OGH 13Os87/80

OGH13Os87/8024.7.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.Juli 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Keller, Dr. Müller, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Baumgartner als Schriftführers in der Strafsache gegen Erich A wegen des Verbrechens des Diebstahls nach den §§ 127 ff. StGB. über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengerichts vom 21. Februar 1980, GZ. 8 Vr 1783/79-80, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Pausch und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, aufgehoben, und zwar 1. im Schuldspruch wegen des Diebstahls einer Geldbörse mit einer Barschaft von 700 S zum Nachteil des Josef B (A 3), 2. in den Schuldsprüchen A 4, 5 und B 5, 6, 3. im Ausspruch der Gewerbsmäßigkeit und in der Beurteilung der Diebstähle nach § 130 StGB., 4. im Strafausspruch.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Gemäß § 290 Abs. 1 StPO. wird das Urteil überdies im Schuldspruch wegen des Diebstahls eines Führerscheins, eines Zulassungsscheins, einer Steuerkarte und eines Scheckbuchs zum Nachteil des Werner C (A 2) aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:

Erich A wird von der Anklage, am 11.Juli 1978 in Takern II dem Werner C ein Scheckbuch durch Einbruch mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.

Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht rückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Hilfsarbeiter Erich A des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs. 1, 128

Abs. 1 Z. 4, 129 Z. 1, 130 (zweiter Satz) StGB. schuldig erkannt, weil er vom Juli 1977 bis April 1979 in verschiedenen Orten Österreichs in achtzehn Fällen, zum Teil durch Einbruch in Personenkraftwagen oder Einsteigen in ein Gebäude, verschiedenen Personen fremde bewegliche Sachen (u.a. auch Bargeldbeträge) in einem 5.000 S übersteigenden Wert mit dem Vorsatz wegnahm, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er gewerbsmäßig handelte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe des § 281 Abs. 1 Z. 5 und 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Berechtigung kommt der Beschwerde insoweit zu, als sie sich (der Sache nach auch) gegen die Schuldsprüche wegen des Diebstahls einer Geldbörse mit einer Barschaft von 700 S aus dem Kraftwagen des Josef B (Teil des Urteilsfaktums A 3), sowie wegen der Diebstähle von Bargeldbeträgen zum Nachteil der Eheleute Andreas und Cäcilia D, der Eheleute Franz und Rosa E, der Anna F und der Eheleute Franz und Maria G (Urteilsfakten A 4 und 5 sowie B 5 und 6) wendet: Die den Schuldsprüchen laut den Punkten A 4 und 5 des Urteilssatzes zugrundeliegende Annahme, der Angeklagte sei dieser Diebstähle als überführt anzusehen, wurde vom Erstgericht im wesentlichen damit begründet, daß er zur Zeit des Abhandenkommens der Geldbeträge von den Zeugen Michael H, Anna H und Rosa I 'in der Gegend von Riegersburg bzw. Edelsgraben' (Tatortbereich) gesehen worden sei. Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, daß aus diesem Umstand allein seine Täterschaft nicht schlüssig abgeleitet werden kann und der Ausspruch des Gerichts in diesem Umfang im Sinn der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO. unzureichend begründet ist, zumal sich sein (in anderem Zusammenhang) als Urteilsgrundlage herangezogenes - später widerrufenes -

Teilgeständnis vor der Gendarmerie am 15.Juni 1979 (S. 9 f.) und vor dem Untersuchungsrichter (S. 24) nicht auf diese Tathandlungen bezog. Hinsichtlich der zum Nachteil des Josef B, der Anna F, sowie der Eheleute Franz und Maria G verübten Diebstähle mangelt es darüber hinaus überhaupt an einer Begründung, weil im Urteil weder auf die Wahrnehmungen des Martin B (S. 101, 245 f.) und der Justine J (die übrigens den Angeklagten bei der Gegenüberstellung vor dem Untersuchungsrichter nicht mehr wiedererkannte - (S. 89, 237), noch auf die Angabe des Angeklagten vor der Gendarmerie am 13.Juli 1979, er 'dürfte' die Gelddiebstähle zum Nachteil der Anna F und der Eheleute Franz und Maria G begangen haben (S. 117), Bezug genommen wurde, diese Beweisergebnisse vom Erstgericht sonach bei der Urteilsschöpfung nicht in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen wurden.

