OGH 11Os167/79

OGH11Os167/7916.1.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1980 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mayerhofer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Johann A wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB. über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 9. August 1979, GZ. 7 Vr 3.252/78-55, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Franiek und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf zwanzig Jahre herabgesetzt wird. Gemäß dem § 390 a StPO. hat der Angeklagte auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 9.Mai 1942 geborene Hilfsarbeiter Johann A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB. schuldig erkannt, weil er am 9.November 1978

in Graz die Stefanie B durch Würgen vorsätzlich getötet hatte. Johann A bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Nichtigkeitsgründe nach dem § 345 Abs. 1 Z. 5, 6, 8 und 12 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Als eine den erstgenannten Nichtigkeitsgrund verwirklichende Verletzung seiner Verteidigungsrechte macht er geltend, daß verschiedene von ihm in der Hauptverhandlung unter Bezugnahme auf früher eingebrachte Eingaben gestellte (Beweis-) Anträge (S. 203/II.; ON. 41 und 47) abgewiesen worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge schlägt nicht durch.

Die beantragte Einholung weiterer schriftlicher Sachverständigen-Gutachten über die medizinische Möglichkeit der Tötung der Stefanie B durch Sturz (des Angeklagten auf die Halspartie) hatte der Schwurgerichtshof mit der Begründung (S. 204/II.) abgelehnt, daß die beiden dem Verfahren beigezogenen gerichtsärztlichen Sachverständigen einen derartigen vom Beschwerdeführer erstmals im Einspruch gegen die Anklageschrift und dann in der Hauptverhandlung behaupteten Tathergang ausdrücklich ausschlossen.

Diese Begründung trifft im wesentlichen zu (S. 184, 185/II.). Es bestand keine Notwendigkeit, die auch in diesem Punkt übereinstimmenden und klaren Gutachten der beiden medizinischen Sachverständigen einer weiteren Überprüfung zu unterziehen. Der Beschwerdeführer gab auch keine relevanten konkreten Hinweise dafür, daß diese Gutachten nach ihrer Erweiterung in der Hauptverhandlung noch unvollständig oder überprüfungsbedürftig seien. Die ebenfalls gerügte Ergänzung der Gutachten in (bloß) mündlicher Form in der Hauptverhandlung war durchaus zulässig. Wenn die Parteien in einem solchen Fall der Ansicht sind, daß ihre Stellungnahme zum ergänzten Gutachten eine gewisse Vorbereitung erfordere, so steht es ihnen frei, die Vertagung der Hauptverhandlung zu beantragen und bei Abweisung oder Nichterledigung eines derartigen Antrages eine hiedurch allenfalls bewirkte Beeinträchtigung ihrer Verteidigungsrechte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 4 (bzw. § 345 Abs. 1 Z. 5) StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde zu rügen. Da der Beschwerdeführer einen derartigen Vertagungsantrag nicht stellte, kann er jetzt nicht mit Erfolg einwenden, daß ihm durch die (bloß) mündliche Ergänzung der Sachverständigen-Gutachten die Möglichkeit einer fundierten Äußerung hiezu genommen worden sei.

Es unterblieb auch, entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, die Einholung eines Fakultätsgutachtens zur Frage der vollen Berauschung zu Recht. Die psychiatrischen Sachverständigen lehnten die Annahme einer Volltrunkenheit des Beschwerdeführers ab, ohne daß ihrer Befundung oder den Gutachten einer der in den §§ 125, 126 StPO. angeführten formalen Mängel anhaften würde. Über das Maß des Alltäglichen erheblich hinausgehende Schwierigkeiten, welche ein Fakultätsgutachten notwendig gemacht hätten, lagen bei der Begutachtung gleichfalls nicht vor.

