OGH 10Os61/80

OGH10Os61/8028.5.1980

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Bart als Schriftführers in der Strafsache gegen Walter A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 28. November 1979, GZ. 20 e Vr 2973/79-57, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen, welcher im übrigen (nämlich zur I. und II. Hauptfrage) unberührt bleibt, in Ansehung der I. Zusatzfrage zur I. Hauptfrage, ferner das angefochtene Urteil, das ansonsten (und zwar in dem auf dem Wahrspruch zur II. Hauptfrage fußenden Punkt 2. des Schuldspruchs betreffend das Vergehen nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG. sowie im Erkenntnis über die Einziehung der Schußwaffe) unberührt bleibt, im auch auf dem obbezeichneten Wahrspruch zur Zusatzfrage beruhenden, zu Punkt 1.

ergangenen Schuldspruch wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. sowie demgemäß weiters im Ausspruch über die Strafe (einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung nach § 38 StGB.) aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfange dieser Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien rückverwiesen, dem gemäß § 349 Abs. 2

StPO. aufgetragen wird, seiner Entscheidung die unberührt gebliebenen Teile des Wahr-(und Schuld-)spruches mit zugrunde zu legen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 28.Jänner 1951 geborene Angestellte Walter A wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB. und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffenG. schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, in Wien 1.) am 29.März 1979 Anton B vorsätzlich getötet zu haben, indem er ihm eine Pistole an die linke Schläfe ansetzte und einen Schuß abfeuerte, wobei das Projektil den Schädel durchschlug;

2.) zwischen Jänner 1979 und 29.März 1979 unbefugt eine Faustfeuerwaffe, nämlich die zu 1.) erwähnte Pistole, besessen und geführt zu haben.

Dieser Schuldspruch erging auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen, welche die beiden Hauptfragen jeweils stimmeneinhellig bejaht hatten. Die zur I. Hauptfrage (betreffend das Verbrechen des Mordes) wegen Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB. an sie gerichtete weitere, als 'I. Zusatzfrage' bezeichnete Frage, welche kraft der ihnen erteilten Rechtsbelehrung (siehe S. 5 der betreffenden Beilage zum Hauptverhandlungsprotokoll ON. 56), daß diese Frage bei Bejahung der Hauptfrage zu beantworten sei, und im Hinblick auf die unterbliebene Formulierung als 'Schuldfrage' wohl Elemente einer Zusatzfrage (§ 313 StPO.), nach ihrer sonstigen Gestaltung und offenbaren Zielsetzung aber solche einer Eventualfrage (§ 314 Abs. 1 StPO.) wegen des erwähnten Vergehens gemäß §§ 287 Abs. 1/75 StGB. aufwies und solcherart - worauf noch später zurückzukommen sein wird - jedenfalls nicht dem Gesetz entsprach, war von den Geschwornen stimmeneinhellig verneint worden. Die auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 8 des § 345 Abs. 1 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Sache nach nur den Schuldspruch wegen Verbrechens des Mordes (Punkt 1. des Urteilssatzes) und auch insoweit lediglich die Rechtsbelehrung zur vorangeführten 'Zusatzfrage'.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerdeführer wendet gegen diese Rechtsbelehrung zutreffend ein, daß sie der Vorschrift des § 11 StGB.

widerspreche, derzufolge eine die Zurechnungsunfähigkeit bewirkende volle Berauschung nur voraussetzt, daß der Täter wegen seines Rauschzustandes entweder unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder außerstande ist, nach dieser Einsicht zu handeln, und somit das Fehlen der Diskretionsfähigkeit ebenso wie jenes der Dispositionsfähigkeit jeweils für sich allein schon die Bejahung eines Vollrausches rechtfertigt (siehe Leukauf-Steininger, Kommentar2, S. 167 RN. 27 zu § 11 StGB. und S. 1482 RN. 8 zu § 287 StGB.; LSK. 1976/81 u.a.). Demgegenüber wird (nämlich) in der Rechtsbelehrung zum Ausdruck gebracht, volle Berauschung setze den Mangel der Unterscheidungsfähigkeit (Diskretionsfähigkeit) und der Dispositionsfähigkeit voraus.

Überdies stellen die gesamten Erläuterungen ausschließlich auf die Unterscheidungsfähigkeit und mit keinem einzigen Wort auf die Dispositionsfähigkeit ab. Ja, sie unterlassen sogar eine Erläuterung dieses Begriffs, der nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch angehört und deshalb, wenn er schon Verwendung fand, eben einer Klarstellung (zumindestens durch Wiedergabe der gesetzlichen Umschreibung im § 11 StGB., wo er als Fähigkeit, nach der Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln, definiert ist) bedurfte. Auch diese (letztere) Unvollständigkeit der Belehrung war geeignet, die Geschwornen bei der Beurteilung der Frage einer allfälligen vollen Berauschung des Angeklagten zu beirren und den Wahrspruch zu dessen Nachteil zu beeinflussen;

sie bewirkt darum ebenfalls eine Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung im Sinne des § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO.

Für die Entscheidung eine Rolle spielende medizinische Probleme waren allerdings - entgegen der vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner (ansonsten nicht im einzelnen besonders erörterungsbedürften) Ausführungen zu Punkt I. c der Rechtsmittelschrift ausgedrückten Meinung - nicht in der Rechtsbelehrung zu behandeln, deren Inhalt sich auf die im § 321 Abs. 2 StPO. festgelegten Punkte zu beschränken hat, sondern seitens des Verteidigers selbst im Wege der Ausübung seines Fragerechts an die beigezogenen Sachverständigen bei der Hauptverhandlung (§§ 249, 302 Abs. 1 StPO.) zu klären.

Der begründeten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß §§ 285 e, 344 StPO. schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben und über dieses Rechtsmittel sowie die Berufungen spruchgemäß zu erkennen. Im zweiten Rechtsgang, der sich sohin auf die Klarstellung und Beantwortung der Frage nach dem Grad der Alkoholisierung und deren Auswirkungen auf den Intellekt des Angeklagten zu beschränken hat, wird zu beachten sein, daß - wie die Judikatur und Literatur (als Beispiel für viele: SSt. 44/32; Melnizky in JBl. 1973, S. 353 f. und in 'Strafrechtliche Probleme' I /1973 / S. 144 f.) bereits wiederholt aufgezeigt hat - der hiefür eine Rolle spielenden gesetzlichen Regelung in prozessualer (§§ 312 ff. StPO.) wie materiellrechtlicher Hinsicht (§§ 11; 387 StGB.) lediglich das sogenannte 'Dreifragenschema' voll und ganz Rechnung trägt, daher (in hervorragender Weise) die Eignung besitzt, Mängel des Wahrspruchs hintanzuhalten, und demgemäß - entgegen Foregger-Serini, StPO.2, § 314, Erl. II (mit Entscheidungszitaten) - selbst dann einzig und allein als richtig angesehen werden kann, wenn kein Anhaltspunkt für eine unverschuldete volle Berauschung gegeben ist, mag auch in derartigen Fällen aus dem - entsprechend dem Gesagten trotzdem verfehlten - 'Zweifragenschema' nicht unbedingt eine Nichtigkeit (nach § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO.) ableitbar sein. Es werden mithin an Stelle jener einen Frage, welche im ersten Rechtsgang der I. Hauptfrage für den Fall ihrer Bejahung beigefügt war, zwei Fragen, nämlich eine Zusatzfrage (gemäß § 313 StPO.) in Richtung des Schuldausschließungsgrundes nach § 11 StGB. und eine weitere ( - vorliegend bloß - im Falle der Bejahung auch der Zusatzfrage zu beantwortende) Eventualfrage (gemäß § 314 StPO.) nach dem Vergehen gemäß § 287 Abs. 1 StGB., an die Geschwornen zu richten sein.

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