Zufolge der aufgezeigten Begründungsmängel, die eine teilweise Verfahrenserneuerung in erster Instanz unvermeidlich machen, erweist sich eine Urteilsaufhebung nicht nur in den betroffenen Schuldsprüchen, sondern auch im Ausspruch, der Angeklagte habe die ihm außerdem noch angelasteten Diebstähle gewerbsmäßig begangen, als erforderlich. Das Erstgericht stellte zwar - zutreffend von der Begriffsbestimmung des § 70 StGB. ausgehend - ausdrücklich fest, daß der Beschwerdeführer in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung von (teilweise auch schweren und Einbruchs-)Diebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (vgl. S. 301). Entgegen der vom Beschwerdeführer zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. vertretenen Auffassung steht dieser Annahme grundsätzlich nicht entgegen, daß ein Großteil des Diebsguts von ihm noch nicht gewinnbringend verwertet und bei ihm sichergestellt wurde; denn die auf eine wiederkehrende Einnahme zielende Absicht des Täters kann auch durch wiederholte Zueignung von Sachwerten, die der Befriedigung von Lebensbedürfnissen oder deren Verbesserung dienen, indiziert sein und es ist daher für die Qualifikation der Gewerbsmäßigkeit ohne Bedeutung, ob der Täter die wegen ihres Gebrauchswerts eine Einnahmsquelle bildenden Sachwerte - was das Schöffengericht im übrigen hier nicht ausschloß - (alsbald oder erst später) veräußern oder etwa für sich verwenden wollte (LSK. 1977/8). Andererseits ist bei der Beurteilung dieser für gewerbsmäßiges Handeln charakteristischen inneren Tendenz auf das Gesamtverhalten des Täters und alle Tatumstände des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen. Bei der Lösung der Frage, ob die Absicht des Angeklagten darauf gerichtet war, sich durch fortgesetzte Begehung von (schweren) Diebstählen eine fortlaufende Einkommensquelle im Sinn eines wiederkehrenden Mittelzuflusses zu verschaffen, kann daher nicht außer Betracht bleiben, ob und in welchem Umfang der Angeklagte auch Bargeldbeträge erbeutete. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage ist überhaupt, darum auch bezüglich der von der Aufhebung nicht betroffenen Urteilsfakten unmöglich.

Als unstichhältig erweist sich die Beschwerde hingegen, soweit sie sich gegen die übrigen Schuldsprüche richtet.

Mit der Behauptung, das Erstgericht habe keine näheren Feststellungen über den Tathergang getroffen, vermag der Beschwerdeführer keine Urteilsnichtigkeit aufzuzeigen. Da der Grundsatz der freien Beweiswürdigung jede Beweisregel und daher auch die ausschließt, daß das Gericht eine Tat nur als erwiesen annehmen darf, wenn alle Einzelheiten der Tatbegehung feststellbar sind (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/2, Nr. 73 d zu § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO.), stellt es weder einen Begründungsmangel noch einen Feststellungsmangel dar, wenn sich aus den konstatierten Tatsachen nicht der genaue Tathergang ergibt; genug daran, daß das Gericht - mit überzeugender Begründung - als erwiesen annahm, der Angeklagte habe die schon im Urteilsspruch hinreichend individualisierten strafbaren Handlungen begangen.

Mit dem Hinweis auf den ausdrücklichen Widerruf seines (Teil-)Geständnisses vor der Gendarmerie (und vor dem Untersuchungsrichter) hinwieder zieht der Beschwerdeführer, ohne einen formellen Begründungsmangel in der Bedeutung der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO. aufzuzeigen, nur in unzulässiger und daher unbeachtlicher Weise die insoweit zureichend begründete Beweiswürdigung des Schöffengerichts in Zweifel. Legte das Erstgericht doch in den Urteilsgründen mit denkfehlerfreier und einleuchtender Argumentation ausführlich dar, welche Umstände ihm die Überzeugung verschafften, daß die Verantwortung des Angeklagten, er habe die bei ihm sichergestellten, jeweils auf seine Täterschaft hinweisenden Gegenstände von einem unbekannten Mann erhalten, durch die Verfahrensergebnisse als widerlegt anzusehen sei. Der Sache nach den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a (nicht 10) StPO. relevierend, vermißt der Beschwerdeführer schließlich Feststellungen, wonach er bei der Tatverübung mit Bereicherungsvorsatz gehandelt habe. Er übersieht hiebei die Konstatierung, derzufolge er bei den Diebstählen die im Urteilsspruch bezeichneten Gegenstände erbeutete und diese behielt bzw. versteckte (S. 300). Daraus folgt zwanglos, daß er sich die Sachen dolos zueignete, d.h. durch deren Überführung in sein Vermögen dieses um den durch das entzogene Gut repräsentierten Wirtschaftswert unrechtmäßig vermehrte. Die rechtliche Annahme eines auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Tätervorsatzes ist demnach - zumal Spruch und Gründe des Urteils eine Einheit bilden - durch die getroffenen Feststellungen gedeckt.