Die beiden Sachverständigen berücksichtigten insbesonders auch die Erfahrungstatsache, daß der beim Beschwerdeführer festgestellte höhere Blutalkoholgehalt im allgemeinen ein Indiz für Volltrunkenheit bildet. Übereinstimmend führten sie jedoch hiezu aus, daß die Alkoholauswirkung individuell sehr verschieden sein kann, und daß der Beschwerdeführer, wie bereits in einem früher gegen ihn geführten Strafverfahren festgestellt wurde (Blutalkoholwert von über 3 %o, ohne volltrunken zu sein), eine besonders hohe Alkoholtoleranz aufweist. Sie gelangten daher zu dem Ergebnis, daß beim Angeklagten zur Tatzeit keine Zurechnungsunfähigkeit bewirkende Alkoholbeeinträchtigung vorlag, weil die an sich hohe Blutalkoholkonzentration noch nicht zum Vollrausch mit den typischen Merkmalen des Erinnerungsverlustes und der Sinnlosigkeit des Handelns führte.

Durch die Abweisung der Beweisanträge wurden demnach Verteidigungsrechte nicht verletzt, weshalb der Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z. 5 StPO. nicht vorliegt.

Soweit der Beschwerdeführer ausdrücklich als eine Verletzung der Verteidigungsrechte im Sinn einer Nichtigkeit nach dem § 345 Abs. 1 Z. 5 StPO. auch die Fragestellung an die Geschwornen rügt und behauptet, es wären Fragen nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83, 86 StGB.) oder fahrlässiger Tötung (§ 80 StGB.) zu stellen gewesen, macht er damit ausschließlich den in der Folge auch ziffernmäßig angerufenen Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. geltend.

Auch der Rüge der Fragestellung kommt jedoch Berechtigung nicht zu. Eine Fragestellung nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83, 86 StGB.

und nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB. war entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht indiziert. Der Beschwerdeführer hielt sein im Vorverfahren abgelegtes (Teil-) Geständnis (sh. insbes. S. 27/I), nach welchem er Stefanie B ohne Tötungsvorsatz mit einem Messer in den Hals stach und sodann zehn Minuten lang würgte, das, wäre es bei dieser Tatdarstellung geblieben, eine Eventualfrage nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang indiziert hätte, in der Hauptverhandlung nicht aufrecht. Der Schwurgerichtshof betrachtete deshalb zutreffend diese Verantwortung im Vorverfahren als widerrufen und legte sie der Fragestellung nicht zugrunde (sh. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/2, § 314 StPO., Nr. 22, 23 und 23 a). Das Vorbringen des Angeklagten in der Hauptverhandlung aber indizierte keine weitere Frage an die Geschwornen. Mit der Behauptung, daß der Tod der Stefanie B durch seinen Sturz eingetreten wäre, stellte der Beschwerdeführer ein hier strafrechtlich relevantes Verschulden überhaupt in Abrede;

eine derartige Tatgestaltung ließe den Tod der Stefanie B lediglich als Folge eines Unfalls erscheinen, den der Beschwerdeführer nicht einmal fahrlässig herbeigeführt hätte. Wären die Geschwornen dieser Darstellung (deren Möglichkeit von beiden medizinischen Sachverständigen allerdings ausgeschlossen wurde, S. 184, 185/II.) gefolgt, so hätten sie nicht etwa eine der vorerwähnten von der Beschwerde vermißten Eventualfragen - falls solche an sie gerichtet worden wären - bejahen dürfen;

sie hätten vielmehr auch diese Fragen verneinen und den Angeklagten von jeder Schuld lossprechen müssen.

Das Unterbleiben der vom Beschwerdeführer beantragten Fragestellung entsprach daher dem Gesetz.

