OGH 2Ob4/81

OGH2Ob4/8110.3.1981

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer, Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang R. Gassner, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1. Wolfram P*****, 2. W***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Harald Lorbek, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 92.000 S, 3.600 DM und Feststellung, infolge Revision aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Oktober 1980, GZ 1 R 154/80-42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 3. Juni 1980, GZ 12a Cg 196/77-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat den beklagten Parteien die mit 2.319,59 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 240 S Barauslagen und 154,04 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die beklagten Parteien haben der klagenden Partei zur ungeteilten Hand die mit 3.372,79 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 600 S Barauslagen und 205,39 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 30. 10. 1976 ereignete sich auf der Wagrainer Bundesstraße zwischen Wagrain und St. Johann im Pongau ein Verkehrsunfall, an dem Josef P***** als Lenker des PKW BMW8 2002, Kennzeichen der Bundesrepublik Deutschland ***** und der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW VW 1200, Kennzeichen ***** beteiligt waren. Das Verschulden des Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalls ist unbestritten.

Die am 10. 12. 1895 geborene Klägerin fuhr in dem von Josef P***** gelenkten PKW auf dem Vordersitz mit, war nicht angegurtet und erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen und zwar eine durchbohrende Verletzung des linken Auges mit Austritt des Augeninhalts. Trotz mikrochirurgischer Versorgungstechnik kam es zu einer Erblindung und Schmerzhaftigkeit dieses Auges, sodass der Bulbus am 28. 12. 1976 entfernt werden musste. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen des Verlustes des Auges ist mit 30 % einzustufen. Weiters erlitt die Klägerin einen Bruch der 5. bis 7. Rippe, einen Unterarmbruch und einen offenen Kniescheibenbruch jeweils links sowie Rissquetschwunden am linken Handrücken und im Gesicht. Die offenen Verletzungen wurden noch am Tag des Unfalls versorgt. Im Lumbalanästhesie wurde eine offene Reposition der Kniescheibe durchgeführt und die so erreichte Stellung mit einer Zuggurtung fixiert. Die Rissquetschwunden wurden in Lokalanästhesie versorgt, die Brüche an den Extremitäten mit gespaltenen Gipsverbänden und die Rippenbrüche durch ein Zingulum ruhig gestellt. Am 8. 11. 1976 wurden die gespaltenen Gipsverbände durch geschlossene ersetzt und die Verbände insgesamt am Arm mit 6 Wochen und am Bein mit 8 Wochen begrenzt. Die Klägerin wurde auf ihr Drängen am 12. 11. 1976 entlassen. Die Klägerin konnte nicht mehr - so wie vor dem Unfall - radfahren und die täglichen Besorgungen vornehmen. Folgen der chirurgischen Verletzungen bestehen darin, dass die Klägerin sicherheitshalber immer mit einem Stock gehen muss und gewissen Tätigkeiten infolge Kraftminderung des linken Arms nicht mehr durchführen kann. Ansonsten bereiten die knöchernen Verletzungen im Bereich des linken Unterarms und der linken Patella keine Schwierigkeiten. Der Beugeausfall im Bereich des Kniegelenks ist für die Klägerin bedeutungslos. Die Klägerin hatte aufgrund der beim Unfall erlittenen Verletzungen 15 Tage starke Schmerzen, 3 bis 5 Wochen mittelstarke Schmerzen und 6 bis 7 Monate leichte Schmerzen zu erdulden.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz aus diesem Verkehrsunfall. Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Höhe des Schmerzengeldes sowie die Mitverschuldensquote der Klägerin wegen der Verletzung der Gurtenanlegungspflicht strittig. Die Klägerin nimmt wegen der Verletzung der Gurtenanlegungspflicht ein Mitverschulden von einem Viertel auf sich, beziffert das Schmerzengeld mit 230.000 S und gelangte unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens daher zu einem Betrag von 172.500 S. Sie begehrt abzüglich einer bereits erhaltenen Teilzahlung von 80.000 S ein restliches Schmerzengeld von 92.000 S (die richtige Berechnung würde 92.500 S ergeben). Außerdem stellte die Klägerin ein Feststellungsbegehren, über welches zum Teil mit Teilanerkenntnisurteil entschieden wurde. In diesem Teilanerkenntnis wurde ausgesprochen, dass die Haftung der Beklagten für künftige Schmerzengeldansprüche auf 2/3 beschränkt ist.

Die Klägerin begehrt noch die Feststellung, dass die Beklagten zusätzlich für weitere 8,33 % der Schmerzengeldansprüche haften.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie vertreten den Standpunkt, dass die Mitverschuldensquote der Klägerin wegen der Verletzung der Gurtenanlegungspflicht ein Drittel betrage und ein Schmerzengeld von nur 120.000 S angemessen sei, weshalb die Schmerzengeldforderung der Klägerin durch die Teilzahlung von 80.000 S befriedigt sei und das noch offene Feststellungsbegehren nicht zu Recht bestehe.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des noch offenen Leistungs- und Feststellungsbegehrens. Es hat das Schmerzengeld mit 230.000 S bemessen und hielt die von der Klägerin selbst zugestandene Mitverschuldensquote von einem Viertel für ausreichend.

Das Gericht zweiter Instanz änderte das Urteil hinsichtlich des Leistungsbegehrens dahin ab, dass es einen Teilbetrag von 22.000 S samt Zinsen abwies. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass das Mitverschulden der Klägerin nur mit einem Viertel anzunehmen sei, hat das Schmerzengeld aber nur mit 200.000 S bemessen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen aller Parteien aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Die Klägerin bekämpft die Abweisung eines Teilbetrags von 22.500 S, beantragt Wiederherstellung des Ersturteils und Zuspruch eines weiteren Betrags von 22.500 S, allenfalls Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts. Die Beklagten bekämpfen den Zuspruch eines Betrags von 70.000 S sowie die Feststellung, dass die Beklagten für Schmerzengeldansprüche der Klägerin in einem weiteren Ausmaß von 8,33 % haften und beantragen Abänderung dahin, dass ein weiteres Leistungsbegehren von 70.000 S und das über den Umfang des Teilanerkenntnisurteils hinausgehende Feststellungsbegehren abgewiesen werde.

Die Parteien beantragen jeweils, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind nicht berechtigt.

1.) Zur Revision der Beklagten:

a) Zum Mitverschulden wegen Verletzung der Gurtenanlegungspflicht:

Die Beklagten vertreten die Ansicht, der Klägerin sei eine auffallende Sorglosigkeit anzulasten, da sie sich bei der Fahrt in einem relativ schnellen Fahrzeug auf einer engen Gebirgsstraße nicht angegurtet habe. Die erlittenen Verletzungen seien geradezu typische Folgen der Unterlassung der Anlegung des Sicherheitsgurtes. Die Mitverschuldensquote der Klägerin wäre daher mit einem Drittel anzunehmen.

Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die Höhe der Mitverschuldensquote wegen Verletzung der Gurtenanlegungspflicht hängt nach ständiger Rechtsprechung von den Umständen des Einzelfalls ab; dabei ist davon auszugehen, dass die Gesetzesverfasser die Verletzung dieser Pflicht im Regelfalle offensichtlich als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt werten (RiZ 1979/1, S 16; ZVR 1979/303, S 365 ua). Die von der Beklagten angeführten Umstände sind in keiner Weise geeignet, darzutun, dass der Klägerin ein Mitverschulden anzulasten ist, das ein Viertel übersteigt. Dass es sich bei der Wagrainer Bundesstraße um eine enge Gebirgsstraße handelt, ist dem Akt überdies nicht zu entnehmen, bei dieser Behauptung handelt es sich um eine unzulässige Neuerung. Die Tatsache, dass die Klägerin in einem BMW 2002 mitfuhr, hat auf das Ausmaß ihres Mitverschuldens keinerlei Einfluss. Zutreffend gingen daher die Vorinstanzen von einem Mitverschulden der Klägerin wegen Verletzung der Gurtenanlegungspflicht von einem Viertel aus.

b) zur Höhe des Schmerzengeldes:

Die Beklagten führen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs an, mit welchen für die Verletzung oder den Verlust eines Auges Schmerzengeldbeträge von 80.000 S bis 100.000 S zugesprochen wurden. Abgesehen davon, dass es sich bei diesen Entscheidungen um solche handelt, die bereits mehrere Jahre zurückliegen, können sie deshalb nicht als Maßstab für das der Klägerin zustehende Schmerzengeld herangezogen werden, weil bei diesen Entscheidungen außer einer Augenverletzung im allgemeinen keine besonders schwerwiegenden Verletzungen vorlagen. Lediglich in der von den Beklagten angeführten Entscheidung 2 Ob 77/77 (= Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld4 1376) waren noch weitere schwere Verletzungen zu berücksichtigen. Allerdings lag dort keine Erblindung eines Auges vor, sondern nur die Verminderung der Sehkraft. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber, abgesehen vom Verlust eines Auges, noch weitere schwere Verletzungen erlitten und zwar den Bruch von drei Rippen, einen Unterarmbruch und einen Bruch der Kniescheibe. Nimmt man weiters auf die Dauer und Intensität der Schmerzen Bedacht, dann kann die Meinung der Beklagten, ein Schmerzengeld von 200.000 S sei überhöht, nicht geteilt werden.

2.) Zur Revision der Klägerin:

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Klägerin den Zuspruch von weiteren 22.500 S begehrt, obwohl nur ein Teilbetrag von 22.000 S abgewiesen wurde. Dies ist offenbar darauf zurückzuführen, dass die Klägerin - wie oben dargelegt - statt eines Betrags von 92.500 S nur einen Betrag von 92.000 S begehrt hatte.

Wie zur Revision der Beklagten bereits ausgeführt wurde, ist es wohl richtig, dass die Klägerin außer dem Verlust eines Auges noch mehrere andere schwere Verletzungen erlitten hat und dass die Schmerzen, die sie zu erdulden hatte, beträchtlich waren. Die Knochenverletzungen heilten allerdings ohne Komplikationen und ohne besondere Dauerfolgen. Auch wenn man daher im Sinne der ständigen Rechtsprechung die Art und Schwere aller Verletzungen, die Intensität und Dauer der Schmerzen und die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustands berücksichtigt und insbesondere auch darauf Bedacht nimmt, dass die Unfallsverletzungen zum Verlust eines Auges führten, dann hat das Berufungsgericht das Schmerzengeld mit 200.000 S nicht zu niedrig bemessen.

Beiden Revisionen war daher ein Erfolg zu versagen. Gemäß §§ 41, 50 ZPO hat jeder Teil im Hinblick auf die Erfolglosigkeit der eigenen Revision dem anderen die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

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