OGH 11Os171/80

OGH11Os171/8017.12.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Dezember 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Reissner als Schriftführer in der Strafsache gegen Alois A u.a. wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 1 StGB. über die von den Angeklagten Alois A und Johann B gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17.Dezember 1980, GZ. 8 a Vr 1.540/80-49, erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen der Verteidiger Dr. Kübel und Dr. Flendrovsky und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Kodek zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird dahin Folge gegeben, daß die über Alois A verhängte Freiheitsstrafe auf 9 (neun) Monate und die über Johann B verhängte Freiheitsstrafe auf 15 (fünfzehn) Monate herabgesetzt werden.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 14.Mai 1946 geborene Alois A und der am 23.Juli 1945 geborene Johann B, beide ohne regelmäßige Beschäftigung, des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 1 StGB schuldig erkannt, weil sie am 7.September 1979 in Wien in Gesellschaft als Beteiligte (§ 12 StGB) dem Leopold C unter Ausnützung seiner ihn hilflos machenden schweren Alkoholisierung mit Bereicherungsvorsatz eine Brieftasche mit 1.020 S Bargeld wegnahmen. Ein weiterer Schuldspruch des Johann B, allein in der Nacht zum 12.Dezember 1979 in Villach der Firma G -GesmbH einen Radiorecorder in einem 3.800 S nicht übersteigenden Wert gestohlen zu haben, blieb der Sache nach unbekämpft. Den erstgenannten Schuldspruch bekämpfen beide Angeklagte mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden, die sie auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 9 lit. a, B auch Z 10 StPO stützen.

Übereinstimmend wenden sich beide Beschwerdeführer gegen die Abweisung des von ihnen in der Hauptverhandlung am 10.Juli 1980 gestellten Beweisantrages auf Ausforschung und zeugenschaftliche Vernehmung des Kriminalbeamten D zum Nachweis dafür, daß der Zeuge E ihm gegenüber die Äußerung gemacht hätte, 'Herr A müsse fünf Jahre kriegen und die beiden Angeklagten hätten schon einige Straftaten hinter sich' (S. 174 d. A.). Dieser Beweisantrag wurde vom erkennenden Schöffengericht mit der Begründung abgewiesen, daß D kein Tatzeuge sei und allfällige Äußerungen (des Zeugen E ihm gegenüber) im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen seien (S. 174 d. A.). Im Urteil wurde diese Begründung noch dahin ergänzt, daß die begehrte Beweisaufnahme für die Entscheidung unwesentlich gewesen wäre, weil selbst dann, wenn der Zeuge E die behaupteten Äußerungen gemacht hätte, daraus keine Schlüsse auf den Wahrheitsgehalt seiner Schilderung des Tatgeschehens gezogen werden könnten (S. 188 d. A.). Diese Vorgangsweise des Erstgerichtes, die in der Hauptverhandlung mündlich gegebene Begründung in der Urteilsausfertigung zu ergänzen, widerspricht, wie zunächst der diesbezüglichen Kritik des Beschwerdeführers A zu entgegnen ist, keineswegs der Strafprozeßordnung. Im übrigen weisen beide Beschwerdeführer auf die Bedeutung ihres Antrages für die Beweiswürdigung hin, die sich daraus ergebe, daß durch die Bestätigung der angeblichen Äußerungen des E (die er im wesentlichen bestritt - vgl. S. 173 d. A.) dessen Glaubwürdigkeit erschüttert und seine gehässige Einstellung gegenüber den Angeklagten klargestellt würde.

Rechtliche Beurteilung

Tatsächlich war jedoch die begehrte Beweisaufnahme für die Warheitsfindung, wie das Erstgericht zutreffend erkannte, entbehrlich: Auch wenn ein (rechtsunkundiger) Tatzeuge vermeint, daß die von ihm beobachtete Tat mit einer besonders strengen Strafe zu ahnden wäre, wobei er noch auf die Tatsache hinweist, daß die Täter schon gleichartige Straftaten begangen haben, kann daraus keineswegs geschlossen werden, daß er seine Wahrnehmungen entstellt wiedergibt. Die angebliche Äußerung des Zeugen E zu dem Kriminalbeamten D, von der der Zeuge Johann F aus eigener Wahrnehmung nichts wußte und die lediglich dem Angeklagten A von dem Beamten mitgeteilt worden sein soll (S. 173 d. A.), hat somit für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen keinerlei Relevanz, sodaß durch die Abweisung des Beweisantrages die Verteidigungsrechte der beiden Beschwerdeführer nicht in einer den behaupteten Nichtigkeitsgrund verwirklichenden Weise verletzt wurden.

Für unzureichend begründet im Sinn des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO hält der Beschwerdeführer A die Feststellung des Erstgerichtes, daß die Angeklagten das Unvermögen des schwer alkoholisierten Leopold C erkannten und darin übereinstimmten, unter Ausnützung seines Zustandes die Kleidung zu durchsuchen und ihm darin enthaltene verwertbare Gegenstände wegzunehmen, ferner daß sie beabsichtigten, die Brieftasche mit Bargeldinhalt zur Bestreitung eigener Bedürfnisse zu verwenden. Die Feststellung der eine entscheidende Tatsache bildenden Willensübereinstimmung beider Angeklagten finde in den Verfahrensergebnissen keine Grundlage und sei daher auch im Urteil nicht näher begründet worden. Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, daß nach der vom Zeugen Helmut E gegebenen, vom Erstgericht für glaubwürdig befundenen Beschreibung der Tat (S. 168 d. A.) der Zweitangeklagte einen Arm des Leopold C hochhielt, um dem Erstangeklagten einen besseren Zugriff in die Innentasche des Sakkos zu ermöglichen, während dieser daraus die Brieftasche entnahm und einsteckte (S. 181 d. A.). Aus dieser aufeinander abgestimmten Art der Tatbegehung durch beide Angeklagte leitete das Erstgericht, den Denkgesetzen und der Erfahrung des täglichen Lebens entsprechend, das Einverständnis der beiden Täter ab (S. 187 d. A.). Bei der Frage, ob die Tat zum beiderseitigen Vorteil verübt werden sollte oder der Zweitangeklagte nur die Bereicherung des Erstangeklagten förderte, handelt es sich hingegen um keine entscheidende im Sinn des behaupteten Nichtigkeitsgrundes, weil jede Art des Zusammenwirkens an der (Diebs-)Tat - eine gewisse Ortsanwesenheit vorausgesetzt -

das Gesellschaftsverhältnis (§ 127 Abs. 2 Z 1 StGB) zu begründen vermag (vgl. LSK. 1976/129, 1977/141, 162; Bertel im WK. RZ. 60, 61 zu § 127 StGB; Foregger-Serini2, Anm. VI 1 zu § 127 StGB u.a.m.), sodaß diese Qualifikation bei beiden Angeklagten auch dann vorläge, wenn B nur den Vorsatz gehabt haben sollte, A zu unterstützen, ohne sich selbst zu bereichern.

Der Beschwerdeführer B bringt in Ausführung der Mängelrüge nach dem § 281 Abs. 1 Z 5 StPO, im Grunde aber lediglich die Beweiswürdigung des Erstgerichtes in einer im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen Weise bekämpfend vor, das Erstgericht habe Verfahrensergebnisse, die gegen die Glaubwürdigkeit des (Belastungszeugen) Helmut E sprechen, mit Stillschweigen übergangen. Das Erstgericht legte jedoch seine Überlegungen, denen zufolge es den Sachverhaltsfeststellungen dieses Zeugen folgte, ausführlich dar, wobei es auch die gegen dessen Glaubwürdigkeit sprechenden Umstände erörterte (S. 185 f. d. A.), sodaß der behauptete Nichtigkeitsgrund schon deshalb nicht gegeben ist. Sich darüber hinaus mit den in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführten, vor allem der Aussage des Zeugen F (S. 172 f. d. A.) zu entnehmenden Umständen, wonach E selbst dem Alkohol zugeneigt sei sowie seinen Gästen (das Glas wegnehme und) das Getränk ausschütte, im Urteil auseinanderzusetzen, bestand für das Erstgericht schon deshalb keine Veranlassung, weil der Zeuge E diese Vorwürfe gar nicht rundweg bestritten hatte (S. 170, 172 d. A.). Ebenfalls auf § 281 Abs. 1 Z 5 StPO gestützt, der Sache nach jedoch - ebenso wie in seiner Rechtsrüge - vor allem einen Feststellungsmangel im Sinn des § 281 Abs. 1 Z 10 StPO behauptend, wendet sich der Beschwerdeführer Johann B gegen die vom Erstgericht vorgenommene Qualifikation seiner Tat nach dem § 128 Abs. 1 Z 1 StGB.

Er vertritt die Auffassung, daß die festgestellte Alkoholisierung des Leopold C noch keine Hilflosigkeit bewirkte, die umsoweniger angenommen werden könne, als der Diebstahl nur mit Hilfe eines Tricks (Ablenkung des Opfers durch Hochheben eines Armes) verübt werden konnte, und die Polizeibeamten dem Bestohlenen auch nach Anzeigeerstattung durch den Zeugen E unbedenklich die Brieftasche zurückgaben, ihn also offensichtlich nicht als hilflos betrachteten. Die festgestellte Erinnerungslücke des Zeugen C lasse ebenfalls keinen Schluß auf eine Hilflosigkeit zu.

Diesen Ausführungen kann jedoch nicht gefolgt werden:

Nach dem § 128 Abs. 1 Z 1 StGB ist derjenige als hilflos unter den erhöhten Schutz dieser Gesetzesstelle gestellt, der zur Tatzeit, wenngleich allenfalls sogar aus besonderen, von ihm verschuldeten Umständen außerstande ist, seinen Besitz mit persönlicher Aufmerksamkeit zu schützen (Dokumentation S. 158; Mayerhofer-Rieder Anm. 1

zu § 128 StGB; Foregger-Serini2 Anm. II zu § 128 StGB; Bertel im WK., RZ. 3 zu § 128 StGB). Auch eine schwere Alkoholisierung kann in diesem Sinn die Hilflosigkeit begründen (ÖJZ-LSK. 1978/212). Die unter Umständen selbst verschuldete Hilflosigkeit muß weder plötzlich eingetreten noch unvorhersehbar sein (ÖJZ-LSK. 1979/341).

Das Erstgericht stellte im Einklang mit der bezüglichen Konstatierung in der Polizeianzeige (S. 16 d. A.) fest, daß der Zeuge Leopold C schwer alkoholisiert und als Folge des vorangegangenen Alkoholkonsums außerstande war, auf die in seiner Kleidung mitgeführten Gegenstände zu achten und den Besitz daran zu kontrollieren, welches offensichtliche Unvermögen die Angeklagten erkannten (S. 181 d. A.). Es begründete diese Feststellung (übereinstimmend mit der forensischen Erfahrung) insbesonders damit, daß eine Erinnerungslücke, wie sie beim Zeugen besteht, auf eine vorangegangene zumindest teilweise Ausschaltung des Bewußtseins schließen läßt (S. 185 d. A.).

Gegen diese Urteilsfeststellung spricht weder, daß die Polizeibeamten keine Bedenken hatten, den Zeugen mit seiner Brieftasche aus dem Wachzimmer fortgehen zu lassen, noch daß einer der Angeklagten 'um einen besseren Zugriff in die Innentasche zu ermöglichen' (und nicht um C abzulenken) dessen Arm hochhielt. Die somit mängelfrei getroffenen Feststellungen beschreiben einen Zustand des Zeugen Leopold C, in dem er bei richtiger rechtlicher Beurteilung als hilflos anzusehen war, sodaß auch die Rechtsrüge insoweit versagt.

Einen weiteren Subsumtionsirrtum erblickt derselbe Beschwerdeführer in der Annahme vollendeten statt versuchten Diebstahls, obwohl die dem Leopold C gestohlene Brieftasche unmittelbar darauf und noch am Ort des Geschehens dem Alois A vom Zeugen E wieder abgenommen wurde. Es schlägt jedoch auch diese Rüge nicht durch, weil nach ständiger Rechtsprechung der Diebstahl an verhältnismäßig kleinen Gegenständen, die leicht in der Kleidung oder am Körper verborgen werden können (wie etwa eine Brieftasche), schon mit dem vom Bestohlenen unbeobachteten Einstecken dieser Sachen - hier:

Verwahren im Hosenbund - durch den Dieb am Tatort vollendet ist (Leukauf-Steininger2 RN. 41 zu § 127 StGB mit Judikaturnachweis). Daß der Täter bei der Tat zufällig von einem Außenstehenden (also nicht von einem Beauftragten des Eigentümers) beobachtet wurde, hat für die Abgrenzung von Versuch und Vollendung ebensowenig zu besagen wie die Tatsache des der Tat rasch folgenden Eingriffs eines Dritten, der das Diebsgut wieder sicherstellt.

Die nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge nach dem § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO, in der er gegen die Beurteilung seiner Tat als gerichtlich strafbar einwendet, er habe sich nur zufällig und ohne gemeinsamen (diebischen) Vorsatz in Gesellschaft des A befunden, als er dem C die Brieftasche aus dem Sakko nahm, ließ dieser Beschwerdeführer im Gerichtstag fallen.

Schließlich vergleicht auch der Angeklagte A bei seinem Vorbringen zur behaupteten materiellen Nichtigkeit nicht den vom Urteil festgestellten Sachverhalt mit dem darauf angewendeten Gesetz. Er bezeichnet nämlich die Meinung des Erstgerichtes, selbst wenn C, was dieser Zeuge wegen seiner alkoholisierungsbedingten Erinnerungslücke nicht ausschließen konnte, vor der Tat einen der Angeklagten ersucht hätte, für ihn noch ein alkoholisches Getränk zu bestellen, würde dies dem Angeklagten nichts nützen, als rechtlich verfehlt. Das Erstgericht tat aber, nachdem es die Verantwortung der Angeklagten, C selbst habe ihnen seine Brieftasche übergeben, damit sie für ihn ein alkoholisches Getränk bestellen, als durch die Aussage des Zeugen E widerlegt ablehnte, mit dem bekämpften Hinweis lediglich ergänzend zur Beweiswürdigung dar, daß auch ein allfälliges Ersuchen des Leopold C um Bestellung eines Getränks weder gegen dessen Hilflosigkeit bewirkende schwere Alkoholisierung spräche noch deren Erkennbarkeit für die Angeklagten beeinträchtigt hätte. Mit seinem Einwand, in diesem Fall hätten sich alle Tathandlungen, die der Zeuge E gesehen haben wolle - gemeint wohl: gesehen zu haben bekundete - anders dargestellt, unternimmt der Beschwerdeführer somit lediglich neuerlich unzulässig und damit unbeachtlich den Versuch, die Feststellungen des Erstgerichtes zur Tatfrage zu bekämpfen.

Beide Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen. Das Erstgericht verhängte über die Angeklagten nach dem § 128 Abs. 1 StGB, bei Johann B unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB, Freiheitsstrafen in der Dauer von fünfzehn Monaten (A) und zwei Jahren (B). Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend bei beiden Angeklagten die einschlägigen Vorstrafen und die mehrfache Qualifikation, bei B überdies die Wiederholung der Tat und zog als mildernd bei beiden Angeklagten die Zustandebringung des Diebsgutes, bei B überdies das Geständnis zum Diebstahlsfaktum 'G' in Betracht. Den von beiden Angeklagten erhobenen Berufungen, mit denen nur das Strafausmaß bekämpft wird, kommt Berechtigung zu.

Die Strafzumessungsgründe wurden in erster Instanz im wesentlichen richtig erfaßt. Zusätzlich ist den Angeklagten allerdings noch zugute zu halten, daß die gemeinsame Tat in alkoholisiertem Zustand verübt wurde. Die dadurch bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit wird unter den besonderen Umständen dieses Falles nicht durch den Vorwurf aufgewogen, den der Genuß des berauschenden Mittels begründet (§ 35 StGB). Darüber hinaus darf auch nicht übersehen werden, daß der Unrechtsgehalt des vorliegenden Bedrängnisdiebstahls, gemessen an sonstigen für diese Qualifikation in Frage kommenden Fallkonstellationen, ein geringer ist. Damit erweisen sich die vom Schöffensenat verhängten Strafen als unangemessen hoch. Sie waren daher bei beiden Angeklagten auf ein schuldadäquates Niveau zu mäßigen.

Mithin war insgesamt wie im Spruch zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

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