OGH 10Os23/80 (10Os24/80)

OGH10Os23/80 (10Os24/80)25.3.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. März 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Kronlachner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dipl. Ing. Paul A wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB. über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Jennersdorf vom 29. Juni 1978, GZ. U 101/78-31, und des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 20. November 1978, AZ. Bl 51/78 (GZ. U 101/78- 41), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, des Privatanklagevertreters Dr. Kosch sowie des Verteidigers DDr. Peter Stern zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch die oben bezeichneten Urteile ist das Gesetz in der Bestimmung des § 114 Abs. 1 StGB. verletzt.

Diese Urteile sowie alle darauf beruhenden Verfügungen (insbesondere die Endverfügung vom 22. Jänner 1979 und der Kostenbestimmungsbeschluß vom 12. Februar 1979) werden aufgehoben; die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Jennersdorf zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Jennersdorf vom 29. Juni 1978, GZ. U 101/78-31, wurde Dipl. Ing. Paul A des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1

StGB. schuldig erkannt, weil er am 14. Juli 1977 in Güssing dem Privatankläger Dipl. Ing. Reinhard B bei einer Überprüfung des dortigen landwirtschaftlichen Betriebsreferates der Burgenländischen Landwirtschaftskammer, deren Angestellte sie beide waren, den Prüfern gegenüber Manipulationen bei der Verrechnung von Deputatbezügen vorgeworfen habe. Das Erstgericht sah den vom Beschuldigten (der die Äußerung bezüglicher Verdachtsgründe zugegeben und sich dabei auf Schlußfolgerungen aus eigenen Wahrnehmungen und auf Mitteilungen anderer Personen berufen hatte) angebotenen Wahrheitsbeweis als mißlungen an und billigte ihm auch keinen guten Glauben zu (§ 111 Abs. 3 StGB).

Das Landesgericht Eisenstadt als Berufungsgericht wies mit Urteil vom 20. November 1978, Bl 51/78, ON. 41 d. A., die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit zurück und gab seiner Berufung im übrigen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Beide vorerwähnten Urteile stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang. Wird durch eine nach § 111 StGB. tatbestandsmäßige Handlung ein Recht ausgeübt, dann ist die betreffende üble Nachrede gemäß § 114 Abs. 1 StGB. gerechtfertigt. Daß die ehrenrührige Behauptung wahr wäre oder daß der Täter daran doch immerhin aus objektiv (also bei einer Beurteilung nach dem Durchschnittsmaßstab eines unbefangenen Dritten aus seiner Sicht) hinreichenden Gründen geglaubt hätte (§ 111 Abs. 3 StGB.), wird (unter diesen Umständen) zur Rechtfertigung nicht verlangt. Nur das Fehlen der Richtigkeit der Nachrede (und/oder des guten Glaubens des Täters daran) spielt folglich im Rahmen des § 114 Abs. 1 StGB. (Rechtfertigung) insofern eine Rolle, als die Annahme einer Rechtsausübung (oder gar einer Rechtspflichterfüllung) in aller Regel dann auszuschließen ist, wenn sich der Täter (über das Fehlen der oben bezeichneten Strafausschließungsgründe hinaus) einer Unrichtigkeit der üblen Nachrede (sogar) gewiß war. Trifft letzteres nicht zu, dann ist die innerhalb des Rahmens einer Rechtsausübung erhobene ehrenrührige Behauptung selbst dann gerechtfertigt, wenn dem Täter mangels objektiv zureichender Gründe ein guter Glaube nicht zugebilligt werden kann.

Das Vorliegen des in Rede stehenden Rechtfertigungsgrundes ist, ohne daß sich der Täter darauf berufen müßte, in jedem Fall von Amts wegen zu prüfen (§ 3 StPO.). Dementsprechend ist das Beweisaufnahmeverbot des § 112

erster Satz StGB. - welches der Ermittlung (bloß) eines (nur außerhalb des Wirksamkeitsbereichs des § 112 zweiter Satz StGB. bestehenden, bei Erwiesenheit der Wahrheit einer üblen Nachrede sachlichen, bei Erwiesenheit eines guten Glaubens des Täters daran aber persönlichen) Strafausschließungsgrundes (vgl. EvBl. 1979/120) entgegenwirkt - nur dann aktuell, wenn nicht die Fragen nach der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der beleidigenden Äußerung und (beim Nachweis der Unrichtigkeit weiters) nach dem guten Glauben des Täters bzw. (bei dessen Fehlen) nach der Gewißheit von der Unrichtigkeit der Nachrede im Rahmen der Prüfung, ob der Täter dabei in Ausübung eines Rechtes (oder in Erfüllung einer Rechtspflicht) handelte (§ 114 Abs. 1 StGB.), also schon im vorgelagerten Problemkreis der Rechtswidrigkeit seiner Tat (und damit bei voller Geltung des prozessualen Zweifelsgrundsatzes 'in dubio pro reo'; vgl. § 258 Abs. 2 StPO.), von Amts wegen zu erforschen sind. Im vorliegenden Fall hat der Beschuldigte nach den Urteilsfeststellungen dem Privatankläger bei einer Revision ihrer gemeinsamen Dienststelle durch Organe ihres Dienstgebers Manipulationen vorgeworfen, durch die letzterer einen Schaden erlitten hätte. Zur wahrheitsgemäßen Bekanntgabe von seiner Ansicht nach darauf hinweisenden Verdachtsgründen an die Prüfungsorgane war er aber im Rahmen seiner allgemeinen Treuepflicht gegenüber dem gemeinsamen Dienstgeber (vgl. § 5 Abs. 3 VBG, § 21 - der zur Tatzeit noch in Geltung gestandenen - DP sowie Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I5, 313) jedenfalls berechtigt. Feststellungen darüber, ob er die Grenzen dieses Rechts - (etwa) durch wissentlich wahrheitswidrige (gleich ob im Wege einer gezielten, relevanten Veränderung eines wirklich gegebenen Sachverhalts zum Ausdruck gebrachte oder überhaupt aus der Luft gegriffene) Verdachts-Behauptungen - überschritt, hat das Erstgericht nicht getroffen; bei der Annahme, im Verfahren seien keine Umstände erwiesen worden, nach denen ein guter Glaube im Sinn des § 112 erster Satz StGB für ihn objektiv begründet gewesen wäre, ließ es ausdrücklich offen, ob er nicht allenfalls subjektiv von der Richtigkeit seines geäußerten Verdachts überzeugt war. Die damit unterlaufenen Feststellungsmängel lassen sohin eine abschließende rechtliche Beurteilung, ob die inkriminierten Äußerungen vom Beschuldigten im Rahmen der Ausübung eines Rechtes vorgebracht wurden und deshalb gemäß § 114 Abs. 1 StGB gerechtfertigt waren, nicht zu.

In dieser Bestimmung verletzen folglich das Urteil erster Instanz, aber auch jenes des Berufungsgerichtes, welches die solcherart vorgelegene materiellrechtliche Nichtigkeit (§§ 468 Abs. 1 Z. 4, 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO.) gemäß § 477 Abs. 1 StPO. von Amts wegen hätte wahrnehmen müssen, das Gesetz.

In Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren daher die aufgezeigten Gesetzesverletzungen festzustellen und die davon betroffenen beiden Urteile sowie alle darauf beruhenden Verfügungen gemäß § 292 letzter Satz StPO. aufzuheben.

Ein sofortiger Freispruch durch den Obersten Gerichtshof kam jedoch nicht in Betracht, weil im zu erneuernden Verfahren - der Auffassung der Generalprokuratur zuwider -

Feststellungen, nach denen der Beschuldigte mit seinen inkriminierten Äußerungen die oben angedeuteten Grenzen seines Mitteilungsrechtes überschritten hätte, nach der Aktenlage (vgl. etwa S. 133) nicht von vornherein auszuschließen sind. Auch vermag sich der erkennende Senat (ferner) einer in vereinzelten Entscheidungen (vgl. 10 Os 60/77=ÖJZ-LSK 1977/207, 12 Os 112/79 n. v.) vertretenen Ansicht, wonach die Verjährungsfrist deshalb, weil sie auch über die Rechtskraft eines verurteilenden Erkenntnisses hinaus nicht gehemmt werde, ab diesem Zeitpunkt weiterlaufe - wodurch im vorliegenden Fall bereits Verjährung eingetreten wäre -, nicht anzuschließen.

Gewiß endet die Zeit, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei Gericht anhängig ist und die daher in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird (§ 58 Abs. 3 Z. 2 StGB.), also die (Fortlauf-)Hemmung der Verjährungsfrist, (unter anderem) mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft eines über die Tat gefällten Urteils.

Nichtsdestoweniger ist aber ab der Rechtskraft eines verurteilenden Erkenntnisses (für die Dauer von dessen Bestand) eine Aufhebung der Strafbarkeit - welch letztere damit ja im Gegenteil gerade endgültig festgestellt wurde - durch Verjährung, also ein zu einer Verfolgungsverjährung führender nunmehriger Fortlauf der Verjährungsfrist, (begriffstheoretisch ebenso wie gesetzlich) ausgeschlossen: bereits die (durch § 58 StGB. bloß ergänzte) Bestimmung des (mit seiner normativen Aussage auf das Unterbleiben einer verurteilenden Entscheidung abzielenden) § 57 StGB. gilt - nach diesem Inhalt zwangsläufig - nur für Zeiträume vor der Rechtskraft eines verurteilenden Erkenntnisses; nach einem solchen 'setzt sich die Verfolgungsverjährung nicht fort' (Leukauf-Steininger, Kommentar2, RN 28 zu § 58 StGB; mangels Differenzierung zwischen verurteilender und nicht verurteilender Entscheidung dem Anschein nach gegenteilig Foregger im Wiener Kommentar, RN 1 zu § 58 StGB; ähnlich, jedoch ersichtlich nur auf die Verjährung der 'wirklich verübten -

strenger strafbedrohten - Tat' gemünzt, Foregger-Serini, StPO2, Erl. II. zu § 356 StPO; ohne eigene Stellungnahme Foregger-Serini, StGB2, Erl. I. 3. zu § 58 StGB.). Mit diesem Zeitpunkt (rechtskräftige Feststellung des Strafanspruchs) beginnt vielmehr der Lauf der (jene Feststellung voraussetzenden und daher mit der Annahme eines gleichzeitigen Fortlaufs der Verfolgungs-Verjährungsfrist abermals begrifflich unvereinbaren) Frist für die Vollstreckungsverjährung (§§ 59, 60 StGB.). Nur dann, wenn ein formell rechtskräftiges verurteilendes Erkenntnis - wie etwa im Weg des § 353 StPO. (zur Wiedereröffnung der Möglichkeit eines Freispruchs oder einer Verurteilung wegen einer geringer strafbedrohten Tat) oder des § 292 letzter Satz StPO - nachträglich (wieder) beseitigt wird, werden demnach die Bestimmungen der §§ 57, 58 StGB. ex nunc nochmals wirksam; erst damit können sie folglich (nach einer späteren Beendigung des Strafverfahrens ohne verurteilendes Erkenntnis) doch noch zu einem Fortlauf der Verjährungsfrist und damit zu einer Verjährung der Strafbarkeit der zwischenzeitig von einem rechtskräftig verurteilenden Erkenntnis erfaßt gewesenen Tat führen. (In Ansehung dieses Ergebnisses hat sich im übrigen an der Rechtslage gegenüber jener nach altem Recht - §§ 227, 531 StG - ungeachtet sonst weitreichender Divergenzen nichts geändert; vgl. hiezu SSt 27/61.) Die Sache war daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung in die erste Instanz zurückzuverweisen.

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