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde war gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO. von Amts wegen wahrzunehmen, daß das Urteil zum Nachteil des Beschwerdeführers mit zwei von ihm nicht geltendgemachten Nichtigkeiten gemäß den Z. 9

lit. a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO. behaftet ist, und zwar insofern, als er zu Punkt A 2 des Urteilssatzes auch des Diebstahls eines Führerscheins, eines Zulassungsscheins, einer Steuerkarte und eines Scheckbuchs schuldig erkannt wurde, obwohl diese Sachen nicht als Wertträger anzusehen sind und daher nicht den Gegenstand eines Diebstahls bilden können.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits am 24.April 1980, 13 Os 29/80, ausgesprochen hat, wird der Täter bei was immer für einer Wegnahme von gültigen Urkunden, sei es auch gelegentlich des Diebstahls oder der dauernden Entziehung anderer Sachen, wenigstens mit dem bedingten Vorsatz handeln, zu verhindern, daß diese Urkunden im Rechtsverkehr zu Beweiszwecken gebraucht werden; denn daß der Täter, hat er einmal erkannt, daß es Urkunden (Schriftstücke zu irgendwelchen Rechts- oder Beweiszwecken) sind, deren er sich bemächtigt (hat), deren Gebrauchsverhinderung durch sein Verhalten nicht für möglich hielte und sich nicht damit abfände, kann unter den Verhältnissen der Gesellschaft von heute nicht angenommen werden, will sich die Rechtsprechung nicht dem Vorwurf der Weltfremdheit aussetzen. Seltene Ausnahmsfälle werden meist in das Gebiet sachverständiger (psychologischer) Beurteilung einschlagen. Die Wegnahme der Beweis- und Legitimationsurkunden (Führerschein, Steuerkarte, Zulassungsschein) des Werner C kann sonach nur dem Tatbestand der Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB. unterstellt werden. Da die hiefür erforderliche Konstatierung des zumindest bedingten Vorsatzes des Angeklagten in der oben umrissenen Bedeutung des § 229 Abs. 1 StGB. fehlt (Feststellungsmangel gemäß § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO.), kann insoweit eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst noch nicht eintreten und war in diesem Punkt gemäß §§ 290 Abs. 1, 288 Abs. 2 Z. 3, zweiter Satz, StPO. vorzugehen.

Dagegen war ein sofortiger Freispruch von der Anklage des Diebstahls des Scheckbuchs möglich. Ein Scheckbuch ist weder eine Beweis- noch eine Legitimationsurkunde; es ist überhaupt keine Urkunde gemäß der Begriffsbestimmung des § 74 Z. 7 StGB., sondern ein Heft mit leeren Formularen.

Es wird den Kontoinhabern von den Kreditinstituten zur Verfügung gestellt, und zwar (höchstens) gegen Verrechnung einer minimalen Manipulationsgebühr, also praktisch kostenlos (vgl. LSK. 1977/98). Ist das Scheckbuch also weder eine Urkunde noch ein Wertträger (letzteres räumt ja auch die Generalprokuratur ausdrücklich ein), so ist die Entziehung des Scheckbuchs gerichtlich straflos (§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO.). Diesfalls war gemäß §§ 290 Abs. 1, 288 Abs. 2 Z. 3, erster Satz, StPO. vorzugehen.

In der Formulierung des Freispruchs hat der Oberste Gerichtshof keine Gesetzesstellen des materiellen Rechts angeführt, dies aus folgenden Erwägungen: Zunächst könnte die Wegnahme einer jedenfalls geringwertigen Sache mit Bereicherungsvorsatz durch Einbruch lediglich den §§ 127 Abs. 1, 129 Z. 1 StGB., nicht aber den weiteren, in der Anklage und im Urteil (im Zusammenhang mit den übrigen Fakten) herangezogenen Qualifikationen unterstellt werden. Sodann ist aber zu beachten, daß ein bestimmter Inhalt nur für den Schuldspruch, nämlich im § 260 Abs. 1

und 2 StPO., vorgeschrieben ist ('Wird der Angeklagte schuldig befunden, so muß das Strafurteil aussprechen ...'). Eine gleichartige Vorschrift für den Freispruch gibt es nicht. Während § 260 Abs. 1 und 2 StPO. die notwendigen Bestandteile des kondemnierenden Urteilssatzes ('Strafurteil') aufzählt, führt § 259 StPO., ganz anders aufgebaut, jene teils prozessualen, teils materiellrechtlichen Bedingungen an, unter denen der Angeklagte freigesprochen werden muß ('Der Angeklagte wird durch Urteil des Gerichtshofes von der Anklage freigesprochen ...'). Daraus folgt, daß eine dem kondemnierenden Urteilssatz (dem 'Strafurteil') entsprechende Fassung des freisprechenden Urteilssatzes vom Gesetz nicht verlangt wird (Harbich in RiZ. 1977 S. 143;

vgl. Roeder, System S. 275 Anm. 1; derselbe, Lehrbuch 1 und 2 S. 213 Anm. 2; E.d.OGH. v. 12.Mai 1976, 9 Os 19/76). Abgesehen von der Frage der Zeitgemäßheit förmlich verklausulierter Urteilssprüche (nach Schablonen des vorigen Jahrhunderts: siehe Amschl, Beiträge zur Anwendung des Strafverfahrens, erstmals erschienen: Manz 1899, S. 105 bis 166), ist eine rechtsstaatliche Garantiefunktion nur vom Schuldspruch auszufüllen (weil er Rechtsverluste verschiedener Art mit sich bringen kann), nicht aber vom Freispruch.

Eine sachliche Erledigung der Berufung entfiel wegen der Aufhebung des Strafausspruchs und der Teilrückverweisung der Strafsache.

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