OGH 7Ob61/79

OGH7Ob61/7913.3.1980

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Neperscheni als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Jensik und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Dr. Helmut Schmidt, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wider die beklagte Partei Kunigunde H*****, vertreten durch Dr. Hans Posch, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wegen 35.153 S samt Nebengebühren, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. September 1979, GZ 15 R 126/79-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Endurteil des Kreisgerichts Wiener Neustadt vom 30. Mai 1979, GZ 2 Cg 515/78-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.909,60 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 160 S Barauslagen und 129,60 S USt) sowie die mit 2.579,52 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 480 S Barauslagen und 155,52 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der mit Teilurteil zum Regress an die Klägerin verpflichtete Ehemann der Beklagten verschuldete am 23. 7. 1977 mit einem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW einen Verkehrsunfall, ohne in Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung zu sein. Die Klägerin hat an den geschädigten Dritten Leistungen erbracht. Sie begehrt die solidarische Verpflichtung auch der Beklagten zum Regress, weil diese am Unfallstag das Fahrzeug ihrem Ehemann überlassen habe, obwohl sie gewusst habe, dass er nicht im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung sei. Außer Streit steht, dass Versicherungsnehmer sowohl die Beklagte als auch ihr Ehemann waren.

Der Erstrichter gab der Klage statt. Er stellte fest, dass die Beklagte ohne unwiderstehlichen Zwang laufend die Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs durch ihren Ehemann geduldet habe, obwohl sie wusste, dass er keine gültige Lenkerberechtigung besaß. Sie verlangte nur das eine oder andere Mal, dass er nicht mit dem Auto fahre, wenn er ihrer Meinung nach wegen Alkoholgenusses dazu nicht fähig war. Nach der Rechtsansicht des Erstrichters sei die Klägerin infolge der Überlassung des Fahrzeugs an ihren Ehemann, der die notwendige Lenkerberechtigung nicht besaß, ohne Rücksicht auf die gemeinsame Versicherung beider Ehegatten leistungsfrei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es vertrat aufgrund der unbekämpften Tatsachenfeststellungen die Rechtsansicht, dass eine Obliegenheitsverletzung eines Versicherungsnehmers grundsätzlich nur seinen eigenen Versicherungsanspruch berühre, ein solches Verschulden aber nicht dem anderen Versicherungsnehmer desselben Vertrags zur Last falle. Art 6 Abs 2 lit b AKHB treffe nur für den Fall eine Anordnung, dass Lenker und Versicherungsnehmer nicht ident seien; diese Bestimmung begründe keine Obliegenheit für den Versicherungsnehmer.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts erhebt die Klägerin Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Obliegenheitsverletzung eines Versicherungsnehmers, wenn, wie in der Haftpflichtversicherung, selbständige eigene Interessen versichert sind, grundsätzlich nur den eigenen Versicherungsanspruch betrifft und dass weiters die sogenannte Repräsentantenhaftung in Österreich abgelehnt wird. Es kommt daher für die Leistungsfreiheit der Klägerin gegenüber der Revisionsgegnerin darauf an, ob die durch den zweiten Versicherungsnehmer jedenfalls begangene Obliegenheitsverletzung nach Art 6 Abs 2 lit b AKHB (Führerscheinklausel) auch ihr zur Last fällt (Prölss-Martin VVG21 76, SZ 37/41).

Nach der genannten Verordnungsbestimmung ist als Obliegenheit, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist und deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 2 VersVG), bestimmt, dass der Lenker eine Lenkerberechtigung für die Gruppe besitzt, in die das Fahrzeug fällt; die Verpflichtung zur Leistung bleibt gegenüber dem Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen bestehen, wenn diese ohne Verschulden annehmen konnten, dass der Lenker die Lenkerberechtigung besitzt, oder wenn der Lenker das Fahrzeug ohne Willen des Halters gelenkt hat. Bei enger wörtlicher Auslegung wäre der Versicherer allerdings dann, wenn einer von mehreren Versicherungsnehmern ohne Lenkerberechtigung fährt, auch dem anderen gegenüber regelmäßig leistungsfrei; denn der Nichtbesitz der Lenkerberechtigung ist in einem solchen Verhältnis kaum unbekannt und eine Schwarzfahrt eines (Mit-)Halters ist begrifflich ausgeschlossen. Mit dieser Begründung wurde mit der Entscheidung ZVR 1961/143 die Deckungsklage einer Versicherungsnehmerin auch abgewiesen, obwohl letztere die Wagenschlüssel ihres Lebensgefährten bei einem Dritten hinterlegt hatte, um eine Benützung des Fahrzeugs zu verhindern. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts betraf auch der damalige Fall eine gemeinsame Haftpflichtversicherung der beiden Halter des Kraftfahrzeugs.

Dennoch ist das Berufungsgericht jener Vorentscheidung im Ergebnis mit Recht nicht gefolgt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Führerscheinklausel nur für den Lenker eine Obliegenheit bestimmt (so mit Hinweis auf Stiefel-Wussow EvBl 1968/108 sowie im Zusammenhang mit der hier nicht interessierenden Frage einer Kündigungspflicht des Versicherers Pienitz-Flöter AKB4 80, § 2, 18b ua), oder ob sie auch dem Versicherungsnehmer und einem Mitversicherten die Obliegenheit auferlegt, das Fahrzeug keinem Lenker ohne Berechtigung zu überlassen (so ZVR 1963/275; vgl auch BGHZ 33, 281). Im letzteren Fall müsste gemäß § 6 Abs 1 VersVG jedenfalls ein Verschulden des Versicherungsnehmers nachgewiesen werden. Aber auch eine bloße Drittwirkung der Obliegenheitsverletzung des Lenkers (Stiefel-Hofmann AKB11 165) setzt bei Beachtung des Vorgesagten voraus, dass der davon Betroffene, hier der andere Versicherungsnehmer, am Verstoß beteiligt war, indem er den Lenker ohne Lenkerberechtigung fahren ließ (ebenso BGH VersR 1961, 651). Jedem von mehreren Versicherungsnehmern fällt in diesem Sinn nur die eigene schuldhafte Mitwirkung an der Verletzung der Führerscheinklausel zur Last. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist die Leistungsfreiheit gegenüber dem nicht lenkenden Mit -Versicherungsnehmer aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Wohl kann der zweite Halbsatz des Art 6 Abs 2 lit b AKHB nur angewendet werden, wenn Lenker und Versicherungsnehmer (Mitversicherter) nicht ein und dieselbe Person sind. Die Bestimmung kann aber auf jeden anderen als den Lenker angewendet werden, also auch auf einen vom Lenker verschiedenen zweiten Versicherungsnehmer.

Der Revisionsgegnerin kann nicht dahin gefolgt werden, dass mehrere Fahrzeughalter und Versicherungsnehmer keine Möglichkeit der Einwirkung aufeinander hätten. Jeder Versicherungsnehmer muss nach seinen Kräften dazu mitwirken, dass ein anderer das versicherte Fahrzeug nicht ohne Lenkerberechtigung benützt; keiner darf den anderen ohne Lenkerberechtigung fahren lassen (s oben). Dabei kommt es auf die rechtliche Möglichkeit, den anderen Versicherungsnehmer an der Benützung des gemeinsamen Fahrzeugs zu hindern, nicht an. Die Rechtslage entspricht vielmehr jener in dem Fall, dass ein anderer als der Eigentümer oder Halter des Fahrzeugs die Haftpflichtversicherung genommen hat. Diese Personen sind dort nur mitversichert (Art 1 Abs 2 AKHB); es unterliegt aber keinem Zweifel, dass die Leistungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer von dessen eigenen schuldlosem Verhalten abhängt. Die gleiche Strenge ist dann aber auch gegenüber einem von mehreren Versicherungsnehmern am Platz, zumal sonst jener Versicherungsnehmer, der sein Kraftfahrzeug einem Lenker ohne Lenkerberechtigung zu überlassen bereit ist, den diesfalls fehlenden Versicherungsschutz ohne Schwierigkeit dadurch für sich erlangen könnte, dass er diesen Lenker als zweiten Versicherungsnehmer in den Versicherungsvertrag einbeziehen lässt. In allen genannten Fällen muss also jener Versicherungsnehmer, der die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen objektiver Verletzung der Führerscheinklausel für sich vermeiden will, alles ihm Mögliche unternehmen, um einen anderen, sei es auch den Eigentümer, Halter oder einen zweiten Versicherungsnehmer, vom Benützen des versicherten Kraftfahrzeugs ohne Lenkerberechtigung abzuhalten.

In der Sache selbst vermochte die Revisionsgegnerin ihre Behauptung nicht zu beweisen, ihr damaliger Ehemann habe sie durch Drohungen und Misshandlungen zur Herausgabe der Fahrzeugschlüssel gezwungen. Vielmehr steht unbekämpft fest, dass Helmut H***** ständig ein paar Autoschlüssel besaß und dass die Beklagte die Benützung des Fahrzeugs durch ihn trotz Kenntnis des Fehlens einer gültigen Lenkerberechtigung laufend duldete und ihr nur dann widersprach, wenn sie das wegen seiner Alkoholisierung für notwendig hielt. Damit hat die Revisionsgegnerin im oben dargestellten Sinn die unerlaubte Benützung des PKW auf der Unfallsfahrt bewusst und schuldhaft ermöglicht und so die Obliegenheit des Art 6 Abs 2 lit b AKHB auch selbst verletzt oder ermöglicht, sodass die Klägerin ihr gegenüber leistungsfrei ist.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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