OGH 12Os25/80

OGH12Os25/806.3.1980

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kießwetter, Dr. Reisenleitner und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sperker als Schriftführerin in der Strafsache gegen Arno A wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Jugendschöffengericht vom 15.Oktober 1979, GZ. 24 Vr 2180/78-19, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 18.Februar 1961 geborene (sohin zur Tatzeit noch jugendliche) Tischlerlehrling Arno A des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs. 1 StGB. schuldig erkannt, weil er es am 10.August 1978 in Linz unterließ, der Fußgängerin Ludwika B, deren Verletzung am Körper, nämlich eine Kontusion und Hämatom an der linken Hüfte, er dadurch, daß er sie mit einem Motorfahrrad anfuhr und zu Boden stieß, verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen liegt dem Schuldspruch folgender Sachverhalt zugrunde: Am 10.August 1978 fuhr der Angeklagte mit dem ihm kurz zuvor von einem Bekannten leihweise überlassenen Moped, Zündapp 517/50, Kennzeichen L - 289, in Linz auf der Hertzstraße in Richtung der Kreuzung mit der Einsteinstraße in der Absicht, in diese - nach links - einzubiegen. Zu dieser Zeit hielt sich die am 8.April 1903 geborene, gehbehinderte Fußgängerin Ludwika B, die in der rechten Hand einen Gehstock führte, - in Richtung Kopernikusstraße gesehen - am linken Gehsteigrand der Einsteinstraße auf, um diese in gerader Richtung zu überqueren. Nachdem eine auf der Einsteinstraße in Richtung Kopernikusstraße fahrende - bislang unbekannte - PKW-Lenkerin ihr Fahrzeug vor der Einfahrt in den Kreuzungsbereich angehalten hatte, um der Fußgängerin das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen, betrat diese die Fahrbahn. Noch bevor sie die Fahrbahnmitte erreicht hatte, führte der Angeklagte sein Linksabbiegemanöver durch, wobei er - hinter der Fußgängerin Ludwika B vorbeifahrend - diese an der linken Körperseite streifte, sodaß sie nach links zu Boden stürzte (S. 95 f.) und - wie eingangs erwähnt - verletzt wurde. Obwohl der Angeklagte, welcher von der unbekannt gebliebenen Lenkerin durch Hupsignale auf den Unfall aufmerksam gemacht worden war, aus einer Entfernung von ca. 100 m die Fußgängerin auf der Fahrbahn liegen und eine Frau (die Lenkerin des PKW.?) auf sie zugehen sah, setzte er die Fahrt fort. Das Erstgericht stützte diese Feststellungen unter Ablehnung der Verantwortung des Angeklagten, derzufolge er im Zuge des Abbiegemanövers mit einem Abstand von ca. 1,5 m vor der Fußgängerin vorbeigefahren sei, auf die für glaubwürdig erachtete Aussage der als Zeugin vernommenen Fußgängerin B (S. 17, 87 f.) und führte zur subjektiven Tatseite aus, daß der Angeklagte auf Grund der wahrgenommenen Umstände 'erkennen und wahrnehmen mußte', daß seine Vorbeifahrt an der Fußgängerin in einem ursächlichen Zusammenhang mit deren Sturz stand.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Schuldspruch wird vom Angeklagten mit einer auf die Z. 4, 5 und 10 - der Sache nach 9 lit. a - des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft, der Berechtigung zukommt. Das Jugendschöffengericht hat zur inneren Tatseite lediglich festgestellt, daß der Angeklagte 'wissen mußte', 'damit rechnen mußte', 'erkennen mußte' bzw. 'ernstlich für möglich halten mußte' (S. 103, 104), daß er den Sturz der Fußgängerin verursacht hat und dabei nicht mit der jedenfalls gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, ob es dem Angeklagten - für die Tatbestandsverwirklichung (zumindest) erforderlichen - bedingten Vorsatz oder allenfalls nur Fahrlässigkeit anlastet. Die tatsächlich getroffenen Urteilsfeststellungen reichen zur Bejahung einer vorsätzlichen Handlungsweise des Angeklagten nicht aus;

durch sie wird insbesondere Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen (vgl. Leukauf-Steininger2 S. 113 f., vor allem RN. 16-18 und die dort zitierte Judikatur).

Nach § 94 Abs. 1 StGB. verwirklicht den Tatbestand des Imstichlassens eines Verletzten, wer es vorsätzlich (§ 7 Abs. 1 StGB.) unterläßt, einem anderen, dessen Verletzung am Körper er, wenn auch nicht widerrechtlich, verursacht hat, die erforderliche Hilfe zu leisten.

Diese seit dem 1.Jänner 1975 geltende Regelung unterscheidet sich von der des vorher gegoltenen § 337 lit. c StG. 1945 unter anderem dadurch, daß nunmehr auf das Vorliegen eines Verursachungszusammenhanges zwischen dem Verhalten des Täters und der Verletzung abgestellt wird, wobei auf der inneren Tatseite - anders als § 337 lit. c StG. - Fahrlässigkeit nicht mehr genügt. Der Täter muß vielmehr wissen oder es doch ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB.), daß er einem anderen eine Verletzung zugefügt hat und dieser deshalb einer Hilfe bedarf (vgl. SSt. 47/17; Leukauf-Steininger2 a.a.O. S. 641 f. und die dort zitierte Judikatur).

Schon dieser vom Beschwerdeführer zutreffend relevierte, eine Nichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO. bewirkende Feststellungsmangel bezüglich der inneren Tatseite des in Rede stehenden Vergehenstatbestands nötigt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache in die erste Instanz, ohne daß es erforderlich ist, auf sein weiteres Beschwerdevorbringen einzugehen.

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