl Leukauf-Steininger, aaO, sowie 12 Os 69/77). Aus der Entscheidung SSt 46/34, in der für den konkreten Fall (ohne spezielle Erörterung der hier behandelten Problematik) im Ergebnis auf den Zeitpunkt der 'Besitzentziehung' (§ 171 StG) abgestellt wurde, ist nichts Gegenteiliges abzuleiten, weil ihr die besonderen Aspekte eines Günstigkeitsvergleichs (§§ 1, 61 StGB) zugrundelagen. Auch die in einigen anderen Erkenntnissen enthaltenen Ausführungen über den deliktstypischen Vorsatz beziehen sich nur auf die Frage, ob bei tateinheitlicher Wegnahme mehrerer Sachen eine Aufspaltung der Tat in Diebstahl und dauernde Sachentziehung möglich ist (ÖJZ-LSK 1979/156, SSt 47/13 ua), sowie darauf, ob der jeweils in concreto festgestellte Vorsatz des Täters wirklich auf eine Bereicherung gerichtet war (EvBl 1980/94, JBl 1978, 216, RZ 1977/35 ua), ohne damit die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung, der ein Gewahrsamsbruch nicht vorausgeht oder bei der ein 'Enteignungs'- Vorsatz vom Täter erst anläßlich der einer Sachwegnahme nachfolgenden 'qualifizierten Entziehung' gefaßt wird, auszuschließen.

In tatsächlicher Hinsicht schließlich bedurfte der - nach Inhalt des Urteils vom (bedingten) Vorsatz des Beschwerdeführers umfaßte - Umstand, daß eine in der allgemein zugänglichen Toilettenanlage eines Bahnhofsgebäudes stehen gelassene Handtasche mit einer (durch deren unkontrolliertes Zurückbleiben während eines nicht bloß ganz unerheblichen Zeitraums im Sinn einer Deliktsvollendung aktualisierten) realen Wahrscheinlichkeit nicht mehr in den Gewahrsam des Berechtigten zurückgelangt, der betreffenden Mängelrüge (Z 5) zuwider, im Hinblick auf die Notorietät dieser Tatsache keiner besonderen Begründung (EvBl 1948/242 ua). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über die Angeklagten, und zwar über A in Anwendung des § 28 StGB, nach §§ 37, 127 Abs. 2 StGB unter Bedacht auf § 11 JGG Geldstrafen, die es bei A mit 150 Tagessätzen zu je 30 S, im Fall der Uneinbringlichkeit 75 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und bei B mit 100 Tagessätzen zu je 20 S, im Fall der Uneinbringlichkeit 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, ausmaß sowie nach § 43 (Abs. 1) StGB jeweils unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachsah.

Bei der Strafzumessung lastete es beiden Angeklagten je eine einschlägige Vorstrafe und A überdies das Zusammentreffen zweier Vergehen als erschwerend an, wogegen es ihnen die vor der Polizei abgelegten Geständnisse sowie den Umstand, daß der Diebstahl beim Versuch geblieben ist, und dem Angeklagten A außerdem in Ansehung der dauernden Sachentziehung das Zustandebringen der Handtasche als mildernd zugute hielt.

Den Berufungen, mit denen die Angeklagten eine Herabsetzung der Geldstrafen durch Verringerung der ihnen jeweils auferlegten Anzahl von Tagessätzen anstreben, kommt keine Berechtigung zu. Davon, daß sich A bloß aus Unbesonnenheit oder durch eine besonders verlockende Gelegenheit zur Tat hätte hinreißen lassen oder daß B daran nur in geradezu untergeordneter Weise beteiligt gewesen wäre, kann bei dem im Urteil als erwiesen angenommenen gezielten Zusammenwirken beider Angeklagten entsprechend ihrem vorgefaßten Tatplan keine Rede sein; die geringere Intensität der Mitwirkung des Angeklagten B aber hat das Erstgericht durch die Festsetzung einer bei ihm im Vergleich zu A wesentlich niedrigeren Anzahl von Tagessätzen ohnedies ausreichend berücksichtigt. Nach der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld beider Angeklagten (§ 32 StGB) ist bei der Bestimmung der Höhe der über sie verhängten (bedingt nachgesehenen) Geldstrafen die jeweilige Anzahl der Tagessätze keineswegs zu hoch ausgemessen worden.

Den Berufungen mußte daher gleichfalls ein Erfolg versagt bleiben.

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