Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der die Hauptfragen 1 und 8 bejahende Wahrspruch der Geschwornen und der darauf beruhende Schuldspruch beider Angeklagten, der beide Angeklagten betreffende Strafausspruch und das Einziehungserkenntnis werden, bezüglich Herbert B gemäß §§ 344, 290 Abs. 1 StPO., aufgehoben und die Sache an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung rückverwiesen. Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten hierauf verwiesen.
Text
Gründe:
Der am 3.Juni 1961 geborene Schriftsetzer Leopold A und der am 16. März 1961 geborene Hilfsarbeiter Herbert B wurden auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des schweren Raubs nach §§ 142 Abs. 1, 143 StGB. schuldig erkannt. Darnach haben sie sich am 17. Dezember 1979 in Wien in Gesellschaft als Raubgenossen einer Barschaft von 17.000 S und diverser Gegenstände der Sylvia C bemächtigt, indem A einen von ihm gelenkten Personenkraftwagen vor der auf der Straße stehenden Frau anhielt, der Mitfahrer B die Tür öffnete, einen Vorderladerrevolver Kaliber 44
gegen C in Anschlag brachte, äußerte: 'Das ist ein Überfall, geben Sie die Tasche her' und darauf die Tasche an sich nahm. Der Angeklagte A ficht den Schuldspruch aus § 345 Abs. 1 Z. 6, allenfalls 12, StPO. an. Er rügt, der Schwurgerichtshof habe bei der Abfassung der Hauptfragen 1 und 8, auf deren jeweils einhellige Bejahung seitens der Geschwornen sich der Schuldspruch gründet, nicht berücksichtigt, daß der Vorsatz der Angeklagten lediglich auf die Wegnahme von Bargeld, nicht auch der Handtasche und der anderen, darin befindlichen Gegenstände gerichtet gewesen sei, hätten doch die Täter die Tasche nach der Entnahme von nur 1.000 S weggeworfen. Hinsichtlich der Handtasche und ihres Inhalts außer dem Bargeld sei daher der Tatbestand der dauernden Sachentziehung, nicht derjenige des Raubs, verwirklicht.
Rechtliche Beurteilung
Soweit damit der Nichtigkeitsgrund der Z. 6 des § 345 Abs. 1 StPO. geltend gemacht wird, ist die Beschwerde im Recht.
Auf Grund der soeben angeführten, in der Beschwerde zutreffend wiedergegebenen, in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatumstände lag es nahe, daß sich die Angeklagten nur die Barschaft mit Bereicherungsvorsatz zueignen wollten. Ist bei einem diebischen oder räuberischen Zugriff der Bereicherungsvorsatz des Täters nur auf eine bestimmte Sache gerichtet, bemächtigt er sich aber auch deren Behältnisses und darin aufbewahrter, anderer Gegenstände, so kommt bezüglich der letzteren und des Behältnisses nach nunmehr bereits gefestigter Rechtsprechung dauernde Sachentziehung in Betracht. Sonach sind in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden, nach denen, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die den Angeklagten zur Last gelegte Tat zum Teil unter ein anderes Strafgesetz (§ 135 StGB.) fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Gemäß der klaren Anordnung des § 314 Abs. 1 StPO. wäre darum an die Geschwornen eine Eventualfrage in der Richtung des § 135 StGB. zu stellen gewesen.
Die Verletzung der Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO. bewirkt die Nichtigkeit des Urteils gemäß § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. Dem kann die Generalprokuratur nicht mit Fug entgegenhalten, im Fall der Bejahung einer weiteren Schuldfrage nach § 135 StGB. hätte der Beschwerdeführer noch ein zusätzliches Delikt zu verantworten, was als der besondere Erschwerungsgrund des § 33 Z. 1 StGB. bei der Strafbemessung ins Gewicht fiele, weshalb die Beschwerde gar nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt sei. Diese Auffassung scheitert schon daran, daß § 314 Abs. 1 StPO. die Stellung einer Eventualfrage in jedem Fall der Möglichkeit einer anderen Tatbeurteilung vorschreibt, außer, wenn das andere Strafgesetz strenger ist, was hier nicht zutrifft. Sodann übersieht die Generalprokuratur, daß der Hinzutritt des erschwerenden Umstands des Zusammentreffens mehrerer strafbaren Handlungen (§ 33 Z. 1 StGB.) keineswegs zu einer strengeren Gesamtbeurteilung der Tat führen muß. Dies umso weniger, als:
erstens die Aufzählung des § 33 StGB. nur eine beispielsweise ist, zweitens im selben Maß, in welchem eine Sachentziehung anzunehmen wäre, sich der Schaden, der durch den Raub entstanden ist, nämlich die Raubbeute, verringert, was sowohl die Schuldbewertung als auch den Unrechtsgehalt wieder ausgleicht, und drittens das Verschlimmerungsverbot des § 290 Abs. 2 StPO. (§ 344 StPO.) den Beschwerdeführer ohnehin vor einer Straferhöhung schützt. Vor allem aber ist, wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.August 1980, 13 Os 85/80, ausgesprochen hat, grundsätzlich festzuhalten, daß die Voraussetzung für die Zulässigkeit jedwedes Rechtsmittels das rechtliche Interesse der Partei an der Änderung oder an der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ist (RiZ. 1968 S. 157 u.a.). Der Nachteil, den die §§ 281 Abs. 1, 282 Abs. 2, 283 Abs. 2, 4 und 5 sowie 465 Abs. 3 StPO. meinen und dessen Anstreben das Gesetz dem Rechtsmittelwerber gleichsam als Paralogie, als förmliche Verkehrung einer zweckmäßigen Rechtsverfolgung ins Gegenteil, versagt, ist sonach jener Rechtsmittelerfolg, der nicht mehr als rechtliches Interesse der beschwerdeführenden Partei angesehen werden kann. Was jemandem zusinnbar ist, daran hat er ein Interesse (Wolff, Grundriß des bürgerlichen Rechts3 S. 7). Ermöglicht ihm die Rechtsordnung, dieses Interesse durchzusetzen, so ist es sein 'rechtliches' Interesse. Erachtet sich der Angeklagte durch ein irrig auf ihn angewandtes Strafgesetz beschwert und ficht diese Unterstellung an, so zeigen Wortlaut wie ratio der §§ 281 Abs. 1 Z. 10, 314 Abs. 1 und 345 Abs. 1 Z. 12 (§ 468 Abs. 1 Z. 4) StPO., daß er damit sein ihm vom Gesetzgeber zugebilligtes rechtliches Interesse verfolgt. Dieses ist sonach inhaltsgleich mit seiner Beschwer und von der individuellen Abwägung des in diesem Bereich Zusinnbaren (dazu Wolff a.a.O. S. 2), also von subjektiven Faktoren, nicht zu trennen (vgl. zur Beschwer SSt. XLIV/24). Die soeben erwähnte Abwägung mag z.B. ohne weiters dahin ausfallen, daß es den Angeklagten mehr beschwert, wegen einer Tat schuldig gesprochen zu sein, die er nicht begangen hat, als daß ihm der Erschwerungsgrund des § 33 Z. 1 StGB. in der Spielart der ungleichartigen Ideal- oder Realkonkurrenz ('Handlungen verschiedener Art') statt in der Variante der gleichartigen Realkonkurrenz ('Handlungen derselben Art') zur Last liegt oder aber daß ihn die nicht ausdrücklich vom Gesetz erwähnten, aber zulässigen Erschwerungsgründe der verstärkten Tatbestandsmäßigkeit (gleichartige Idealkonkurrenz) oder des größeren Werts oder Umfangs der Beute bzw. der Bereicherung (etwa Bargeld und andere Sachen) belasten.
Ist es nach dem Vorgesagten ein rechtliches Interesse des Angeklagten, nicht nach einem auf seine Tat unanwendbaren Strafgesetz verurteilt zu bleiben, so folgt daraus, daß seiner Rüge nicht erwidert werden darf, Fragestellung, Wahrspruch oder Schuldspruch sei zwar verfehlt, aber der Rechtsfehler sei unerheblich, denn der Beschwerdeführer hätte bei dessen antragsgemäßer Wahrnehmung statt eines Delikts deren zwei zu verantworten. Das liefe außerdem darauf hinaus, daß die Gerichte im Schuldspruch Tatbestände sanktionslos vernachlässigen und ebenso sanktionslos Tathandlungen unter darauf nicht anwendbare Tatbestände subsumieren könnten. Die Beschwer des Angeklagten ist eben in diesem Fall, daß seine Tat der vom Gericht ihr zugeteilten Norm nicht untergeordnet werden kann, daß seine Tat, so gesehen, gewissermaßen ein crimen sine lege darstellt, insolang das wirklich verletzte Gesetz (der wirklich, nicht der vermeintlich erfüllte Tatbestand) nicht gerichtsordnungsmäßig festgestellt ist. Die einzige Schranke für die Stattgebung einer in der gekennzeichneten Richtung erhobenen Rüge kann folgerichtig nur der Umstand sein, daß bei rechtsrichtiger Tatbeurteilung strengere Unrechtsfolgen heranzuziehen wären (§§ 290 Abs. 2, 477 Abs. 2 und 314 Abs. 1 StPO.). Damit ist zugleich der sonst unvermeidbaren, indes rechtsstaatlich (besonders im Hinblick auf das Gesetzlichkeitsprinzip des § 1 Abs. 1 StGB.) unvertretbaren Möglichkeit sanktionsloser Tatbestandsverwechslung bzw. Tatbestandsvernachlässigung das Korrektiv der Anfechtbarkeit entgegengesetzt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A war daher aus dem Grund des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. aufrecht zu erledigen, ohne daß auf sein weiteres Vorbringen eingegangen werden brauchte. Da derselbe Nichtigkeitsgrund, auf dem die Verfügung zu Gunsten des Angeklagten A beruht, auch dem Mitangeklagten B zustatten kommt, der die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ergriffen hat, war gemäß §§ 344, 290 Abs. 1, zweiter Fall, StPO.
von Amts wegen so vorzugehen, als wäre der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. auch von B geltend gemacht worden. Gemäß § 349 Abs. 1 StPO. waren der die Hauptfragen 1 und 8 bejahende Wahrspruch der Geschwornen und der darauf gegründete Schuldspruch, ferner der beide Angeklagten betreffende Strafausspruch (samt Kostenentscheidung und Vorhaftanrechnung) und das Einziehungserkenntnis aufzuheben und die Strafsache an das Geschwornengericht rückzuverweisen, das die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs seiner Entscheidung mit zugrunde zu legen haben wird (§ 349 Ende StPO.). Da das Einziehungserkenntnis auf den Absatz 1 des § 26 StGB. gestützt ist und die Voraussetzungen des Absatzes 3 dieser Gesetzesstelle bisnun nicht in Betracht kamen, fällt mit dem Schuldspruch auch dieses Erkenntnis.
Die Voraussetzungen des § 349 Abs. 2 StPO. sind hier nur in Hinsicht einerseits auf die bejahten Hauptfragen, andererseits auf die übrigen Fragen gegeben, nicht aber innerhalb der bejahten Hauptfragen.
Die Verweisung der Berufungen ist eine Folge der Aufhebung des (gemeinsamen) Strafausspruchs.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)