Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben, und die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf zwei Jahre herabgesetzt. Im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 25.August 1938 geborene Autobusunternehmer Walter A des Verbrechens (richtig: Vergehens) der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs. 1 und Abs. 2 StGB. schuldig erkannt, weil er am 24.September 1978 in Salla als Lenker des mit 39 Personen besetzten Autobusses, Setra, Type 100 S, Kennzeichen St 445.900, dadurch, daß er für die Talfahrt auf der Gaberl-Bundesstraße (B 77) im Bereich des Straßenkilometers 8.460 (durchschnittliches Gefälle 5 %) bei bestehender Geschwindigkeitsbegrenzung von 40 km/h eine (auch für die örtlichen Gegebenheiten) weit überhöhte Fahrgeschwindigkeit von 70 bis 80 km/h einhielt und überdies einen zu hohen Getriebegang wählte, eine Überhitzung der Bremsen herbeigeführt und hiedurch bewirkt hat, daß er die Herrschaft über den Autobus verlor, der in der Folge mit einer Geschwindigkeit von 70,7 km/h gegen die rechte Straßenböschung prallte, sohin anders als durch eine der in den §§ 170, 172 und 174 StGB. mit Strafe bedrohten Handlungen eine Gefahr für Leib und Leben einer größeren Zahl von Menschen herbeiführte, wobei die Tat den Tod von neun Insassen sowie schwere Verletzungen von 22 und leichte Verletzungen von sieben weiteren Insassen zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit seiner auf die Z. 9 lit. a, 10 und 11 (der Sache nach allerdings nur auf jene der Z. 10 und 11) des § 281 Abs. 1
StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung nicht
zukommt.
In Ausführung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. vermeint der Beschwerdeführer zunächst, das ihm angelastete Tatverhalten sei nicht als fahrlässige Gemeingefährdung nach § 177 StGB., sondern als fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z. 1 StGB. zu beurteilen. Dabei läßt der Beschwerdeführer jedoch außeracht, daß § 81 Z. 1 StGB. auf konkrete Individualgefährdungen in Fällen extrem hoher Unfallswahrscheinlichkeit abstellt, in denen die Tötung eines oder einiger weniger Menschen zu befürchten ist, während § 177 StGB. jene Fälle erfaßt, in denen die extrem hohe Unfallswahrscheinlichkeit zu einer Gemeingefahr führt, sohin zu einer (konkreten) Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen (Leukauf-Steininger, Kommentar2 RN. 5 zu § 177). § 337 lit. a StG. war ein (qualifiziertes) Gefährdungsdelikt und erfaßte auch die Herbeiführung einer Gemeingefahr. § 81 Z. 1 StGB. ist hingegen als (qualifiziertes) Verletzungsdelikt konstruiert, wobei die Art der Begehungsweise der fahrlässigen Tötung den zusätzlichen (strafsatzerhöhenden) modalen Unwert der Tat kennzeichnet (Kienapfel in ÖJZ. 1977, 656). Hiefür ist erforderlich, aber auch hinreichend, daß die verschärfte Gefahrenlage für (zumindest) eine vom Täter verschiedene Person, höchstens aber für einige wenige Personen besteht (vgl. EvBl. 1977/210; 11 Os 43/77). Hat der Täter hingegen durch seine sorgfaltswidrige Handlung eine verschärfte Gefahrenlage für eine größere Zahl von Menschen (einen unbestimmten, aber auch einen bestimmbaren größeren Personenkreis) herbeigeführt, droht somit - gleichzeitig - das Hinauswachsen der zu befürchtenden Verletzungen (Tötungen) über mehrere Einzelverletzungen (Einzeltötungen), dann liegen nicht mehr (bloß) besonders gefährliche Verhältnisse, wie sie § 81 Z. 1 StGB. erfaßt, vor, sondern es wurde eine Gemeingefahr, wie sie für die im Abschnitt über die 'Gemeingefährlichen strafbaren Handlungen' charakteristisch ist, verwirklicht, auf welche § 177 Abs. 1 StGB. abstellt. Andernfalls wäre nämlich nicht ersichtlich, warum das Strafgesetzbuch neben § 81 Z. 1 StGB. auch den Tatbestand der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs. 1 StGB. normiert hat.
Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes hat der Beschwerdeführer demnach die Tat nicht (bloß) unter besonders gefährlichen Verhältnissen im Sinne des § 81 Z. 1 StGB. begangen, sondern eine Gemeingefahr im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB. herbeigeführt, deren Wesen in ihrer Unbeherrschbarkeit liegt (Kienapfel BT. I RN. 600) und die nicht nur durch die besondere Intensität der Gefahr (die extrem hohe Unfallswahrscheinlichkeit), sondern - und vor allem - dadurch gekennzeichnet ist, daß sie einen größeren Personenkreis gleichzeitig bedroht (vgl. Foregger-Serini MKK.2 Erläuterungen II zu § 176; Leukauf-Steininger a.a.O. RN. 4 zu § 176 und die dort jeweils zitierte Judikatur), worin sie sich von den besonders gefährlichen Verhältnissen im Sinne des § 81 Z. 1 StGB.
unterscheidet. Dabei genügte für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 177 Abs. 1 StGB. - als eines (konkreten) Gefährdungsdeliktes - die (fahrlässige) Herbeiführung einer solchen Gemeingefahr; daß daraus vorliegend tatsächlich der Tod einer größeren Zahl von Menschen erfolgte, hat die Anwendung des höchsten Strafsatzes des § 177 Abs. 2
StGB. zur Folge, wirkt somit strafsatzerhöhend.
Das in Talfahrt erfolgte Lenken eines voll besetzten Autobusses (an dem der Angeklagte selbst ein unsachgemäßes Bremsenservice vorgenommen hatte) mit nicht voll funktionsfähiger Bremsanlage und mit weit überhöhter Geschwindigkeit (70 - 80 km/h) auf der ein erhebliches Gefälle aufweisenden, einer Geschwindigkeitsbeschränkung (40 km/h) unterliegenden Gaberlbundesstraße beinhaltete nicht nur eine besondere Gefahrenintensität, sondern betraf angesichts der im Autobus mitfahrenden Passagiere auch einen größeren - gleichzeitig bedrohten - Personenkreis. Gleichgültig, ob noch andere Straßenbenützer durch den Autobus, über den der Lenker die Gewalt verloren hatte, gefährdet waren, wurden im vorliegenden Fall jedenfalls die 38 Insassen (ohne Lenker) durch die grob fahrlässige Handlung des Angeklagten so bedroht, daß eine außergewöhnlich hohe Wahrscheinlichkeit der Verletzungen oder des Todes von Menschen vorlag, wobei tatsächlich neun Menschen getötet sowie 22 schwer und sieben leicht verletzt wurden. Unter diesem Gesichtspunkt kann aus dem Umstand, daß sich die Gefahr im wesentlichen auf die Autobusinsassen beschränkte, keineswegs die vom Beschwerdeführer der Sache nach angestrebte Schlußfolgerung gezogen werden, es liege nur eine Reihe von konkreten Individualgefährdungen vor. Denn wenn extrem unfallträchtige Situationen im Straßenverkehr auch in der Regel eher der Bestimmung des § 81 Z. 1 StGB. als jener des § 177 StGB.
unterfallen werden, so können doch andererseits auch in diesem (Straßenverkehrs-) Bereich gemeingefährliche Verhaltensweisen in der Bedeutung der letztgenannten Strafnorm vorkommen (Breycha, NStR. II, S. 104, Leukauf-Steininger a.a.O. RN. 5 und 6 zu § 177). Ebenso wie eine Gemeingefahr im Sinne der zuletzt angeführten Gesetzesstelle anzunehmen sein wird, wenn jemand mit seinem Auto in eine Menschenmenge rast (vgl. Kienapfel, BT. I, RN. 211), ist eine Gemeingefahr auch gegeben, wenn (wie hier der Angeklagte) ein Autobuslenker, nachdem er die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren hat, mit einer in seinem Fahrzeug befindlichen Vielzahl von Menschen (vorliegend den 38 Passagieren) von der Fahrbahn abkommt und mit großer Geschwindigkeit gegen eine (felsige) Böschung stößt, was im übrigen durchaus nicht - wie der Beschwerdeführer meint - als unglücklicher Zufall gewertet werden kann, sondern nach Lage des Falles im Gegenteil sogar besonders nahelag. Auch bei dem zuletzt geschilderten Verhalten entsteht eine unbeherrschbare Gefahrenlage, in der dem Täter die Möglichkeit fehlt, das Wachstum und die Ausdehnung der von ihm schuldhaft herbeigeführten Gefahr in bezug auf jene - wenn auch feststehende - größere Zahl von Menschen zu begrenzen, die er in seinem Fahrzeug mitführt.
Das Erstgericht hat aber das inkriminierte Verhalten des Beschwerdeführers nicht nur rechtsrichtig als fahrlässige Gemeingefährdung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB.
beurteilt, sondern es ist (im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB.) auch bei der Strafbemessung zutreffend davon ausgegangen, daß der höhere Strafsatz des § 170 Abs. 2 StGB. (6 Monate bis 5 Jahre) zur Anwendung zu gelangen hatte, weil die Tat den Tod von 9 Autobusinsassen, und damit bereits den Tod einer größeren Zahl von Menschen (vgl. Leukauf-Steininger, a.a.O., RN. 3 f. zu § 69, RN. 27 zu § 169 sowie die dort zitierte Literatur und Judikatur) nach sich gezogen hat.
Soweit der Beschwerdeführer die Anwendung des im § 81 StGB. vorgesehenen Strafsatzes reklamiert, bringt er den in diesem Zusammenhang geltend gemachten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 11 StPO. mangels Bezugnahme auf den durch den Schuldspruch bedingten Strafsatz nicht zur gesetzmäßigen Darstellung.
Zuzugeben ist dem Beschwerdeführer lediglich, daß das Erstgericht die ihm angelastete fahrlässige Gemeingefährdung irrtümlich als Verbrechen bezeichnet hat, obwohl das Gesetz (§ 17 Abs. 1 StGB.) nur vorsätzliche Handlungen (die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind) als Verbrechen gelten läßt. Dem urteilsmäßigen Ausspruch, ob die strafbare Handlung ein Verbrechen oder ein Vergehen ist, kommt jedoch nur die Bedeutung einer deklaratorischen (und nicht auch subsumierenden) Deliktsbezeichnung zu. Eine diesbezügliche Falschbezeichnung begründet daher an sich weder Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. noch nach § 281 Abs. 1 Z. 3 (oder, wie vorliegend ziffernmäßig geltend gemacht, Z. 9 lit. a) StPO. (vgl. SSt. 47/33). Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war mithin zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 177 Abs. 2 (§ 170 Abs. 2, zweiter Strafsatz) StGB. zu dreißig Monaten Freiheitsstrafe.
Bei der Strafbemessung wertete es die Vielzahl der Toten, die Vielzahl der Schwer- und Leichtverletzten als erschwerend; als mildernd nahm es hingegen das Geständnis, den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und die eigenen schweren Verletzungen an. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren bedingte Nachsicht gemäß § 43 StGB. an. Die Berufung ist teilweise berechtigt.
Die in der Berufungsschrift ins Treffen geführten (weiteren) Milderungsgründe liegen zwar nicht vor, doch war es - von der Berufung zurecht gerügt - verfehlt, die 'Vielzahl der Toten als besonderen Erschwerungsgrund heranzuziehen, weil dies bereits essentielles Tatbestandsmerkmal des Vergehens der fahrlässigen Gemeingefährdung ist.
Bei sachgemäßem Abwägen aller vorliegenden Strafzumessungsgründe ist mit Rücksicht auf die vom Angeklagten erlittene schwere Verletzung eine Reduzierung der Freiheitsstrafe auf das im Spruch bezeichnete, der tat- und persönlichkeitsbezogenen Täterschuld (§ 32 StGB.) entsprechende Ausmaß von zwei Jahren gerechtfertigt. In diesem Umfang war daher der Berufung Folge zu geben.
Die Gewährung bedingter Strafnachsicht kam jedoch nach Lage des Falles schon aus generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht (§ 43 Abs. 2 StGB.).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruche zitierte Gesetzesstelle.
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