OGH 10Os61/79

OGH10Os61/7919.12.1979

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Dezember 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Racek, in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Zehetmayr als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerhard A wegen Vergehens nach § 1 Abs. 1 lit. a und c des Bundesgesetzes vom 31. März 1950, BGBl. Nr. 97, über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofs Wien als Schöffengericht vom 29. Jänner 1979, GZ. 1 b Vr 1048/78-12, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Kern und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuld-, Straf- und Adhäsionsausspruch aufgehoben sowie die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 18. September 1956 geborene Kaufmann Gerhard A des Vergehens nach § 1 Abs. 1 lit. a und c des Bundesgesetzes vom 31. März 1950, BGBl. Nr. 97, schuldig erkannt. Inhaltlich des Urteilsspruchs hat er in Wien in seinem Geschäft, in welchem er unter Einhaltung eines hinreichenden Jugend- und Belästigungsschutzes mit pornographischen Druckwerken handelt, in gewinnsüchtiger Absicht unzüchtige Schriften und Abbildungen zum Zweck der Verbreitung vorrätig gehalten, anderen angeboten und überlassen und zwar am 26. Juni 1978 das Magazin 'Analsex' Nr. 17 und am 27. Juli 1978 das Magazin 'Lesbian Fun'. Diesen Schuldspruch bekämpft Gerhard A mit einer Nichtigkeitsbeschwerde, die er auf § 281 Abs. 1 Z. 5

und 9 lit. a StPO. stützt und in der er der Sache nach auch den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. b der angeführten Gesetzesstelle geltend macht.

Rechtliche Beurteilung

Berechtigung kommt der sachlich aus der Z. 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. erhobenen Rechtsrüge zu. Bereits in der Hauptverhandlung hatte sich der Angeklagte dahin verantwortet, er habe beschlagnahmtes Material vom Jugendgerichtshof zurückerhalten und der Inhalt dieser Druckwerke sei mit den nunmehr inkriminierten vergleichbar (S. 68). Damit brachte der Angeklagte zum Ausdruck, daß er es für erlaubt hielt, ein dem ihm ausgefolgten gleichartiges Material vorrätig zu halten, anderen anzubieten und zu überlassen. Diese, auf die Behauptung eines Rechtsirrtums hinauslaufende Verantwortung ließ das Jugendschöffengericht in seinem Urteil unberücksichtigt. Aus den Akten 1 b (früher 11) Vr 1840/77 des Jugendgerichtshofs Wien geht hervor, daß mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 13. Februar 1978 (Punkte 4 und 6 auf Seite 1 d verso) die Beschlagnahme einer großen Anzahl von Filmen, Büchern, Taschenbüchern und Magazinen aufgehoben und deren Ausfolgung an Gerhard A angeordnet worden ist. Diesbezüglich war mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom selben Tag das Verfahren gegen Gerhard A (wegen § 1 PornG.) gemäß § 109 StPO. eingestellt worden (Punkt 3 auf Seite 1 d unten im vorbezeichneten Akt). Seiner Nichtigkeitsbeschwerde in der gegenständlichen Sache hat der Angeklagte Ablichtungen von einzelnen der ihm damals ausgefolgten Magazine angeschlossen; damit will der Beschwerdeführer dartun, daß das nunmehr inkriminierte Material im wesentlichen gleichartig ist (vor allem Gruppensex).

Die oben aufgezeigte Verantwortung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung und das darauf beruhende Beschwerdevorbringen lassen die Frage der Tatbestandsmäßigkeit als solche unberührt; sie enthalten vielmehr im Kern die einfache Behauptung, der Nichtigkeitswerber habe doch nicht annehmen können, daß der Vertrieb von Magazinen gleicher Art wie die ausgefolgten verboten sei. Es wird demnach insoweit keineswegs ein Tatbestandsirrtum (Irrtum über ein Tatbestandsmerkmal), sondern ein Rechtsirrtum (Irrtum über die Rechtswidrigkeit des wenn auch etwa tatbestandsmäßigen Verhaltens) geltend gemacht. Gemäß § 9 Abs. 1 StGB. handelt nicht schuldhaft, wer das Unrecht der Tat wegen eines Rechtsirrtums nicht erkennt, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen ist. Die mehrfach erwähnte Verantwortung des Angeklagten betreffend die Ausfolgung der Beweisgegenstände im früheren Verfahren hätte Feststellungen über das Vorliegen des Schuldausschliessungsgrunds des § 9 Abs. 1 StGB. oder über das Fehlen seiner Voraussetzungen in diesem speziellen Punkt erfordert. Da solche Konstatierungen unterblieben sind, schlägt die inhaltlich auf eine Nichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO. abzielende Rüge durch.

Es waren daher der Schuldspruch, demzufolge auch der Strafausspruch und die Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg aufzuheben (der Ausspruch nach § 263 Abs. 2 StPO. bleibt unberührt) und die Sache gemäß § 288 Abs. 2 Z. 3, zweiter Satz, StPO. zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an den Gerichtshof erster Instanz zurückzuverweisen, ohne, daß auf die übrigen Beschwerdeausführungen eingegangen werden mußte. Mit seiner Berufung war der Rechtsmittelwerber auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

Falls das Gericht im erneuerten Rechtsgang einen Irrtum des Angeklagten gemäß § 9 Abs. 1 StGB. als gegeben erkennt, wird sich eine Prüfung der Vorwerfbarkeit nach Abs. 2 derselben Gesetzesstelle erübrigen. Da der hier allein in Betracht kommende Rechtsirrtum nur im Vertrauen auf eine gerichtliche Handlung verkörpert sein konnte, könnte weder von einer leichten Erkennbarkeit des Unrechts noch davon gesprochen werden, der Täter hätte sich mit den einschlägigen Vorschriften bekannt machen, also gewissermaßen von sich aus das Gericht kontrollieren müssen.

Darüber hinaus wird das Schöffengericht zu beachten haben, daß die im nunmehr aufgehobenen Urteil für die Qualifizierung als absolut unzüchtig, mithin als sogenannte harte Pornographie, gegebene Begründung, daß nämlich die Druckwerke (auch) Darstellungen gleichgeschlechtlichen ('lesbischen') Umgangs enthalten, für eine solche Beurteilung keineswegs ausreicht.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung eines verstärkten Senats vom 6. Juni 1977, EvBl. 1977

Nr. 186 = RiZ. 1977 S. 178, zum Ausdruck gebracht und worauf er seither mehrmals (9 0s 168/78 vom 27. Februar 1979 und 13 0s 47/79 vom 22. Juni 1979) deutlich verwiesen hat, erfordert die Beurteilung der Darstellung von Homosexualität und Sodomie als unter allen Umständen unzüchtig (harte Pornographie), daß die betreffende Darstellung eine propagandistische Wirkung entfaltet. Propaganda ist der Versuch der Massenbeinflussung (Duden, Etymologie, 1963, S. 533). Es wird also darauf ankommen, ob mittels der optischen und verbalen Darbietungen gleichgeschlechtlicher Akte eine Massenbeeinflussung überhaupt stattfinden kann. Bei der Beantwortung dieser Frage wird wiederum entscheidend sein, wer als Abnehmer der inkriminierten Magazine in Betracht kam. War es nur ein kleiner Personenkreis oder waren es Personen, die ohnehin bereits homophil sind oder der homosexuellen Betätigung zuneigen, so scheidet eine Massenbeeinflussung der gedachten Art von vornherein aus. Gleiches gilt für jene Käufer der Druckwerke, die offenbar nur ein Interesse ihrer eigenen Person an der visuellen oder an der verbalen Darstellung der gleichgeschlechtlichen Sexualität befriedigen wollen. Eine propagandistische Wirkung, wie sie die aufgezeigte Judikatur verlangt, macht die Feststellung notwendig, daß mit dem Verkauf der Druckwerke eine große Menge von Menschen ('Massen'), die bislang heterosexuell eingestellt waren, der homosexuellen Betätigung zugeführt werden können und tatsächlich zugeführt werden sollen. Erst wenn diese beiden Konstatierungen - auf verläßlicher Sachverhaltsgrundlage - getroffen werden können, wäre auf die übrigen (so auf die schon im aufgehobenen Urteil angestellten) Erwägungen zur Tatbestandserfüllung einzugehen.

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