OGH 13Os16/80

OGH13Os16/8028.2.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Februar 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Racek in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Hörburger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Vichytil als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Gustav A wegen des Verdachts des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 StGB. über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluß des Bezirksgerichts Innsbruck vom 24.November 1977 in seiner mit einer Begründung versehenen Fassung als Beschluß vom 10.Jänner 1978, GZ. 9 U 1014/77-9, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Am 12.August 1977 langte bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eine Strafanzeige der Irma B gegen den am 12.November 1918 geborenen Dr. Gustav A wegen des Verdachts des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 StGB ein, der die Behauptung zugrundelag, der Verdächtige habe am 12.Juli 1977 in Innsbruck im Zuge einer Auseinandersetzung einen schweren Schlüsselbund gezielt gegen die nur etwa 2 m entfernte Dr. Anneliese C geworfen, infolge deren instinktiver Ausweichbewegung mit diesem jedoch die hinter ihr stehende Anzeigerin am Arm gestreift und sodann in der Herzgegend getroffen, wodurch Irma B einen Schock und (leichte) Verletzungen erlitten habe. Nach Durchführung polizeilicher Erhebungen, in deren Rahmen Dr. Gustav A (vor der Polizei) u.a. erklärt hatte, die in der Anzeige gegen ihn erhobene Anschuldigung sei unwahr (S. 21), und Einholung eines fachärztlichen Gutachtens über die Verletzungsfolgen der Irma B, welche dort als kleine oberflächliche Abschürfung über dem rechten Handrücken angegeben werden (S. 31), beantragte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Innsbruck festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 42 StGB.

vorliegen (S. 5), worauf mit Beschluß des Bezirksgerichts Innsbruck vom 24.November 1977 (S. 5) bzw. über Antrag auf Beschlußausfertigung unter Nachtrag einer Begründung mit Beschluß vom 10.Jänner 1978, GZ. 9 U 1014/77-9, die beantragte Feststellung getroffen und das Verfahren gemäß § 451 Abs. 2 StPO. eingestellt wurde.

Die gegen diesen Beschluß erhobene Beschwerde des Dr. Gustav A wurde vom Landesgericht Innsbruck als Beschwerdegericht am 23.Februar 1978, AZ. Bl 87/78

(= GZ. 9 U 1014/77-13 des Bezirksgerichts Innsbruck), als unzulässig zurückgewiesen.

Nach Ansicht der Generalprokuratur steht der Beschluß des Bezirksgerichts Innsbruck in jenem Teil seiner Begründung mit dem Gesetz nicht im Einklang, in der 'nach Art von Tatsachenfeststellungen' ausgeführt wird: 'Die ...

Erhebungen und das Gutachten haben ergeben, daß der Beschuldigte im Verlaufe einer Auseinandersetzung in Wut geriet und ein Kuvert mit einem Schlüssel in Richtung der Dr. Anneliese C warf, diese dem Geschoß aber ausweichen konnte und die dahinterstehende 85-jährige Irma B getroffen wurde. Der Schlüssel traf vorerst den rechten Handrücken, verursachte eine oberflächliche Abschürfung und prallte dann auf die linke Brustseite der Genannten. Auf der Brust ist keine Verletzung nachweisbar.' In Begründung der deshalb erhobenen - auf die Feststellung der Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 451 Abs. 2 StPO. in Verbindung mit dem in Art. 6

Abs. 1 und Abs. 2 MRK. festgelegten Grundsatz, daß der Angeklagte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld in einem öffentlichen und seine Anhörung ermöglichenden Gerichtsverfahren unschuldig ist, abzielenden - Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt die Generalprokuratur aus:

Rechtliche Beurteilung

'Gemäß § 42 Abs. 2 zweiter Halbsatz StGB hat das Gericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, das Verfahren unabhängig von der Lage, in der es sich befindet, zu beenden. Für das bezirksgerichtliche Verfahren bestimmt § 451 Abs. 2 StPO., daß der Richter, wenn er sich - vor Beginn der Hauptverhandlung - vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 StGB. überzeugt, das Verfahren mit Beschluß einzustellen hat, wobei gegen diesen Beschluß nur dem Ankläger das Rechtsmittel der Beschwerde zusteht. Fehlt es dagegen unbeschadet des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des § 42

StGB. überhaupt an genügenden Gründen zu einer weiteren Verfolgung, so hat der Ankläger nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 90 Abs. 1, 447 Abs. 1 StPO. die Anzeige zurückzulegen und der Untersuchungsrichter das Verfahren einzustellen bzw., falls keine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung vorliegt, eine vom Ankläger dennoch begehrte Einleitung des Strafverfahrens abzulehnen (vgl. LSK. 1977/104 u.a.). In den genannten Fällen ergehen die Gerichtsbeschlüsse ohne formelles Beweisverfahren, wie es - ausgenommen den Fall des § 460 Abs. 1 StPO. - einem dem erkennenden Gericht vorbehaltenen Schulderkenntnis grundsätzlich vorauszugehen hat, wobei sich letzterer Grundsatz schon aus der gemäß Art. II, Z. 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 4.März 1964, BGBl. Nr. 59, Verfassungsrang genießenden Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 MRK. ergibt. Eine Beschlußfassung gemäß § 42 StGB. kommt sohin dann nicht in Betracht, wenn auf Grund der Anzeige oder der gepflogenen Erhebungen eine strafbare Handlung entweder aus tatsächlichen Gründen nicht erweislich oder aus rechtlichen Gründen nicht gegeben ist. Sie erfordert jedoch andererseits keinen Schuldnachweis, sondern nur einen solchen Tatverdacht, der die Einleitung von Vorerhebungen oder einen Antrag auf Bestrafung rechtfertigt (vgl. Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB.2, 379 f.). Eine gerichtliche Entscheidung, mit der ein Verfahren aus diesem Grunde eingestellt wird, hat demnach lediglich auf Grund der Verdachtslage, wie sie sich aus dem Akteninhalt ergibt, zu ergehen und setzt nicht die Annahme voraus, der Verdächtige habe den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung tatsächlich verwirklicht. Das Gericht hat sich hiebei folglich auf die Prüfung zu beschränken, ob gegen den Verdächtigen zur weiteren Verfolgung hinreichende Verdachtsgründe einer strafbaren Handlung vorliegen und ob unter der - hypothetischen - Voraussetzung, daß diesen Berechtigung zukommen und der Angezeigte die ihm angelastete Tat begangen haben sollte, diesem der Strafausschließungsgrund des § 42 StGB. zustatten kommt. Hingegen erscheint es unzulässig, in der Begründung derartiger Entscheidungen Tatsachenfeststellungen zur äußeren und inneren Tatseite zu treffen und ein bestimmtes, dem Verdächtigen als gerichtlich strafbare Handlung zur Last fallendes Tatverhalten als erwiesen anzunehmen. Denn wenn auch eine Beschlußfassung gemäß § 42 StGB. an sich niemals einen Schuldspruch zu ersetzen vermag, käme ein solcher in der Begründung des Einstellungsbeschlusses enthaltener Ausspruch einem - ohne förmliches Beweisverfahren in einer mündlichen und öffentlichen Hauptverhandlung ergangenen - Schulderkenntnis insoferne gleich, als damit festgestellt wäre, daß der Verdächtige den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung (rechtswidrig und schuldhaft) verwirklicht hat. Derartige Formulierungen, die einen Schuldvorwurf implizieren, widersprechen demnach dem im Art. 6 Abs. 2 MRK. festgelegten Grundsatz, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld - in einem den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 MRK. entsprechenden Verfahren - vermutet wird, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

Eben diese Voraussetzungen treffen auf den Beschluß des Bezirksgerichts Innsbruck vom 10.Jänner 1978, GZ. 9 U 1014/77-9 zu, weil darin eindeutig zum Ausdruck gebracht wurde, daß das Gericht der durch die polizeilichen Erhebungen und das eingeholte fachärztliche Gutachten gestützten Darstellung der Anzeigerin zumindest teilweise folgte und der (auch hinsichtlich des behaupteten Tatherganges) leugnenden Verantwortung des Angezeigten keinen Glauben schenkte.

Da aus dem Beschluß, mit dem das gegenständliche Verfahren gemäß § 451 Abs. 2 StPO. eingestellt wurde, dem Dr. Gustav A kein unmittelbarer Nachteil erwachsen kann, hätte es bei der Feststellung der Gesetzesverletzung zu verbleiben.' Die geltend gemachte Gesetzesverletzung liegt jedoch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs aus folgenden Erwägung nicht vor:

Auszugehen ist zunächst davon, daß § 451 Abs. 2 StPO. eine spezielle verfahrensrechtliche Vorschrift für das bezirksgerichtliche Strafverfahren darstellt, die das Bezirksgericht berechtigt (und verpflichtet), das Verfahren mit Beschluß einzustellen, wenn es sich davon überzeugt, daß die Voraussetzungen des § 42 StGB. vorliegen.

Diese besondere Regelung für das ordentliche Verfahren vor den Bezirksgerichten schließt eine sinngemäße Heranziehung des für das Gerichtshofverfahren geltenden § 90 Abs. 2 (zweiter und dritter Satz) StPO. (durch das Gericht) im Hinblick auf § 447 Abs. 1 StPO. aus. Eine solche Beschlußfassung nach § 451 Abs. 2 StPO. ist bereits zulässig, wenn der öffentliche Ankläger keinen Verfolgungsantrag stellt, sondern - wie hier - (in sinngemäßer Anwendung des § 90 Abs. 2 - erster Satz - StPO.) von vornherein die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 42 StGB. begehrt (9 Os 96/77).

Ein Vorgehen nach § 42 Abs. 1 StGB. setzt dabei nicht den Nachweis des objektiven und subjektiven Tatbestands des fraglichen Delikts voraus; die Entscheidung ergeht vielmehr schon auf Grund eines bestehenden Verdachts (JBl. 1978, 494; 13 Os 90, 91/79). Eine solche Beendigung des Verfahrens aus dem Grund des § 42 StGB. durch Verfahrenseinstellung (z.B. gem. § 90 Abs. 2 StPO. oder eben nach § 451 Abs. 2 StPO.) oder Freisprechung gemäß § 259 Z. 4 StPO. stellt den Verdächtigen (Beschuldigten, Angeklagten) aber nicht schlechter als eine Einstellung aus anderen Gründen (z.B. § 90 Abs. 1 StPO.) oder ein Freispruch gemäß § 259 Z. 3 StPO., also eine Verfahrensbeendigung, die in der Regel ebenfalls nicht eine erwiesene Unschuld zum Ausdruck bringt, allerdings dort, wo sie nach dem Gesetz am Platz ist, zum Tragen zu kommen hat; denn § 42 StGB. bezweckt keinesfalls, hienach Verfahren wegen Sachverhalten zu beenden, denen zufolge (ohnedies) feststeht, daß eine strafbare Handlung entweder aus tatsächlichen Gründen nicht erweislich oder aus rechtlichen Gründen nicht gegeben ist. Im übrigen setzt aber die Anwendung des § 42 StGB. keineswegs eine Bejahung der Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestands des fraglichen Delikts voraus, dessen vorangehende Klarstellung um jeden Preis ja auch dem - bei der Regelung des § 42 StGB. eine maßgebliche Rolle spielenden (vgl. Dokumentation S. 95 rechte Spalte, vorletzter Absatz) - Grundsatz der Prozeßökonomie zuwiderliefe. Jedenfalls hat der Angeklagte nach dem Gesagten keinen Rechtsanspruch auf bezügliche Klärung und (beispielsweise) eine allfällige Freisprechung nach der Z. 3 (anstatt der Z. 4) des § 259 StPO. Es genügt eben, wie erwähnt, für ein Vorgehen nach § 42 StGB. (und etwa § 259 Z. 4 StPO.) das Bestehen eines Verdachts hinsichtlich der Tatverübung (abermals JBl. 1978, 494); in aller Regel wird nur ein solcher - den besonderen Umständen des konkreten Falls nach mehr oder weniger begründbarer - Verdacht einer denkbaren, von Amts wegen zu verfolgenden Tat vorliegen, der erst in dem - hiefür erforderlichen - förmlichen, mit den üblichen rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten Verfahren eine Erhärtung oder Abschwächung erfährt und schließlich zur Erbringung oder zum Scheitern eines Schuldnachweises führt. Selbst dort, wo im Zuge oder nach Abschluß eines derartigen Verfahrens die Umschreibung der (unter dem Aspekt einer Deliktsbegehung) zur Beurteilung stehenden Handlungsweise des Verdächtigen anläßlich eines (bei einem - mangels hinreichender Entkräftung - fortbestehenden Verdacht einer Straftat Platz greifenden) Vorgehens nach § 42 StGB. in der Form von Sachverhaltsfeststellungen erfolgt, kann den bezüglichen Ausführungen nicht die Eigenschaft von Konstatierungen (i.S. des § 270 Abs. 2 Z. 5 StPO.) - mit den sich daran knüpfenden rechtlichen Wirkungen - zuerkannt werden: denn ihrem (rechtlichen) Wesen nach ist eine Entscheidung nach § 42 StGB. immer nur dahin zu verstehen, daß eine (weitere) Aufklärung und allfällige Verfolgung eines bereits im gegebenen Stadium als Bagatellkriminalität erkennbaren Falles - nicht zuletzt aus Gründen der Prozeßökonomie - zu unterbleiben hat. Wie immer die Begründung eines materiellrechtlich auf der Bestimmung des § 42 StGB. fußenden Einstellungsbeschlusses gefaßt ist, liegt (schon entsprechend der Natur der Sache) in ihr - als Annex der im Spruch ergangenen, im Ergebnis auf die Ablehnung einer weiteren Strafverfolgung lautenden Entscheidung - eine (ebensolche) negative Aussage zur Sache selbst und - entgegen der von der Generalprokuratur vertretenen Auffassung - in keinem Fall ein einem Schulderkenntnis gleichkommender Ausspruch, daß der Verdächtige den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung (rechtswidrig und schuldhaft) verwirklicht habe. Gewiß wäre es wünschenswert gewesen, wenn das Bezirksgericht Innsbruck dies gegenständlichenfalls in seinem in Rede stehenden Beschluß auch in formaler Beziehung unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hätte; allein, die mehr oder weniger geschickte Wortwahl bei der Begründung vermag letzterer die ihr infolge der Art der Entscheidung (spezifisch) zukommende Bedeutung nicht zu nehmen; sie kann dem von ihr Betroffenen darum auch in keiner Weise schaden. Da im Falle des § 42 StGB. kein gesetzlicher Nachweis der Schuld eines Verdächtigen angestrebt wird, stellt sich im Zusammenhang mit der in jeder Lage des Strafverfahrens möglichen (§ 42 Abs. 2 StGB.) Erledigung auf Grund dieser Gesetzesstelle, aus welcher dem Verdächtigen - dies sei nochmals betont - kein (wie immer gearteter) Nachteil erwächst, gar nicht die Frage, inwieweit ihr ein den Erfordernissen des Art. 6 Abs. 1 MRK. Rechnung tragendes Verfahren vorausgegangen ist oder nicht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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