Eine Ergänzung der Eventualfrage in Richtung des Totschlages nach dem § 76 StGB. durch Aufnahme der Worte 'aus Enttäuschung über den Verlust der Stefanie B' als weiterer Ursache der allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung unterblieb im Hinblick auf die Ergebnisse der Hauptverhandlung gleichfalls mit Recht. Denn der Beschwerdeführer hatte dort eine derartige Erweiterung der Fragestellung rechtfertigende Behauptungen gar nicht aufgestellt, sondern den gegen ihn erhobenen Anklagevorwurf, wie schon erwähnt, zur Gänze als unberechtigt und den Tod der Stefanie B in keiner Weise als auf ein strafbares Verhalten seinerseits zurückführbar bezeichnet.

Es zeigt sich daher, daß die gegen die Fragestellung erhobenen Vorwürfe unberechtigt sind; der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. liegt sohin gleichfalls nicht vor.

Unter Anrufung des Nichtigkeitsgrundes nach dem § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO. rügt der Beschwerdeführer die Rechtsbelehrung mit der Behauptung, daß den Geschwornen die Begriffe der Volltrunkenheit und der allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung in einer Unrichtigkeit bewirkenden unvollständigen Weise erläutert worden seien.

Der Beschwerdeführer ist auch mit diesem Vorbringen nicht im Recht. Die Ausführungen der Rechtsbelehrung zum Begriff des Zurechnungsfähigkeit im Sinn des § 11 StGB. herbeiführenden Vollrausches entsprechen herrschende Lehre und Rechtsprechung. Den im Hinblick auf entsprechendes Schrifttum vermißten Hinweis darauf, daß ab 3 %o Blutalkoholkonzentration, in Ausnahmsfällen aber schon bei 2,5 %o, Volltrunkenheit vorliege, enthält die Rechtsbelehrung mit Recht schon deshalb nicht, weil im konkreten Fall zwei psychiatrische Sachverständige unter Berücksichtigung der abnorm hohen Alkoholtoleranz des Beschwerdeführers ungeachtet des - nur eine Richtlinie bildenden und allein nicht maßgebenden - Blutalkoholwertes eine Volltrunkenheit zur Tatzeit ausgeschlossen hatten. Im Fall eines derartigen Hinweises hätte jedenfalls aber auch besonders auf die außergewöhnliche Alkoholtoleranz des Angeklagten aufmerksam gemacht werden müssen. Es ist jedoch in der schriftlichen Rechtsbelehrung grundsätzlich nicht auf die Besonderheiten des konkret zur Beurteilung stehenden Falles einzugehen. Die Zurückführung der in die Fragen aufgenommenen gesetzlichen Begriffe auf den vorliegenden Sachverhalt hat vielmehr in der gemäß dem § 323 Abs. 2 StPO. vom Vorsitzenden mit den Geschwornen vorzunehmenden Besprechung stattzufinden. Die Rechtsbelehrung konkretisierte entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt - die gesetzlichen Merkmale des Zurechnungsunfähigkeit bewirkenden Zustandes der vollen Berauschung hinreichend und wies insbesondere richtig auf die damit verbundene Erinnerungslosigkeit beim Täter und die Sinnlosigkeit der Tat hin, Umstände, die neben dem Ausschluß der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit den auf den Genuß von Alkohol oder eines anderen berauschenden Mittels zurückzuführenden, die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch (volle Berauschung gemäß § 287 StGB.) charakterisieren und Merkmale einer darauf beruhenden Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB. sind. Ebenso war die Belehrung der Geschwornen zum Rechtsbegriff der für das Verbrechen des Totschlages notwendigen allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreichend. Der Schwurgerichtshof bezeichnete sie zutreffend als einen heftigen Affekt, der den Täter mißreißt und der zur Tatzeit noch nicht abgeklungen ist; er führte ferner zutreffend aus, daß die Frage, ob eine derartige Erregung allgemein begreiflich sei, wohl unter Berücksichtigung der Tatumstände, jedoch von einem objektiven Standpunkt aus gelöst werden muß. Ebenso zutreffend wird in der Rechtsbelehrung darauf verwiesen, daß die Gemütsbewegung für einen Durchschnittsmenschen in dem Sinn verständlich sein müsse, daß er sich vorstellen könne, auch er geriete unter den gegebenen Verhältnissen in eine solche Erregung. Damit umriß der Schwurgerichtshof die für den Begriff der Gemütsbewegung nach § 76 StGB. von Lehre und Rechtsprechung entwickelten wesentlichen Kriterien (z.B. Foregger-Serini2, StGB., S. 145, 146). Weiterer Ausführungen hiezu bedurfte es im Gegensatz zur Meinung des Beschwerdeführers nicht. Auch der Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z. 8 StPO. ist somit nicht gegeben.

Was schließlich das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs. 1 Z. 12 StPO. mit dem Ziel seiner Verurteilung nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlages nach dem § 76 StGB. oder wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83, 86 StGB.

anlangt, so wird damit der angerufene Nichtigkeitsgrund nicht dem Gesetze gemäß zur Darstellung gebracht, weil bei Prüfung der Richtigkeit der rechtlichen Beurteilung von jenen Feststellungen auszugehen ist, die sich aus dem Wahrspruch der Geschwornen ergeben. Der Beschwerdeführer versucht jedoch, diesen Wahrspruch durch Vergleich mit Verfahrensergebnissen, insbesondere mit seiner von den Geschwornen als unwahr abgelehnten Verantwortung, als unrichtig hinzustellen und so die freie richterliche Beweiswürdigung in hier im Nichtigkeitsverfahren unzulässiger und damit unbeachtlicher Weise nach Art einer Schuldberufung zu bekämpfen. Die Geschwornen brachten durch ihre die Hauptfrage in Richtung des Verbrechens des Mordes einstimmig bejahende Antwort feststellend zum Ausdruck, daß der Beschwerdeführer gegen Stefanie B mit Tötungsvorsatz gehandelt hatte. Eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung zur Tatzeit (im Sinn des § 76 StGB.) nahmen die Geschwornen hingegen nicht an, obwohl ihnen dazu, wie ausgeführt wurde, durch die Stellung einer entsprechenden Eventualfrage Gelegenheit geboten worden war. Eine Qualifikation des Tatverhaltens als Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83, 86 StGB. kam schon mangels eines entsprechenden Wahrspruchs nicht in Betracht.

Auch die Subsumtion der Tat war somit rechtlich einwandfrei. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 75 StGB. eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Bei der Strafbemessung wertete es die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten wegen Mordes und die Begehung der Tat innerhalb der Probezeit nach der bedingten Entlassung aus dieser Vorstrafe als erschwerend und sah demgegenüber die Erregung des Angeklagten zur Tatzeit als mildernd an.

Die auf Verhängung einer zeitlichen Freiheitsstrafe gerichtete Berufung des Angeklagten ist begründet.

Die vom Erstgericht angeführten Strafzumessungsgründe bedürfen insofern einer Korrektur, als die Tatbegehung innerhalb einer Probezeit zu Unrecht als Erschwerungsgrund herangezogen wurde (vgl. u. a. LSK. 1975/263; Foregger-Serini, § 33 StGB., Erl. II zu Z. 1, S. 78; Mayerhofer-Rieder, Anm. 5 zu § 33 StGB.). Anderseits fanden zu Gunsten des Angeklagten im Rahmen der Milderungsgründe weder die Besonderheit seiner Persönlichkeitsstruktur (sh. S. 33/II), noch vor allem - unter Bedachtnahme auf § 35 StGB. - seine hochgradige Alkoholisierung zur Tatzeit entsprechende Berücksichtigung. Läßt man auch den Vergleich mit ähnlich gelagerten Tatabläufen nicht außer Betracht, dann erweist sich, daß entgegen der Auffassung des Erstgerichtes mit der höchsten zeitlichen Freiheitsstrafe noch das Auslangen gefunden werden kann. Die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe war daher in Stattgebung seiner Berufung auf zwanzig Jahre herabzusetzen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte