OGH 12Os106/80

OGH12Os106/8025.9.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Köck als Schriftführerin in der Strafsache gegen Heinrich A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Geschwornengericht vom 15. April 1980, GZ. 8 Vr 546/78-102, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Hans Radl, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Stöger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde der am 19. Mai 1920 geborene Pensionist Heinrich A des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er in der Nacht vom 1. auf den 2. Dezember 1978 in Graz Maria B durch Drosseln und Würgen tötete.

Die Geschwornen hatten die - anklagekonform - an sie nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB.

gerichtete Hauptfrage (Punkt I. des Fragenschemas) stimmeneinhellig bejaht, sodaß sich folgerichtig die Beantwortung der zu dieser Hauptfrage in Richtung der Verbrechen des Totschlages nach § 76 StGB. und der Tötung auf Verlangen nach § 77 StGB. gestellten (im Fragenschema unter Punkt II. und III. bezeichneten und nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage aktuellen) Eventualfragen erübrigte. Die für den Fall der Bejahung der Hauptfrage oder der Eventualfrage an die Geschwornen gerichtete Zusatzfrage nach einer zur Tatzeit beim Angeklagten vorgelegenen Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB. (Punkt IV. des Fragenschemas) wurde von den Geschwornen stimmeneinhellig verneint.

Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde macht der Angeklagte die Nichtigkeitsgründe der Z. 8 und 12 des § 345 Abs. 1 StPO. geltend.

Den erstangeführten Nichtigkeitsgrund erblickt der Beschwerdeführer in einer - seiner Meinung nach einer Unrichtigkeit gleichkommenden - Unvollständigkeit der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung zu dem den Gegenstand der (unter Punkt II. des Fragenschemas bezeichneten) Eventualfrage bildenden Verbrechen des Totschlages nach § 76 StGB., weil darin zunächst unerwähnt geblieben sei, daß dieses Delikt auch dann in Betracht kommt, wenn der Täter die Tatausführung auch schon vor dem Affekt erwogen, sich somit schon vorher mit dem Gedanken daran gespielt hat, der entscheidende Tatentschluß aber erst in der heftigen Gemütsbewegung entstanden ist; außerdem sei bei der Darlegung des Begriffs der 'allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung' gegenüber den Geschwornen der Eindruck erweckt worden, es komme darauf an, ob auch sie in einer ähnlichen Situation (wie sie beim Angeklagten zur Tatzeit vorlag) gleichfalls die Tat verübt hätten, obwohl bei Prüfung der Frage der allgemeinen Begreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung nur entscheidend sei, ob sich ein Durchschnittsmensch vorstellen könne, daß auch er unter den gegebenen Umständen des Einzelfalles in eine solche Gemütsverfassung geraten wäre.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Vorbringen schlägt nicht durch.

Dem ersten Einwand ist entgegenzuhalten, daß eine Rechtsbelehrung allein deshalb, weil sie unvollständig ist, noch nicht unrichtig sein muß. Eine Unvollständigkeit ist nur dann einer Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung gleichzuhalten, wenn sie zufolge ihrer Unvollständigkeit zu Mißverständnissen der Geschwornen in Ansehung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Hauptund Eventualfrage gerichtet ist, zu irriger Auslegung der in den einzelnen Fragen enthaltenen Ausdrücke des Gesetzes oder zu Irrtümern über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander oder über die Folgen der Bejahung oder Verneinung der einzelnen Fragen Anlaß geben kann oder überhaupt nach den Umständen des einzelnen Falles geeignet ist, die Geschwornen bei der Beantwortung der an sie gestellten Fragen auf einen falschen Weg zu weisen (Gebert/Pallin/ Pfeiffer/Mayerhofer, Das österr. Strafverfahrensrecht, III/3, Nr. 28, 29 und 30 zu § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO.). So gesehen konnte sich das in der Beschwerde relevierte Fehlen von näheren Ausführungen in der den Geschwornen zur Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlages nach § 76

StGB. erteilten Rechtsbelehrung zur Frage einer allenfalls schon vor dem Einsetzen der heftigen Gemütsbewegung (Affekt) vom Täter erwogenen Tatausführung im vorliegenden Fall keinesfalls zum Nachteil des Beschwerdeführers auf den Wahrspruch der Geschwornen auswirken, war doch eine solche Tatkonstellation nach den gesamten Verfahrensergebnissen, insbesondere auf Grund der, wenn auch im Laufe des Verfahrens wechselnden Verantwortung des Angeklagten niemals aktuell. Denn im Vorverfahren hatte der Angeklagte behauptet, Maria B über ihr Verlangen getötet zu haben (Bd. I, S. 24, 25 und 27 j d.A.), in der Hauptverhandlung hingegen bestritt er zunächst jede Erinnerung an die zu ihrem Tode führenden Umstände (Bd. II, S. 235, 236 d.A.), gestand aber schließlich, sie deshalb erwürgt zu haben, weil sie nach dem Vollzug eines Geschlechtsverkehrs mit ihm erklärt hatte, ihn verlassen zu wollen (Bd. II, S. 394, 395, 396 d.A.).

Daß er schon vorher ihre Tötung erwogen hatte, wurde vom Angeklagten niemals behauptet. Auch die sonstigen Verfahrensergebnisse erbrachten keine Anhaltspunkte für eine solche Annahme. Die - in der Beschwerde behauptete - bloße Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung ist aber nach dem Vorgesagten nur dann einer unrichtigen Rechtsbelehrung gleichzusetzen, wenn sie eine nach den Umständen des Falles notwendige - hier aber nicht gebotene -

nähere Eröterung eines für den Wahrspruch relevanten Rechtsbegriffs betrifft und geeignet ist, die Geschwornen bei ihrem Wahrspruch zu beirren. Ein solcher Irrtum der Geschwornen konnte unter den aufgezeigten Umständen als Folge des in der Beschwerde behaupteten Mangels der Rechtsbelehrung aber nicht eintreten.

Es versagt aber auch der zweite, in Ausführung des Nichtigkeitsgrundes der Z. 8 des § 345 Abs. 1 StPO. vorgebrachte Einwand, zumal in der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung zu dem für den Verbrechenstatbestand des Totschlages wesentlichen Merkmal der allgemeinen Begreiflichkeit der (heftigen) Gemütsbewegung durchaus zutreffend ausgeführt wurde, daß eine solche nämlich nur dann vorliegt, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlaß und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, d.h. wenn sich ein Durchschnittsmensch vorstellen könne, auch er wäre unter den gegebenen Umständen des Einzelfalles in eine solche Gemütsverfassung geraten (S. 3 der in der Beilagenmappe zu ON. 101 erliegenden schriftlichen Rechtsbelehrung). Aus dieser Formulierung läßt sich entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung keineswegs ableiten, daß es bei dem vorerwähnten Tatbestandsmerkmal der allgemeinen Begreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung darauf ankomme, daß auch ein Durchschnittsmensch (mit dem sich die Geschwornen identifizieren könnten) in dieser Gemütsverfassung getötet hätte.

Sohin kann auch in diesem Belang von einer - in der Beschwerde behaupteten - Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung keine Rede sein. Es erweist sich aber auch die in diesem Zusammenhang der Beschwerde allenfalls zu entnehmende Befürchtung als nicht begründet, die Geschwornen könnten sich allenfalls mit der für eine Tatbeurteilung als Totschlag entscheidenden Frage, ob nämlich beim Angeklagten im Tatzeitpunkt eine besondere, im § 76 StGB. näher bezeichnete Gemütsbeschaffenheit vorlag, im Hinblick darauf, daß sie bereits die auf Mord lautende Hauptfrage (Punkt I. des Fragenschemas) bejahten, gar nicht näher befaßt haben, weil sie als Folge der Bejahung dieser Hauptfrage (auch) die in Richtung des Totschlags (§ 76 StGB.) gestellte Eventualfragen unbeantwortet ließen und daher die ihnen zu dieser Eventualfrage erteilte Rechtsbelehrung unbeachtet gelassen haben könnten, aber die für die Abgrenzung der Tatbestände des Mordes (§ 75 StGB.) und des Totschlages (§ 76 StGB.) maßgeblichen Kriterien nicht in der zur Hauptfrage (nach Mord), sondern vielmehr erst in der zur - unbeantwortet gebliebenen - Eventualfrage (nach Totschlag) erteilten Rechtsbelehrung dargelegt werden. Denn der Beschwerdeführer übersieht hiebei, daß die Geschwornen, die - wie auch für sie als Laien unschwer zu erkennen war - bei Prüfung der Schuldfrage keine der gestellten Fragen außer Betracht lassen durften und daher vom gesamten, ihnen zur Beantwortung vorgelegten Fragenschema auszugehen hatten, die ihnen gemäß § 321 StPO. erteilte schriftliche Belehrung als Einheit und nicht nach Teilstücken (getrennt nach den einzelnen Fragen) zu beurteilen hatten (SSt. 24/32).

Die auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 12 des § 345 Abs. 1 StPO. gestützte Rechtsrüge erschöpft sich in dem unzulässigen und daher unbeachtlichen Versuch des Beschwerdeführers, unter Bezugnahme auf bestimmte, in der Hauptverhandlung hervorgekommene Verfahrensergebnisse (hier: auf sein in der Hauptverhandlung letztlich abgelegtes Geständnis sowie auf die dort erstatteten Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. Otto C und Dr. Richard D) darzutun, daß er sich nur in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tötungshandlung hinreißen ließ. Da sich aber der - in Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes behauptete - Mangel, sohin auch die sich daraus ergebende unrichtige Gesetzesanwendung schon aus dem Wahrspruch der Geschwornen selbst ergeben muß und nicht aus einem Vergleich des Wahrspruchs mit den in der Hauptverhandlung zum Vorschein gekommenen Verfahrensergebnissen abgeleitet werden kann, erweist sich die Rechtsrüge des Beschwerdeführers als nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl. Gebert/Pallin/Pfeiffer, Das österr. Strafverfahrensrecht, III/3, Nr. 4 und 4 a zu § 345 Abs. 1 Z. 12 StPO.).

Der Beschwerdeführer läßt hiebei unbeachtet, daß es sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Beziehung allein der Beurteilung der Geschwornen obliegt, ob der Täter bei der Tatausführung im Zustand einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung im Sinne des § 76

StGB. handelte. Bei Annahme einer solchen Gemütsverfassung durch die Geschwornen, die von ihnen - wie bereits dargelegt - auf Grund der an sie gestellten Fragen in Verbindung mit der ihnen hiezu erteilten (richtigen) Rechtsbelehrung jedenfalls zu prüfen war, hätte dies aber in ihrem Wahrspruch in einer Verneinung der auf Mord (§ 75 StGB.) lautenden Hauptfrage und in einer Bejahung der für diesen Fall an sie gerichteten Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlages nach dem § 76 StGB. seinen Niederschlag finden müssen. Im übrigen bestand hier für eine vom Beschwerdeführer unter Berufung auf die Judikatur angestrebte nähere Objektivierung (oder Interpretation) des in seiner Bedeutung in keiner Richtung einen Zweifel offen lassenden Wahrspruchs der Geschwornen unter Heranziehung der Verfahrensergebnisse kein Anlaß.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten Heinrich A nach § 75 StGB. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Jahren. Bei der Strafzumessung nahm es als erschwerend die als grausam und brutal zu wertende Tatausführung, als mildernd das in Richtung § 76 StGB. abzielende, zuletzt abgelegte Geständnis, die Unbescholtenheit, die tristen Kindheitsverhältnisse sowie den Umstand an, daß sich der Angeklagte nach der Tat das Leben nehmen wollte.

Die Berufung des Angeklagten, welche Strafminderung, allenfalls unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung begehrt, ist unbegründet.

Selbst wenn man einen gewissen Affekt bei der Tatverübung nicht ausschließen will, ist die vom Geschwornengericht nach § 75 StGB. ausgemessene Strafe, welche im Ergebnis auch eine lebenslängliche Freiheitsstrafe nicht ausgeschlossen hätte, nicht als zu hoch gegriffen anzusehen.

Darüber hinaus vermag der Berufungswerber keine zusätzlichen Milderungsgründe ins Treffen zu führen, die zu einer Herabsetzung der Strafe, geschweige denn zur Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung führen könnten. Triste Kindheitsverhältnisse und eine allenfalls in der Jugend vorgelegene Entwurzelung können bei dem 60- jährigen Angeklagten nicht mehr als Milderungsgrund herangezogen werden, der sich im übrigen selbst als sozialintegriert bezeichnet; auch die behaupteten Krankheitszustände sind nicht geeignet, den Schuld- und Unrechtsgehalt der vom Erstgericht mit Recht als grausam und brutal gewerteten Tat zu mindern.

Vielmehr entspricht die erkannte Strafe durchaus der Täterpersönlichkeit, allen Umständen des Tatherganges wie auch dem keineswegs geringen Schuld- und Unrechtsgehalt der Verübung des Mordes, sodaß der Berufung ein Erfolg versagt bleiben mußte. Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte